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Kapitel 1

Der Schnee fiel unaufhörlich und leise. Er begrub zugefrorene Seen, Flüsse, Häuser, Autos und Wälder unter sich. Die Fenster der Häuser waren hell erleuchtet. Alles um sie herum war still. Nur ihre Füße knirschten im hohen Schnee und hinterließen eine gewundene Spur. Ja, alle Kurven durchging sie am äußersten Rand. Sie fand es fantastisch ihre Fußabdrücke im Schnee hinter ihr zu sehen. So lief Liliane ohne einen nennenswerten Plan durch die Gegend und erfreute sich an dem Anblick, der sich ihr bot. Es beruhigte sie. Sie ging allein ihres Weges und vergrub die Hände tief in den Taschen. Wie lange sie wohl schon unterwegs war? Wann sie das Restaurant wohl erreichte? Ob er schon da war?
Liliane wusste es nicht. Sie ließ für einen Moment einfach alles hinter sich. 'Lebe den Augenblick'. Ihr Lebensmotto. Ja, das Leben kann schon kurz sein. Vor ein paar Wochen, da hatte sie eine enge Freundin verloren. Dabei war sie erst so alt wie sie gewesen. Von dem Tag an lebte sie noch intensiver nach diesem Motto. Schon früh hatte sie diesen Spruch als Lebensmotto gewählt. Lange war ihr Leben von Unheil überschattet gewesen. Jahrelang hatte sie still gelitten, ohne sich zu beschweren. Bis zu jenem Tag, als ihre Mutter gestorben war, hatte sie alles unternommen um sie doch noch irgendwie retten zu können. Aber es war alles umsonst gewesen. Liliane hatte sich unglaublich einsam gefühlt. Schmerzen hatte sie gehabt. Seelische Schmerzen. Nie war sie so allein gewesen. Fortan hatte Liliane sich von den anderen zurückgezogen. Mit dem Schmerz lernte sie erst jetzt richtig umzugehen. Ja, sie versank nicht mehr in Selbstmitleid. Doch dann war ihre Freundin Marlene gestorben. Wieder ein Rückschlag. Wieder zog sich Liliane zurück. Als Schriftstellerin war das ja möglich. Sie musste so niemandem anderen begegnen. Nur im Internet äußerte sie sich. Dort begegnete sie ja nur Menschen, die sie größtenteils nicht kannte. Ihre wahre Persönlichkeit, die bekannte Schriftstellerin verbarg sie aber vor den anderen.
An Weihnachten 2009 sollte sich dann etwas ändern. Liliane hatte das Haus nicht zum Einkaufen verlassen. Nein, sie war auf dem Weg zur Feuerzangenbowle. Dort wollte sie sich mit ihrem Blinddate treffen. Ihn hatte sie über das Internet kennengelernt. Beide wussten sie nicht mehr über einander wie sie geschrieben hatten. Auch Bilder hatten sie nicht ausgetauscht. Sie wussten eigentlich sehr wenig voneinander. Doch war ein Gefühl in ihr, dass ihr sagte, dass sie auf derselben Wellenlänge waren. Auch er schien es zu spüren. Irgendwas war anders bei ihnen. Doch wussten sie beide nicht was. Die einzige Sache, in der sie sich wirklich sicher waren, war, dass sie sich mochten.
Gut gelaunt und doch nervös machte sich Liliane auf den Weg zu dem Restaurant, in dem sie sich treffen wollten. Stundenlang saß sie da. Mit der roten Rose vor ihr auf dem Tisch.
Sie wartete und wartete und wurde dennoch enttäuscht. Vielleicht waren sie aneinander vorbei gegangen. Alles war möglich. Vor allem bei dem Schnee der auf den Straßen lag. Mit hängendem Kopf stapfte Liliane durch den tiefen Schnee wieder nach Hause.
Als sie vor ihrer Haustür stand, holte sie den Schlüssel raus und schloss auf. Eine Enttäuschung der Heilige Abend in diesem Jahr. Liliane war am heutigen Abend einsam. Das erste Jahr in dem sie allein feierte. Mehr oder weniger. Geschenke gab es ja nicht, wenn man alleine feierte. Man konnte höchstens den Fernseher anschalten und die weihnachtlichen Filme anschauen. Doch verspürte sie dazu wenig Lust. Schließlich war in diesen Filmen häufig alles gut. Das hielt sie jetzt nicht aus.
Vielleicht sollte sie ein Buch lesen? Aber auch das sagte ihr nicht zu. Also setzte sie sich schlussendlich an den Laptop und schrieb an ihrem neuen Roman weiter. Nebenbei startete sie ihr Chatprogramm.
Der helle Horizont, wie er sich selber häufig bezeichnete, war ebenfalls online. Als sie seinen Namen las, stieg Wut in ihr auf. Sollte sie ihn anschreiben? Liliane überlegte kurz. Doch war sie zu sauer und enttäuscht. Auch wenn sie nicht wusste, warum er heute nicht gekommen war. Also unterließ sie es. Konnte sich nicht dazu überwinden ihn anzuschreiben. So öffnete sie ihr Schreibprogramm und erweiterte ihren Roman. Zumindest hatte sie das vor. Doch fiel ihr nichts Sinnvolles ein.
Was sollte sie jetzt tun? Minutenlang saß Liliane einfach nur auf ihrem Stuhl und starrte auf das im Laptop geöffnete Dokument. Dann erst stand sie auf, ging hinüber in die Küche und machte sich eine heiße Schokolade. Als sie zurückkam wartete eine Mail von Der helle Horizont auf sie. Einen Moment stand sie einfach nur da. Dann setzte sie sich, stellte die Tasse neben ihrem Laptop ab und öffnete die Nachricht.

