Cover


Anthologie mit zwölf märchenhaften Erzählungen voller Magie, Schicksal und Weisheit.

1. Die Blume der Khali’Ha’Shish (Blick ins Buch)
2. Die grüne Meerkatze
3. Fatima in der Zisterne
4. Selima die verzauberte Königin
5. Leylas Reise zu den Sternen
6. Yussef der Seelenfahrer
7. Die Krötentöterin Rayya
8. Die schwebende Wüste (auch hier bei Bookrix zu lesen)
9. Mirjama und der Mondkönig (auch hier bei Bookrix zu lesen)
10. Die Oase der Calandé
11. Das fliehende Glück
12. Das Heil der Samira At’tibah

In den illustrierten Märchen begeben sich die Protagonisten auf ihre Heldenreise, um zu lernen, mit ihrem Schicksal umzugehen und durch ihre Erkenntnisse Erlösung zu finden. So erfährt die entstellte Zafirah, was echte Zuneigung bedeutet, während der Pirat Yussef ernten muss, was er zeitlebens säte.

erschienen November 2011, im Re Di Roma-Verlag
ISBN 978-3-86870-396-2
Softcover, 210 Seiten
EUR 18.95 (D)

Erhältlich auch im Buchhandel und bei Amazon (mit Blick ins Buch).


Mehr Informationen auch auf meiner Autorenwebseite: www.carolyn.pini.org


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Die Blume der Khali’Ha‘Shish



Es begab sich vor einigen Jahrhunderten, in einer kleinen Stadt namens Mahui’Ahab, dass die Frau eines Töpfers in ihrem einfachen Haus niederkam. Nur selten regnete es hierzulande, aber an diesem Abend prasselte der Regen heftig auf das Holzdach ihres Hauses, während der armen Frau Schweiß von der Stirn und über die Brust lief, wie der Regen, der draußen im Sturm durch die Lüfte peitschte.
»Nur noch einmal, meine Liebe«, sprach die Hebamme und zog am kleinen Köpfchen.
Die arme geplagte Frau presste noch einmal mit aller Kraft und bat Allah und alle Geister der Elemente, das Kind endlich aus ihrem Leib zu befreien. Endlich zog die Hebamme ein letztes Mal und die Mutter hörte den erlösenden Schrei ihres kleinen Kindes. Wie kräftig diese kleinen Lungen waren. Die Hebamme nahm ein Messer und mit einem scharfen Schnitt durchtrennte sie die Nabelschnur. Nachdem sie die Enden sauber zugebunden und das Kleine gewaschen hatte, gab sie das kleine Menschlein in die Arme der Mutter. Wie aber erschrak diese, als sie die schiefen Gesichtszüge der Kleinen sah. Die ganze linke Seite schien schief an ihr herunter zu hängen. Die Hebamme beruhigte sie und begann sich um die Nachgeburt zu kümmern. Da wurde ihr aber mehr als mulmig, als sie sah, was darin gefangen war. Ein zweites Mädchen, erwürgt von seiner Nabelschnur, kam zum Vorschein. Kein Wunder, dass sie es übersehen und überhört hatte, musste sein Herz doch kurz vor der Geburt zu schlagen aufgehört haben. Die Hebamme weinte, wie sie das kleine tote Mädchen barg, und zeigte es wortlos der armen Mutter, die entsetzt ihre lebende Tochter zur Seite legte, um das tote Kind in ihren Armen zu halten. Ihr Schmerz war endlos und auch der Vater, der inzwischen herbeigeeilt war, begann zu weinen. So hielten die beiden ihr totes Kind in den Armen und trauerten um das verhinderte Leben. Indes die Hebamme das lebende Kind in Tücher hüllte und in seine Wiege legte, wo es aus Leibeskräften schrie, bis die Eltern das tote Kind zur Seite gelegt hatten.

