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Rosalie



Ich fröstelte, schnell zog ich meinen schwarzen Mantel noch fester zu. Der kalte Herbstwind blies durch meine Haare und ließ sie fliegen. Er schüttelte die bunten Blätter von den Bäumen, die in einem wilden Tanz zur Erde segelten und kahle Äste zurückließen, welche gefährlich in den Himmel ragten. Der Himmel war wolkenbedeckt und grau, vielleicht würde es am Abend schneien, der erste Vorbote des Winters. Eigentlich mochte ich ja den Herbst, wäre er nicht so kalt! Der Wind blies in mein Gesicht und meine Augen tränten fürchterlich. Ich wollte zurück in mein kuscheliges Bett, in die Wärme. Stattdessen musste ich durch das bunte Laub, welches bald zu Erde werden würde, um im Frühling, wenn es wärmer werden würde, wieder in kleinen grünen Knospen an den Bäumen hängen würde. Frühling war eindeutig eine bessere Jahreszeit, da war es schon warm und nicht so grau in grau. Doch jetzt viel alles einmal in tiefen Winterschlaf. Bald würde hier alles mit Schnee bedeckt sein, und der kleine See zugefroren. Kinder würden sich auf ihm tummeln und ausgelassen spielen.

„Komm weiter, Kira!“, rief ich meiner kleinen Malteserhündin zu, die aufgeregt an einem Baumstamm schnüffelte.
Kira war das letzte Weihnachtsgeschenk meiner Mutter, die sie verlassen auf einem Bahnhof in einer Kiste gefunden hatte. Natürlich hatte sie die Hündin mit nach Hause genommen und dort versorgt. Damals war Kira noch ein Baby gewesen und sie hatte sich schnell an mich und meine Mutter gewöhnt.
„Kira, komm, jetzt endlich!“,rief ich erneut, da Kira immer noch nicht hörte. Meine Finger froren immer mehr ein und ich wollte endlich nach Hause. Kira ignorierte alles um sich herum und war immer noch damit beschäftigt, aufgeregt an einem Baum zu schnüffeln. Dann musste ich wohl die Böschung hochklettern um sie zurückzuholen. Die Erde war nass vom letzte Regen und fast wäre ich ausgerutscht. Ich seufzte. Schnell packte ich Kira und trug sie vom Baum weg. Wäre der Hund doch nur etwas braver.. Nie hörte sie auf mich und ich musste ihr oft nachlaufen, um sie von ihren Entdeckungstouren zurückzubekommen. An der Leine wollte ich sie auch nicht immer laufen lassen, da sie sonst nicht genügend Bewegung bekam. Aber ich konnte der Hündin nicht lange böse sein.
„Kleine Ratte“,, flüsterte ich ihr liebevoll ins Ohr und drückte Kira an mich. Kira schleckte mir sanft das Kinn ab. Als Entschuldigung oder so. Ich musste lächeln.
Oft war ich sehr dankbar, Kira zu haben. Für mich war sie mehr als nur ein Haustier. Kira war eine treue Begleiterin und immer an meiner Seite. Ich liebte es, neben ihr einzuschlafen und mich an ihr weiches Fell zu kuscheln. Sie war sowas wie meine beste Freundin. Wirkliche Freunde hatte ich nicht, da meine Mutter und ich oft umzogen. Ich war immer die neue, langsam gewöhnte ich mich daran, klar, ich lernte immer neue Leute kennen und mit manchen verstand ich mich auch super, aber eine richtige Freundschaft konnte sich dadurch nicht aufbauen. Mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, dass meine Familie nur aus meiner Mutter und Kira bestand.
Meine Mutter nimmt an einem Hilfsprojekt teil. Wir haben schon an fast allen Teilen der Erde gelebt, und dort armen Menschen geholfen. Meine Mutter baute Schulen, gab den Menschen Essen und Wasser. Manchmal arbeitete sie als Lehrerin oder verarztete kranke Menschen. Dadurch hatte ich schon viel Leid gesehen, doch ich war dankbar dafür, hilfsbedürftigen Menschen helfen zu können.

Wir bogen in einen schmalen Trampelfad ein, der direkt zum Ufer des Sees führte. Normalerweise gingen hier viele Hundebesitzer mit ihren Tieren spazieren. Ich entdeckte viele Pfotenabdrücke im weichen Schmal. Kira beschnüffelte alles, während ich langsam vorging. Der See war wie ausgestorben, nicht ein paar Enten schwammen darin. Auch Spaziergänger waren keine unterwegs. Sonst trafen wir immer mindestens ein bis zwei andere Hunde, die interessiert an Kira schnüffelten. Doch mir machte es nichts aus, so alleine zu sein. Es gab mir immer Zeit, nachzudenken. Ich sah auf den See hinaus, kleine Wellen platschten unaufhörlich ans Ufer und trieben kleine Äste und Blätter mit an Land. Die dicke Wolkendecke über dem See zog sich immer mehr zusammen, jetzt wollte ich doch langsam nach Hause. Und es dämmerte auch schon.
Eine Krähe krächzte laut auf und setzte sich an einen nahegelegenen Baum. Mir wurde ein bisschen mulmig zumute, auch wenn ich nicht besonders ängstlich war, aber so ganz alleine am See war es mir auch nicht geheuer. Das Knacksen der Blätter und Bäume im Wind machte mich unruhig, was, wenn da jemand stand und uns beobachtete. Nein, Blödsinn, Rosalie, reiß dich zusammen! Da ist niemand!, ich redete mir immer wieder ein, dass ich keine Angst haben musste. Langsam wurde ich echt paranoid. Trotzdem drehte ich mich immer öfter um, konnte aber nichts entdecken. Meine Schritte wurden immer schneller, ich wurde das Gefühl einfach nicht los, verfolgt zu werden. Doch ich sah überhaupt nichts und Kira machte keine Anzeichen, jemand gerochen zu haben. Irgendwie kam ich mir lächerlich vor. Wer sollte schon um diese Uhrzeit am See herumlungern? Es war kalt und würde bald schneien. Mörder, Vergewaltiger...., ich versuchte, die Gedanken zu ignorieren. Blödsinn, niemand verfolgte uns.
Plötzlich bellte Kira laut auf und ich drehte mich ruckartig um. Kalte Schauer krochen über meinen Rücken. Ich sah das weiße Fell ein paar Meter weiter im Gebüsch direkt beim Wasser aufblitzen. Erkennen konnte ich nichts, aber trotzdem sah ich mich immer wieder um, starrte die Böschung hoch, um Anzeichen eines Verfolgers zu finden. Nichts.

„Kira, komm, da ist nichts!“, rief ich meiner Hündin zu. Ich wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden und es wurde immer unheimlicher. Das Gefühl, verfolgt zu werden, ließ mich einfach nicht los, egal wie absurd es auch war.
Doch Kira rührte sich nicht von der Stelle. Sie saß immer noch im Gebüsch und machte keine Anstalten, mir zu folgen. Da muss etwas im Gebüsch sein... Ein totes Tier vielleicht... Langsam kam ich näher. Ich wollte nicht, das Kira das Tier noch fraß oder vielleicht war es auch nur verletzt. Dann musste ich ihm helfen!
Kira stand mit dem Gesicht zum Wasser und schnüffelte an etwas. Ein Schritt weiter. Dann sah auch ich ihn. Er lag zwischen zwei Büschen eingebettet halb im Wasser, welches ihn umspülte.
Ich konnte den Schrei nicht mehr unterdrücken, es kam einfach so aus mir heraus. Automatisch presste ich mir die Hände vor die Augen. Ich wollte weg von diesem schrecklichen Ort, zurück in meine Wohnung. Jetzt wünschte ich mir, niemals mit Kira spazieren gegangen zu sein. Dann wäre mir das erspart geblieben. Mein Herz pochte wie verrückt, meine Hände zitterten, und das nicht nur wegen der Kälte. Langsam ließ ich meine Hände wieder sinken. Ich musste ruhig bleiben, das hier war nicht das schrecklichste, das ich in meinem Leben gesehen hatte.
Irgendwie nahm ich all meinen Mut zusammen und kam näher.
Vor mir im Schlamm lag eine Leiche.
Nur der Kopf ragte aus dem See, der Rest war mit Wasser bedeckt. Die Haut war vollkommen weiß, die geschlossenen Augen blau unterlaufen, die Lippen waren ebenso bleich wie die Haut. Die dunklen Haare waren voller Erde und Gras, und umrahmten das Gesicht. Die Leiche war ein junger Mann, ungefähr in meinem Alter. Er schien friedlich zu schlafen, nur der Mund war zu einem leichten Lächeln verzogen.
Vorsichtig kniete ich mich nieder, um seinen Puls zu fühlen, ich zog die erdige Hand aus dem Wasser. Sie was ebenso kreidebleich wie der Körper und muskulös. Ich spürte keinen sanften Herzschlaf mehr am Gelenk. Er war also wirklich tot. Mund zu Mund Beatmung hatte ich noch nie gemacht, das konnte nur meine Mutter, doch mein Gefühl sagte mir, dass es bereits viel zu spät dafür war. Die Rettung rufen? Auch da war mein Gefühl total dagegen.
Ich kniete weiter neben ihm und hielt die tote Hand. Irgendwie tat er mir Leid. Er lag da, wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter. Geborgen und geschützt, obwohl er tot war. Niemand konnte ihm mehr etwas anhaben. Sanft strich ich ihm mit der anderen Hand durch die Haare, um das Moos und Gras zu entfernen. Ich hatte meine Angst fast vollkommen überwunden. Kira saß neben mir und rührte sich nicht vom Fleck, es war ein äußerst seltsamer Moment.
Und dann sah ich es. Der Mund bewegte sich leicht. Zuerst dachte ich, ich bildete mir das alles nur ein, doch da war es nochmal. Der junge Mann bewegte seinen Mund, ganz leicht, obwohl er eigentlich tot sein sollte. Wollte er mir etwas sagen? Langsam beugte ich mich zu ihm hinunter und legte mein Ohr an seinen Mund. Ein sanfter Atemzug streifte meinen Nacken, dann bohrten sich zwei spitze Zähne in meinen Hals.
Ich war zu erschrocken und gelähmt, um zu schreien oder mir wehren zu können. Kein Laut kam über meine Lippen, alles blieb in meiner Kehle stecken, das einzige, was ich spürte, war der stechende Schmerz an meinem Hals. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich würde es wohl über mich ergehen lassen müssen. Bald nahm ich alles nicht wirklich war, meine Augen wurden müde und füllten sich mit Tränen.
Blut spritzte wild umher. Mein Blut. Ich hörte das Stöhnen und Schmatzen. Der Körper unter mir bewegte sich, er wurde stärker. Zwei eiskalte Hände packten meinen Kopf und drückten ihn gewaltsam zur Seite. Endlich entfuhr mit ein leiser Schrei. Plötzlich wurde mir eine Hand auf den Mund gepresst. Es war unmöglich, mich zu bewegen oder den Mund zu öffnen. Ich war wie einbetoniert, so fest war der Griff. Der Schmerz in meinem Hals wurde immer schlimmer, langsam kam ich wieder zu mit, ich spürte, wie er an mir saugte, das Blut aus meinem Körper sog. Ein Rinnsal an tränen rann mir die Wangen herab. Ich konnte nur still leiden und hoffen, dass es bald vorbei war.
Er war viel zu stark, und ich wehrlos. Doch dann ließ er endlich von mir ab. Ich glitt zu Boden, den Kopf in den Himmel gerichtet. Er beugte sich über mich. Knallrote Augen. Er grinste. Das friedliche Gesicht war böse. Blutverschmiert.
Wie ein Windhauch war er plötzlich verschwunden.
Alles begann sich zu drehen, die Realität wurde unwirklich, Bilder kreisten in meinem Kopf umher, ich spürte, wie ich immer schwächer wurde und das Leben aus mir wich. Nein, ich lag nicht mehr am See, mein Inneres war bereits woanders. An einem besseren Ort. Ich schlief ein.

Jared



„Wo warst du die ganze Zeit?“, Julie funkelte mich wütend an. Ihre Augen blitzen angriffslustig und ihre Wangen waren errötet. Ich zog es vor, ihr nicht zu antworten. Ich war schrecklich müde und wollte nicht mir ihr reden und eine Diskussion anfangen, die dann wie immer irgendwo enden würde. Julie nervte mal wieder verdammt stak

„Hallo? Ich rede mit dir!“, fauchte sie mich an und packte meine Arm, um mich am Entkommen zu hindern. Ich riss mich von ihr los.

„Lass mich in Ruhe!“, knurrte ich wütend und schüttelte ihre Hand erneut ab. Sie antwortete nicht mehr und verschwand wütend im Badezimmer. Ich war froh darüber, endlich alleine zu sein. Ich wollte mit niemandem reden und war auch genauso wenig jemandem eine Rechenschaft schuldig. Und niemand durfte jemals den wahren Grund meines Verschwindens erfahren. Dass man ihn überlistet hatte, IHN! Fast wäre er gestorben, wäre da nicht dieses Menschenmädchen gewesen …
Gedankenverloren lehnte ich mich auf die schwarze Ledercouch. Ich musste an Julie denken, die mich gerade schrecklich nervte. Sogar in meinen Gedanken. Typisch Frau eben. Manchmal würde ich sie am liebsten hinauswerfen, doch das ging nicht so einfach. Julie gehörte irgendwie zu mir. Sie war ein Teil meines toten Lebens. Wir waren uns nahe, wenn auch nur körperlich. Und Julie kannte mich wohl am besten, zusammen mit Manuel.
Außerdem war Julie sehr hübsch, auch wenn ich mir das nicht immer so richtig eingestehen wollte. Selbst unter Vampiren war sie eine Schönheit. Sie hatte große blaue Augen, lange gold-blonde Haare, einen zarten Mund und helle Sommersprossen auf der Nase. Julie wusste, dass sie hübsch war, deshalb wirkte sie auf die meisten sehr eingebildet, was sie wohl auch war, dazu auch sehr verwöhnt. Das war dann wohl meine Schuld. Geld war absolut nicht unser Problem. Julie hatte eine Schwäche für Kleider und Schuhe. Ich vergönnte ihr das. Sollte sich doch mein Geld verschleudern! Ich brauchte es nicht und falls es mal knapp werden sollte, könnte ich leicht neues besorgen.
Ich drehte den großen Plasmafernseher gegenüber der Ledercouch an, um mich ein wenig abzulenken. Nichts interessantes. Nur Talkshows und Nachrichten. Genervt zappte ich durch das Programm. Was war so schwer daran, am Abend etwas spannendes zu senden?!?!
Ein Brand in der Innenstadt. Das erregte meine Aufmerksamkeit. In den Flammen hatte man drei verkohlte Leichen gefunden. Angezündete Leichen waren sehr oft ein Merkmal von Vampiren. Unerfahrenen Vampiren. Vampire, die ihre Spur verwischen wollten. Die Menschen gingen von einem Unfall aus. Ich war mir da nicht so sicher. Doch auch von unerfahrenen Vampiren war es dumm, mitten so am hellichten Tag einen Haufen Menschen zu töten. Vielleicht waren sie ja neu in der Stadt und hatten schrecklichen Hunger... New York war ein ausgezeichnetes Jagdgebiet. Vor allem in der Nacht. Unmengen an Bars, vollgestopft mit Betrunkenen, die niemand vermissen würde. Obdachlose, junge Mädchen, in New York musste niemand am Tag töten. Die ganze Sache erschien mir sehr merkwürdig, vielleicht hatte sie ja etwas mit dem Angriff auf mich zu tun? Aber welcher Vampir wollte mich tot sehen? Oder war es vielleicht gar kein einzelner Vampir, sondern gar eine Gruppe?
Bevor ich weiter über den seltsamen Brand nachdenken konnte, ging die edelstahlene Tür des Aufzugs auf und mein bester Freund, Manuel kam heraus. Ebenfalls ein Vampir und soetwas wie mein großer Bruder. Fast jede Stelle seines Körpers war zutattowiert, die Ohrläppchen weit gedehnt und die dunklen Haare kurz geschnitten. Grinsend kam er auf mich zu und musterte mich mit seinen dunkelbraunen Augen.

„Na, Jared, noch gar nicht ausgehfertig? Unmengen von Weibern warten auf uns, nur damit wir unsere Zähne in ihren Hälsen vergraben können! Wo ist Julie?“, er sah sich suchend im Appartement um.

„Badezimmer.“, antwortete ich nur grinsend. Manuel lachte laut auf und schüttelte dann den Kopf.

„Wo bleibt der Alkohol?“, ich stand auf und war eine Sekunde später vor dem edlen Kühlschrank.

„Was willst du? Whiskey?“

„Klaaaaar“, antwortete er.

Wir setzten uns in die Lounge mit zwei Gläsern und warteten auf Julie, die sich immer noch fertig machte. Für einen Moment überlegte ich, ob ich Manuel von den gestrigen Ereignissen erzählen sollte. Doch dann entschied ich mich dafür, besser meinen Mund zu halten. Manuel würde es sicher nicht sehr ernst nehmen und mich nur auslachen. Ich war mir aber sicher, dass hinter dem Vorfall mehr stecken musst, als ich zunächst gedacht hatte. Der Brand im Fernsehen machte mich unruhig und ich konnte den Verdacht, dass er etwas damit zu tun hatte, nicht abschütteln. Ich war fest dazu entschlossen, herauszufinden, wer mich tot sehen wollte.

„Du denkst nach“, bemerkte Manuel und sah mich von der Seite an. Ich schüttelte nachdenklich den Kopf. Um weiteren Fragen auszuweichen nahm ich einen weiteren kräftigen Schluck Whiskey. Es brannte angenehm in meiner Kehle und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Ich ließ mir den restlichen Alkohol auf der Zunge zergehen und spürte langsam die Wirkung des Hochprozentigen, der meine Sinne betäubte und in meinen Kopf stieg und meine Gedanken abschweifen ließ. Sie machten mich so seltsam glücklich und leicht. Plötzlich fühlte sich mein Körper schlaff und müde an, als wäre er weit entfernt. Nicht mehr ein Teil von mir. Gleichzeitig aber fühlte er sich unheimlich stark. Manuel ging es genauso. Es war an der Zeit, aufzubrechen.

„Julie!“, rief ich, doch meine Stimme war plötzlich so weit weg, als wäre ich unter Wasser und hörte jemanden oberhalb sprechen. Ich sank in die Tiefen hinab, das Wasser sog mich stetig aber sanft in sein Inneres. Das Bild ober mir wurde verschwommen und düster. Algen schlangen sich um mich und versuchten mich festzuhalten, doch sie waren machtlos gegen die seltsame Kraft. Plötzlich erschien das Gesicht des Mädchens vor meinem inneren Auge. Auch sie war verschwommen, doch ich erkannte sie trotzdem deutlich. Sie lächelte mich traurig an, aus ihren Augen flossen Tränen, die wie Perlen aussahen. Ihre Hand glitt sanft in meine. Sie packte mich mit einem Ruck und zog mich aus dem Wasser.

„Manuel, wieviel hat er getrunken?“, langsam öffnete ich die Augen und kam wieder zu mir Mein Tagtraum war zuende. Ich lag am Boden des Appartements, das Glas Whiskey lag zerbrochen neben mir.Verwirrt sah ich mich um. Julie kniete neben mir und hielt meine Hand. Ich entriss sie ihr energisch. Sie sah auch verwirrt aus.

„Alles okay...“, murmelte ich.
Julie und Manuel, der hinter ihr stand, sahen mich skeptisch an.
'Wirklich alles okay!“, wiederholte ich, diesmal wieder mit fester Stimme. Ich stand schwankend auf und ging so normal wie möglich in Richtung Tür.
Julie und Manuel schienen mir ausnahmsweise mal zu glauben und folgten mir in den Aufzug und los gings in New Yorks Nachtleben.

Ich spürte die Blicke der beiden in meinem Rücken, ich verwirrte sie, dieses Verhalten waren sie nicht von mir gewöhnt. Normalerweise war ich immer der Starke und jetzt fühlte ich mich selbst ein wenig verwundbar. Ich durfte einfach nicht mehr an die vergangene Nacht denken und musste den Abend genießen. Zitternd krallte ich mich an der Wand des Aufzuges fest, um nicht schon wieder umzukippen. Plötzlich fühlte sich mein Kopf wieder so schwer an und drohte, nach unten zu sinken. Ja nicht das Bewusstsein verlieren, sagte ich mir immer wieder vor und hoffte, das weder Julie noch Manuel etwas bemerken würden. Doch die beiden waren in ein Gespräch vertieft und dachten wohl gar nicht mehr an meinen kleinen Aussetzer. So etwas kannte ich gar nicht von mir, hoffentlich hatte es auch nicht mit dem mysteriösen Vorfall zu tun, sonst würde ich wohl nicht drumherum kommen, es Julie und Manuel zu erzählen. Und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.

Die drei stiegen in Manuels Porsche, den er vor dem Eingang geparkt hatte. Julie saß hinten und unterhielt sich weiter mit Manuel. Die Musik war auf volle Lautstärke gedreht und der Bass wummerte in meine Ohren. Ich konnte mich kaum konzentrieren und war froh darüber, dass Manuel fuhr.
Endlich erreichten wir unser Ziel. Vor uns stand das Estate. Ein riesiger Club, und ziemlich bekannt in der Underground-Szene. Er war besonders beliebt unter den Vampiren, doch Menschen und Vampire besuchten ihn gleichermaßen. Wie ein riesiger Palast prangte er zwischen den Hochhäusern, aus den Fenstern kam rotes Neonlicht. Man konnte auch schon Musik hören. Auf dem roten Teppich, der zum Eingang führte, standen schon eine Menge von Besuchern. Alle gut gelaunt und angetrunken. Sie waren laut und unbeherrscht. Ich erkannte ein Mädchen, von dem ich schon einmal getrunken hatte. Sie bemerkte mich nicht. Mein Blick glitt weiter desinteressiert durch die Menge. Ein paar Menschen drehten sich zu uns um. Bewundernde Blicke streiften mich und meine Freunde. Wir waren eben Vampire und sahen unheimlich gut aus. Die dummen kleinen Menschenmädchen warteten nur darauf, von mir gebissen zu werden. Keine bekam wirklich mit, was ich mit ihnen tat. Alle ließen es über sich ergehen, dankbar dafür, dass ich mich für sie zu interessieren schien. Mir machten diese Spielchen Spaß, wieviele kleine Menschenherzen hatte ich wohl schon gebrochen? Es war sicher eine Zahl im Bereich über Hundert. Lächerlich, wie dumm man sein konnte. Menschen waren doch so naiv und von ihren Gefühlen gesteuert.

Julie steuerte sofort auf den VIP-Eingang zu, der Türsteher ließ uns passieren, ohne nach unseren Ausweisen zu verlangen. Er kannte unser Geheimnis. Er war selbst einer von uns. Im Vorbeigehen lächelte ich ein menschliches Mädchen an, sie wurde knallrot und drehte sich kichernd zu ihrer Freundin um. Sie hatte den besten Duft, den ich in der Menge ausmachen konnte. Ich war mir sicher, dass sie sich zu einer späteren Uhrzeit gerne mit mir aufs WC verziehen würde und meinen Durst stillen könnte.
Der Türsteher grüßte mich kurz, als ich an ihm vorbeiglitt.
Dann standen wir hinter der Tür. Dort, wo alle von draußen hinwollten. In einem riesigen Saal, elegant, mit weißen Scheinwerfern beschienen. Rechts neben ihnen stand eine große Bar, wo man allerhand Spirituosen kaufen konnte. Auf der Tanzfläche tummelten sich schon einige Menschen, verschwitzt und köstlich nach Blut duftend. Aus den Boxen, die überall in den Ecken des Saales hingen, drang laute Musik zu uns. Wir stiegen die Treppe zur VIP-Lounge hinauf, von der aus man über den ganzen Saal blicken konnte. Ich ließ mich auf einem der gepolsterten Sessel nieder. Das Schwindelgefühl war wieder vollkommen verschwunden, ich fühlte mich stark und meine Instinkte waren geschärft. Ich wollte jagen. Manuel bestellte noch mehr Alkohol.
Langsam füllte sich der Saal immer mehr. Ich konnte die Rothaarige von vorher erkennen. Ihr Duft stieg süßlich zu mir hoch. Sie tanzte mit ihrer Freundin. Ihren Blick ließ sie immer wieder durch den Raum schweifen. Sie suchte jemanden. Mich. Wenn die Zeit gekommen war, würde ich zu ihr hinunter gehen.
Nach einer Weile verschwand Julie hinunter zu den Tanzenden. Auch sie hatte Durst.

„Man, was ist denn mit los Jared heute?“, Manuel musterte ihn wieder so merkwürdig.
„Julie hat mir erzählt, dass du die ganze Nacht weg warst. Ohne uns. Wo warst du denn? Ich meine, wir sind Freunde, mir kannst du das doch sagen? Ich erzähls Julie nicht, also wenn du eine neue hast..“

„Ich hab keine andere, wär aber vielleicht mal eine Überlegung wert.“, gab ich zurück.

„Was war dann?“

„Wurde aufgehalten...“, Ich antwortete ich so bestimmt, dass Manuel nicht mehr weiter fragte. Er wusste, wann es reichte.

„Ich werde dann mal auch verschwinden!“, bemerkte ich grinsend und stieg von meinem Hunger getrieben die Treppe hinab.
Ich fand die Rothaarige sofort wieder. Sie erschrak fürchterlich, als ich plötzlich hinter ihr stand. Sie sah mich mit offenem Mund und glänzenden Augen an. Sie hatte schon genug intus. Von der Nähe betrachtet war sie nicht besonders hübsch. Hatte eine zu große Nase und ihre Haare waren an den Spitzen kaputt. Das Makeup verronnen und klebrig.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich sanft und zog sie mit mir davon. Sie nickte und versuchte, mich anzulächeln. Wir Vampire waren perfekt darin,wenn es darum ging, Menschen zu umgarnen.
Ich reichte ihr ein volles Glas und sah ihr beim Trinken zu. Sie ließ mich nicht aus den Augen. Immer noch verwundert, dass ich mir genau SIE ausgesucht hatte. Ihr Blut und nicht ihr Aussehen waren daran schuld.

„Wie heißt du?“

„Sarah, du?“

„Jared.“

Sie hatte ausgetrunken. Lächelte mich wieder mit ihren glitzernden Augen an. Dann kam sie vorsichtig auf mich zu. Sah mich mit ihren großen Rehaugen an. Sie roch nach Schweiß. Drückte sich an mich. Schlang ihre Arme um mich. Wollte ihre Lippen an meine pressen. Alkohol. Sie konnte nicht mehr küssen. Die Kleine war völlig besoffen. Ich hob sie hoch und trug sie zu den WC's. Sie kicherte. Ich drückte ihren Mund von meinem weg. Ließ meine Lippen zu ihrem Hals gleiten. Küsste ihn. Sie stöhnte. Plötzlich ragten spitze Reißzähne aus meinem Mund. Ich biss zu. Das Blut floss angenehm über meine Lippen in meinen Mund, den Rachen hinab. Es war warm und dickflüssig. Ich saugte alles aus ihr heraus. Dann wurde sie ohnmächtig. Ich hatte genug. Ich ließ das leblose Teil zu Boden fallen. Sie würde überleben, es war noch genug Blut in ihrem Körper. Mit dem Ärmel meines Hemdes wischte ich mir das Blut vom Mund und ging in Richtung Tanzfläche. Auf dem Weg dorthin traf ich Julie, fest umschlungen mit einem Typen. Ich grinste sie an. Wenn sie mich eifersüchtig machen wollte, hatte sie darin versagt. Julie wollte niemanden außer mich.
Sie war sich dabei mir nicht so sicher. Julie würde riechen, dass er schon getrunekn hatte. Das machte sie immer besonders eifersüchtig.
Ich ließ mich wieder in den Sessel in der VIP-Lounge sinken. Manuel war inzwischen auch verschwunden, wahrscheinlich hatte auch er Hunger.
„Darf ich mich setzen?“, ich sah hoch, ich hatte die Gestalt, die plötzlich neben mir stand, nicht bemerkt. Die Gestalt war, ebenso wie ich, auch ein Vampir.

Rosalie



Das erste, an das ich mich erinnern kann, war der Geruch, es roch nach Fisch und Wald. Ich sog ihn tief ein, und versuchte mich daran zu erinnern, was passiert war. Die letzten paar Stunden waren ein schwarzes Loch. Ich öffnete die Augen. Es war dunkel, die Sterne funkelten am düsteren Himmel, schienen um die Wette zu strahlen, der Mond in ihrer Mitte. Sein Abbild im schwarzen See. Es war seltsam ruhig, keine Autos, keine Menschen, nicht einmal die Blätter im kühlen Herbstwind konnte man hören. Eine merkwürdige Stimmung lag über dem See, so ruhig aber doch voller Spannung, als würde alles warten, voller Angst und Ungeduld.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wie ich dort hinkam. Mein Kopf schmerzte verdammt stark und meine Kehle war trocken. Langsam setzte ich mich auf. Meine Kleidung war voller Schlamm und Blätter und nass. Ich fröstelte. Wo zum Teufel war ich hier? Ich sah mich um, erinnerte mich plötzlich wieder. Am Nachmittag war ich hier mit Kira spazieren gegangen, hier am See.. Aber dann? Was war dann passiert? Ich versuchte angestrengt, mich zu erinnern. Mir wollte beim besten Willen nicht mehr einfallen, wieso ich hier am Ufer des Sees lag, alleine. Es war späte Nacht und Kira war verschwunden. Was, wenn ihr was passiert wäre? Ich wollte es mir gar nicht vorstellen. So schnell wie möglich wollte ich hier weg. Ich musste Kira suchen und dann nach Hause!
Oder lag ich vielleicht gerade in meinem Bett und das alles war ein schrecklicher Traum, ein Albtraum? Aber es fühlte sich alles so real an. Nein das hier war kein Traum. Ich musste nach Hause!!
Vorsichtig stand ich auf und merkte, wie meine Beine zitterten, fast wäre ich wieder hingefallen. Meine Augen waren verschwommen und ich konnte nur undeutlich sehen. Tränen rannen plötzlich aus meinen Augen, ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. Ich wollte nicht wissen, was mit mir passiert war. Das einzige, was ich wollte war, wieder zu Hause zu sein, dass mein Körper wieder normal war und mein starker Durst aufhörte. Meine Kehle brannte wie Feuer und war total trocken. Doch mein Instinkt sagte mir, dass Wasser meinen Durst nicht stillen würde können. Langsam bewegte ich mich mit zitterndem Körper weiter, jeder Schritt war eine Anstrengung, mein Körper schien mir nicht mehr gehorchen zu wollen, war müde und erschöpft.
Plötzlich stieg ein seltsamer Duft in meine Nase, ein metallener, jedoch auch süßlicher Duft. Ich sog ihn tief ein. Auf einmal war mein Körper wieder stark, das Kopfweh verschwunden, alle meine Sinne drängten mich plötzlich zu dem Geruch und ich spürte, dass ich mich nicht mehr dagegen wehren würde können. Ich wollte ihm folgen, ihn einfangen. Diese Gedanken verwirrten mich. Ich kannte diesen Geruch nicht. Doch irgendwie kam er mir schon bekannt vor. Es roch nach … Blut. War etwa jemand verletzt? Die Sorge ließ mich schließlich meinem Körper nachgeben und dem Geruch folgen. Ich rannte los, meine Beine trugen mich die Böschung hoch, über die Straße. Ich duckte mich hinter eine Hecke. Vor mir lag ein Reihenhaus. In einem der Fenster brannte noch Licht. Zwei Menschen standen im Raum und unterhielten sich. Eine Frau und ein Mann. Komischerweise konnte ich sie hören.

„Du kannst mich doch nicht alleine lassen mit ihr, bleib bei uns!“, die Frau packte den Mann am Arm. Sie hatte die Worte fast geschrien, so verzweifelt war sie.

''Es ist mir egal, was du tust, doch bitte geh nicht weg...'', Tränen rannen aus ihren Augen und sie sank zu Boden, ihre Hände klammerten sich immer noch an die Arme des Mannes. Er sah sie mit kühlem Blick an und antwortete nicht.

Doch mein Interesse galt nicht den Streitenden, sondern dem süßlichen Geruch, der aus dem Fenster daneben kam. Es war leicht gekippt und der Duft kroch langsam durch den Garten zu mir herüber. Das war eindeutig der Duft, den ich unten am See gerochen hatte, der Duft, der mich so magisch anzog. Ich wollte ihn. Die beiden Erwachsenen verströmten ebenfalls diesen süßlichen Geruch, doch er war längst nicht so rein und gut riechend wie der andere. Eher alt und abgestanden.
Ich sah mich um, kein Mensch weit und breit, niemand würde mich bemerken. Mit einem Satz war ich über die hohe Hecke gesprungen, erstaunt über meine merkwürdigen Fähigkeiten. Bis jetzt war ich in Sport eher einen Niete gewesen, meine alten Turnlehrerinnen würden sich freuen, hätten sie das gerade gesehen.
Doch zu meinem Pech landete ich direkt in einem Rosenstrauch. Meine Arme waren aufgekratzt und bluteten stark. Ich fluchte leise. Aber plötzlich ging ein merkwürdiges Kribbeln durch meine Haut und vor meinen Augen verschlossen sich die Wunden wieder, als wäre ich nie verletzt gewesen. Nicht die kleinste Narbe blieb zurück. Ich starrte meine Arme fassungslos an, sah aber nur meine glatte helle Haut im Mondlicht. Was war nur mit mir passiert?
Ich wurde von meinem Durst aus den Gedanken zurückgerufen, jetzt war es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, was passiert war, sondern zu handeln. Ich stieg aus dem süßlich riechenden Rosenbusch und schlich unbemerkt durch den Garten in Richtung Haus. Jetzt hörte ich die Stimmen der beiden Erwachsenen noch deutlicher, als wären sie direkt neben mir. Sie stritten immer noch und würden mich nicht bemerken. Kurz überlegte ich, wie ich am besten in das Haus gelangen konnte. Ich spähte durch das gekippte Fenster in das Zimmer mit dem guten Geruch. Der Mond beleuchtete ein Kinderzimmer, in Rosa gehalten, Puppen lagen auf dem Boden verstreut. Und was Carry am meisten interessierte, ein Mädchen lag in einem kleinen Himmelbett und schlief tief und fest. Sie war es, die ich unbedingt wollte. Meine Gedanken und mein Gehirn schalteten sich plötzlich komplett aus, ich musste tun, was mein Körper wollte. Ich wurde zur Jägerin.

...Geschickt hob Carry das Fenster aus den Angeln und warf es neben sich auf den Boden. Elegant sprang sie durch den Rahmen und stand im Zimmer des Mädchens. Dabei hatte sie kein einziges Geräusch gemacht. Das Mädchen schlief immer noch und die Eltern hörte man laut aus dem Nebenzimmer. Carry ging durch das Zimmer auf das kleine Bett zu, darauf bedacht, auf keine der Puppen zu steigen, die überall im Raum herumlagen. Sie stand direkt vor dem kleinen blonden Mädchen, das selig in ihrem Bett schlief. Sie hatte blonde Locken und sah selbst aus wie eine ihrer Puppen. Und sie roch verdammt gut! Carry betrachtete sie einen Augenblick lang. Sie sah aus wie ein kleiner Engel, so unschuldig und wunderschön. Das kleine Mädchen war vielleicht sieben oder acht Jahre alt.
Plötzlich öffneten sich die Augen des kleinen Mädchens und sie sah Carry an. Sie hatte keine Angst vor ihr.
''Wer bist du?'', flüsterte sie. Ihre blauen Augen huschten neugierig über Carrys Gesicht.
Carry antwortete nicht, sie war in einer Art Trance, das einzige, was sie interessierte, war das Blut des kleinen Mädchens, das durch ihre Adern gepumpt wurde und diesen gut riechenden Duft verbreitete. Langsam beugte sie sich an den Hals des kleinen Mädchens, das immer noch still in ihrem Bett lag. Carry sah die dicke rote Ader am Hals, durch die das Blut floss. Sie öffnete den Mund, und mit einem * klicckk * ragten an der Stelle ihrer Eckzähne zwei spitze Fangzähne aus ihrem Mund. Aus Carrys Mund kam ein Keuchen, wie bei einem wilden Tier. Dann biss sie zu, in den Hals des kleinen Mädchens. Ein kurzer Schrei, dann war sie ruhig. Carry presste ihr das Kopfkissen auf den Mund. Die Eltern durften sie nicht hören.
Carry saugte wie wild an dem Hals, ihre Zähne hatten zwei tiefe Löcher in die Ader gebohrt, aus der das Blut nur so spritze. Gierig trank sie das Blut, um ihren riesigen Durst zu stillen. Es schmeckte so gut und befeuchtete die trockene Kehle. Es rann aus ihrem Mund und Carry selbst wurde voll mit dem süßlichen Getränk. Sie konnte nicht mehr aufhören, all das Leben aus dem Mädchen zu saugen. Sie wollte auch nicht. Das einzige, was sie wollte, war das Blut des Mädchens.
Dann ließ sie wieder von ihr ab, ließ das leblose Kind zurück ins Bett sinken. Das Mädchen sah immer noch friedlich aus, voller Blut, als würde sie nur schlafen. Carry hatte genug, sie war satt.
Auf einmal hörte Carry Schritte im Gang, die Eltern des Mädchens kamen. Sie hatten aufgehört zu streiten. In letzter Sekunde huschte Carry hinter den Schrank, dann ging die Tür auf und die beiden traten ein.
''Lass sie doch schlafen'', flüsterte der Mann. Durch den Spalt in der Tür drang Licht in den Raum. Doch die beiden sahen und rochen nicht so gut wie Carry und bemerkten das Massaker nicht.
''Schau, wie süß sie schläft'', flüsterte die Frau und ging näher an das Bett des Mädchens heran.
Plötzlich kreischte sie auf. Sie hatte in etwas nasses gegriffen. Der Mann drehte das Licht auf. Die beiden sahen ihre blutüberströmte Tochter in ihrem Bett liegen. Und in der Mitte des Zimmer stand ein blutiges, schlammiges Wesen und starrte sie mit knallroten Augen an.
Die Frau lief kreischend aus dem Zimmer, der Mann hinter ihr her. Carry hinter ihnen her. Sie hatte kein Problem, die beiden einzuholen. Wie dumm sie doch waren, Carry würde sie sowieso erwischen. Der Mann hob eine Bratpfanne und richtete sie gegen Carry. Die hatte keine Angst vor ihm. Sie trieb die beiden zurück in das Zimmer der Tochter. Mit einem Satz stand sie neben der Frau und brach ihr das Genick. Leblos fiel sie zu Boden. Die Augen des Mannes waren weit geöffnet. Er hatte Angst vor Carry.
Doch auch ihm biss Carry den Hals auf. Blut spritzte herum. Auch eer viel zu Boden, und starrte Carry mit leeren Augen an, bevor sie ihm zufielen und das Leben aus ihm wich. Carry war immer noch nicht aus ihrer Trance erwacht. Doch sie war endlich nicht mehr durstig. Ermüdet legte sie sich zu dem Mädchen in das blutige Bett. Sie schlief sofort ein...

„Aufwachen, Püppchen!“, jemand rüttelte mich wie wild am Arm. Ich stöhnte. Ich war noch so müde und wollte weiterschlafen.

„Nicht..“, murmelte ich, doch das Rütteln hörte nicht auf. Ich blinzelte. Jemand stand über mich gebeugt, erst ich mich an das Licht gewöhnt hatte, bemerkte ich eine junge Frau mit braunen Haaren. Erschrocken sprang ich auf. Ich erschrak noch mehr, als ich sah, wo ich mich gerade befand. Um mich herum herrschte das reinste Blutbad. Ich stand in einem Zimmer. Am Boden lagen zwei Menschen, mit Blut überströmt, auf dem Bett ein kleines Kind, ebenfalls voller Blut. Das ganze Zimmer war voller Blut, die Möbeln, die Wände, der Boden .. alles. Ich sprang in eine der Ecken im Zimmer, so weit wie möglich entfernt von der Mörderin, ich war wohl die nächste. Sie musste verrückt sein.

„Geh weg! Ich hab nichts getan, lass mich in Ruhe, du Mörderin!“, meine Stimme zitterte.

Die Frau kam langsam auf mich zu und ich presste mich so fest wie möglich gegen die Wand.

„Du dumme Ding, du kannst doch nicht einfach so eine ganze Familie ausrotten und dann einschlafen. Was ist nur los mit dir? Kannst du dich nicht beherrschen? Von wo kommst du, ich dich noch nie hier gesehen, die Polizei wird bald auftauchen, wir sollten schleunigst von hier verschwinden, oder hast du vor, die auch alle abzuschlachten?!?!'', sie wollte mich am Arm packen und wegziehen, doch ich versuchte mich zu wehren.

„Lass mich los!“, fauchte ich.

Meine Angst war kleiner geworden, ich würde um mein Überleben kämpfen, wenn es sein musste. Diese Frau war vollkommen verrückt und durchgeknallt.

„Sei doch nicht so dumm, komm endlich!“, redete die Frau auf mich ein, die wohl gemerkt hatte, dass ich Angst vor ihr hatte.

„Ich habe diese Menschen nicht massakriert, das warst ganz allein du!“

„Aber, ich hab dich niemanden umgebracht …!“, doch nach dem,was alles mit mir passiert war, war ich mir da gar nicht mehr so sicher ..

„Oh, doch hast du, erinnere dich doch! Du bist noch sehr jung, oder? Aber jetzt komm endlich, ich kann schon die Sirenen hören! Machen wir, dass wir hier wegkommen!“

Sie packte mich erneut am Arm, aber diesmal so fest, dass ich mich nicht wehren konnte und zerrte mich aus dem Zimmer. Ich wehrte mich nicht mehr, sie schien mir nicht wehtun zu wollen und wegrennen konnte ich später immer noch. Und von diesem schrecklichen Ort wollte ich sowieso weg.
Die Frau ging auf die Haustür zu, die aber verschlossen war, sie drückte ihre Faust dagegen und die Tür zerbrach. Ich traute meinen Augen nicht. Aber in dieser Nacht schien mir nichts mehr unmöglich.

„Komm jetzt, beeil dich!“, forderte die Frau mich auf und begann zu laufen, mich zerrte sie weiterhin hinter sich her. Sie sprang genau wie ich vorher elegant über die Hecke, ich wurde hingegen eher über die Hecke gezogen, die Frau drehte sich um und sah mich genervt an. Dann begann sich zu laufen, so schnell, dass alles um uns herum verschwamm, der Wind peitschte in mein Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht. Da war ich mir sicher.

Jared



Vor mir stand ein Mann, vielleicht Mitte 30, doch sein vernarbtes Gesicht ließ nicht genau erahnen, wie alt er wirklich war. Ja, es gab auch Vampire, deren Haut nicht mehr vollkommen heilte, Vampire, die mit sogenannten magischen Gegenständen verletzt worden waren. Ich hatte in meinem Leben als Vampir noch nie so jemanden kennengelernt. Alle Vampire, die ich kannte, waren makellos und wunderschön. Aber es war ein Vampir, da war ich mir sicher. Ich erkannte es an seinem Geruch. Der Vampir sah mich auffordernd an und ich stand auf, um ihm die Hand zu geben. Höflichkeit war bei uns Vampiren sehr wichtig. Auch wenn viele es nicht so meinten. Im bunten Lichts des Clubs sah die Haut des anderen Vampires noch furchterregender aus. Er hatte buschige Augenbrauen und ein rundes Gesicht. Der Kopf war glatt rasiert, auch mit Narben bedeckt, er hatte schwarze stechende Augen, die mich eingehend musterten. Ein Stück vom Ohr des anderen Vampirs fehlte. Er streckte mir seinen muskulösen, ebenfalls vernarbten Arm hin. Ich schüttelte ihn. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was der Mann von mir wollte. Ich sah in seinen Gesicht keine einzige Regung, nichts, das mich über das Befinden des Mannes aufklären konnte. Ich beschloss, so wie immer zu sein und mir meine Neugierde, andererseits auch mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.

„Jared...“, stellte ich mich möglichst gelangweilt vor. Ich sah hinunter auf die Tanzfläche und suchte nach meinen beiden Freunden, die mir schlimmstenfalls zur Hilfe kommen mussten. Gegen diesen Kraftprotz von Vampir hatte ich keine Chance. Niemals. Ich war zwar gut gebaut, doch längst nicht so gut gebaut. Der Mann schien ein einziger Muskelberg zu sein.
„Das weiß ich schon.“, antwortete der Mann seelenruhig.
„Und mit wem hab ich es zu tun?“, fragte ich und versuchte dabei, meinen Tonfall beizubehalten und möglichst desinteressiert zu wirken.
Doch der Mann ignorierte die Frage und fuhr fort:“Hast du von den Morden gehört? Aufgeschlitzte Menschen! Überall! Die Menschen werden vorsichtig, neugierig. Ich würde mal sagen hier ist jemand unachtsam. Sieht ganz nach Vampiren aus. Du und deine Freunde haben damit eh nichts zu tun oder? Wenn doch passt besser auf, man könnte euch auch sehr schnell aufschlitzen.“, er grinste und entblößte dabei eine Reihe goldener Zähne.
Nach einer Sekunde hatte ich mich wieder gefasst, damit hatte ich nicht gerechnet:“Nein haben wir nicht, niemand ist außer Kontrolle. Die, die das angerichtet haben, dürften nicht von hier sein. Wir haben nichts damit zu tun.“ Das Mädchen am See erwähnte ich nicht. Ich überlegte kurz, ob ich dem Mann von dem Überfall auf mich erzählen sollte, ließ es dann aber besser. Ich traute ihm nicht.Und wenn er es nicht wusste, dann war es besser wenn er es nie erfahren würde. Alleine schon, weil es meine Ehre als Vampir verletzt hatte, niemand brauchte das zu wissen.
„Okay, dann ist es ja gut, ich glaub' dir das einfach mal!“, er grinste wieder und zeigte mir damit, dass er mir gar nichts glaubte und das ich mich in Acht nehmen sollte, mit dem, was ich in nächster Zeit so alles tun würde. Ich würde unter Beobachtung stehen. Das hatte ich sofort verstanden. Und ich war nicht dumm, ich würde die Warnung ernst nehmen.
„Die Königin ist äußerst verärgert darüber, sie hat Angst, dass wir auffliegen, also passt auf!''
Ich nickte.
Auf einmal stand Manuel neben der Couch in der VIP – Lounge und sah fragend zwischen mir und dem Fremden hin und her. Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, um ihm zu zeigen, dass er den Mund halten sollte. Manuel würde das verstehen.
„Ich wollte eh schon gehen! Hat mich gefreut.“, er schenkte mir und Manuel sein grässliches Grinsen und schüttelte uns beiden die Hände. Dann war er auch schon wieder verschwunden so schnell wie er gekommen war.
Zurück ließ er einen verwirrten Manuel und mich. Manuel würde mich natürlich sofort ausfragen, und ich hatte Recht.

„Was war denn das? Kennst du den?“, fragte Manuel neugierig.

„Nein“, antwortete ich einsilbig und ließ mich wieder auf der Couch nieder. Ich erzählte Manuel, was ich gerade von dem Fremden gehört hatte. Auch Manuel hatte von den vielen Toten gehört, doch das war in New York nichts besonderes. Außer das alle aufgeschlitzt und ausgesaugt waren. Doch die genaue Todesursache wurde in den Nachrichten nie bekannt gegeben. Dieser Vampir musste Insiderinformationen haben, an die man nicht so leicht kommen konnte. Und er hatte von der Königin geredet. War er etwa einer ihrer Wachen? Das würde auch erklären, warum Manuel und ich ihn bis jetzt noch nie in New York gesehen hatten.
Ich erzählte Manuel von meinem Verdacht.

„Du denkst, Ariane mischt sich schon ein? Normalerweise interessieren die ein paar tote Menschen nicht besonders. Da muss irgendetwas schlimmeres passiert sein.“

„Wer weiß schon, was Ariane interessiert.“, gab ich zurück. Manuel musste grinsen.

„Mhm.. Egal, das ist nicht unser Problem...“

„Aber es ist unsere Stadt.“

„Wenn sich Ariane darum kümmert, müssen wir es nicht tun. Oder eher ihre verunstalteten Kämpfer.“, er lächlte,“Jared, lass dir dadurch nicht den Abend versauen, wir sind hier um zu feiern und nicht um uns Gedanken um Killervampire zu machen, das können wir morgen auch noch, oder übermorgen.“ Er wusste nicht, was ich an diesem Tag bereits alles erlebt hatte und das mir die Lust auf Party bereits vor dem Clubbesuch vergangen war.
Er zog mich an der Hand hoch und ging die Treppe aus dem VIP – Bereich in den eigentliche Club. Die Stimmung hatte gerade ihren Höhepunkt erreicht. Alle waren angetrunken und tanzten ausgelassen zur lauten Musik. Ich bemerkte, dass ich zu wenig getrunken hatte, um mitzufeiern, ich war eher müde und genervt, als angetrunken. Manuel zog mich direkt in die Menge, zu zwei Menschenmädchen, beide waren solarium-gebräunt, trugen kurze Miniröcke und enge Tops. Die eine hatte blond gefärbte, die andere braune Haare. Sie waren schlecht geschminkt, ihr Makeup war verschmiert und ihre Fakewimpern lösten sich langsam ab. Dazu billiges Parfum und High Heels, mit denen sie nur herum schwankten. Beide waren angetrunken und besonders willig, was sie wohl auch so waren.
In meinen Augen waren sie billige Schlampen, die ich nie angreifen würde, nicht einmal, als ich noch ein Mensch war. Sie waren weder hübsch noch intelligent, einfach nur billig. Nicht einmal ihr Blut wollte ich. Manuel hingeben schien ganz angetan zu sein von den beiden. Ich verstand ihn nicht. Für einen Vampir war es das einfachste, sie die schönsten Mädchen herauszusuchen, und die beiden waren alles andere als schön. Manuel tanzte mit ihnen, presste sie an sich, roch an ihren Hälsen, ließ sich ihre Zungen in den Mund stecken. Ich sah ihm fassungslos zu und stieß die Blonde zurück zu Manuel, die gerade auf mich zukommen wollt.

„Was hast du vor?“, raunte ich Manuel ins Ohr. Ich war genervt von dem Spielchen und wollte endlich nach Hause, mich ausschlafen.

„Geh doch zu Julie, wenn dich das hier langweilt, ich bin beschäftigt!“, Manuel erwiderte den Kuss der Blonden und beachtete mich nicht mehr. Ich fühlte mich alleingelassen und fehl am Platz. Auf Julie hatte ich keine Lust und ich sah sie gerade auch nirgendwo. Ich beschloss, alleine nach Hause zu gehen, auch wenn das dumm und unvorsichtig war, nach all dem, was heute passiert war. Aber mir war das im Moment egal. Ich war darauf vorbereitet und würde mich wehren können. Schnell verließ ich den lauten und stinkenden Club und trat hinaus in die kalte Nachtluft. Es war angenehm.
Ich ging durch die dunklen Straßen der riesigen Stadt, über mir leuchtete der Mond und erhellte alles, bald war Vollmond. Die leeren Gassen waren in angenehme Stille getaucht, nur hie und da hörte ich das leise Surren eines Autos. Die meisten Menschen schliefen schon. Um diese Uhrzeit war niemand mehr unterwegs. Es war meine Lieblingszeit. Oft ging ich wahllos durch die Stadt, einfach nur, um mich abzulenken, niemand, der mich ansah, niemand störte mich beim Nachdenken. Nur ich und meine Gedanken.
Ich zog ein Päckchen Zigaretten aus meiner Hosentasche. Nahm einen der Stängel herraus, um ihn anzuzünden. Eine Hassliebe. Und eine der wenigen Gewohnheiten, die ich aus meinem menschlichen Leben mitgenommen hatte.
Ich zog an der Zigarette und sog alles tief ein, ich konnte den Rauch tief in meiner Lunge spüren. Danach blies ich den Rauch in den kalten Herbsthimmel. Graue Wölkchen bildeten sich. Und zugleich zeigte die Zigarette ihre Wirkung. Ich wurde seltsam ruhig und entspannte mich. Ich ging langsam in menschlicher Geschwindigkeit weiter. Zielstrebig ging ich durch die Straßen, vor einem Hochhaus blieb ich stehen.
Ich sah hoch in den Himmel. Mein Lieblingsplatz. Ich warf den Stummel der Zigarette weg und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die Hausmauer, um diese danach hochzuklettern. Ohne Probleme stand ich am Dach. Unter mir leuchteten die Lichter von New York. Ich setzte mich an den Rand des Daches und sah auf die Stadt hinab. Ein wunderschönes Bild bot sich mir. Ich konnte fast alles, überblicken, die hohen Wolkenkratzer rechts von mir, das Meer, Brooklyn. Die Stadt leuchtete hell zu mir hinauf, als wolle sie den Himmel für mich erleuchten. Über mir spannte sich der Himmel. Die Sterne blitzten zu mir hinab. Mir kam es vor, als würde die Zeit still stehen, als wäre das alles hier nur für mich. Ich liebte die Einsamkeit. Niemand außer mir kannte diesen Platz. Niemand durfte ihn je kennenlernen. Das hier war eines meiner Geheimnisse. Wenn auch kein wichtiges oder spannendes, mir bedeutete es viel, diesen Platz nur für mich alleine zu haben, Etwas, was nur mir gehörte. Hier konnte ich mich verhalten, wie ich wollte, ich musste nicht die Menschen nachahmen, mich langsam bewegen, niemanden etwas vormachen, wenn ich hier war, war ich der einzige Mensch auf der Welt.
Geschickt fischte ich eine zweite Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Immer wieder redete ich mir ein, ich sollte aufhören. Aber es war eines der wenigen Dinge, die mich noch an mein menschliches Leben erinnerten. Außerdem wie sollte eine Zigarette mir schaden?!?! Meine Lunge war bereits tot und ich war sogut wie unsterblich.
Ich sah über den Rand des Daches, wenn ich da hinunter springen würde, würde ich mir vielleicht ein paar Knochen brechen, aber diese würden sofort wieder verheilt sein. Früher hatte ich mir es zum Spaß gemacht, mir absichtlich Knochen brechen zu lassen, ich hatte mich absichtlich von Autos überfahren lassen, hatte die waghalsigsten Dinge ausprobiert. All diese Dinge, bei denen Menschen schon längst tot wären. Doch jetzt benutzte ich die Feuerleiter, um zurück auf den Boden zu gelangen, all diese Dinge, die ich früher gemacht hatte, reizten mich nicht mehr. Ich beschloss, nach Hause zu gehen. Ich konnte nicht leugnen, dass ich müde war. Trotzdem ich genug getrunken hatte, merkte ich, wie ich immer erschöpfter wurde. Und die Sonne ging bald auf. Eilig ging ich in Richtung des Appartements.
Julie und Manuel waren bereits da. Julie war frisch geduscht und nur mit einem Bademantel bekleidet.

„Ich lass euch dann mal alleine“, durchbrach Manuel die merkwürdige Stille und verschwand durch die Tür in den Aufzug. Womöglich hatte Julie sich wieder bei ihm beschert, wie schlecht die Beziehung mit ihm doch lief. So wie immer. Ich liebte Julie nicht. Da konnte sie machen, was sie wollte. Sie beide wussten das. Nur wollte Julie es nicht wahrhaben, sie versuchte mit allen Mitteln, mich dazu zu bringen, mich in sie zu verlieben.
Für mich war sie einfach nur pure Unterhaltung.
„Ich geh schlafen“, gähnte ich und verschwand in Richtung meines Zimmers. Julie folgte mir.
„Wo warst du denn schon wieder?“
„Spazieren“, antwortete ich kühl. Ich war müde und wollte in Ruhe gelassen werden.
„Aha....“, wie sehr ich Wort doch hasste.... AHA.. Julie schien mir das nicht zu glauben. Aber sollte ihr das nicht eigentlich egal sein? Ich hatte kein Interesse an anderen Frauen. Nur an ihrem Blut. Und vielleicht gelegentlich, um Julie zu nerven. Langsam sollte sie das wissen. Ich mochte sie, auf meine eigene Art. Aber mögen war eben nicht lieben.
Seufzend ließ ich mich in das riesige Bett fallen. Endlich schlafen! Julie legte sich neben mich und schlief sofort ein.
Ich stand auf und ging zum Fenster des Zimmers. Ich stand wieder hoch über New York und konnte alles sehen. Der hell leuchtende Ball erschien am Horizont. Die Sonne ging auf. Der Himmel verfärbte sich bereits. Der Anblick war beeindruckend. In diesem Augenblick war ich unendlich froh, noch am Leben zu sein, wenn auch nicht als Mensch.

Rosalie



Es kam mir vor, als zerrte mich die Frau durch die ganze Stadt in Windeseile. Um mich herum verschwamm alles, ich nahm auch nichts mehr wahr. Mir war eiskalt und der Wind und die Kälte machten es auch nicht besser. Umso mehr wollte ich in ein warmes Bett, doch mein Verstand sagte mir, dass die Nacht noch nicht vorbei war. Ich folgte der Frau weiter und versuchte erst gar nicht, ihr zu entkommen.
Mit den Sirenen hatte sie zumindest Recht gehabt, wenig später hatte auch ich sie hören können. Hätte sie mich nicht aufgeweckt, hätte mich die Polizei gefunden und es wäre wahrscheinlich unmöglich gewesen, mich aus dem ganzen hinauszureden. Also vertraute ich der Frau erstmal.
Mit der Zeit gewöhnte ich mich an das schnelle Tempo, das meine Retterin vorlegte, sie hielt mich fest an der Hand und zog mich immer noch achtlos hinter sich her. Ein paar Mal wäre ich fast hingefallen oder gestolpert, aber ihr starker Arm hielt mich fest, sodass es nur bei ein paar kleinen Stolperern blieb. Wir liefen durch durch leere Gassen und Parks, doch ich bekam das alles nur aus meinen Augenwinkeln mit. Es ging viel zu schnell, um mir die Gebäude genauer anzusehen. Es fühlte sich an, als würde ich mit einem Sportwagen durch die Stadt rasen. Nur hätte ich mit dem schon längst einen Unfall gebaut. Ich hatte null Ahnung, wo wir uns befanden.
Endlich blieb die Frau vor einem grauen Haus stehen. Es war höchstwahrscheinlich am Rande von New York, da alle Häuser eher niedrig waren mit großen Gärten. Wie vorher sprang sie über den Gartenzaun und ging zielstrebig auf die Tür zu. Mich immer noch an der Hand. Ich sah mich um, um vielleicht einen Straßennamen oder Hausnummer oder irgendwas zu erkennen. Doch es war zu dunkel. Wir gingen durch den stillen Garten, der mit Büschen bewachsen war und ziemlich verwahrlost aussah. Im Gebüsch raschelte es leise. Das Haus passte zum Garten. Die Fassade war teilweise bröckelig, das Holz, aus dem die Veranda bestand, war alt und morsch. Es erinnerte mich an eines von diesen typischen amerikanischen Vorstadthäusern, zweistöckig, mit Fensterläden. In den Fenstern brannte noch Licht, das hieß, dass jemand zu Hause sein musste. Die Frau blieb auf der Veranda stehen und ließ meine Hand los.

„LUUUUUUUUUUUUIIIII!!!!!!!!!!“, ich zuckte zusammen. Die Frau rief nach jemandem.

Wenig später raschelte es hinter der Tür und ein Licht ging an. Dann wurde die Tür geöffnet. Vor uns stand ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter. Sie war deutlich kleiner als ich und sah aus wie eine Puppe. Blasser Teint, roter Mund, blaue Augen und ein eher rundliches Gesicht. Ihr Gesicht war übersäht mit Sommersprossen. Doch das hervorstechendste an ihr waren ihre dunkelroten Haare, die ihr bis zur Hüfte gingen. Sie war nur leicht geschminkt und sah müde aus. Trotzdem war sie eines der schönsten Mädchen, dass ich je gesehen hatte. Auch die Frau war schön, auf eine andere Art. Eher natürlich und unauffälliger. Doch das Mädchen stach so richtig heraus. Wir musterten uns eine Weile lang. Ich war immer noch wie gebannt von ihrem Aussehen. Doch dann fing sie an, zu kichern.

„Du bist voller Blut! Dein Gesicht!“, ihr Lachen war nicht bösartig, sie schien es wirklich lustig zu finden.

„Lui!“, ermahnte die Frau sie. Dann war das Mädchen also Lui, wie ich schon vermutet hatte.

„Ihr habt mich aufgeweckt, ich wollte schon schlafen!“, maulte sie und machte Platz frei, sodass wir auch ins Haus konnten.

Wir standen in einem Flur, der mich stark an vergangene Jahrzehnte erinnerte. Die Tapete war altmodisch mit Blümchenmuster, die Möbel alle aus dunkelbraunem Holz. Es roch muffig und nach Staub. An den Wänden gingen Bilder, was sie darstellen sollten, konnte ich aber teilweise nicht erkennen, da sie verbleicht waren oder verstaubt. Eines der Bilder zeigte eine Hochzeitsfoto, das schon ziemlich vergilbt war. Meine Oma hätte sich hier sicher sehr wohlgefühlt. Ich musste niesen.

„Ich zeig dir mal das Bad!“, die Frau musterte mich mit einem merkwürdigen Blick. Und ging eine Treppe hinauf ins obere Geschoss. Ich folgte ihr zögernd, doch meine Angst hatte ich schon fast ganz abgelegt. Die beiden wirkten nicht, als wollten sie mir wehtun oder sonstwas. Oben sah es genau so aus wie unten. Es war mir ein Rätsel, warum zwei so junge Frauen in diesem alten Haus wohnten. Doch darüber konnte ich mir keine Gedanken mehr machen, denn die Frau stieß eine der vielen Türen auf. Dahinter war ein Badezimmer komplett in Olivgrün. Die Frau zeigte mir Handtücher und Duschgel, und erklärte mir, dass sie mir Kleidung von sich und Lui vor die Tür legen würde. Sie müsste nur noch was passendes suchen.

„Ich bin übrigens Lessly..“, bevor ich ihr antworten oder meinen Namen sagen konnte, war sie auch schon wie ein Luftzug verschwunden.
Endlich war ich wieder alleine. Ich seufzte auf. Das Bad war eher klein und grün gefliest, in einer Ecke stand eine Dusche, daneben eine Toilette, gegenüber, also neben der Tür ein Waschbecken mit Spiegel. Auf einem kleinen Tisch daneben lagen Handtücher.
Als ich in den Spiegel sah, erschrak ich fürchterlich und verstand, warum Lui mich so komisch angesehen hatte. Mein ganzer Kopf inklusive Haare waren voller Blut. Mein Gesicht war knallrot, meine Haare klebten zu einem verfilzten langen Buschen zusammen, da das Blut in meinen Haaren auch schon angetrocknet war. Dazu war es voll mit kleinen Ästen und Blättern. Die mussten noch vom See stammen. Ich versuchte mich nocheinmal vergebens an meine zwei Blackouts zu erinnern. Nichts... Das mussten die Schlüssel sein. Wenn ich mich erinnern konnte, würde ich wieder alles wissen und verstehen. Es machte mich fertig, nicht zu wissen, was da passiert war. Und ich wollte Lessly nicht glauben, dass ich drei Menschen umgebracht hatte. Es musste eine ganz einfache Lösung für alles geben, etwas, was all diese Vorfälle erklären konnte, warum Lessly und ich plötzlich so schnell laufen konnten und so stark waren und warum ich angeblich jemanden getötet hatte und und und...
Unter der Dusche dachte ich weiter darüber nach. Ich brauchte eine gefüllte Ewigkeit bis ich das ganze Blut von meinem Körper bekommen hatte. Es war durch meine Kleidung durchgegangen und klebte an allen meinen Körperstellen. Ich schrubbte so fest ich konnte, ich wollte auch diesen schrecklichen metallenen Geruch aus meiner Nase bekommen. Endlich roch ich nur mehr nach dem nach Blumen duftenden Duschgel und nicht mehr nach Blut. Ich stieg aus der Dusche und fühlte mich schon viel besser. Sauber und erfrischt. Ich wickelte mich in ein Handtuch und dann erschrak ich zum zweiten Mal. Die, die ich da im Spiegel sah, war definitiv NICHT ich. Sie hatte schon eine gewisse Ähnlichkeit mit mir, aber das konnte doch niemals ich sein?!?! Das Gesicht, das mich mit seinen großen braunen Augen anstarrte, war viel schmaler und hübscher als meins. Es hatte hohe Wangenknochen und eine perfekt gebogenen Nase, zwei zarte Augenbrauen und einen roten Mund. Und es war blass. Ich drehte meinen Kopf ein paar Mal hin und her. Der Kopf im Spiegel drehte sich mit. Ich streckte ihm die Zunge heraus und schnitt Grimassen. Der Kopf tat dasselbe. Das konnte doch niemals ich sein???? Ich ließ das Handtuch fallen und sah an mir herunter. Meine Haut war bleicher als sonst und alle meine Muttermale und kleinen Hautunreinheiten waren verschwunden. Meine Haut war glatt wie Seide. Keine Härchen. Perfekt. Genau wie dieses Gesicht, das auf keinen Fall meines sein konnte. Das war viel zu hübsch für mich. Das war nicht ich! Verdammt, was war mit mir passiert?
Es klopfte an der Tür.
Ich wickelte meine nassen schwarzen Haare in ein Handtuch und ein anderes um mich. Schnell schloss ich die Tür auf. Vor mir stand Lessly und hielt mir eine Stapel Kleidung hin.
Dankend nahm ich ihn entgegen und zog mich an. Ein übergroßes Tshirt mit Aufdruck und eine Leggins … okay...

„Kommst du?“, Lessly stieg wieder die Treppe hinab.

Ich nickte und folgte ihr. Sie führte mich in ein großes Wohnzimmer, es hatte die selbe Blümchentapete wie der Flur. Auf der einen Seite des Raumes waren große Fenster in der Wand, darunter ein Fernseher und ein Tisch. Daneben ein Bücherregal. Gegenüber stand eine Sitzgruppe, eine braune Couch mit Sesseln und Couchtisch. Darauf saß Lui und las in einer Zeitschrift. Lessly und ich setzten uns zu ihr. Lui sah mich neugierig an.

„Was wollt ihr von mir?“, stieß ich hervor. Lui kicherte wieder. Lessly sah mich mit ihren braunen Augen mitleidig an. Ich sah die beiden verständnislos an. War diese Frage etwa nicht berechtigt? Immerhin hatte Lessly mich durch die ganze Stadt gezogen und in ein fremdes Haus gebracht anstatt zu meiner Mutter. Ich kannte sie ja nicht einmal. Das war ja alles ganz nett von ihnen aber ich musste nach Hause, meine Mutter würde sich sicher schon Sorgen machen. Und ich musste Kira suchen. Ach Kira …

„Ich muss jetzt nach Hause, meine Mutter macht sich sicher schon Sorgen. Vielen Dank für eure Gastfreundschaft!“, ich versuchte so selbstsicher wie möglich zu klingen und wollte aufstehen.

„Deine Mutter?“, Lui sah mich erstaunt an.

„Du kannst jetzt nicht nach Hause, erzähl uns am besten, was alles passiert ist.“, Lessly lächelte mich zum ersten Mal an. Es war ein warmes Lächeln, dass mich ihr vertrauen ließ. Sie stand auf und drückte mich zurück auf die Couch.

„Hast du Durst? Und wie heißt du?“, fragte Lui dazwischen. Ich schüttelte den Kopf. Sie hatte ihre Zeitschrift weggelegt und sah mich jetzt total interessiert an.

„Rosalie....“

„Mmmh, erzähl uns alle komischen Dinge, die dir in letzter Zeit passiert sind.“, Lessly lächelte mich an.

Und ich erzählte es ihr. Irgendetwas an Lesslys Art sagte mir, dass sie mir helfen konnte.

Ich erzählte von meinem Spaziergang am See mit Kira, davon, dass ich noch nicht lange in New York lebte.
Von meinem ersten Blackout am See.
Davon, wie ich mitten in der Nacht aufgewacht war, von meinem schrecklichen Durst, und wie schlecht ich mich gefühlt hatte.
Davon, dass Kira weg war.
Davon, wie ich zum ersten Mal diesen seltsamen Geruch gerochen hatte und ihm gefolgt war.
Dieser Geruch war Blut.
Damit begann mein zweites Blackout.
Davon, dass sich meine Mutter bestimmt Sorgen machen würde.
Davon,dass ich mich anders fühlte und schneller laufen konnte, stärker war, besser sah und besser hörte.
Und davon, dass ich anders aussah.
Den Rest wusste Lessly ja und ich vermutete, dass sie Lui alles erzählt hatte, was sie wusste.

„Glaubst du an so übernatürliches Zeugs, an Hexen und so?“, unterbrach Lui mich plötzlich. Dies Frage verwirrte mich. Und ich wusste auch keine richtige Antwort darauf. Ich hatte zwar schon viele verschiedene Kulturen kennengelernt, während meine Mutter und ich herumgereist waren, und sie alle glaubten in irgendeiner Art an spirituelle Sachen, aber ich selbst war mir nicht sicher, ob ich auch daran glauben sollte.
Wollte Lui mich etwa veräppeln? Doch sie sah nicht aus, als wäre das ein Scherz, genau wie Lessly. Meinten die beiden das ernst?

„Ich weiß es nicht genau...“, wich ich ihnen aus.

Jetzt ergriff Lessly das Wort:“Naja, Rosalie, das was Lui dir sagen will ist, du bist ein Vampir. Lui und ich sind auch Vampire.“

Vampire. Vampire. VAMPIRE. VAMPIRE!!!!!!!!!!!!!!!!! Das konnten die doch nicht ernst meinen? Ich und ein Vampir? Hahaha. Das konnte doch gar nicht sein. Und Vampire gibt’s doch nur in Geschichten. Nein, ich war ganz sicher KEIN Vampir. Lui und Lessly mussten verrückt sein. Ich war in einem Haus mit zwei Psychopathinnen. Schnell weg hier! Nur wie? Türe, Fenster? Shit. Einfach nur weg hier. Aber sie waren zu zweit. Und ich alleine.. Oje..

„Sie weiß es also noch nicht.“, stellte Lui fest. Ich musste gerade ziemlich verwirrt aussehen.

„Rosalie, bevor du uns jetzt für ganz verrückt hältst, hör mir bitte einfach mal zu, okay?“

Konnte es sein, dass das hier wirklich nur ein Traum war? Rosalie? Hallooo? Aufwachen!! Langsam ist das echt nicht mehr lustig. Ich wachte nicht auf.

Lessly wartete keine Regung von mir ab und fuhr fort:“Auf all diese komischen Dinge gibt es eine einfache Erklärung. Vampire haben die Eigenschaften, schneller laufen zu können, sie sind stärker und ausdauernder als Menschen. Wir können besser riechen, schmecken, sehen und hören. Da wir ja eigentlich tot sind, haben wir keinen Hunger und Durst. Das einzige Nahrungsmittel für uns ist Blut. Die meisten Vampire trinken menschliches Blut, da es besser als tierisches schmeckt. Wir denken, dass du am See von einem Vampir gebissen wurdest. Er hat dich verwandelt. Daran erinnern sich die meisten Vampire später nicht mehr. Wenn Vampire verwandelt werden, ist der letzte Schritt, dass sie Blut trinken. Sonst sterben sie. Da du aber kein Blut bei dir hattest, musstest du dir dein eigenes suchen. Und unerfahrene Vampire verfallen gerne in einen Blutrausch, wenn sie Blut riechen, dass heißt, ihr Gehirn schaltet sich fast komplett aus und sie hören nur mehr auf ihren Körper und töten alles, was ihnen in den Weg kommt. Deshalb hast du drei Menschen getötet. Deswegen brauchst du aber kein schlechtes Gewissen haben, weil du kannst da ja eigentlich nichts dafür, weil das dein Instinkt ist, später wirst du lernen, wie du jagen kannst, ohne dein Gehirn zu verlieren. Es ist zwar schon schade, dass jetzt drei Menschen tot sind wegen dir aber da kann man nichts machen und es ist auch nicht deine Schuld. Das einzige, was wir nicht verstehen ist, warum dich dein Erschaffer alleine gelassen hat. Normalerweise bleiben sie bei dir und kümmern sich, solange bis man alleine zurechtkommt und die Regeln der Vampire kennt, und sich schon ein bisschen eingelebt hat. Weil niemand erschafft einen Vampir grundlos. Er sollte dir Blut geben und auf dich aufpassen. Wir verstehen das echt nicht. Wir werden in den nächsten Tagen nach deinem Erschaffer suchen.“

Ich war sprachlos, sah verwirrt zwischen Lessly und Lui hin und her. Aber ihre Gesichter blieben ernst und sie sahen auch nicht so aus, als wollten sie gleich in lautes Gelächter ausbrechen und mich aufklären. Sie schienen es also wirklich ernst zu meinen. Ich war also ein Vampir. Und es passte zu allem, was passiert war. Trotzdem konnte ich es nicht glauben, es erschien mir so unwirklich, ich hatte noch nie ernsthaft an übernatürliche Dinge geglaubt, ebenso wenig Kontakt damit, die Geschichten, die mir meine Mutter früher erzählt hatte, hielt ich mit der Zeit nur mehr für Gruselgeschichten, aber ich hatte noch nie daran geglaubt, dass es WIRKLICH Vampire geben konnte. Und jetzt war ich also einer von ihnen. Aber warum gerade ich?? War ich gerade zu einem Monster geworden..? Ich musste an all die Bücher über Vampire denken, sie brauchten Blut, und durch meinen Durst waren schon Menschen zu Tode gekommen. Wie sollte das weitergehen?

„Sie braucht Zeit...“, bemerkte Lessly plötzlich, eher zu Lui als zu mir,“Komm jetzt, du solltest dich ausruhen, morgen wird dir das alles nicht mehr so verrückt vorkommen.“

Lessly brachte mich in ein kleines Schlafzimmer, sie zog die braunen Vorhänge zu, damit ich am Morgen nicht von der Sonne geweckt werden würde. Erst als ich im Bett lag, merkte ich, wie müde ich eigentlich war. Ich versuchte, nachzudenken, aber es gelang mir nicht mehr. Bald schlief ich tief und fest.

Rosalie



Ich sah in seinen Augen, dass er wusste, wer ich war. Für einen Moment lang starrte er mich erstaunt an, auch er hatte mich erkannt. Und natürlich wusste auch ich, wer er war. Schlagartig konnte ich mich wieder erinnern.
Vor mir stand der Vampir, der mich gebissen hatte. Ich hatte ihn sofort erkannt. Die helle Haut, die schwarzen zerzausten Haare, sein schmales ovales Gesicht, die perfekte Nase.
Er trug ein einfaches weißes Tshirt mit V-Ausschnitt und eine schwarze Röhrenjeans, dass seinen dünnen muskulösen Körper betonte. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, er sah verdammt gut aus.

Eine Woche hatte es gedauert, bis wir ihn gefunden hatten. Lessly hatte mit mir so ziemlich alle Vampire abgeklappert, die sie kannte. Alle waren verwundert gewesen, manche waren nett gewesen, andere unfreundlich und zurückweisend. Doch sie hatten alle eines gemeinsam – niemand wusste, wer mich geschaffen hatte. Mit jedem Besuch, der nichts gebracht hatte, wurde Lessly unruhiger. Ich hatte das leise Gefühl, dass sich mich loswerden wollte. Irgendwie konnte ich sie auch verstehen, es war sicher nicht einfach, einen jungen Vampire im Haus zu haben. Ich zerstörte Sachen, weil ich mit meiner neuen Stärke nicht zurechtkam, Ein paar Mal war ich sogar gegen die Wand gelaufen, weil ich zu schnell war. Sonst kam ich ganz gut zurecht damit, ein Vampir zu sein. Ich hatte es akzeptiert. Lessly und Lui hatten mir die Wahrheit gesagt, es stimmte, ich war ein Vampir. Und die anderen Vampire konnten mir das nur bestätigen. Ich wollte nichts mehr, als denjenigen finden, der mir das angetan hatte. Er hatte mein Leben zerstört.
Lessly hatte gleich am nächsten Tag, nachdem sie mich gefunden hatte, meine Mutter angerufen und ihr erklärt, dass ich eine schlimme Krankheit hatte und in einem Spital lag und sie nicht zu mir durfte, da sie sich sonst auch infizieren würde. Das alles klang zwar nicht sehr glaubhaft, aber meine Mutter schien es Lessly trotzdem abzukaufen. Womöglich hing das mit Lesslys riesiger Überzeugungskraft zusammen, das schien wohl eine ihrer Stärken zu sein. Trotzdem vermisste ich meine Mutter schrecklich, am liebsten wäre ich einfach wieder zu ihr zurückgegangen. Doch Lessly hatte mir eingebläut, das nicht zu tun, weil ich sie ziemlich sicher töten würde. Und ich wollte auf keinen Fall meine Mutter umbringen. Bis jetzt hatte ich keinen Menschen mehr verletzt, ich bekam von Lessly jeden Tag ein Glas Blut, das meinen Durst stillte, und ich so immer kurz unter Menschen konnte. Ich fühlte mich schrecklich gefangen unter all den Vampiren, sie waren alle so anders und kamen mir irgendwie so herzlos vor. Niemand schien sich so wirklich für mein Problem zu interessieren, sie waren zwar meistens höflich, doch die meisten Vampire, zu denen Lessly mich brachte, wirkten eher genervt als hilfsbereit. Es waren eben doch Vampire und keine Menschen.

Die Miene des Vampires hatte sich geändert, statt erstaunt sah er mich eher wütend an und seine Augen funkelten gefährlich. Seine beiden Begleiter sahen auch auf Lessly und mich herab. Genau wie der Vampir waren sie perfekt auf ihre Art.
Die junge Frau hatte langes gold-blondes Haar, eine Modelfigur, lange Beine, die in einer schwarzen Röhrenjeans steckten, dazu High Heels, oberhalb trug sie ein silbrig glänzendes Oberteil. Sie war wunderschön.
Der Mann neben ihr hatte volltattowierte Arme und Plugs. Seine Haare waren kurz geschnitten. Auf den ersten Moment wirkte er fast ein bisschen angsteinflößend.

Lessly ging selbstbewusst die Treppe des Clubs hinauf, den Vampiren entgegen. Ja, wir hatten sie in einem Club gefunden. Lui wusste, dass die Drei sich am Wochenende immer dort herumtrieben. Und sie waren sogut wie unsere letzte Chance gewesen. Lui und Lessly kannten sonst keine Vampire mehr in der Stadt.
Von Erstauntheit war nichts mehr im Gesicht des Vampirs zu erkennen, die drei Vampire musterten sie abschätzig. Lessly bliebt direkt vor ihnen stehen und baute sich vor ihnen auf.

„Jared!“, kam es kühl von Lessly.

„Lessly, was treibt dich hier her? Wie hast dus den am Türsteher vorbei geschafft?“; fragte er spöttisch und sah Lessly abwertend an, auch wenn sie sicher viel älter war als er, schien er keinen Respekt vor ihr zu haben. Er schien ungefähr im gleichen Alter wie ich zu einem Vampir geworden zu sein.
Von der Vampirin kam ein kurzes Kichern und dann wurde ihr Gesicht wieder eiskalt. Ihre Augen lagen die ganze Zeit auf mir.

„Du weißt genau, worum es geht!“, zischte Lessly ihn wütend zu. Man konnte ihr ansehen, dass sie die Vampire verachtete.

Jared hob die Augenbrauen.

„Möglicherweise …“, er deutete seinen beiden Begleitern zu warten, worauf die Blonde wütend schnaubte. Es war ihr anzusehen, dass sie eifersüchtig war. Sie warf mir noch einen furchteinflössenden Blick zu und setzte sich dann zu dem anderen Vampir auf eine Couch. Wenn Blicke töten könnten …

Jared führte uns an dem Türsteher vorbei auf die Straße. Die Musik des Clubs war kaum mehr zu hören, worüber ich sehr dankbar war, denn meine empfindlichen Ohren waren das nicht gewöhnt. Auch die vielen Menschen auf einem Haufen hatten es mir nicht gerade einfach gemacht, meinen Instinkten zu wiederstehen. Am liebsten wäre ich auf die Tanzfläche gegangen und hätte meinen immer größer werdenden Hunger gestillt. Zum Glück war die Straße fast leer. Nur ein paar Betrunkene saßen vor dem Club, doch die rochen so abstoßend nach Schweiß, Alkohol und Erbrochenem, dass ich ihnen leicht widerstehen würde können. Sonst war niemand zu sehen.

Die Laternen tauchten alles in schummriges Licht. Zum ersten Mal sah Jared mich richtig an. Und dann sah ich etwas, was mich verwirrte. Es waren seine Augen. Knallgrün. Sie passten weder zu seinem Gesicht, noch zu seinem Verhalten. Die Augen wirkten zart und sanft, fast traurig. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihm immer wieder in die Augen sah. Es passte einfach nicht zusammen. Sein Gesicht zeigte keine einzige Regung, nur Kälte, seine Augen hingegen waren so warm und schön.

„Also, was wollt ihr von mir?“, fragte er genervt und lehnte sich an die Hausmauer. Aus seiner Hosentasche holte er eine Zigarette und zündete sie an. Er zog daran und blies Lessly den Rauch provozierend ins Gesicht.
Lessly sah ihn finster an. Sie hatte sie vor ihm aufgebaut und funkelte ihn wütend an. Jared jedoch schien keine Angst vor ihr zu haben und belächelte sie nur milde.

„Du kennst Rosalie ja bereits...“

„Woher willst du das wissen?“

„Dein Blick hat dich verraten, Jared.“, also hatte auch Lessly seinen Blick gesehen, als er Carry entdeckt hatte.

Er grinste und sah zu Boden,“Wenn ihr meint..“

„Hast du denn kein schlechtes Gewissen, sie einfach so alleine zu lassen? Sie hat drei Menschen getötet! Wie kann man nur so dumm sein!“
„Brav, Rosiiiii!“, lobte er mich und grinste dabei, ich war doch kein Hund?,“ Da merkt man doch gleich, wer sie erschaffen hat.“ Lessly kochte.

„Man erschafft keine Vampire, um sie dann alleine zu lassen, man muss sich um junge Vampire kümmern. So wie du dich benimmst, steht dir das gar nicht zu! Ich finde es...“

Er fiel ihr ins Wort:“ Ach Lessly, das ist MEINE Sache, was ich tue, und nicht DEINE. Misch dich da nicht ein. Ich hab meine Gründe. Was du findest oder denkst interessiert mich überhaupt nicht. Du bist lächerlich. Du benimmst dich wie ein Mensch!“, er sprach das alles mit so einer Abscheu aus, dass Lessly zusammenzuckte. Er hatte erreicht, was er wollte. Lessly wehtun. Was für ein Idiot!

„Jared du bist …“

„Schon gut, ich weiß, wie sehr du mich liebst!“

„Kümmer dich um Rosalie. Dank dir ist sie ein Vampir. Das ist jetzt deine Aufgabe.“

„Ich will sie aber nicht.“

„Verdammt, ich kann mich um keinen jungen Vampir kümmern. Mach du das. Du bist ihr Erschaffer und nicht ich.“

„Ich kann auch wieder bei meiner Mutter leben ...“, warf ich schnell ein. Ich wollte niemandem zur Last fallen und hatte auch Angst, dass sie die beiden gleich an die Kehle gehen würden und irgendwie sagte mir mein Verstand, dass ich es nicht gerade gut haben würde, wenn ich zu Jared ziehen würde. Sehr zu mögen schien er mich ja nicht.

„Deine Mutter wird sich sicher sehr freuen, wenn du sie ihn Stücke reißt und sie zum Abendessen aussaugst...“, er redete mit mir, als wäre ich ein dummes kleines Kind. Doch er hatte Recht damit, ich war eine Gefahr für jeden Menschen, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte.
Ich sah ihn wütend an, hielt aber meinen Mund, ich war mich sicher, dass es besser wäre, wenn ich keinen Streit mit ihm anfangen würde.

„Jared, nimm sie zu dir! Wenn du es nicht tust, muss ich mit Ariane reden!“, Lessly sah Jared herausfordernd an. Er sah auf, bewegte sich aber sonst nicht und blieb cool an die Wand gelehnt stehen. Sie hatte anscheinend einen wunden Punkt getroffen.

„Das würdest du nicht tuen!“

„Und ob! Nimm sie, oder ich gehe zu Ariane!“, Jared musterte mich noch einmal von oben bis unten und seufzte dann.
Er verzog das Gesicht genervt und antwortete dann: „Nagut, dann nehm ich sie halt! Aber wehe du sagst ein Wort zu Ariane!“, fügte er grimmig hinzu. Diese Ariane schien anscheinend ziemlich gefährlich zu sein oder so und war ein gutes Druckmittel auf Jared.

„Solang du nett zu Rosalie bist, wird sie nichts erfahren!“, flötete Lessly triumphierend und lächelte breit.

„Davon hast du nichts gesagt!“, fauchte Jared und stieß sich von der Wand ab und ging wieder Richtung Clubeingang.

„Komm!“, knurrte er. Das war wohl an mich gerichtet.

„Machs gut, Rosalie! Wir sehen uns sicher bald wieder!“, Lessly lächelte mich an winkte kurz. Dann verschwand sie und ließ mich alleine mit diesem Arschloch von Vampir. Schnell rannte ich ihm hinterher, da er schon fast wieder beim Eingang des Clubs angelangt war.
„Geh nicht so schnell, wenn Menschen in der Nähe sind“, fauchte er genervt. Er dämpfte seine Zigarette aus. Wir standen vor dem Eingang des Clubs.
Plötzlich fing sein Blick meinen auf und seine knallgrünen Augen bohrten sich in meine.

„Du bist eine alte Freundin von mir, hast du verstanden? Wir haben uns ein paar Jahre nicht gesehen.. Du wohnst jetzt bei mir, weil … weil du Streit mit deinen Freunden hattest. Und kein Wort über den See, kapiert?“.Ich nickte schnell.
Er sah mich mit erhobenen Augenbrauen an.

„Kannst du überhaupt reden?“

Ich biss mir auf die Lippen. Bis jetzt hatte ich kaum ein Wort gesagt, die Angst, von ihm beschimpft zu werden war zu groß.

„Ahh … ja“

Doch er schien mir gar nicht zuzuhören und war schon wieder auf den Weg rein in den Club. Die Gerüche der Menschen strömten direkt auf mich zu, und ich hatte schon wieder Probleme, mich zurückzuhalten, mit angehaltenem Atem folgte ich Jared wieder die Treppe hoch, wo seine Freunde schon auf uns warteten.

„Jared, was soll das?“, die Blondine stand mit in die Hüften gestemmten Armen da.

Jared raufte sich die Haare und sah unschlüssig aus. Er schien sich eine gute Erklärung zu überlegen.

„Wir sind alte Freunde!“, sagte ich schnell. Die Blondine warf ihren Kopf zurück und sah mich dann angriffslustig an.

„Freunde????? Ich hab aber noch nie was von dir gehört!“, sie musterte mich wieder eingehend.

„Ich bezweifle, dass sich Jared freiwillig mit soetwas wie dir abgibt! Jared? Sie soll verschwinden. Ich finde....“

„HALT DEINEN MUND, JULIE!“, platzte es plötzlich aus Jared heraus. „Sie wohnt ab jetzt bei uns und daran wird sich auch nichts ändern!“ Julie war plötzlich zusammengezuckt und sah Jared erstaunt an. Sie war es wohl nicht gewöhnt, dass er so mir ihr umging, sie wirkte sichtlich verletzt in ihrer Ehre. Jared kochte immer noch vor Wut.

„Ich bin Manuel!“, plötzlich streckte mir der Tattowierte seine Hand hin und lächelte mich sogar an. Er hatte die Situation gerettet. Und er war der erste, der irgendwie freundlich zu mir war. Wenigstens einer!

„Ich bin Rosalie“

„Freut mich, dich kennenzulernen.“

„Und ich bin Jareds Freundin“, mischte sich Julie plötzlich ein.
Manuel grinste mich an.

„So gut, ich bring sie jetzt nach Hause, ich nehm das Auto, ihr könnt ja zu Fuß gehen!“, mischte Jared sich wieder ein. Er verabschiedete sich kurz von den beiden und ging dann aus dem Club. Ich hinter ihm her.
Er stieg in einen Porsche, der fast genau vorm Eingang geparkt war. Ich staunte nicht schlecht. Immer noch den Wagen bewundernd stieg ich ein und Jared raste davon. Er starrte die ganze Fahrt konzentriert nach vorne und würdigte mich keines Blickes. Außerdem fuhr er viel zu schnell, aber als Vampir hatte er auch viel schnellere Reflexe als ein Mensch. Aussteigen konnte ich sowieso nicht mehr also musste ich ihm einfach vertrauen, dass er keinen Unfall baute.

„Danke übrigens, dass ich bei dir wohnen darf...“, ich hatte das Gefühl, mich bei ihm bedanken zu müssen, es war ihm anzusehen, dass er sich nicht gerade darüber freute, dass ich jetzt bei ihm bleiben würde. Keine Antwort. Jareds Hand verkrampfte sich um das Lenkrad. Er sah weiter konzentriert auf die Fahrbahn.

„Glaub mir, es wäre mir tausend Mal lieber, wenn du nicht bei mir wohnen würdest.“

Wieder Stille. Ich schluckte. Jared mochte mich nicht. Nein, es kam mir fast so vor, als würde er mich hassen. Dabei war er es doch, der mich erschaffen hatte. Lessly hatte mir erzählt, dass man einen Vampir nur dadurch erschaffen konnte, wenn man ihn komplett aussaugte. Also hatte er mich absichtlich zu einem Vampir gemacht. Und dann war er verschwunden. Das verstand ich nicht. Jedoch traute ich mich nicht zu fragen, warum. Eigentlich sollte ich ihn ja hassen, er hatte mich getötet, zu einem Vampir gemacht, mir mein Leben weggenommen. Alles zerstört.
Doch ich verspürte keinen Hass auf ihn. Ich hatte in seine grünen Augen gesehen.. Ich würde ihn nie hassen können.

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Tag der Veröffentlichung: 11.07.2012

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