Der helle Horizont, Freitag, der 24 .Dezember 2009, 21.21 Uhr
Liebe Sunshine. Du hast stundenlang gewartet oder? Der Schnee lag hier so hoch, dass ich nicht durchkam. Ich kann verstehen, dass du sauer oder enttäuscht bist. Doch war ein Durchkommen unmöglich. Bei uns liegt der Schnee auf allen Wegen und Straßen so hoch wie nie. Das Dumme ist, das hier weder gestreut noch geschoben wird. Du musst mir glauben. Ich wollte ja kommen. Es tut mir so unglaublich leid.

Sie hatte echt stundenlang dagesessen und gewartet. Dass ihr Date nicht stattgefunden hatte, da konnte er im Nachhinein ja auch nichts dafür. Er war anscheinend echt nicht durchgekommen. Sie glaubte ihm voll und ganz. Hier bei ihr in der Straße hatte es ja auch nicht anders ausgesehen, bis ein Trecker gekommen war und den Schnee zumindest teilweise von der Straße geräumt hatte.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.24 Uhr
Lieber Helle Horizont. Stundenlang gewartet hab ich schon. Auch sauer war ich. Doch hat sich meine Wut in Luft aufgelöst als du mir gerade geschrieben hast. Der Schnee liegt dieses Jahr auch echt hoch.

Sie schickte es erst mal so ab. Mal schauen.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.26 Uhr
Sunshine. Gut, dass du nicht mehr sauer auf mich bist. Ich kann es nicht haben, wenn jemand wütend auf mich ist. :) Ich wollte dich echt nicht enttäuschen. :( Das musst du mir glauben. Und tust es ja auch, sowie ich deine Antwort auffasse. Vielleicht können wir uns morgen treffen?

Morgen? Morgen war der 25. Dezember. Der erste Weihnachtstag. Hatte sie morgen Zeit? Ihr Terminkalender lag aufgeschlagen auf der anderen Seite ihres Laptops. Für morgen war die Spalte leer. Sie hatte also Zeit. Bevor sie ihm antwortete nahm sie einen Schluck ihrer heißen Schokolade.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.29 Uhr
Klar glaube ich dir. Ist doch völlig verständlich, auch wenn es schade ist. Du brauchst dir also keine Sorgen machen, dass ich wütend bin oder ähnliches.
Morgen klingt übrigens gut. In meinem Kalender steht nichts. Treffen wir uns dann in der Feuerzangenbowle, wie es heute ursprünglich geplant war?