Am Tage der Bestattung des toten Kindes wurde das überlebende Mädchen auf den Namen Zafirah getauft. Sie, die erfolgreich die schweren Stunden der Geburt überstanden und das Leben gewonnen hatte. Es war nur schwer vorstellbar, wie sich die Nabelschnur um den Hals des anderen Mädchens hatte wickeln können. Denn wer hätte schon gedacht, dass ein ungeborenes Kind einem anderen Leid zufügen könnte. Hätten die Eltern so einen Gedanken gewagt, hätten sie die kleine Zafirah wohl noch weniger beachtet, als es nun ohnehin der Fall war. Die Trauer über den Verlust des toten Kindes war bei den Eltern so übermächtig, dass sie darüber die arme Zafirah beinah gänzlich vernachlässigten. Sie wurde zwar gefüttert, gebadet und im Trockenen gehalten, aber es schien, als ob die Eltern ihre Liebe aus ihren Herzen mit ins Grab der toten Tochter gelegt hätten. Die armen Eltern verstanden es selbst nicht, aber ihnen war, als ob sie etwas Entsetzliches von Zafirah trennte. So sehr sie sich auch bemühten, die Liebe, die sie meinten für dieses ihr Kind empfinden zu müssen, stellte sich nicht ein.

So hatte Zafirah zwar erfolgreich ihre Schwester verdrängt, aber gewonnen hatte sie außer ihrem Leben wenig, für das es sich zu leben lohnte. Zafirah aber war klein und zäh. Sie aß, trank und spielte für sich alleine und wuchs und gedieh, allem zum Trotz. Ihre linke Seite blieb schief, auch ihr linker Arm und das linke Bein wuchsen krumm, dennoch begann die kleine Zafirah bald mit ihrer rechten Seite zu krabbeln und zog einfach die Linke nach sich. Sie wurde größer, aber nicht hübscher anzusehen. Auch wenn sie humpelte und der linke Arm schief herunterhing, so war sie doch von riesigem, unbändigem Lebenshunger wie nur wenige Kinder. Alles, was immer sie sah, wollte sie haben. Das war den Eltern unangenehm und ein Dorn im Auge. Sie sahen die ganze Hässlichkeit Zafirahs und forderten von ihr ein bescheidenes, zurückhaltendes Benehmen. Auf dass sie sich verhalte, wie es sich für eine hässliche und unscheinbare Person, wie sie es war, geziemte. Sie sahen nicht, wie gnädig Allah in seiner Weisheit gewesen war. Er hatte der armen Zafirah zwei Geschenke der Schönheit verliehen. Zum einen ihr wunderschönes Haar, von der Farbe des schwarzblauen Nachthimmels, das glänzte wie die reinste Seide, und zum anderen ihre schönen leuchtenden schwarzblauen Augen, die neugierig und forschend in die Welt sahen. Doch die traurigen Eltern sahen nur das Hässliche an ihr und stießen Zafirah mehr von sich, als sie sie angenommen hätten. Nur selten kämmte die Mutter ihrer Tochter die Haare oder berührte sie in irgendeiner anderen Weise. So lernte Zafirah nicht die Zärtlichkeiten und die Liebe dieser Welt kennen.

Als Zafirah so mit weniger als mehr Liebe fünf Jahre alt geworden war, schwoll der Bauch der Mutter von neuem an. Wie sehr freuten sich Vater und Mutter und sie herzten und küssten den wachsenden Bauch, mehr als sie es je mit der armen Zafirah getan hatten.
»Hier wächst dein neues Geschwisterchen heran«, erklärte der Vater Zafirah.
In der kleinen Zafirah aber begann auch etwas heranzuwachsen. Etwas das sie vergessen hatte, seit sie auf die Welt gekommen war. Sie war zu klein um zu wissen und spüren, was da in ihr heranreifte, denn sie hatte noch keinen Namen für diese Mischung aus Angst und Eifersucht, die sich da breit machte in ihr wie schon einmal vor ihrer Geburt. Als das neue Kind dann das Licht der Welt erblickte und die stolzen Eltern sahen, wie schön ihr nun drittes kleines Mädchen war, wie wohlgeformt und liebreizend, da gaben sie ihm den Namen Fatimah. All ihre Liebe, die sie so lange in der Trauer um das tote Kind vergraben hatten, schenkten sie nun diesem allerliebsten Mädchen. Zafirah sah all dem zu und in ihrem jungen Herzen erstarkte die wuchernde, alles umschlingende Pflanze des Neides und der Eifersucht.


Wie es weiter geht und endet sowie alle anderen Märchen gibt es zum Nachlesen im gedruckten Buch.

Impressum

Texte: 12 Märchen von Carolyn Pini Illustrationen von Bettina Luise Körner
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2011

Alle Rechte vorbehalten

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