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Unverständliche Vorschriften. Überlange Entscheidungswege. Lebensfremde Bescheide.
Wer hat sich nicht schon über Sprachmonstren wie das folgende bestenfalls gewundert:
Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsüber- tragungsverordnung. (Verordnung zur Übertragung der Zuständigkeiten des Oberfinanzpräsidenten der Oberfinanzdirektion Berlin nach § 8 Satz 2 der Grundstücksverkehrsordnung auf das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen).



Kann man das verstehen? Muss man das verstehen? Für wen sind derartige Begriffe und Definitionen eigentlich gemacht worden? Manch einem erscheint die Bürokratie als ein immer weiter wucherndes Monstrum, das sich selbst erhält, gegen das die Monstren der Antike liebenswerte Lebewesen waren, gegen die der Mensch durchaus eine Chance haben konnte- Odysseus, Herakles, Perseus, um nur ein paar zu nennen.

Auch unser Goethe hat sich mit der Bürokratie abgeben müssen, als Geheimer Rat in Diensten des Herzogs von Weimar war er mit Papierkrieg wohl vertraut. So musste JWG etwa Todesurteile bestätigen; so kommt es zu der absurden Situation, dass er am Tage den Tod irgend eines armen Teufels bestätigt, des Abends aber an seiner „Iphigenie“ schrieb, d e m Referenzwerk des klassischen Bildungsgedankens, welche ihr Schöpfer ja bekanntermaßen selbstironisch „verteufelt human“ nannte.

Ein weiteres Beispiel zu unserem Thema findet sich in Goethes wunderbarem Roman Die Wahlverwandtschaften.

In diesem Roman unterhalten sich ein Baron, Eduard, und sein Freund, ein Hauptmann, unter anderem über die Notwendigkeit einer alles ordnenden Bureaucratie:

„Ich mag mit Bürgern und Bauern nichts zu tun haben, wenn ich ihnen nicht geradezu befehlen kann,“ versetzte Eduard.
   „Du hast so unrecht nicht,“ erwiderte der Hauptmann: „Denn auch mir machten dergleichen Geschäfte im Leben schon viel Verdruss. Wie schwer ist es, dass der Mensch recht abwäge, was man aufopfern muss gegen das, was zu gewinnen ist! Wie schwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verschmähen! Viele verwechseln gar die Mittel und den Zweck, erfreuen sich an jenen, ohne diesen im Auge zu behalten. Jedes Übel soll an der Stelle geheilt werden, wo es zum Vorschein kommt, und man bekümmert sich nicht um jenen Punkt, wo es eigentlich seinen Ursprung nimmt, woher es wirkt. Deswegen ist es so schwer, Rat zu pflegen, besonders mit der Menge, die im Täglichen ganz verständig ist, aber selten weiter sieht als auf morgen. Kommt nun gar dazu, dass der eine bei einer gemeinsamen Anstalt gewinnen, der andre verlieren soll, da ist mit Vergleich nun gar nichts auszurichten. Alles eigentlich gemeinsame Gute muss durch das unumschränkte Majestätsrecht gefördert werden.“



Da liegt der kasus knaxus: im unumschränkten Majestätsrecht. Die Stein'schen Reformen lassen freundlich grüßen. Der Staat, die öffentliche Verwaltung müssen es richten. Dagegen ist im allgemeinen nichts einzuwenden. Ein Gemeinwesen braucht eine abstrakte und für alle geltende Ordnung, doch seit nunmehr 200 Jahren hat „der Verwaltung goldner Baum“ so viele Verästelungen und Verzweigungen bekommen, dass man sich bisweilen an einer solchen aufknüpfen möchte. Wer kennt nicht den Weg des Landvermessers K. durch die monströse Verwaltung eines unbenannten Dorfes mit seinem herrschaftlichen Schloss, zu dem er über 400 Seiten lang vergeblich Zutritt sich zu verschaffen sucht? Am Ende hat er vergessen, weshalb er überhaupt einmal angereist war...

Oder das Schicksal des 30-jährige Bankprokuristen Josef K., der aus heiterem Himmel angeklagt werden soll – und sich ohne Ergebnis bemüht herauszufinden, was ihm eigentlich vorgeworfen wird? Am Ende fügt er sich bekanntermaßen resigniert dem Urteilsspruch. Franz Kafka hat einem unheimlichen wie absoluten Bürokratismus in seinen Romanfragmenten Das Schloss

und Der Process

ein düsteres literarisches Denkmal gesetzt.

Ach ja- Goethe übrigens resignierte immer mehr, konnte er doch als hoher Verwaltungsbeamter des Herzogs zu wenig bewirken und war dennoch mit Schreibtischarbeit mehr als gesegnet: „Es weis kein Mensch was ich thue und mit wieviel Feinden ich kämpfe um das wenige hervorzubringen.“ notiert er bereits 1779. Im Jahre 1786 aber schließt er sein Kontor auf unbestimmte Zeit- er flieht aus Weimar, und das nicht nur, um der Frau von Stein zu entkommen. Er hatte erkannt, dass er kein Mann für die Verwaltung war und musste sein Leben neu ordnen. Doch zum Glück findet er in Italien, dem Ziel seiner Sehsucht, den Ort, der ihm zu unser aller Bereicherung den Weg in die Weimarer Klassik weisen wird...

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Tag der Veröffentlichung: 26.02.2012

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