Sie saß minutenlang vor ihrem Laptop und wartete auf eine Antwort. Ab und zu nippte sie an ihrer heißen Schokolade und machte das Dokument mit ihrem neuen Roman erneut auf. Falls sie nicht zum Schreiben kam, machte sie ein neues Textdokument auf um ihre Ideen festhalten zu können. Liliane saß immer noch da und wartete. Irgendwann machte sie ihre neue Weihnachts-CD an und lauschte der Musik, die aus den Lautsprechern drang.
Wieso schreibt er denn nicht zurück? , dachte Liliane und schaute weiter auf ihren Laptop. Dann erweiterte sie ihren Roman um ein paar Sätze, die ihr einfielen. Sie passten super. Auch wenn es nicht viel war, so war sie doch froh, dass sie keine wirkliche Schreibblockade hatte, sondern nur keine Ideen. Zumindest wusste sie vorerst nicht, wie sie weiterschreiben sollte.
Pieeeeep!!!
Endlich. Eine Antwort von ihm. Geschwind öffnete sie das Chatfenster.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.40 Uhr
In der Feuerzangenbowle? Klar, ich werde da sein. Um dieselbe Uhrzeit, wie es heute eigentlich geplant war? Ich war eben in der Küche und habe mir einen Kaffee gemacht. Weihnachtsplätzchen hab ich mir auch geholt. :) Soll ich den Tisch für morgen bestellen? Oder willst du das machen?

Sie brauchte gar nicht lange überlegen. Ihre Finger flogen über die Tasten.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.41 Uhr
Um 17 Uhr treffen wir uns also in der Feuerzangenbowle. Ich hoffe, dass du morgen durch den Schnee durchkommst. :) Zum Tisch: Wenn du einen Tisch am Fenster bestellst, überlasse ich es dir… :) Ich liebe es, wenn ich beim Essen nach draußen gucken kann. Vor allem bei dem Schnee. Da sieht das draußen immer so schön aus. Findest du nicht auch?

Sie hoffte inständig, dass er auch ein Mensch war, der es liebte, beim Essen nach draußen gucken zu können. Auch Sonnenuntergänge bei Schnee waren wunderschön. Liliane hoffte es ehrlich. Sie wusste ja nicht viel von ihm.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.42 Uhr
Klar reserviere ich einen Tisch am Fenster. Ich liebe es genauso wie du, beim Essen oder ähnlichem aus dem Fenster zu schauen. Da sind wir uns ähnlich. Bei Schnee, ja die Landschaft ist immer wunderschön, wenn die Bäume und Felder mit Schnee bedeckt sind. Der Winter ist von der Landschaft her meine Lieblingsjahreszeit. Aber nicht nur deshalb. Der Winter ist genau die Jahreszeit, in der es am gemütlichsten ist.

Oh wie Recht er hatte. Liliane lächelte und tippte.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.44 Uhr
Ohh ja, mit einem wunderbaren Buch und einer Decke auf dem Sofa und einem Kakao neben sich. Etwas Schöneres gibt es im Winter doch nicht. Neben den Winterspaziergängen.

Liliane hielt beim Schreiben inne. Dachte an den gestrigen Abend. Ja, das war genau das Richtige. Auch wenn es zu zweit noch schöner war. Dann schrieb sie weiter:

Tagsüber oder auch wenn es dunkel ist, ist ein Spaziergang durch den Schnee auch wunderbar. Klingt das jetzt romantisch? :)

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.47 Uhr
Und wie romantisch das klingt. :) Ich bin genauso. Ich liebe es im Winter durch den Wald zu laufen oder an einem Feld entlang. Aber auch durch verschneite Straßen. Es sieht einfach nach Weihnachten aus. Übrigens bin ich auch einer der Menschen, der sagt, wenn Weihnachten kein Schnee liegt, ist es kein richtiges Weihnachten. Zu Heilig Abend gehört Schnee einfach dazu. Mit Decke und Kakao sagst du? Auch eine wunderbare Sache. Wie immer. Wir vertreten wohl in Vielem dieselbe Meinung. :)

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.50 Uhr
Weihnachten ohne Schnee ist echt kein richtiges Weihnachten. Das sehe ich auch so. :)
Ja du hast Recht. Wir sind in vielem derselben Meinung. Mal schauen. Ich bin sehr gespannt, wie du so persönlich bist. Ich bin generell ein sehr sehr neugieriger Mensch. :)

