Inhalt:
Die Katzenprinzessin – Roselinde Dombach
Der Kobold mit den blauen Augen – Gaby Poetsch
Die Baumwichtel ... – Marika Krücken
Raub im Königspalast – diverse Basarautoren
Die hilfreiche Baumfee – Ute Petkelis
Numbi und das Edelweiß – Sandra Rehschuh
Die Tochter des reichen Grafen – Roland Bathon
Ein guter Rat – Stefanie Holzhausen
Die weise Lilya – Barbara Siwik
Der Ziegenstrauch – Berta Berger
Der vierte Wunsch – Axel Baumgart
Die Gänsemagd ... – Carsten Zehm
Der Goldvogel – Eva Schuster
Prinzessin Goldhaar – Brigitte Kemptner
Wahl der Rosen – Karin Wimmer
Das goldene Medaillon – Maria Sassin
Das Kräuterweiblein – Marena Stumpf
Der Krullneck – Ulla Magonz
Die silberne Schatulle – Silvia Schlechte
Die Kinder des Köhlers ... – Eva Zimmermann
Das verlorene Königreich – Kathrin Dietze
Nele und der Riese – Friedrich Buchmann
Die Katzenprinzessin
von Roselinde Dombach
Vor sehr langer Zeit, als die Menschen noch mit den Tieren reden konnten, spazierte eines schönen Tages Prinzessin Juliana durch den Garten ihres Schlosses.
Obwohl die Sonne vom sommerblauen Himmel herunter lachte, die Blumen um die Wette blühten und die kleinen Vögel ihre schönsten Lieder sangen, war die Königstochter alles andere als fröhlich.
Im Schatten eines blühenden, duftenden Fliederbusches setzte sie sich ins Gras und weinte bitterlich.
Da kam ein Rotkehlchen geflogen und fragte: „Prinzessin, warum vergießt du so viele Tränen?“
„Ach, liebes Vögelchen“, schluchzte diese. „Seit ein paar Tagen sind an jedem Morgen einige von meinen Spielsachen und liebsten Kleidern kaputt. Sieh doch nur!“
Sie wies dem Federbällchen den Saum ihres Rockes vor, der furchtbar ausgefranst und löchrig war.
„Wer tut denn so etwas?“ Das Rotkehlchen plusterte sich auf und piepste empört.
„Das weiß ich eben nicht“, seufzte Juliana. „Ich schlafe immer sehr fest und auch die Wachen haben niemanden gesehen oder gehört. Trotzdem war heute früh mitten in meinem Lieblingsbilderbuch ein riesengroßes Loch.“
Und sie begann erneut zu weinen, so laut, dass alle Tiere des Gartens zusammenliefen und erschrocken fragten, was denn passiert sei.
Das Rotkehlchen berichtete ihnen daraufhin von den zerstörten Sachen des Königskindes und dass niemand wüsste, wer dies alles anrichtete.
„Oh doch, ich weiß es, ich weiß es!“ Das Eichhörnchen hüpfte aufgeregt vor Juliana hin und her und sprach dann mit wichtiger Miene: „Das waren ganz bestimmt die Mäuse!“
„Mäuse?“, fragten alle Tiere und auch die Prinzessin, denn von solchen Wesen hatte noch niemand im Königreich etwas gehört.
Aber das Eichhörnchen, das schon weit herumgekommen war, erklärte ihnen, dass Mäuse kleine pelzige Tiere seien, die gerne alles anknabberten, was ihnen vor die spitzen Zähne käme.
„Sie graben sich durch Erde und Mauern und kommen aus ihren kleinen Mauselöchern auch in die Zimmer der Menschen. Und wenn sie dort nichts zu fressen finden, nagen sie eben an anderen Sachen herum.“
„ Weißt du denn auch, wie man sie wieder los wird?“, fragte Juliana, worauf das Eichhörnchen bedächtig nickte und sprach: „Es gibt ein Tier, das ist der größte Feind einer jeden Maus. Vor ihm haben sie fürchterliche Angst und fliehen schleunigst aus seiner Nähe.“
Alle wollten nun wissen, welches Wesen denn so etwas fertig brächte, und das Eichhörnchen nannte ihnen in bedeutungsvollem Ton den Namen.
„Man nennt es Katze.“
Erfreut sprang die Königstochter auf, hob das kluge Tierchen hoch und gab ihm einen Kuss zwischen die Pinselohren.
