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Als Detective Miller an diesem grauen Dezembertag den Verhörraum betritt, hat er keine Ahnung, wie sehr dieses Verhör sein Leben verändern wird. Er weiß nicht, wie viele Verhöre er in seiner Laufbahn schon gemacht hat. Es war inzwischen schon Routine für ihn. Er kennt jede Geschichte, jede Ausrede und jede Art von Verbrecher. Doch die junge Frau, die am Tisch sitzt und ohne aufzublicken an ihrer Zigarette zieht, überrascht ihn. Nicht nur ihre Ruhe irritiert ihn, sondern auch das Verbrechen, weswegen sie hier ist - mehrfacher Mord. Er kann sich nicht vorstellen, dass diese kleine, schmale Person wirklich drei erwachsene Männer umgebracht hatte. Doch genau deshalb war sie festgenommen wurden. Sie sollte drei Obdachlose umgebracht haben. Aber das Einzige, was auf ihre Täterschaft hinwies war die Zeugenaussage einiger Heimatloser, die gesehen hatten, wie sie vor der Armenküche mit den Opfern gesprochen hatte. Und dort war sie einige Stunden zuvor auch festgenommen worden. Miller soll nun mehr liefern als die Aussagen von Obdachlosen. Zum Beispiel ein Geständnis. Er setzt sich der jungen Frau gegenüber und stellt das Diktiergerät zwischen sie beide auf den Tisch. Die junge Frau mit den schulterlangen braunen Haaren blickt immer noch nicht hoch, sondern zieht nur an ihrer Zigarette. Miller deutet auf die Zigarettenschachtel neben ihrem Arm und fragt: "Kann ich mir eine nehmen?" Sie nickt und schiebt die Packung wortlos in seine Richtung. Detective Miller kennt sich nach dreißig Jahren als Polizist aus. Er weiß, dass sie nur nach außen so cool tut, innerlich aber mehr als nervös ist. Und sie hat auch allen Grund dazu. "Okay. Die Sache ist ganz einfach. Du erzählst mir einfach, was ich wissen will. Und dann kannst du gehen." Sie sieht ihn endlich an. "Klingt gut. Ich will nur keinen Ärger. Aber sie werden meine Geschichte sowieso nicht glauben." "Du glaubst nicht, was die Leute mir schon alles erzählt haben. Es geht jetzt erstmal nicht darum, ob deine Geschichte glaubwürdig klingt. Du sollst mir nur erzählen, was passiert ist. Deine Sicht der Dinge sozusagen." "In Ordnung. Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt." Detective Miller findet diesen Satz mehr als merkwürdig. Aber das Mädchen hat sich schon seit seiner Verhaftung seltsam benommen. Sie ist die ganze Zeit ruhig geblieben, hat nicht versucht wegzulaufen und sich widerspruchslos und stumm verhaften lassen. Auch hat sie kein einziges Mal gesagt, alles wäre ein Irrtum und sie wäre unschuldig. Er schaltet das Tonbandgerät ein und spricht den obligatorischen Spruch drauf. "Detective James Miller. 14. Dezember ´66. 18:17 Uhr. Erstes Gespräch mit der Verdächtigten Charlotte Anderson.“ Er sieht sie einen Moment an. Er möchte sie erstmal nur zum reden bringen und sich dann behutsam an das eigentliche Thema wagen. Das hat bis jetzt meistens geklappt. „Erzähl mir erstmal was von deiner Kindheit. Wo kommst du her und was treibt dich nach L.A.?" Charlotte hebt überrascht die Augenbraue, sagt aber nichts dazu, dass Detective Miller bemerkt hat, dass sie nicht aus Los Angeles stammt. Sie drückt ihre Zigarette in dem Aschenbecher vor ihr aus und zündet sich gleich eine neue an. Sie zieht zweimal und fängt dann an zu erzählen.