Wieder nippte sie an ihrer Schokolade. Sie hatte das Gefühl nur noch zu lächeln. Es war einfach ein toll, einen Menschen zu treffen, der genauso dachte und fühlte, wie sie selbst.
Was er wohl beruflich machte? Wie er wohl aussah? Sie war echt gespannt. Hielt es kaum aus. Und dennoch. Sie war auch nervös. Wie heute Mittag auch schon. Sie versuchte nach außen hin ruhig zu erscheinen. Doch innerlich, war sie aufgeregt gewesen. Es war nicht zum Aushalten.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.55 Uhr
Oh du glaubst ja gar nicht, wie neugierig ich auf dich bin. Du kommst mir sehr sympathisch vor. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue, dich endlich zu Gesicht zu bekommen. Auch wenn wir eigentlich nicht sehr viel voneinander wissen. Wir haben ja weder Fotos ausgetauscht, noch irgendwelche Informationen, wie zum Beispiel unsere Berufe. Ich bin echt gespannt, wie du so bist, wenn man sich persönlich gegenüber sitzt.

Ob er wohl auch lächelte, wenn er mit ihr schrieb? Ging es ihm genauso wie ihr? Sie war sich sicher, dass er grinste, wenn er solche Nachrichten schrieb. Irgendwie war er begabt darin gute Laune zu verbreiten, bzw. sie wieder aufzuheitern. Wie zum Beispiel nach dem Tod ihrer Freundin. Er benutzte immer so wohltuende Worte. Sie schrieben sich ja schon länger. Es war echt wunderbar mit ihm.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 21.58 Uhr
Du bist mir bisher auch sehr sympathisch. Das muss ich sagen. Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt wie dankbar ich dir bin, dass du mich immer wieder aufmunterst, wenn es mir schlecht geht? Du weißt ja welchen Tag ich meine. Ich wollte dir jetzt einfach mal dafür danken. :) Ich denke, wir werden uns auch persönlich gut verstehen.

Liliane drückte auf ‘Senden‘ und holte sich dann eine neue Schokolade. Sie hatte die andere inzwischen geleert.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.01 Uhr
Ach weißt du, so etwas ist für mich selbstverständlich. Ich kann es nicht haben, wenn jemand traurig oder niedergeschlagen ist. Das war schon immer so. Und weil mir viele von meinen Freunden schon gesagt haben, dass ich ihnen geholfen habe, heiße ich hier so. Auch wenn ich nicht allen helfe. Kann ich ja auch gar nicht. Ich kann nur versuchen, denen gute Laune zu bringen, die mit mir schreiben, oder die die ich privat bzw. persönlich kenne.

Ein einfühlsamer Mann. Muss man schon sagen, dachte Liliane. Was er wohl dazu sagt, wenn er morgen erfährt, wer ich wirklich bin? Doch darüber machte sie sich keine großen Gedanken. Sie war neugierig was er von Beruf war. Sie konnte sich auf jeden Fall etwas Soziales vorstellen. Er war echt anders als andere. Mehr brauchte man gar nicht sagen. Lächelnd saß sie vor ihrem Laptop.

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.05 Uhr
Trotzdem danke ich dir. Du bist etwas Besonderes. Anders kann man es nicht sagen. :) Auch wenn es für dich selbstverständlich ist. Es gibt auch Menschen, die noch hinterher treten und Menschen noch weiter verletzten. Sei es auf körperlicher oder psychischer Art. Glaub mir ich habe Erfahrung mit solchen Menschen. Und wie geht es dir sonst so?

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.10 Uhr
Danke für dein Kompliment. Aber du glaubst gar nicht, wie viele Menschen mir sagen, dass es eigentlich nicht selbstverständlich ist. Was du sagst stimmt. Es gibt wirklich Menschen, die noch hinterher treten. Das ist verletzend. Glaub mir, ich hab so etwas auch schon durchgemacht. Das war nicht witzig. Wenn es körperlich ist, ist es ja noch viel schlimmer. Da hat man nicht nur seelische Schmerzen, sondern auch körperliche.
Ach mir geht es eigentlich ganz gut. Nur der Schnee, der nervt mich ein bisschen. Ich hoffe echt, dass ich hier morgen mit dem Auto wegkomme. Und wie geht es dir?

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.12 Uhr
Mir geht es eigentlich genauso wie dir. Ich fand es so schade, dass das Treffen heute nicht stattgefunden hat. Aber naja. Wir sehen uns ja hoffentlich morgen. :)
So lieber heller Horizont, ich geh mal zu Bett. Ich werde müde und gähne immerzu. :)
Ich wünsch dir nochmal frohe Weihnachten.