Der Kobold mit den blauen Augen
von Gaby Poetsch
Vor Jahr und Tag lebte hinter dem großen Schattenwald zwischen den fünf grünen Hügeln ein besonderes Völkchen, von dem heute nur noch Märchen künden - die Kobolde.
Die kleinen Wesen, ihr Oberkobold war gerade mal eine Elle hoch, lebten fröhlich und sorglos in ihren Baumwurzelhütten, denn ein uralter Zauber schützte ihr Dorf vor fremden Blicken.
Eines Tages rief der Dorfälteste Griesebrech alle Familienoberhäupter zur Beratung an den Maulwurfshügel in die Dorfmitte.
„Geehrte Possenreißer, Streichspieler und Talerdiebe“, begann er seine Rede, „wie euch allen bekannt ist, gibt es zwei wichtige Aufgaben im Leben eines Kobolds. Eine davon betrifft unsere Feinde, die Rumpelköpfe, welche sich selber Menschen nennen. Jeder Kobold hat täglich einem von ihnen einen Streich zu spielen, Taler zu stehlen oder ihn mit einer Boshaftigkeit zu ärgern. Einige von euch haben leider über das Jahr gesehen oft gefaulenzt statt ihrer Pflicht nachzugehen. Dabei ist allen bekannt, dass jeder bis zum Winterbeginn dreihundertfünfundsechzig Taten auf seiner Liste haben muss, sonst verkürzt sich die Lebenszeit aller Dorfbewohner von zweihundertundfünfzig auf zweihundertunddreißig Jahre. Wurzelohr, Halifax und Knollenwurz, ihr wart die Faulsten. Also macht euch sofort an die Arbeit! Ihr habt noch einhundertundfünfundsiebzig Streiche zu spielen und neunundachtzig Taler zu stehlen.“
Die Gesichter der drei Angesprochenen färbten sich dunkelrot vor lauter Schuldbewusstsein. In Windeseile liefen sie los, um ihren Pflichten nachzukommen.
„Und noch etwas“, sagte der Oberkobold mit ernster Stimme. „In keiner unserer Familien ist bisher in diesem Jahr das siebte Kind geboren. Und ihr wisst alle, wenn bis Winteranfang nicht wenigstens in einer Familie ein siebtes Kind auf die Welt kommt, verkürzt sich die Lebenszeit für jeden hier noch einmal um fünfzig Jahre.“
„Darum musst du dir keine Sorgen machen, Griesebrech.“
Humpelstrumpf, Oberhaupt einer der ältesten Koboldfamilien, lachte fröhlich in die Runde. „Meine Frau Blaunase ist guter Hoffnung und sie meint, das Kind werde wohl morgen geboren, denn ihre Nasenspitze färbt sich bereits rosa.“ Erleichtert atmeten alle Anwesenden auf und beendeten ihre Zusammenkunft mit einem fröhlichen Lied.
Die Baumwichtel und das Elfengold
von Marika Krücken
Fernab von den Menschen und ihren Wohnstätten lebte vor langer Zeit das Volk der Baumwichtel. Gemessen an einem normalen Erdenbewohner wurden sie nur so groß wie ein menschlicher Daumen. Ihre Unterkünfte hatten sie mitten im Wald in eine Baumhöhle gebaut. Die vielen Etagen bis zur Baumkrone hinauf erreichte man über eine Wendeltreppe im Inneren des Stammes. Fleißige Handwerker schufen das kunstvolle Schnitzwerk in wochenlanger Arbeit.
Ursprünglich wohnten die Wichtel im Elfenreich am Rande einer großen, sonnigen Lichtung. Dort lebten sie mit ihren Nachbarn in harmonischer Eintracht. Jedoch von heute auf morgen wurde diese Idylle zerstört. Der Grund hierfür war nicht etwa ein Streit zwischen den beiden Völkern, sondern Schuld daran trugen die Menschen. Diese drangen immer tiefer in den Wald hinein, um ihn gnadenlos abzuholzen. Das kostbare Holz verwendeten sie dann in ihren Bergwerken. Auch wurde es zum Beheizen von Schmelzöfen und Ziegelbrennereien benötigt, ebenso zur Herstellung von allerlei nützlichen Gerätschaften, wie Webstühlen und Spinnrädern. Doch niemandem kam es in den Sinn, dass durch die unbedachten Rodungen der Lebensraum von Tieren und Waldbewohnern zerstört wurde.
