Cover


Donnerstag, 17.8.1978


Ich hatte letzte Nacht wieder diesen Alptraum. Ich laufe vor diesem … Ding weg, aber „es“ ist sehr schnell. Doch in letzter Sekunde kann ich die Wohnungstür erreichen und entkommen. Ich habe mich schon fast an den Traum gewöhnt, denn ich habe nicht wirklich Angst. Ich weiß, ich bin in Sicherheit, ehe dieses Monster mich erreicht. Denn ich habe es immer wieder geschafft, durch die Tür zu laufen, bevor „es“ mich erwischen konnte. Aber gestern war es irgendwie anders. „Es“ war viel näher an mich herangekommen als sonst. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. Trotzdem beunruhigt es mich irgendwie. Aber andererseits ist es doch nur ein Traum, oder?

Samstag, 19.8.1978


Ich habe wieder von diesem Vieh geträumt. Und diesmal empfand ich echte Panik, als ich aufwachte. Die Tür, durch die ich jedes Mal geflohen bin, hatte geklemmt. Vielleicht hatte ich nur nicht genug gezogen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich „es“ hinter mir spüren konnte. „Es“ wollte mich packen, aber ich bekam die Tür doch noch auf. Warum hat sich der Traum geändert? Wahrscheinlich ist es nur Stress. In letzter Zeit ist im Büro der Teufel los. Jessica meinte, ich solle mir ruhig ein bisschen Urlaub gönnen. Jake ist bestimmt auch dieser Meinung. Er kommt heute zum Dinner. Ein richtig romantisches Essen bei Kerzenlicht. Ich glaube, das wird meine schlechte Laune vertreiben. Ob ich Jake von dem Alptraum erzählen sollte?

Montag, 21.8.1978


Ich bin total ausgepowert. Obwohl die Woche erst angefangen hat, habe ich das Gefühl, ich hätte bis Freitag durchgearbeitet. Jessica hat mich schon um 13:00 Uhr nach Hause geschickt, weil ich mich kaum auf den Beinen halten konnte und total übermüdet wirkte. Ich bin auch total müde. Ich habe gestern Nacht nicht viel geschlafen. Ich hab` mich den ganzen Tag so sehr über Jake geärgert, dass ich abends nicht einschlafen konnte. Ich hatte ihm von diesen Alpträumen erzählt. Er sagte, es seien doch nur Träume und dass ich mir keine Sorgen machen soll. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er würde sich über meine Angst lustig machen. Er nahm mich gar nicht richtig ernst. Ich hatte eigentlich geglaubt, er würde versuchen, mir zu helfen. Aber er hat mich nur als ängstliches Mädchen hingestellt. Mein Ärger über Jake hat mich fast den ganzen Sonntag beschäftigt. Ich konnte nicht fassen, wie egal ich ihm sein kann. Vielleicht klingt das übertrieben, aber so fühlte ich mich in diesem Moment. Als ich dann endlich einschlafen konnte, fing ich fast sofort an, zu träumen. Dieses Mal war „es“ so nah hinter mir, dass ich seinen Atem spüren konnte. Der warme Hauch streifte meinen Nacken. Wenn ich die Tür nur zwei oder drei Sekunden später aufgekriegt hätte, hätte mich dieses verdammte Vieh sicher erwischt. Ich war schweißgebadet, als ich aufwachte. Ich habe noch Minuten danach gezittert. Ich hatte wirklich Angst. Todesangst. Ich habe das Gefühl, dass „es“ mich das nächste Mal packen und … Ich weiß nicht, was dann passieren wird. Vielleicht wird „es“ mich fressen. Vielleicht … Ich will eigentlich gar nicht darüber nachdenken, was dieses Monster mit mir anstellen könnte. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, stand ich auf. Ich wollte nur etwas trinken und dann versuchen, noch etwas zu schlafen. Aber ich konnte einfach nicht. Ich konnte mich nicht wieder hinlegen. Ich hatte zuviel Angst. Ich hatte Angst, dass ich wieder träume. Und ich hatte Angst davor, was in meinem Traum passieren könnte. In einem Film ging es mal um so ein Phänomen, dass, wenn man im Traum stirbt, man auch im wirklichen Leben stirbt. Was ist, wenn dieses Phänomen auch bei mir auftritt?