Der helle Horizont, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.14 Uhr
Schade. Hm… ich hoffe wir sehen uns morgen. Ich wünsche dir natürlich auch noch frohe Weihnachten und eine gute Nacht. Schlaf gut. :)

Sunshine, Freitag, der 24. Dezember 2009, 22.15 Uhr
Ja. Du auch. Ich wünsche dir auch eine gute Nacht. Schlaf du auch gut. So ich bin dann mal weg.

Eigentlich war es echt schade, dachte Liliane. Aber sie gähnte und konnte die Augen kaum noch offen halten. Ihre Augenlieder wurden immer schwerer. Sie wurde immer müder.
Sie schloss den Chatroom und die beiden Dokumente. Sie hatte kaum etwas geschrieben. Auch wenn sie viele Ideen hatte. Die müsste sie jetzt auf Zetteln festhalten. Auf ihrem Schreibtisch lagen immer Berge von Papier. Sie nahm sich also einen Bogen und schrieb alles auf, was ihr in den Kopf gekommen war.
Anschließend, fuhr sie ihren Laptop runter, saß noch eine Minute da und stellte sich dann ans Fenster. An den Rahmen gelehnt, schaute sie hinaus.
Eine wunderschöne Nacht da draußen, dachte sie und ging erst nach ein paar Minuten zu Bett.
Die Bettdecke zog sie bis zur Nase hoch. Doch konnte sie nicht schlafen. In Gedanken war sie die ganze Zeit bei „der helle Horizont“. Sie war so aufgeregt und konnte es kaum erwarten.

Am nächsten Morgen stand sie gut gelaunt auf und machte sich fertig.
In aller Ruhe setzte sie sich an den Frühstückstisch und aß ein Brötchen. Mehr bekam sie heute nicht herunter. Zu aufgeregt war sie.
Den ganzen Tag konnte sie nicht ein einziges Mal still sitzen bleiben. Es war nicht möglich, so sehr sie es auch versuchte. Sie rutschte mal nach links, ein anderes Mal nach rechts. Es war nicht auszuhalten.