„Ich wurde am 12. September 1946 in der Bronx geboren. Ich lebte mit meinem Eltern, drei älteren Schwestern und einem jüngeren Bruder in einer winzigen Wohnung. Meine Geschwister waren allesamt Verlierer und kriminell. Meine Mum hat als Putze gearbeitet und mit unserem Vermieter geschlafen, weil mein Alter das bisschen Geld, das wir hatten regelmäßig versoff. Mit vierzehn bin ich dann abgehauen und zu ner Freundin nach Brooklyn gezogen. Sie war achtzehn, aber wir haben uns blendend verstanden. Wir haben auch zusammen in einem Café gearbeitet um Geld zum Leben zu verdienen. Unter der Arbeit hat natürlich die Schule gelitten und so hab ich sie dann irgendwann einfach geschmissen.“ Detective Miller bekommt Mitleid mit Charlotte. Er spürt, dass sie ihm keine Lügen erzählt. Aber sie hatte trotzdem noch Glück gehabt. Denn nicht alle Mädchen finden eine Bleibe, wenn sie ausreißen. Die meisten landen auf der Strasse, werden drogensüchtig, prostituieren sich oder werden umgebracht. Dann kommt Charlotte auf den 10. November 1961 zu sprechen. "`N Tag, den ich nie wieder vergessen werde.", sagt sie und sieht dann für einen Moment ins Leere. Dann erzählt sie weiter. „Wir waren an diesem Freitagabend aus gewesen und hatten zwei Männer kennen gelernt. Nachdem meine Freundin mit einem der Typen gegangen war, hatte ich den anderen - sein Name ist Victor - in ein Hotel begleitet.“ Miller zuckt leicht zusammen. Wie vielen Mädchen hatte so eine Leichtfertigkeit schon das Leben gekostet? „Wir sind also in diesem Stundenhotel gelandet. Da hat er mich auch ins Bett gekriegt. Kann mich aber nicht mehr genau an alles erinnern. Ich war wahrscheinlich schon zu betrunken. Sie müssen wissen, ich war eigentlich nicht so. Es war das erste Mal, dass ich überhaupt mit einem Kerl mitgegangen bin und so. Jedenfalls bin ich danach gleich eingeschlafen. Und als ich wach wurde, war ich in einem anderen Raum und wieder angezogen. Ich weiß noch, dass ich damals gedacht hatte, Vic hätte mir was ins Glas getan oder so. Doch das hab ich ganz schnell vergessen, als ich mich in dem Raum umgesehen habe. Er war nicht sehr groß, aber total dunkel und deshalb hatte ich erst gedacht, dass es noch Nacht sei. Doch von draußen waren Vogelgezwitscher und auch Straßenverkehr hereingedrungen. Und erst, als ich mir die Fenster genauer angesehen hatte, hatte ich bemerkt, dass sie mit Brettern zugenagelt waren.“ Miller schaut sie überrascht an, lässt sie aber weiterreden. „Kurz nachdem ich zu mir gekommen bin, ist Victors Freund in die Wohnung gekommen. Ich hab die beiden belauscht und mir ist klar geworden, dass ich in Gefahr schwebte. Ich kanns mir heute nicht erklären, aber ich hab die Beiden zur Rede gestellt, was los sei und wer sie seien. Daraufhin hat sich Victors Freund vor meinen Augen verändert. Er bekam plötzlich lange Eckzähne.“ Detective Miller unterbricht Charlotte. „Meinen Sie das ernst?“ Charlotte zuckt nur mit den Schultern. „Ich hab sie ja gewarnt, dass Sie mir nicht glauben würden. Aber alles, was ich ihnen erzähle ist so passiert.“ Miller ist mehr als skeptisch, aber er fordert sie auf, weiter zu erzählen. Sie zündet sich eine neue Zigarette an und erzählt weiter. „Mir ist es Gott weiß wie gelungen, vor ihnen auf die Strasse zu fliehen. Sie sind mir nicht gefolgt, was mir in dem Moment nicht mal komisch vorkam. Ich war nur froh, entkommen zu sein. Auf dem Weg in unsere Wohnung war mir dann klar geworden, dass meine Freundin wahrscheinlich schon längst tot und ich selbst nur knapp dem Tod entronnen war. Zu Hause angekommen hab ich die Tür abgeschlossen und auch alle Fenster verriegelt. Ich hatte panische Angst gehabt, dass Victor oder sein Freund mich finden und auch töten würden. Schließlich war ich eine Zeugin. Und tatsächlich ist Victor an diesem Abend zu mir gekommen, um mir meinen Mantel zu bringen. Obwohl ich Angst gehabt hatte, hatte ich ihm die Tür geöffnet und ihn rein gelassen. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass ich ihm trotz allem vertrauen könnte. Wir hatten uns unterhalten und Victor hatte mir seine Liebe gestanden. Vielleicht war ich auch einfach zu verknallt, um logisch denken zu können." Sie grinst schief. „Am nächsten Abend ist er dann wieder gekommen und hatte mir von seiner Vergangenheit erzählt. Das er 1770 in Irland geboren worden war und mit dreiundzwanzig zu einem Vampir gemacht wurde.“ Miller unterbricht sie wieder. "Soll das ein Scherz sein?" "Wollen Sie die Geschichte nun hören oder nicht?" entgegnet Charlotte. Miller nickt und Charlotte redet weiter. Aber sie sieht, dass er immer skeptischer wird. Doch sie schließlich auch nichts anderes erwartet. „Victor hat dann die Nacht bei mir verbracht und kurz darauf war er ganz zu mir gezogen. Wir haben nie über meine Freundin oder seinen Freund und was damals in der Nacht geschehen ist, gesprochen. Ich hab das verdrängt, wie so vieles in meinem Leben. Ich war glücklich mit Victor und nur das zählte für mich. Nach ein paar Wochen hatte er mich dann gefragt, ob ich mal eine andere Gegend, eine andere Stadt kennen lernen wolle. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie aus New York raus gekommen und hätte auch nie gedacht, dass es dazu kommen würde. Und Victor sprach davon, als würde ‚in eine anderen Stadt gehen’ nur bedeuten, mal eben um die Ecke zu laufen." Sie lächelt. "Na ja, er war damals einhunderteinundneunzig Jahre alt und war von Irland nach Amerika, durch die halbe Welt gereist. Für ihn bedeuteten weder Zeit noch Raum etwas. Zumindest kam es mir damals so vor. Und auch heute noch. Wir hatten uns nach zwei Monaten dann auf den Weg nach Pittsburgh gemacht. Dort blieben wir drei Monate. Danach reisten wir fast durch den ganzen Kontinent. Wir fuhren durch Ohio, Indiana, waren ein paar Monate in Chicago, dann in Memphis von wo aus wir durch Mississippi nach New Orleans zogen. Dort sind wir auch fast zwei Jahre geblieben. In New Orleans war es einfach Klasse. Die Menschen dort waren irgendwie anders als die, die in New York lebten. Dort fing ich auch an, Victor zu helfen, an seine Opfer zu kommen." Miller wird hellhörig. War das etwa der erste Teil eines Geständnisses? „Nach zwei Jahren in New Orleans hatte uns wieder die Reiselust gepackt und wir waren weiter gezogen. Zuerst nach Houston, dann nach San Antonio und schließlich nach Santa Fe. Dort hatten wir mehr als ein halbes Jahr gelebt. In Santa Fe waren wir dann auch auf die Idee gekommen, dass ich Obdachlose von den Armenküchen und Schlafplätzen weglocken sollte. Victor meinte, dass niemand solche Leute vermissen würde und es deshalb auch nicht auffällt, wenn sie verschwinden." Charlotte bemerkt, dass Miller immer aufmerksamer wird. "Ich bin kein schlechter Mensch. Ich weiß, dass sich das absurd anhört. Aber ich liebe Victor und will ihm helfen zu überleben. Schließlich tut er dasselbe auch mit mir. Und auf eine Art und Weise ist es für die Penner vielleicht sogar besser. Ich meine, sie leiden nicht und haben es dann hinter sich." Miller ist es deutlich am Gesicht abzulesen, dass ihm diese Weltsicht nicht sehr einleuchtet. "Und wann seid ihr nach Los Angeles gekommen?", fragt er. "Nach einem halben Jahr in Santa Fee sind wir dann nach Phoenix. Da haben wir ein Jahr gelebt. Und dann sind wir hergekommen." "Habt ihr in Phoenix auch dieselbe Masche abgezogen?" Charlotte nickt. „Ich hab mir die Leute angeguckt und dann einen ausgewählt. Ich hab ihn angesprochen und ihn mit dem Angebot auf eine warme Mahlzeit oder eine schnelle Nummer in eine dunkle Ecke oder in ein Motel gelockt. Dort wartete dann Victor und konnte in Ruhe trinken.