Nicht allen Menschen ist es eigentlich um ihre Bildung zu tun. Viele wünschen nur so ein Hausmittel zum Wohlbefinden, Rezepte zum Reichtum und zu jeder Art von Glückseligkeit.
So klagte der große Mann aus Weimar im Wilhelm Meister. Bildung light sozusagen, Dekorum, Accessoire der bürgerlichen Klasse.
Wie aber hätte sich unser Goethe zum Klassenschlager unserer Zeit, der sogenannten Wellness, geäußert? Wellness zielt auf Wohlbefinden, Lebensfreude, besser gesagt. Spaß, und eine gute körperliche Verfassung. Heute versteht man unter Wellness vor allem Methoden und Anwendungen, die das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden steigern. Wieder dieses Wort, Wohlbefinden...
Und welchen Platz hatte dieses Gefühl des Wohlseins im goethe'schen Wertekanon? Schauen wir einmal in seinem berühmtesten Werk nach, im Faust
. Da verschlägt es ja die Titelfigur bekanntlich, getrieben von Begierde nach Genuss, zur Walpurgisnacht, in der Faust mit lüsternen Hexen tanzt und folgende Entdeckung macht: Einst hatt ich einen schönen Traum; Da sah ich einen Apfelbaum, Zwei schöne Äpfel glänzten dran, Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Ah ja, das ewig Weibliche, gell? Und Old Meph wird gar noch derber: Einst hatt’ ich einen wüsten Traum; Da sah ich einen gespaltnen Baum, Der hatt’ ein – – –; So – es war, gefiel mir’s doch.
Das also ist unter Wohlsein und Wohlbefinden zu verstehen? Und, absolut gesehen, der berühmte Ausspruch des verzweifelten Gelehrten, sein Wetteinsatz für Old Meph: Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!
Hm... Wohlbefinden als Verdichtung eines Augenblickes? Und- wie denn gelangt man zu diesem? Sich mühend? Abwartend? Erschlaffend? Durch Farb- und Lichttherapie? Makrobiotische Kost? Dampfbad und Massagen? Durch ein Wochenende im angesagten Wellness-Hotel bei Körnern und Heubad, all inclusive?
Mich beschleicht der Verdacht, dass unser Dichterfürst mit dem, was sich heutzutage so hübsch kofferwörtlich Wellness
zu nennen beliebt, vermutlich nicht viel anfangen könnte. Höchstens würde er in den Wellness-Jüngern Spottgeburten seines kleinbürgerlichen Gehilfen Wagner sehen, der nichts von Tiefe und Größe versteht und schon vergnügt und dankbar ist, wenn er mit dem „Herrn Doktor“ spazieren gehen darf: Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren. Ist ehrenvoll und ist Gewinn; Doch würd ich nicht allein mich her verlieren, Weil ich ein Feind von allem Rohen bin
Ha, da haben wir ihn wieder, den kleinbürgerlichen Dünkel gegenüber den schlichten und natürlichen Freuden des einfachen Volkes, das sich nach einem langen Winter in der Frühlingssonne mehr als wohl befindet! Könnte JWG dieses Lebensgefühl Wellness nennen?
Wer weiß...
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2012
Alle Rechte vorbehalten