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In einem in mattsilbrigem Chamois getönten Wagen der Métropolitain 4, welche sich jedwede Beförderung von Fahrgästen der Metropole in Richtung Saint Ouen zur Angelegenheit werden lässt, sollten Swann und sein Biograph Proust, die nach einem erfrischenden Spaziergang im 4. Arrondissement in der Nähe des Boulevard Saint-Michel in eben diesen Zug eingestiegen waren, an jenem Montagvormittag gegen die elfte Stunde, vielleicht zehn Minuten früher, einer albernen kleinen Tragikomödie beiwohnen.
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Ein eigenartiger und recht übel riechender Fahrgast, grotesk entstellt durch einen dicken Kopf auf gedrungen kurzem Hals und mit einem seltsamen kleinen Tuch um die Kehle (eine Mode, die zwar florierte, die Swann jedoch verwarf),interpellierte, den starken Andrang zum plötzlichen Vorwand nehmend, diesen mit einer Impertinenz, die nur schlecht seinen wahrlich rüden Charakter verhehlte, und machte sich daran, mit systematischer Methode seine schmutzige Rechte Herren oder Damen, die nach der Porte de Clignancourt sich zu begeben die Absicht hatten, frech entgegenzustrecken. Indes wartete der seltsame Mensch keineswegs auf eine Antwort, die ihn zweifellos auf den ihm gebührenden Platz verwiesen hätte, sondern nahm dreist Position in unmittelbarer Nähe der automatisch sich öffnenden Wagentür, wo er mit stupender Leichtigkeit seinem unseligen Treiben nachgehen konnte, denn die Insassen des Fahrzeuges mussten zum behufe des Ein- und Aussteigens an ihm vorbei sich schieben.
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Drei Stationen später, da Swann sich ob des unerträglichen Odeurs des Individuums einer Ohnmacht nahe befand, geschah das nicht mehr Erwartete, indem dieses abstoßende, die feinen Sinne Swanns beleidigende mauvais sujet den öffentlichen Ort zu verlassen sich anschickte. Er schien aber selbst im Scheiden noch großen Geschmack an der Irritation Swanns zu finden, indem er ihm seinen übelriechenden Atem aus der allernächsten Nähe ins Gesicht dampfte. Und auf dem Bahnsteige drehte er sich daselbst noch einmal nach seinem Widersacher um und reckte ihm das mittlere Digital seiner rechten Hand,welcher der kleine Finger fehlte, in einer frivolen und herausfordernden Geste entgegen.
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In eben diesem Moment sank Swann wie entseelt Proust in die Arme, Gesicht und Hände bleich und kalt, und kaum mehr respirierend. Später, zu Hause in seiner eleganten Stadtwohnung, würde Proust dann versuchen, den unglücklichen Swann mit einer in Tee getauchten Madeleine wieder ein wenig zu beleben...
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Die Métro, dieses eisenkalte und laute Ungetüm, rumpelte jedoch ungerührt ob des unglaublichen Vorfalls weiter zur Gare du Nord.
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Tag der Veröffentlichung: 03.06.2011

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