“ "Wie viele Menschen hat er getötet, seit du ihn kennst?" Charlotte zögert und scheint nachzudenken. "Ich weiß es nicht. Ich hab sie nicht gezählt. Aber es waren pro Monat ein oder zwei. Zumindest die, von denen ich weiß. Keine Ahnung, ob er selber auch auf Jagd gegangen ist." Miller rechnet schnell nach. Das wären in fünf Jahren zwischen sechzig und hundertzwanzig Opfer! Wenn Charlotte die Wahrheit sagt, wäre Victor einer der größten Serienkiller, die Amerika je gesehen hatte. Wenn sie die Wahrheit sagt. Denn Miller zweifelt immer mehr an ihrer Aussage. Entweder ist sie total verrückt oder sie will den Anschein erwecken, dass sie verrückt ist, damit sie nicht verurteilt werden kann. Oder vielleicht trinkt Victor tatsächlich das Blut seiner Opfer und Charlotte hat dieses seltsame Verhalten verinnerlicht und glaubt, dass er wirklich ein Vampir sei. Auf jeden Fall war Victor gefährlich und Charlotte hatte sich in mindestens sechzig Fällen der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Das bedeutete für sie lebenslänglich oder gar die Todesstrafe. Und ihr Versuch, als unzurechnungsfähig zu gelten, würde sie kaum retten. "Und wie lange seid ihr jetzt schon in Los Angeles?", will Miller wissen. Charlotte überlegt kurz. "Seit fast fünf Monaten." Miller schaut sie an. Als er den Raum betreten hatte, hätte er nie gedacht, wie absurd dieses Gespräch verlaufen würde. Er kann nicht glauben, dass Charlotte ihn angelogen hat. Sie ist die ganze Zeit ernst geblieben und nichts an ihre Stimme, ihrer Körpersprache oder der Art, wie sie die Geschichte erzählt hat, hat gezeigt, dass sie irgendwas erfunden hat. Er weiß ziemlich gut, wann jemand lügt. Und Charlotte lügt nicht. Sie scheint wirklich daran zu glauben, dass ihr Freund ein Vampir sei. Liebe macht anscheinend nicht nur blind, sondern vernebelt auch den Sinn für die Realität. Denn ihre Geschichte ist mehr als verrückt. Miller fällt nichts mehr ein, was er Charlotte fragen könnte. Also nimmt er das Tonband und sagt: "Ende des ersten Gespräches." Dann drückt er die ‚Stop’-Taste. Er steht auf und klopft gegen die Tür, die prompt von dem draußen stehenden Polizisten geöffnet wird. "Sie glauben mir nicht, oder?", fragt sie ihn. Miller dreht sich noch mal zu ihr um. "Würdest du es an meiner Stelle glauben?", fragt er und mustert sie. Sie lächelt und sagt: "Wahrscheinlich nicht." Beim hinausgehen sagt Miller zu dem Polizisten: "Sie kann in ihre Zelle zurückgebracht werden."

Miller denkt noch am Abend über Charlotte und ihre Geschichte nach. Irgendwie lässt ihn die junge Frau nicht los. Er fragt sich, wie charismatisch ein Mann sein musste, um ein junges Mädchen dazu zu bringen, ihm beim morden zu helfen. Nun sitzt sie in der Zelle, während er wahrscheinlich schon das nächste junge Ding ausfindig macht, die ihm bei seinen Verbrechen helfen würde. Anfangs hatte Miller gehofft, das Charlotte Victor verraten und versuchen würde, einen Deal auszuhandeln. Aber sie schien nicht im Entferntesten daran zu denken, sich selbst zu helfen, indem sie ihren Freund verriet.