Dienstag, 22.8.1978


Ich wollte eigentlich heute Morgen zur Arbeit gehen, aber ich war viel zu groggy, um mich überhaupt anzuziehen und zu frühstücken. Ich rief Jessica an, um mich zu entschuldigen und sie sagte, es sei besser, wenn ich die ganze Woche zu Hause bliebe und mich mal so richtig ausschlafe. Das ist doch eigentlich die blanke Ironie. Denn je mehr ich schlafe, desto elender fühle ich mich. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass es so ist. Letzte Nacht habe ich ein bisschen geschlafen. In dem Moment, in dem ich die Tür erreichte, wachte ich urplötzlich auf. Das Telefon hatte mich geweckt. Die Frau, die dran war, entschuldigte sich vielmals, weil sie sich verwählt und mich mitten in der Nacht geweckt hatte. Sie konnte ja nicht wissen, wie dankbar ich ihr war, weil sie mich gerade noch rechtzeitig geweckt hatte. Ich weiß, diesmal hätte mich dieses Ungeheuer sicher erwischt. Ich ging danach nicht wieder ins Bett, sondern setzte mich mit einer Tasse Tee vor den Fernseher und schaltete durch die Kanäle, bis es fast 5:30 Uhr war. Am Nachmittag rief Jake an. Er sprach mir auf den Anrufbeantworter, den ich eingeschaltet hatte, um meine Ruhe zu haben. Ich hörte mir erst am Abend an, was er gesagt hatte. Er hatte mir den Vorschlag gemacht, dass wir Freitagabend ausgehen könnten. Und er hatte mich gefragt, ob ich immer noch diese Träume hätte. Er sagte, es wären nur Träume und dass es absolut keinen Grund gäbe, sich Sorgen darüber zu machen. Hat er wirklich Recht? Ist es wirklich nur ein Traum, etwas, das nicht real ist? Für einen kurzen Moment wollte ich es wirklich glauben. Aber da ist dieses Gefühl. Das Gefühl, dass es mehr als nur ein Traum ist. Das Gefühl, dass ich es nicht verharmlosen darf, weil „es“ sehr gefährlich ist. Das Gefühl, dass ich verliere, wenn ich nichts unternehme.

Mittwoch, 23.8.1978


Ich habe „es“ gesehen! Bis jetzt hatte ich „es“ immer nur gehört und gespürt, aber gestern habe ich „es“ zum ersten Mal gesehen. Zwar nicht vollständig, aber das, was ich sah, reicht mir vollkommen. Es ist schwer, dieses Ding zu beschreiben, aber ich werde es versuchen. „Es“ läuft auf vier Beinen, aber „es“ kann auch auf zwei Beinen laufen. „Es“ hat riesige Pranken an starken, behaarten Armen. Seine Klauen sehen aus, als ob „es“ damit alles, was „es“ jagt, sofort zerfleischen kann. So sehen auch die Zähne aus. Und diese roten Augen… „Es“ sah einfach furcht erregend aus. Aber ich greife vor. Nachdem ich gestern Abend etwas gegessen hatte, machte ich mir Tee und wollte mir „Saturday Night fever“ auf Video ansehen. Ich hoffte, die lauten Discoklänge würden mich wach halten. Aber ich schlief trotzdem irgendwann ein. Als ich vor der Tür stand, bekam ich sie nicht richtig auf, sie klemmte. Ich spürte den heißen Atem dieses Dings in meinem Nacken. Und plötzlich packte „es“ mich. „Es“ zog mich zu sich ran und wollte mich beißen oder vielleicht auch gleich verschlingen. Gerade, als „es“ sein Maul öffnete, konnte ich mich losreißen. Ich zerrte verzweifelt an der Tür und als sie aufging und ich raus rannte, erwachte ich. Ich tastete mein Gesicht ab, weil ich sicher sein wollte, dass ich auch wirklich unverletzt bin. Ich hatte keinen einzigen Kratzer, aber ich habe noch Minuten danach hemmungslos geweint und gezittert. Ich hatte solche Angst, dass es real sein könnte. Aber langsam wurde ich wieder etwas ruhiger und redete mir ein, dass es einfach nur ein Alptraum gewesen sei und ich doch eigentlich keine Angst haben müsste. Aber da war wieder dieses Gefühl. Dieses Gefühl, dass es doch Wirklichkeit ist. Das klingt total verrückt, aber ich werde dieses Gefühl einfach nicht los. Wenn es doch einfach nur ein Traum ist, warum verändert er sich dann? Träume werden doch nicht anders und schon gar nicht so rapide. Jedes Mal, wenn ich einschlafe und diesen Traum habe, wird er schlimmer und beängstigender. Es ist anders als die Alpträume, die ich sonst bis jetzt hatte. Auch bei ihnen hatte ich Angst und habe mich nach dem aufwachen erst einmal orientieren müssen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass sie echt seien oder so etwas in der Art. Doch jetzt habe ich dieses Gefühl. Es ist nicht nur einfach ein Traum. Es ist so was wie eine … Erinnerung. So fühlt sich das an. Ich fürchte mich, wieder einzuschlafen und wieder zu träumen. Ich weiß … ich fühle, dass „es“ mich beim nächsten Mal nicht mehr aus seinen Fängen lässt. Ich werde das nächste Mal von diesem Ungeheuer gefressen. Dieses Monster wird mich töten. Aber nur, wenn „es“ die Gelegenheit dazu kriegt. Und ich werde das verhindern.

