Liebe Daheimgebliebene,
mit knapper Not bin ich einem grausamen
Schicksal entgangen, das mir die Himmlischen am Golf von Neapel zugedacht hatten. Wie ihr hoffentlich bereits wisst, ich hatte euch ja eine Karte aus Napoli geschrieben, und Hermes wollte sie per espresso
nach Germania bringen!, hatte ich dort einen charmanten Autochthonen kennen gelernt, einen gewissen Paolo,
der mir den Hof machte und mich in die Oper eingeladen hatte. Doch als ich vorgestern mit Paolo an einem wenig beleuchteten dunklen Gebäude ankam, das angeblich das Teatro San Carlo
sein sollte, musste ich mich doch sehr wundern. Vor dem Gebäude standen mehrere Betonmischmaschinen
und jede Menge Zement- sowie Sandsäcke, um die eine Reihe von Bauarbeitern mit schwarz getönten
Sonnenbrillen lungerten. Ich bitte euch, Baulärm während der Vorstellung, da hört sich doch wohl alles auf! Na, da wollte ich dem Paolo aber ganz gehörig den Marsch blasen, aber kaum, dass wir ausgestiegen waren, krachte und knallte es von allen Seiten. Stellt euch vor, die Bauarbeiter schossen auf uns!!! Später habe ich dann erfahren, es sei gar nicht die Jahreszeit für ihre Schießübungen, das machten sie eigentlich immer nur am Valentinstag
.
Diese Gewohnheit wiederum gefiel mir, ich stellte es mir so ro-man-tisch
vor, Tausende von Revolverkugeln zu Ehren der schönen Frauen durch die Luft zischen zu sehen, eine Sitte, die ich Papa ans Herz legen möchte, sobald ich zu Hause bin. Ein bisschen gefährlich ist es zwar, doch ohne Frage ein hübscher Brauch. Als mir allerdings die Bohnen nur so um die Ohren flogen, wurde mir doch recht blümerant, und ich empfahl mich auf gute trojanische Art: ich schnappte mir ein auf dem Boden liegendes Bleirohr
und schlug mich durch die weiterhin prächtig drauflos schießenden Bauarbeiter, und wie groß war meine Freude, als ich meine treue Hermione erblickte, die mir nachgefahren war, ich hatte nämlich mein Abendcape im Hotel vergessen. Etwas undamenhaft pfiff ich uns einen schicken knallroten mammasantissima
herbei- ihr müsst wissen, in Napoli sind die Taxis rot-, und wenig später lag ich unter meinen Seidendecken und schlummerte.
Am folgenden Tage jedoch verließen Hermi und ich Neapel, ich hatte jede Lust an dieser Stadt verloren, und Paolo hatte auch nicht zurückgerufen. Soll er doch zum Teufel gehen, sapristi! Wir auf alle Fälle schifften uns ein und fahren nun Richtung Ithaka... in Feindesland, under cover
, denn ich trage an Bord einen Kapuzenmantel aus veilchenblauer Seide...
Cassandra
Texte:
Cover: wikicommons
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2011
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Widmung:
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