Wenn sich die Riesen zum Baumfällen anschickten, dann konnten die Elfen mit wenigen Flügelschlägen gerade noch entfliehen. Die Wichtel hingegen mussten um ihr Leben rennen. Entsetzt flüchteten sie in alle Richtungen. Viele der Winzlinge gerieten unter die Räder der Fuhrwerke oder wurden einfach von den großen Stiefeln der Waldarbeiter zertreten.
Eines Tages beschloss der Ältestenrat eine neue Heimat für das Wichtelvolk zu suchen.
„Wir können hier nicht mehr sicher leben“, teilte das oberste Ratsmitglied der Elfenkönigin mit. „Wenn wir hier bleiben, sind unsere Artgenossen in kurzer Zeit vom Aussterben bedroht. Wir haben immer mehr Verluste zu beklagen und unsere Kinder müssen ihr Leben lassen, obwohl sie gerade erst das Licht der Welt erblickt haben.“
Die Königin schaute bedrückt in das traurige, von einem weißen Bart umrahmte Gesicht und nickte zustimmend zu den Ausführungen Alberichs.
„Ich kann eure Bedenken gut verstehen“, seufzte sie mitfühlend. „Auch unser Volk sucht schon länger nach einem Ausweg aus dieser drohenden Gefahr. Wenn ich nur wüsste, wie man euch helfen könnte.“
Nachdenklich legte sie den Zeigefinger an ihre kleine Stupsnase und überlegte angestrengt.
„Hm, eine Möglichkeit wäre, die königliche Heuschreckenherde für euer Hab und Gut als Packtiere zu nutzen. Außerdem stelle ich euch gerne die Kutschengespanne meines Marstalles zur Verfügung.
Raub im Königspalast
von diverse Basarautoren
Einst herrschte in dem fernen Königreich Virtuelien die Königin Cassadi. Kaum einer ihrer treuen Untertanen hatte sie jemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. Die Herrscherin frönte einer großen Leidenschaft, sie sammelte Märchen aus aller Welt. Diese unermesslichen Kostbarkeiten füllten alle ihre Schatzkammern. In keiner einzigen befanden sich Gold oder gar wertvolle Geschmeide, denn sie forderte von ihren Untertanen weder Steuern noch sonst irgendeinen Obolus. Gäste aus fremden Landen waren im Reich stets willkommen. Jeder, dem danach gelüstete, durfte sich an den Märchenschätzen erfreuen. Allerdings hatte die Königin ein strenges Gesetz erlassen. Jeder, der die empfindlichen Kleinodien unerlaubt berührte oder gar stahl, wurde mit aller Härte bestraft. Trotzdem geschah nun eines Tages ein ungeheuerlicher Frevel.
Unbemerkt von den Palastbewohnern und den Untertanen hatte sich der boshafte Schwarzmagier Regnifgnal, in Gestalt eines Schusters, in Cassadis Reich eingeschlichen. Er bot im Palast seine Dienste an. Dort gab es tatsächlich Schuhe über Schuhe zu reparieren. In einem kleinen Kämmerlein, gleich neben dem Marstall, richtete sich der Hexer seine Werkstatt ein. Jedoch ließ er die kaputte Fußbekleidung achtlos in der Ecke liegen und schnüffelte lieber heimlich im Palast herum. Um nicht dabei überrascht zu werden, bediente er sich einer unsichtbar machenden Tarnkappe.
So kam es, wie es kommen musste:
An einem wunderschönen Sonntagmorgen verspürte die Herrscherin Cassadi unbändiges Verlangen, sich wieder einmal an ihrem absoluten Lieblings-Märchenschatz, dem unvergleichlichen Märchenbasar, zu erfreuen.
Also begab sie sich in ihre sicherste Schatzkammer. Kaum hatte sie den Raum betreten, schrie sie entsetzt auf und fiel in eine tiefe Ohnmacht.
Sofort kamen ihre zwölf Hofdamen herbeigelaufen. Sie bemühten sich nach Kräften, die Königin aus der Ohnmacht zu befreien. Endlich kam Cassadi wieder zu sich und rief voller Schmerz:
,,Oh, welcher gemeine Schurke beraubte mich meines kostbarsten Schatzes?
Schafft mir den gewissenlosen Haderlump schnellstens herbei und bringt mir mein Wertvollstes unbeschadet zurück. Sonst rollen unbesehen Köpfe!”