Donnerstag, 24.8.1978


Ich kann kaum noch die Augen aufhalten, so müde bin ich. Seit gestern Mittag schütte ich literweise Kaffee und Tee in mich hinein, um nicht einzuschlafen. Und ich bin fast ständig in Bewegung. Ich räume auf und putze und dabei lärmt Musik durch die ganze Wohnung. Deswegen habe ich gestern Abend (eigentlich gestern Nacht) auch ziemlichen Ärger mit Mrs. Krüger von nebenan gekriegt. Sie sagte ich solle die Musik abstellen. Und als sie sah, wie fertig ich aussah, gab sie mir den Rat, ich solle mich mal so richtig ausschlafen. Und nicht solch einen Krach machen, hatte sie noch hinzugefügt, ehe sie ging. Ich stellte die Musik ab (jedenfalls bis heute Vormittag) und schaute fern. Einmal wäre ich fast eingenickt. Ich bekam solche Panik, dass ich einschlafe, dass ich bis fast 7:00 Uhr durch die Gegend gelaufen bin. Als ich dann wieder zu Hause ankam, konnte ich mich eigentlich kaum noch auf den Beinen halten, so erschöpft war ich. Aber ich traute mich nicht, mich hinzulegen und mich ein bisschen auszuruhen. Die Angst, dass ich einschlafe und dieses Vieh mich packt, ist viel zu groß. Vormittags rief Jake an, um mich noch mal zu fragen, wie es mir geht und ob die Verabredung für morgen Abend noch gilt oder ob ich lieber allein sein wolle. Eigentlich will ich allein sein, aber wenn jemand noch bei mir ist, ist die Gefahr, dass ich einschlafe, etwas geringer. Eigentlich habe ich nichts mehr zu tun. Die Wohnung war noch nie so sauber. Ich kann kaum noch lesen, was ich schreibe, weil mir fast die Augen zufallen. Es ist kurz nach 21 Uhr. Ich weiß gar nicht, wie lange ich nicht mehr geschlafen habe. Ich habe aufgehört, die Stunden zu zählen. Ich weiß, mein Körper wird nicht mehr lange durchhalten. Irgendwann wird der Kollaps kommen und er fordert seinen Tribut. Das einzige, das mich vor dem Zusammenbruch bewahrt, ist meine Angst. Ich habe Mühe meine Augen aufzuhalten. Ich bin so müde.


Am nächsten Tag wurde die Wohnung von Mary O´Brien aufgebrochen, da sie weder auf Telefonanrufe noch auf Besucher reagierte. Man fand Mary in ihrem Bett vor. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.

Impressum

Texte: Der komplette Text gehört der Autorin.
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /