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Yana Grünzahn



Wild stoben die Schneeflocken durch die eisige Winterluft. Sie wirbelten, getrieben vom kalten Nordostwind aus Sibirien, durch Felder und Wälder und bedeckten das ganze Land mit einer weissen Decke aus gefrorenen Kristallen. Die Sonne hatte sich hinter den Wolken verkrochen und überliess die Welt den Klauen des eisigen Winters. Auch Tiere und Elfen hatten sich verkrochen. Sie lagen sicher beschützt in Höhlen von Bäumen oder der der Erde und versuchten sich den grausigen Eisfingern des Winters zu entziehen. Wer immer konnte hielt einen Winterschlaf und nur wenige Lebewesen, denen die Kälte nicht viel anhaben konnte, trauten sich am nächsten Tag nach diesem furchtbaren Schneesturm hinaus in diese sanft anmutende weisse Welt. Die Sonne erhob sich orangerosa hinter einem Turm aus Wolkenfetzen und schien golden hinein in den blassblauen Winterhimmel. Doch der goldene Schein trog. Der Atem des Eises brannte sich in den Pelz und die Federn der wenigen Tiere, die sich hinaus gewagt hatten. Irgendwo gluckte ein Schneehuhn. Im Wald war ein weisses Wiesel auf der Pirsch. Ein Schneehase schlug seine Haken über das weisse Feld um dem Fuchs zu entkommen, der seinem Sonntagsbraten hinterherjagte. Der Atem hing gefroren an Meister Reinekes grauhaariger Schnauze und keuchend hielt er nach kurzer Zeit inne. So ein alter Fuchs konnte keinen jungen flinken Hasen mehr fangen. Nach dieser Erkenntnis gab er trotz seines knurrenden Magens auf und trottete gemächlich über das weite weisse Feld in Richtung Wald. Er genoss wie die schwache Wintersonne auf seinen alten Pelz schien. Nun war er schon so alt, doch noch immer hasste und liebte er den Winter sehr.

Als er dann so am Waldrand durch den tiefen pulvrigen Schnee stapfte, da hörte er auf einmal ein feines Klingeln. Es war als ihm, als höre er ein Elfenglöcklein läuten. Doch das war unmöglich, denn die Elfen hielten ihren Winterschlaf tief im Schutze der Bäume. Doch da war es wieder. Ein feines helles „Kling – Kling – Kling“. Nun war er ganz sicher, ein alter Fuchs wie er hatte schon so viele Elfenfeste miterlebt, dass er ganz genau wusste, dass dies Elfenglockenläuten war. Schnuppernd lief er dem leisen Zauberklang nach und kämpfte sich durch das Unterholz.

Dann sah er sie. Wie ein kleiner Stern leuchtete sie, dort auf einer tiefeingeschneiten Stechpalme sass sie, auf einem grossen Schneehügel der sich festgefroren auf einem dunkelgrünen Blatt mit spitzen Dornen türmte. Zitternd wie Espenlaub hing sie inmitten der gefrorenen Schneeflocken fest und die silbernen Glöcklein an ihrem grünen Kleid bimmelten, als es sie vor Kälte so schüttelte.
„Du lieber Himmel“, rief der Fuchs aus, als er sie da so sah „wo kommst du Elfe denn um diese Jahreszeit her?“
„Lieber Fuchs“, sprach die kleine Elfe mit zitternder Stimme und Tränen liefen über ihre Wangen „bitte befrei mich aus diesem eisigen Gefängnis. Meine Flügel sind festgefroren an diesen vermaledeiten Schneeflocken.“
Da versuchte der Fuchs mit der Wärme seines Atems die zarte kleine Elfe zu befreien. Er versuchte mit der Wärme seines Herzens die Elfenflügel aus dem Eis zu befreien, doch die Kälte liess seinen Atem zu einer Brücke frieren und nun war auch er gefangen.
„Oh je“, jammerte die kleine Elfe und klapperte mit ihren Zähnchen, so dass der Fuchs die beiden grossen Schneidezähne der Elfe sehen konnte „das ist ja schrecklich. Was habe ich nur getan.“
Nun zog und zerrte der arme alte Fuchs so sehr, dass es die Stechpalme mächtig durchrüttelte und sich aller Schnee von den Blättern zu lösen begann bis er endlich freikam und der gefroren Atem klirrend auf dem Stein unter ihnen zerschellte. Dabei fiel die kleine Elfe, gefangen in den eingeeisten Schneeflocken wie sie war, als kleines Schneepaket in den Schnee am Boden neben dem Stein. Ihre Glöckchen bimmelten wie verrückt während sie fiel, als der Fuchs sich loszerrte. Dann wurde es still. Die kleine Elfe in ihrem grünen Kleid war lautlos untergegangen im Meer voller Schnee, bis der Fuchs sie sanft mit seiner Schnauze wieder herauszog. Nun nahm er sie vorsichtig in seinen Rachen auf und dort, wie in einer warmen Höhle, taute die kleine Elfe endlich wieder auf. Sie klopfte an seinen spitzen Eckzahn, als sie ihre steifen Flügel endlich wieder schlagen konnte und Meister Reineke öffnete sein Maul.
„Hab Dank mein Fuchs“, sprach die kleine Elfe als sie daraufhin hinaus und vor seine Nase flog.
Schielend lachte der Fuchs und sagte: „Wir helfen wo wir können. Aber sag mir, was du hier überhaupt machst. Du solltest doch in einer warmen Höhle deinen Winterschlaf machen, oder nicht?“
„Ach das war ein dummer Zufall. Mit meinen Schwestern schlafe ich in einer alten Eiche. Doch Sila Federbausch, meine älteste Schwester, sie ist schon über fünfhundert Jahre alt, die schnarcht in letzter Zeit so fürchterlich. Da konnte ich nicht mehr schlafen. Und als ich hinaussah, da sah ich das goldene Blinzeln der Sonne und dachte meine Zeit ist gekommen. Denn ich bin Yana Grünzahn, die Frühlingsfee. Wenn der Winter alt wird und seine eisigen Krallen zu verlieren beginnt, dann nage ich an seinem Mantel. Heimlich sanft und leise. Und mit jedem Bissen den ich nehme, verliert er an Kraft. Und aus jedem Bissen den ich so der Erde weitergebe, wachsen hunderte von neuen Knospen heran. Dann, wenn ich den Winter ganz abgenagt habe, dann explodieren die Wiesen, Felder und Wälder in zartem Grün des Frühlings und lassen alle Blüten hervorbrechen. Doch dieses Jahr bin ich ganz durcheinander gekommen wegen diesem furchtbaren Schnarchen. Ich bin viel zu früh ausgeflogen. Ich hatte schon bemerkt, dass es frostiger ist heute als die vergangenen Jahre, aber als ich zurück wollte, da war der Eingang zur Höhle schon zugefroren. Also dachte ich, dann beginne ich halt am Winter zu nagen, dann kann ich bald wieder nach Hause. Doch dann hat mich der Winter ausgetrickst und an dieses Stechpalmenblatt da oben angefroren. Ganz so als ob er mich fressen wollte, aus Rache für meine Arbeit die ich getreu der Weltenordnung jedes Jahr verrichte.“
„Dann setz dich in mein Fell hinter meinem Nacken und ich trage dich warm und sicher durch den Winter, bis er seine eisigen Klauen etwas einfährt und du dich getrost an ihn heranwagen kannst.“
Wie bedankte sich Yana Grünzahn da herzlich beim alten Fuchs und tat wie er ihr geheissen. Sie kroch in sein warmes Fell hinter seinem Nacken und gemeinsam traten sie die Reise durch die eisigkalte sonnige Winterpracht an. Der Fuchs freute sich über das fröhliche Elfenglöckchen Gebimmel das ihn nun auf seinen einsamen Wegen begleitete und über die lustigen Geschichten welche die kleine Elfe ihm erzählte.

Nun war der Winter aber ein besonders langer, einer der seine eisigen Griffe nicht von der Welt lassen wollte. Schon war es März und lange schon hätte Yana Grünzahn am Winter nagen sollen um der Welt den Frühling zu bescheren. Doch dieser Winter war zu stark. Die eisigen Winde aus Sibirien hielten an und nährten den Winter ohne Unterlass. Der Fuchs fand nur noch dank der kleinen Elfe sein Essen, denn sie konnte aufspüren was kein Tier mehr finden konnte.
„Was habe ich doch Glück, dass ich dich gerettet habe, an jenem kalten Wintermorgen“, sprach der alte Fuchs zu seiner kleinen Gefährtin „denn ohne dich wäre ich wohl in diesem langen Winter zu Grunde gegangen.“
„Lieber Fuchs, das muss wohl des Himmels Willen sein, der uns da zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweisst hat.“, sagte Yana Grünzahn nachdenklich. „Aber wir müssen etwas unternehmen. Es ist März und der Winter wird und wird nicht schmaler und schaler.“
„Dann lass uns zum alten Uhu gehen und ihn befragen“, schlug Meister Reineke vor und Yana Grünzahn liess sich gerne führen, wusste sie sich doch auch keinen anderen Rat.
Nach zwei Tagen waren sie tief im winterlichen Wald beim alten Uhu Bundschuh angekommen.
„Ich habe euch schon erwartet.“, begrüsste der weise Vogel die beiden „Auch mir geht der Winter langsam auf die Nerven.“
„Guten Tag, weiser Uhu.“, sprach Yana Grünzahn, vor seinem Schnabel herumflatternd, dass er sie nur schielend betrachten konnte.
„Sei gegrüsst kleine Frühlingselfe, die du nun schon seit Wochen darauf wartest, dass sich der Winter endlich vom Acker macht.“, strahlte der Uhu sie an. „Es sind die Menschen. Sie haben seltsame Dinge getan. Sie sind so mächtig und vor allem in der Überzahl, dass sie sogar die ewigen Dinge wie das Wetter verändern, ohne es zu beherrschen.“
Das konnte sich die kleine Elfe nun gar nicht vorstellen, dass die Menschen den Winter länger hier behalten konnten und wollten, aber wenn der Uhu das sagte, dann musste es wohl so sein.
„Aber es gibt immer eine Lösung,“ grinste der alte Uhu weise „wenn du mutig genug bist, dann kannst du den Winter künftig immer besiegen, auch dann, wenn er sich an der Menschheit rächen und darum nicht abtreten will.“
Nun war die kleine Elfe aber mehr als gespannt und auch der alte Fuchs stellte seine Lauscher auf, um genau zu hören was der Uhu da sagte.
„Du Meister Reineke, trag unsere kleine Elfe hier drei Tage nach Osten. Dort am Ufer des grossen Flusses der den Westen vom Osten trennt, dort lebt die Meisterin der Lehren. Du aber, Yana Grünzahn, wisse, dass du dich ihr ganz hingeben musst, damit sie dich erfülle mit ihren Lehren. Man wird erst später sehen, was sie damit beabsichtigt. Aber bis jetzt hat es noch immer zum Guten geführt, was sie lehrte.“
Also machten sich Fuchs und Elfe auf den Weg. Sie sass ihm im Nacken und erzählte ihm lustige Frühlingsgeschichten, damit er die Kälte unter seinen Pfoten vergessen konnte während er sie drei Tage lang nach Osten trug. Ab und zu begegneten ihnen andere Tiere. Hoch in der Luft, direkt im strahlend blauen Himmel, jagten sich drei schwarze Raben und begrüssten den Fuchs und die Elfe von oben herab. Eine kleine Maus hatte sich verirrt, denn sie suchte den Frühling und grüsste piepsend die beiden, als sie erkannte, dass der Fuchs sie nicht fressen wollte. Dennoch war Yana Grünzahn auch etwas nachdenklich geworden. Was würde sie erwarten bei der Meisterin der Lehren?

Endlich kamen die beiden hungrig und erschöpft am grossen eis- und schneebedeckten Fluss an. Sie liefen auf und ab, doch sie fanden keine Meisterin der Lehren. Erst am Abend, als sich die müde blasse Wintersonne hinter den Gipfeln der Wälder zur Ruhe bettete da erhob sie sich aus den gefrorenen Wassern des grossen Flusses.
„Seid Willkommen ihr Sucher auf der Reise“, sprach die Meisterin der Lehren, die sich als Luftgestalt vor ihnen erhob.
Ganz klein machten sich die beiden vor dieser mächtigen Kraft, die sich da vor ihnen auftat.
„Fürchte dich nicht Yana Grünzahn.“, sprach die heisskalte Luft, die sich vor ihr auftürmte, in sich einen tosenden Wasserstrudel bergend. „Wenn du in mein Wesen beisst, mit deinen beiden Frühlingszähnen, dann bekommst du die Kraft von Wasser und Luft. Das sind die Elemente aus denen die Eisklauen des Winters gemacht sind. Denn besiegen lässt er sich am Ende nur mit seiner eigenen Kraft.“
Etwas zweifelnd verliess Yana Grünzahn den schützenden Pelz ihres Freundes und flatterte zitternd und etwas ängstlich zu der seltsamen Kraft, die sich da vor ihnen erhoben hatte.
„Einfach hineinbeissen?“, fragte die kleine Elfe zweifelnd.
Die Luftgestalt voll tobender Fluten in ihrem Inneren lachte und Wasser Tröpfchen flogen durch die Luft, sie erstarrten zu winzigen Eiskristall Tröpfchen, die vor ihnen auf den weissen weichen Schnee fielen.
Also fasste Yana Grünzahn ihren ganzen Mut und biss in das seltsame Gebilde. Sie spürte wie ihre vordersten Schneidezähne entsetzlich kalt wurden und der Fuchs sah voller Staunen wie sich diese beiden Zähne grün verfärbten.
„Nun trägst du deinen Namen zu Recht!“, gluckste die Luftwassergestalt und kicherte mit einem grossen Schluckauf „Jetzt geht es dem Winter dann an den Kragen. Nun musst du nicht mehr nur den alten Winter in seinen abgetragenen Mantel beissen, jetzt kannst du ihm schon früh richtig zusetzen.“, und mit diesen Worten verschwand die Meisterin der Lehren wieder in ihrem gefrorenen Wasserreich.

Yana Grünzahn bog einen ihrer glänzenden silbern grünen Flügel herab um sich genauer darin zu betrachten und sah die beiden grünen Schneidezähne.
„Ach du lieber Himmel!“, rief die kleine Elfe aus.
Aber ihr Freund der Fuchs lachte und fand, dass ihr diese Farbe ganz ausgezeichnet stand, sehr passend zu ihrem Kleid.

Frisch gerüstet und gestärkt machten sie sich also nun auf den Weg zurück nach Hause. Der alte Fuchs trug sie wie im Flug durch die eisigkalte Winterwelt und hie und da hielten sie an, damit Yana Grünzahn ein Stück vom Winter abnagen konnte. Hier und dort biss sie ihn in seine Waden oder in die Schulter und bis sie wieder zu Hause waren, da hatte sie ihm gar arg zugesetzt. Immer mehr Löcher hatte sie hineingefressen, in die dichtgewobenen Schneedecke, den langen Mantel des Winters, und immer weiter zog er sich zurück aus Angst vor ihr. Meister Reineke lief wie der Wind, ganz so als ob er ein junger Fuchs wäre, sie flogen dahin über den schmelzenden Schnee, das tauende Eis auf Seen und Bächen während die Sonne blinzelte und ihnen bei ihrem fröhlichen Treiben zusah. Und je kleiner der Winter wurde, desto mehr neue Knospen wuchsen heran. Mit jedem Biss den Yana Grünzahn so nahm und in die Erde sinken liess, wuchsen viele hunderte Knospen des Frühlings heran.
Und als der Winter ganz klein genagt war von der kleinen Elfe Yana Grünzahn, so klein, dass er kaum mehr zu sehen war, da schossen alle kleinen grünen Blätter und Blüten aus und verjagten ihn mit seinem letzten kläglichen Aufbäumen eines kühlen Aprilsturmes. Verbannten ihn wieder tief in den Norden, dort wo das ewige Eis auf ihn wartete, bis es ihn dann im November wieder frei lassen würde, um der Welt den Frieden der Stille des ruhevollen Schnees zu bringen.

Als das zarte Grün des Frühlings mit all seinen bunten Blüten ihr fröhliches Treiben als Sieg über den Winter feierten, verabschiedete sich Yana Grünzahn von ihrem lieben Freund dem Fuchs. Sie wollte nun endlich nach Hause kehren, zu ihren Schwestern, die bestimmt schon auf sie warteten und sich Sorgen um Yana Grünzahn gemacht hatten.
„Und grüss mir Sila Federbausch ganz herzlich!“, sagte der Fuchs zum Abschied „Ich bin so froh, dass sie so schnarchte, denn ohne dich liebe Freundin, wäre ich in diesem langen kalten Winter wohl zu Tode gekommen. Doch jetzt hatte ich dank dir die schönste Zeit meines Lebens.“ Das erfreute das Herz der kleinen Elfe sehr und sie küsste ihn auf seine alte Schnauze und versprach im nächsten Winter wieder zu ihm zu kommen, auf dass sie wieder gemeinsam den Winter verjagen würden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
cover: Carolyn Pini

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