In hektischer Eile wurden die Weisen und Gelehrten des Landes zusammengerufen. Die Herrscherin sprach zu ihnen:
,,Wenn Euch euer Leben lieb ist, dann schafft mir den Dieb herbei. Und wagt es ja nicht, mir ohne den gestohlenen Märchenschatz wieder unter die Augen zu treten.“
Die hilfreiche Baumfee
von Ute Petkelis
An einem Spätsommertag saß ein Müller mit Frau und Tochter beim Mittagessen. Es stand nur ein Topf mit dünnem Haferbrei auf dem Tisch.
„So kann es nicht weitergehen“, unterbrach der Müller die Stille. „Unsere Tochter ist nun alt genug, um zu heiraten.“
"Vater, das kann nicht Euer Ernst sein?“ Erschrocken sah die junge Frau auf.
„Keine Widerrede! Es ist bereits alles ausgehandelt. In drei Wochen ist Hochzeit!“
„Und wem hast du das Kind versprochen?“
„Dem Sohn unseres Dorfschmieds. Der junge Mann hat einen ordentlichen Beruf. Pferde müssen ständig beschlagen werden und die Pflüge der Bauern halten auch nicht ewig. Sie wird es gut bei ihm haben.“
„Aber ich kenne ihn ja kaum, Vater, und außerdem liebe ich ihn nicht!“
„Das ist Nebensache. Wir können dich nicht länger durchfüttern, dazu habe ich zu wenig Arbeit. Die Bauern bringen wegen der schlechten Ernte kaum Getreide zur Mühle.“
„Das kann sich doch wieder ändern“, versuchte seine Frau zu vermitteln.
„Schluss jetzt! Kein Wort mehr! Es ist schon alles mit dem Schmied abgemacht!“ Danach schwieg der Müller.
Lautlos liefen der Tochter Tränen über die Wangen. Nur widerwillig blieb sie am Tisch sitzen, bis das Mittagsmahl beendet war. Ein vorzeitiges Aufstehen hätte der strenge Vater nie geduldet.
Nach dem Mahl verließ die Müllerstochter wortlos die Mühle und lief schnurstracks zu den dicken Eichen. Hier auf ihrem Lieblingsplatz, in dieser Abgeschiedenheit, suchte sie stets Zuflucht, wenn sie Kummer hatte. Sofort kamen ihr die harten Worte des Vaters wieder in den Sinn und sie ließ ihren Tränen freien Lauf.
Zur selben Zeit rief der König im Schloss seinen Sohn zu sich.
Als der Prinz eintrat, saß sein Vater am Tisch, der mit erlesenen Köstlichkeiten beladen war.
„Nimm Platz, mein Sohn, und lass es dir munden.“
„Danke, aber ich habe bereits in der Küche eine Kleinigkeit gegessen. Und auch Ihr solltet nicht nach Völlerei streben, während die Untertanen in Eurem Königreich vor Armut hungern müssen.“
„Du sagst es, du sagst es“, murmelte sein Vater und biss herzhaft in ein knuspriges Hühnerbein. „Das ist auch der Grund, weshalb ich dich hergebeten habe.“ Er wischte sich mit einem Tuch das Fett von den Lippen und ergriff seinen Becher. Genießerisch ließ er sich den Wein auf der Zunge zergehen.
„Was wollt Ihr von mir? Redet endlich, ich habe nicht ewig Zeit!“, forderte ihn sein Sohn auf.
„Geduld. Lass mich erst noch einen weiteren Schluck des herrlichen Gesöffs nehmen.“ Der König setzte noch einmal den Silberbecher an und stellte ihn mit einem Knall zurück auf die Tafel.
„Ich habe dich zu mir kommen lassen, weil ich dir mitteilen möchte, dass du in Kürze die Zwergenprinzessin heiraten wirst.“
Numbi und das Edelweiß
von Sandra Rehschuh
Dunkle Wolken zogen über das Sonnental hinweg. Ein kühler Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln, aber sonst war es still.
Numbi stand allein auf einer Waldlichtung und schaute besorgt zum Firmament hinauf. Noch nie hatte es hier Wolken gegeben. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Mit seinen einhundertzweiundzwanzig Jahren galt er zwar noch als Zwergenkind, doch trotzdem spürte er, dass sich etwas Unheilvolles ankündigte.
Plötzlich durchzuckten grelle Blitze den nachtschwarzen Himmel. Grimmiges Donnergrollen war zu vernehmen. Ein einzelner Regentropfen fiel zur Erde hinab und traf Numbi mitten auf der Nasenspitze. Dem Zwergenkind fröstelte. Regen im Sonnental?
