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Kapitel 1
>>Hast du Hunger?<<, fragt mich meine Mum genervt. Ich schüttle den Kopf und verschwinde wieder in meinem Zimmer, die Toastscheiben in meiner Hand, ich versuche, Gesprächen mit ihr so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Es hilft uns beiden nichts und ich will nicht, dass sie sich verstellt und so tut, als ob sie eine gute Mutter wäre. Das ist sie nämlich ganz und gar nicht.
Ich sperre die Tür zu meinem kleinen Zimmer zu, es besteht aus einer Matratze, einem Kasten, und sonst nur aus Müll, weil ich zu faul bin, die leeren Flaschen, Chipstüten und anderen Essensreste wegzuräumen. Ich schiebe sie von einer Ecke in die andere. Dazwischen liegen Kleidungsstücke. Die Wände habe ich mit Postern zugeklebt, damit man die kahle Wand nicht sehen muss, früher einmal war das eine Abstellkammer und meine Mutter hatte keine Lust gehabt, es nach meiner Geburt zu streichen. Ganz oben über meinem Bett ist ein kleines Fenster, durch das ein wenig Licht hereinkommt, ich öffne es nie, mich stört der abgestandene Geruch nicht, gemischt mit dem Rauch von Zigaretten. Manchmal hänge ich sogar einen Teppich vor das kleine Fenster, dass ich es nicht sehen muss. Ich hasse es. Und ich mag das Licht nicht. Viel lieber sitze ich im Dunklen und denke nach. Über meine Mutter, meine Schule, mein Leben, über alles eben. Ich bin der Meinung, das mein Leben ziemlich beschissen ist, eigentlich alles an mir. Irgendwie hasse ich mich. Aber das tun die anderen ja auch.
Ich blicke auf die Toastscheiben in meiner Hand, und versuche dabei, meinen Hunger zu unterdrücken, den Toast habe ich nur für den allerletzten Notfall geholt. Ich muss so wenig wie möglich essen. Am besten überhaupt nichts. Sonst werde ich viel zu dick. Doch jetzt kann ich meinen Hunger nicht mehr stoppen, schnell schlinge ich das harte Toastbrot hinunter, schließe die Tür eilig wieder auf und renne so schnell wie möglich ins Badezimmer. Ich stecke mir meinen Finger in den Mund, ganz weit nach hinten, es reckt mich, wie automatisch kommt mein Essen wieder hoch. Am Anfang war es viel schwerer, jetzt hat sich mein Körper schon daran gewöhnt.
Ich atme erleichert auf, alles ist wieder draußen, zurück bleibt nur der Geschmack von Toast auf meiner Zunge. Jetzt habe ich keinen Hunger mehr.
Langsam gehe ich wieder zurück in mein Zimmer. Ich bin erleichtert und glücklich, es ist wieder alles hinausgekommen, ich werde nicht zunehmen. Meine Mutter ist verschwunden, zum Glück hat sie nicht bemerkt, wie ich ins Badezimmer gerannt bin, sie würde mich sicher davon abhalten zu kotzen. Alles was auf meiner Mutter komisch wirkt, mag sie nicht, und kotzen gehört da auf jeden Fall dazu. Bis jetzt hat sie noch überhaupt nichts gemerkt. Das ist ein Vorteil, wenn man eine Mutter hat, die sich nicht um einen kümmert, sie schaut nicht, ob man genug isst, sie zwingt einen nicht zum Lernen, es ist ihr egal, wann man nach Hause kommt und ob man in der Schule war. Aber es gibt auch genug Nachteile. Manchmal wünsche ich mir, in einer normalen Familie zu leben, aber es ist mein Schicksal, so zu sein, wie ich bin. Irgendwann wird sich sicher auch alles für mich zum Guten wenden. Das ist das einzige, was mich in meinem tiefen schwarzen Loch noch aufhält, sonst wäre ich schon drinnen versunken. Klar, ich habe schon oft über Selbstmord nachgedacht, doch es gibt immer etwas, warum ich es nicht getan habe. Irgendetwas positives. Als kleines Kind waren es die zehn Euro, die mir meine Oma geschenkt hatte, als sie noch gelebt hatte, ich hatte meine Oma sehr gerne. Sie war früher die Person in meinem Leben, mit der ich über alles reden konnte, als ich acht war, war sie gestorben. Und ja, es stimmt, ich wollte mich schon mit sechs Jahren umbringen. Gleich nachdem ich das erste Mal von Suizid gehört hatte. Der Tod hatte mich schon immer fasziniert, ich habe keine Angst, zu sterben. Einmal bin ich von einem Dach gesprungen, ich habe mir aber nur den Fuß gebrochen. Als mich der Arzt fragte, warum ich das getan hatte, sagte ich, ich wollte fliegen. Da lachte er nur. Ich wusste genau, das ich, wenn ich sagen würde, ich wollte mich umbringen, in eine Psychatrie kam, und das wollte ich auf keinen Fall. Meine Mutter hatte mir viel darüber erzählt, als ich noch kleiner war. Sie war früher einmal dort gewesen. Jetzt war sie aber wieder geheilt, fanden die Leute. Mit zwölf Jahren war es der Junge in meiner Klasse, in den ich mich heimlich verliebt hatte. Meine Meine Liebe wurde nie erwiedert. Mit dreizehn waren es die Zigaretten, die ich heimlich rauchte. Mit vierzehn die Piercings, die ich mir alle selber stoch, mit fünfzehn die dunklen Clubs und Bars, in die ich mich immer schlich um Alkohol und Zigaretten von betrunkenen Leuten zu erbetteln. Es gab bis jetzt immer etwas, was mich am Leben hielt. Sonst würde ich jetzt nicht mehr leben...
Meine Mutter wollte sich zweimal mit Medikamenten umbringen, wegen Depressionen. Geschafft hatte sie es nie. Genau wie ich. Der Teufel wollte uns anscheinend noch nicht. In den Himmel würden wir nicht kommen, Suizid ist für Gott eine Sünde. Aber ich verstehe nicht, warum sich Gott in mein Leben einmischen will. Ich hätte nicht so oft Schule schwänzen sollen und in Religion aufpassen müssen. Egal, Gott war unwichtig für mich, wenn er wirklich so toll wäre, wie alle taten, würde ich nicht in dieser kleinen verdreckten Wohnung mit meiner nymphomanen Alkoholikermutter und ihrem Freund leben.

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Tag der Veröffentlichung: 07.05.2011

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