Schon bald kam der Mittag. Sie wusste weder was sie anziehen wollte, noch wie sie ihre kurzen Haare aufpeppen konnte. Wobei es da, ihrer Meinung nach, nicht so viele Möglichkeiten gab. Letztendlich entschied sie sich für ein kurzes schwarzes Kleid. Es reichte ihr bis zu den Knien. Natürlich zog sie bei diesen Minusgraden noch eine Strumpfhose drunter. Nicht, dass sie zu sehr fror. Ihre Haare peppte sie mit etwas Gel auf und stylte sie ein wenig nach oben. So dass es noch vernünftig aussah. Dann war sie fertig. Nur die Rose, die sie gestern schon mitgenommen hatte, fehlte noch. Sie stand in der Blumenvase auf dem Tisch. Sie nahm sie heraus und trocknete den Stiel ab. Liliane stand im Flur. Ihre Hände schwitzten schon, obwohl sie nicht mal mehr losgegangen war, geschweige denn im Restaurant angekommen war. Mit langsamen Schritten ging sie die Treppe hinunter und schloss die Tür hinter sich ab. Schneller kam sie aber auch hier nicht weiter. Denn sowohl der Bürgersteig aber auch die Straßen waren glatt. Nur vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Als ein Fahrradfahrer an ihr vorbeifuhr, schüttelte sie nur den Kopf. Wer war denn so verrückt und fährt bei diesem Wetter noch mit dem Fahrrad? Da legte man sich ja noch schneller ab als wenn man zu Fuß geht. Muss jeder selbst wissen, dachte sie. Aber es ist wahnsinnig. Wenn man sich so ansieht, wie glatt die Straßen waren, wurde ihr ganz anders.
Sie konnte die Feuerzangenbowle schon sehen. Das Restaurant hieß so, weil dort im Winter immer Feuerzangenbowle verkauft wurde. Sonst gab es die ja immer auf dem Weihnachtsmarkt, wenn überhaupt. Es war schon ein wunderbares Restaurant. Es gab dort leckere Sachen. Das musste man schon sagen. Liliane war schon öfter dort gewesen. Jedes Mal war sie begeistert gewesen. Auch „der helle Horizont“ schien die Feuerzangenbowle zu kennen. Er schien wohl schon öfter dagewesen zu sein. Genauso wie sie. Vielleicht hatten sie sich ja schon mal gesehen, bloß wussten sie nichts davon. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Es war ja möglich. Liliane brauchte nur noch ein paar Meter. Dann war sie da. Die Feuerzangenbowle war hell erleuchtet. Wie gestern auch. Erst jetzt wo sie vor dem Restaurant stand, fiel ihr auf, dass sie gar nicht wusste, auf welchen Namen der Tisch bestellt war. Sie stand noch einen Moment vor der Tür und ging dann hinein. Hinter der Eingangstheke stand ein großgewachsener Mann in einem schwarzen Anzug. Er hieß sie willkommen und wünschte ihr eine frohe Weihnacht. Sie erwiderte den Weihnachtsgruß und traute sich dann nicht zu fragen ob es einen Tisch gab, der auf den Namen „helle Horizont“ reserviert war. Kann ja sein, dass ihr Chatpartner den Tisch auf seinen Usernamen bestellt hatte. Aber sicher konnte sie ja nicht sein. Sie wusste ja auch nicht wie er richtig hieß. Wieso hatten sie bloß ausgemacht nichts Wirkliches von sich zu erzählen. Das erschwerte die ganze Sache. Naja ändern konnte sie es sowie so nicht mehr. Das zu fragen, war ihr dann doch zu doof. Sie stand noch einen Moment vor der Theke. Unschlüssig stand sie vor der Theke, wusste nicht, was sie tun sollte. Als der Mann sie fragend anschaute, fragte sie ihn nach ein paar Sekunden, in denen sie überlegte, doch noch nach dem Namen und dem Tisch. Der Mann schaute in seinen Unterlagen nach und bejahte ihre Frage. Auch wenn er dabei ein komisches Gesicht zog. Er konnte ja nicht wissen, dass der Name eigentlich ein Username war. Liliane grinste. Irgendwie war ihr die Sache mit dem Namen nicht mehr ganz so peinlich wie vorhin noch. Man sollte nicht so viel denken. Das war echt ein Problem. Der Mann ging ihr voraus zu einem Tisch an einem Fenster. Er rückte den Stuhl zurück, ließ sie darauf Platz nehmen und schob sie an den Tisch. Anschließend fragte er, ob er für die Rose eine Vase mit Wasser holen sollte. Sie nickte, legte die Rose vor sich auf den Tisch und verschränkte die Arme. Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster. Der Schnee fiel immer noch. Es schien gar nicht mehr aufhören zu wollen. Dieses Jahr war es echt schlimm. Manch einer sagte schon, dass man wisse, wie das Zeug aussieht und dass es doch langsam mal an der Zeit ist, dass das Zeug von den Straßen verschwindet. Es hat schon tagelang geschneit jetzt. Langsam setzte sich auch bei Liliane der Gedanke fest, dass es jetzt genug war. Doch wer konnte den lieben Himmel schon beeinflussen? Es gab keinen einzigen, der eine Wirkung auf das Wetter erzielen konnte. Sie beobachtete die Leute, die durch den Schnee stapften und teilweise kurz davor waren hinzufallen. Ab und zu musste sie sich ein Grinsen verkneifen. Es war aber auch interessant, wie schnell der Schnee auf der Straße immer mehr wurde. Nervös schaute sie auf ihre Armbanduhr. Kurz vor sieben. Langsam müsste er mal kommen. Ihre Hände schwitzten noch immer. Immer wieder wischte sie sie an einer Serviette ab. So nervös war sie schon lange nicht mehr gewesen. Okay, doch. Aber das war gestern. Und eigentlich unbegründet, denn er war auf Grund des vielen Schnees ja nicht gekommen. Liliane schaute ab und zu durch das Restaurant. Immer wieder kamen und gingen Leute. Die Küche hatte heute wohl wieder gut zu tun, dachte Liliane und wendete ihren Blick wieder nach draußen, dem Schneetreiben zu. Sie achtete nicht auf den Eingangsbereich, obwohl sie von vorne schon beäugt wurde. Aber sie bemerkte es nicht. Erst als „der helle Horizont“ vor ihr stand, schaute sie auf und konnte ihren Augen nicht trauen. Vor ihr stand David Habert. Ebenfalls Schriftsteller. Sie hatte Werke von ihm gelesen. Lächelnd setzte er sich ihr gegenüber.
„Liliane. Was ein Zufall. Gestern erst, habe ich eins deiner Werke zu Ende gelesen. Deine Bücher sind hervorragend.“
Persönlich kannten wir uns nicht. Noch nicht.
„Ich kann es auch nicht glauben David. Danke für das Kompliment. Aber weißt du? Deine Werke sind auch Teil meiner Lieblingsliteratur.“
„Das gibt es trotzdem nicht. Wir chatten miteinander und wissen nicht, wer der andere ist und dann zwei Schriftsteller, die die Werke des anderen kennen.“
„Stimmt du hast Recht.“
Es war Liliane als würden sie sich schon ewig kennen. Sie schienen wirklich auf einer Wellenlänge zu liegen. Liliane lächelte ihn an und wollte gerade noch etwas ergänzen, da kam einer der Kellner und brachte ihnen eine Vase mit Wasser. Als er wieder weg war, hatte sie vergessen was sie sagen wollte. Sie war verlegen, wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihm schien es nicht besser zu gehen. Sie lächelten sich nur an.
„Bist du gut durchgekommen?“
„Ja. Die Straße wurde gestern noch gestreut. Gestern Abend, als keiner mehr auf die Straße brauchte. Ich weiß nicht. Irgendwie ist das nicht ganz Sinn der Sache. Ich hoffe nur, dass ich nachher noch nach Hause komme. Denn es kann gut sein, dass die Straße wieder zugeschneit ist, wenn ich wiederkomme.“
„Weißt du was? Wenn du wirklich nicht durchkommst, dann kannst du zu mir kommen. Du brauchst eigentlich auch nicht fahren. Ich habe ja Platz genug. Wenn du Lust hast, können wir uns nachher mit einem Glas Wein noch ins Wohnzimmer setzen.“
„Gerne doch. Das Angebot nehme ich gerne an. Ich habe zur Sicherheit auch Ersatzkleidung mitgenommen. Also für den Fall, dass ich nicht durchgekommen wäre. Aber jetzt hat sich das auch erledigt. Dank deines netten Angebots.“
„Ja. Da sieht man mal wieder wie nett ich bin.“, Liliane grinste.
„Du kannst mich übrigens Lilli nennen. Das ist kürzer.“
„Lilli. Okay. Dann nenn ich dich jetzt nur noch so. Auch wenn dein ganzer Name schön klingt. Man hört ihn ja oft genug in der Presse.“, David lächelte sie an.
Sie konnte nicht umhin sich geschmeichelt zu fühlen. Oh wie anders es doch mit ihm war. Sie hatte sich bei einem „Blind-Date“ noch nie so gut gefühlt. Es schien alles zu passen. Zwei Autoren, die sich zuvor nie persönlich begegnet waren, aber die Werke des anderen gelesen hatten und sich eigentlich vollkommen fremd waren.
„Wie bist du denn hier her gekommen? Bist du zu Fuß gegangen?“
Liliane nickte und erzählte, wie glatt es doch war. Sowohl auf der Straße, wie auch auf dem Bürgersteig. Da waren sie sich einig. Denn er wohnte in den Bergen. In einem schönen Bauernhof, wie er sagte. Das Haus selber ist im Landhausstil erbaut worden und zwar Ende der 90er. Wenn es so schneit wie im Moment sei das Dorf, zu welchem sein Haus gehörte oft abgeschnitten. Aber auch nur während ein paar Tage. Das war noch zu verkraften, meinte er und grinste dabei. Er konnte es genauso wenig unterdrücken sie anzusehen wie sie andersherum.
„Man hört echt viel von dir und deinen Büchern.“, sagte Lilli.
„Ja, da hast du Recht, aber von dir und deinen Büchern hört man ebenso viel.“
Liliane nickte.
Als eine der Kellnerinnen kam und ihnen die Essenskarten brachte. Unterbrach das Gespräch für eine Weile. Gemeinsam einigten sie sich auf dann auf eine Geflügelpfanne für zwei.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine lieben Leser und meine lieben Freunde... ich liebe euch... ihr seid mir echt enorm wichtig. :)

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