Sofort musste er in sein Dorf, um die anderen zu warnen. Gehetzt kämpfte er sich durch das dichte Unterholz. Angst machte sich in ihm breit. Eine kalte Hand, die nach seinem Herzen griff und das Rauschen, welches in seinen Ohren stetig zunahm, ließen ihn immer schneller laufen. Die Wurzel auf dem schmalen Weg übersah er. Sein Fuß verfing sich in ihr. Ungeschickt ruderte er mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Aber es war zu spät. Der Länge nach fiel er hin und blieb benommen liegen.
Inzwischen brauste der Sturm immer heftiger auf.
„Er darf mich nicht erwischen“, murmelte er. „Ich muss nach Hause.“
Doch die Kraft um aufzustehen fehlte ihm. Stattdessen vernahm er leise eine sanfte Melodie. Noch niemals zuvor hatte ein Zwerg solch liebliche Weise vernommen.
In ihrem schmeichelnden Klang hörte er eine Stimme raunen:
„Numbi, fürchte dich nicht vor mir. Höre mir gut zu. Kehre nicht in dein Dorf zurück, denn es birgt Gefahr. Die drohenden Wolken hinter dir sind keineswegs Regenwolken. Sie sind das Böse. Du kannst es allein nicht aufhalten. Doch komme zu mir. Auf dem höchsten Gipfel des Berges wirst du mich finden. Dort liegt die Antwort, wie du deinesgleichen retten kannst. Beeile dich! Lauf!“
Damit verstummte die Stimme.
Hatte er das geträumt? Vielleicht war sein Kopf auf einen Stein geschlagen und er fantasierte? Doch tief im Innern spürte er, dass er tun musste, was ihm geheißen wurde. Numbi rappelte sich auf. Trotzdem eilte er, entgegen der Warnung, auf sein Heimatdorf zu. Die dunklen Wolken schienen ihn zu jagen. Als er sich dem Dorf näherte, stellte er überrascht fest, dass sie bereits über dem Ort standen. Vorsichtig pirschte er sich heran. Irgendetwas sagte ihm, dass er die Prophezeiung nicht in den Wind schlagen sollte.
Die Tochter des reichen Grafen
von Roland Bathon
Es war einmal ein reicher, verwitweter Graf, der hatte drei Kinder: Zwei Söhne und eine Tochter. Die eitlen Söhne waren schon in ihrer Jugend verschwenderisch, während die Tochter, die Jüngste von den dreien, ein gutes, wunderschönes und sittsames Mädchen war.
Der Graf nannte ausgedehnte Ländereien sein Eigen und viel Landvolk war ihm untertan. Obwohl er wusste, dass sein Erbe in ihren Händen kein gutes Schicksal ereilen könnte, wollte er alles einem seiner beiden Söhne vermachen. Die Tochter sollte sich nach seiner Meinung besser zu seinem eigenen Vorteil gut vermählen, als in den Besitz solcher Güter zu gelangen. Sie durfte nur lernen, was der Frau eines reichen Adeligen geziemt. Ihre ganze Liebe aber gehörte der Musik und dem Gesang. Sie spielte vorzüglich die Laute. Dazu sang sie mit ihrer goldenen Stimme wie keine Zweite.
Als nun der erste Sohn alt genug war, wollte ihn der Graf auf die Probe stellen, ob der Jüngling eine gute Wahl für seine Nachfolge als Besitzer der vielen Güter sei. Er überschrieb ihm für zwölf Monate ein großes Landgut, das er nach Gutdünken bewirtschaften konnte. Der Sohn jedoch fing sofort an, seine Bediensteten geringer zu entlohnen und die Abgaben seiner Pächter drastisch zu erhöhen. Auch auf den Märkten nahm er schon bald viel höhere Preise für die Früchte seines Gutes, als es der Vater getan hatte. Währenddessen feierte er ständig große Feste und lebte mit seinen Freunden in Saus und Braus, bis es schließlich so kam, wie es kommen musste. Seine Waren blieben auf den Märkten liegen, seine Bediensteten und Pächter murrten und arbeiteten schlecht. Im Laufe des Jahres wirtschaftete auf diese Weise der Sohn das Gut immer weiter herunter. Als das Jahr vorbei war, sah der Graf, was sein Sprössling angerichtet hatte und vertrieb ihn von dem Landgut sowie seinem gesamten Besitz. Er solle nicht früher zurückkehren dürfen, bevor er das gesamte verprasste Geld wieder mit zurückbringen könne.