Als Miller am nächsten Morgen ins Revier kommt, sind alle in heller Aufregung. In der Nacht gab es einen Ausbruch aus einer der Untersuchungszellen. Die Flüchtige ist - Charlotte Anderson. Miller kann es nicht glauben. Vor allem nicht, als er sieht, das jemand in der Nacht die Gitterstäbe des Fensters herausgerissen haben muss. Anschließend war es für Charlotte fast ein Kinderspiel, aus dem Fenster zu klettern und auf die Straße zu springen. Der Polizist, der in der Nacht im Revier gewesen war, hatte gesagt, er hätte Lärm aus einer der Zellen gehört. Als er nachgeschaut hatte, war Charlotte gerade aus dem Fenster gesprungen. Er hatte so schnell wie möglich die Zelle aufgeschlossen und war an das Fenster gerannt. Doch als er hinausgesehen hatte, war sie schon nicht mehr zu sehen gewesen. Natürlich läuft jetzt eine Fahndung nach Charlotte. Miller sieht sich die Mauer, in der die Fenstergitterstäbe eingefasst gewesen waren an. Die Gitterstäbe fand man auf der Strasse unter dem Mauerloch. Sie waren leicht verbogen und es war offensichtlich, dass sie von außen aus der Verankerung gerissen worden war. Wahrscheinlich mit einem Seil, das an einer Stoßstange befestigt war. "Der Fall wird immer merkwürdiger.", denkt Miller, als er an seinen Schreibtisch zurückkehrt und Charlottes Aussage abtippt. Sie kann sie zwar im Moment nicht unterschreiben, aber Pflicht ist Pflicht.

Als Miller abends das Revier verlässt, gibt es immer noch keine Spur von Charlotte Anderson. An diesem Abend fährt Miller nicht gleich nach Hause, sondern erst zu seiner Lieblingsbar. Ein oder zwei Biere werden ihm sicher helfen, besser über die Ereignisse der letzten zwei Tage nachzudenken.

Kurz vor Mitternacht verlässt er die Bar. Er will gerade die Tür seines Autos aufschließen, als er auf der anderen Straßenseite in einer Gasse eine Gestalt sieht, die ihn scheinbar beobachtet. Er sieht genauer hin und glaubt, zuviel getrunken zu haben. Auf der anderen Straßenseite steht Charlotte. Als sie bemerkt, dass er sie entdeckt hat, dreht sie sich um und verschwindet in der Gasse. Miller rennt über die Straße und folgt ihr. Am Ende der Gasse bleibt er stehen und wähnt sich schon als großer Held, weil die Flucht von Charlotte Anderson ein Ende zu haben scheint. Charlotte steht vor der Mauer, die das Ende der Gasse und damit auch das Ende ihres Fluchtweges bedeutet. Sie dreht sich langsam um. "Tut mir leid.", sagte sie leise. Sie scheint wirklich traurig zu sein. "Was tut dir leid? Dass ich dich geschnappt habe?" Charlotte lächelt kurz. "Nein. Es tut mir leid, dass ich Sie da mit rein gezogen habe. Sie scheinen nämlich ein netter Kerl zu sein. Aber jeder, der uns gefährlich werden kann, muss beseitigt werden." Miller zögert kurz und mustert Charlotte genauer. Trägt sie irgendwo eine Waffe? "Heißt das, dass du mich jetzt töten willst?", fragt er und versucht unauffällig auf Charlotte zuzugehen. Charlotte lacht kurz und hart. "Ich?! Ich hab` noch nie jemanden umgebracht. Ich hab`s Ihnen doch erzählt. Ich locke nur die Opfer an." Miller fällt noch etwas anderes ein. „Ich hab ihn angesprochen … in eine dunkle Ecke gelockt. Dort wartete dann Victor und konnte in Ruhe trinken.“ Charlotte hatte ihm erzählt, wie sie die Opfer anlockte. Genau wie sie es mit ihm getan hatte. In dem Moment hört Miller ein Geräusch neben sich. Doch er hat keine Gelegenheit mehr, etwas zu tun, denn im selben Augenblick wird er von hinten gepackt. Jemand drückt seinen Kopf zur Seite und scharfe Zähne bohren sich in seinen Hals. Er spürt, wie das Blut langsam seinen Körper verlässt. Charlotte setzt sich auf eine Holzkiste, die an der Mauer steht und schaut weg. Sie kann nicht zusehen, wie Victor den Detective, dem sie soviel aus ihrem Leben erzählt hat und den sie irgendwie mag, tötet. Genauso wenig, wie sie bei Victors anderen Opfern zusehen konnte. Sie hat kein Problem damit, seine Opfer anzulocken. Aber sie kann es immer noch nicht ansehen, wenn er trinkt. In den letzten Momenten seines Lebens wird Miller klar, dass Charlotte nicht gelogen hat. Leider nimmt er diese späte Erkenntnis nun mit ins Grab.

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Tag der Veröffentlichung: 20.12.2008

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