So kam die Zeit, dass der Graf seinen zweiten Sohn einer Prüfung unterzog, da er nun ebenfalls alt genug war. Auch er bekam für ein Jahr ein Landgut zur eigenen Bewirtschaftung überschrieben. Doch dieser Grafensohn feierte ebenfalls nur noch rauschende Feste und veranstaltete wilde Trinkgelage. Die Angelegenheiten des Gutes hingegen interessierten ihn nicht im Geringsten. Seine Pächter und Bediensteten stießen bei ihm mit ihren Problemen auf taube Ohren. So wirtschaftete auch er das Gut innerhalb des Jahres völlig herunter. Als nun das Probejahr vorbei war, sah der Graf, dass sein zweiter Sprössling dem Familienbesitz einen hohen Schaden zugefügt hatte. Da packte ihn erneut die Wut und er vertrieb ihn von seinen Besitzungen, bis er den angerichteten Schaden wieder gut machen könne.
Ein guter Rat
von Stefanie Holzhausen
Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, eine schöner als die andere. Nur die Jüngste bereitete ihm große Sorgen. Es ließ sich einfach kein Bräutigam für sie finden.
An jedem jungen Mann hatte sie etwas auszusetzen. „Nein, der hat eine große Nase ... Der ist zu klein ...“
Schließlich rief der König seine jüngste Tochter zu sich.
„Nachdem du nun jeden Jüngling, der um deine Hand anhielt, abgewiesen hast, habe ich beschlossen, unter allen Söhnen des Landes einen Wettkampf austragen zu lassen. Der Sieger wird dich zur Gemahlin bekommen, ob du willst oder nicht“, sagte er.
Die Prinzessin schaute ihn lange an, bevor sie antwortete: „Nun gut, mein Vater. Ich beuge mich deinem Willen, aber ich stelle eine Bedingung.“
„Sprich, mein Kind!“
„Wenn nur noch drei Bewerber übrig sind, überlass es mir, die letzten zwei Aufgaben zu stellen.“
„Es sei dir gewährt. Aber sollten sie mir zu schwer erscheinen, werde ich ein Machtwort sprechen!“
Die Königstochter senkte den Kopf und sprach: „So soll es sein.“
Innerlich aber freute sie sich, dass ihr Vater auf ihre Forderung eingegangen war.
,,Ich werde schon einen Weg finden, die Prüfungen unlösbar zu machen, ohne den Argwohn meines Vaters zu wecken", dachte sie.
Eine Woche später begann der Wettbewerb. Aus allen Teilen des Reiches kamen sowohl Prinzen als auch arme Knechte herbei.
In die Mitte des Schlosshofes hatte man ein leeres Weinfass gestellt, auf das nun der königliche Herold stieg.
Er räusperte sich und verkündete: „Die Teilnehmer des Wettkampfes haben drei Disziplinen zu bewältigen: Bogenschießen, Fechten und Lanzenkampf. Doch nur drei von euch werden in den entscheidenden Endkampf einziehen. Mögen die Besten gewinnen!“
Drei Tage lang dauerten die Wettkämpfe, bis nur noch drei junge Männer übrig blieben: Ein Prinz, ein Herzog und der Sohn eines Bauern.
Geringschätzig blickten die beiden Adligen auf ihren armen Mitstreiter.
„Mit diesem einfältigen Bauerntölpel werden wir leichtes Spiel haben", dachten sie bei sich und rieben sich die Hände.
Als der König die drei erblickte, erschrak er über die ärmliche Kleidung des Bauernjungen. Dieser arme Tropf konnte von Glück sagen, wenn er die erste Aufgabe lebend überstand.
Neben ihrem Vater sitzend, maß die Prinzessin alle drei Bewerber sehr genau.
„Die beiden Adligen sind vielleicht in der Lage, meine Aufgaben zu erfüllen", dachte sie, „aber der Sohn des Bauern wird scheitern."
Dieser aber war so entzückt von ihrer Anmut, dass er um jeden Preis den Sieg erringen wollte. Jene Schönheit musste er unbedingt zum Traualtar führen.
Na neugierig geworden?
Alle 22 wundervollen Märchen kann man vollständig im druckfrischen Buch lesen und geniesen.
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Märchenbasar - tritt ein und lass dich verzaubern
Seiten: ca. 220
Taschenbuch: 148 x 210 mm
Bindung: Industrie-Festbindung
ISBN: 978-3-940367-30-3
Preis: 10,90 Euro
Erscheinungsdatum: Oktober 2008
Verlag: Papierfresserchen MTM-Verlag
Texte: Illustrationen: Roselinde Dombach
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2008
Alle Rechte vorbehalten