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Es war heiss. Sehr heiss. Die Luft flirrte und surrte. Ich vermutete, dass jeder sie hören konnte. Und das war ungewöhnlich. Denn normalerweise war es hier in diesen Landstrichen eher kühl um diese Jahreszeit. Unter mir sah ich sattes, dichtes Grün. Bäume, Wiesen und dazwischen abgemähte Felder. Ab und zu ein kleines Gewässer und weit in der Ferne blinzelte das silberne Schillern einer Wasseroberfläche eines Sees. Sie alle lagen unter mir. Unter mir und meiner Hitze die ich mitbrachte.

Die Menschen standen auf den Strassen, vor ihren Häusern und auf den Feldern und hielten inne. Ich sah einzelne die Hand schützend über ihre Augen halten, damit sie mich besser betrachten konnten. Andere zogen ihre Jacken aus weil sie zu schwitzen begannen. Viele ausgestreckte Hände und Zeigefinger richteten sich in meine Richtung. Und die meisten Münder standen offen. So etwas hatten sie noch nicht gesehen. So etwas wie ich war mehr als ungewöhnlich. Nicht nur für diese kleinen Menschen unter mir – auch für mich.

Ich war eine Wüste. Eine kleine Wüste. Aber dafür eine schwebende Wüste. Und ich hatte mich verirrt. Nun, nicht wirklich, denn ich war auf der Suche. Aber auch auf so einer Suche konnte man sich verirren, wie ich gerade bewiesen hatte. Ich seufzte tief und sah kleine silberne Sandkörner durch die Luft nach unten fallen. Ein kleiner silberner Staubregen rieselte auf die Menschen die erstaunt ihre Hände erhoben und die Sandkörner auffingen als wären sie Schneeflocken. Ja Schneeflocken hatte ich auch schon kennengelernt auf meiner Suche. Das war vielleicht ein Theater, als ich über die schneebedeckte Tundra reiste. Dort hatten die Menschen überhaupt keine Vorstellung von einer Sandwüste, wie ich feststellen musste.

Aber wo war ich hier eigentlich? Ich war ihr gefolgt. Ihr und dem ganzen Tross der sie umgab und dann auf einmal, mitten in der Nacht hatte ich sie und ihr Gefolge verloren. Einfach so, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Ich konnte sie nicht sehen, nicht erspüren, nicht fühlen. Es war, als hätte die Erde oder das Meer sie verschluckt. Ja es muss am Meeresufer gewesen sein als ich sie verlor. Und ich suchte im Norden, im Süden, nach Osten und nach Westen. Aber ich fand sie nicht. Und auf einmal hatte ich mich verirrt. So einfach war das. Ich fand nicht einmal mehr den Ort an dem ich sie verloren hatte.

Und nun schwebte ich über diesem endlos satten Grün und die Menschen starrten mich an und mein Wüstensand regnete silbern auf sie nieder. Hätte ich Wasser in mir gehabt, ich hätte endlose Ströme von Tränen geweint. Doch so blieben mir nur heisse, silbern schimmernde Sandkörner. Ein jedes winzig klein und doch ein Universum gefüllt mit meinem Schmerz über meinen Verlust. Sollte ich weiterreisen oder sollte ich mich einfach ausruhen. Würde ich meine Geliebte je wieder finden oder war sie für immer verschwunden? Ich achtete kaum mehr auf die Menschen unter mir, die sich über die Hitze aufzuregen schienen, die ich verbreitete. Aber nach einer langen Weile lichteten die Menschenknäuel sich trotz der ungewohnten bedrohlichen Situation und sie schienen langsam wieder in ihrem eigenen Tempo, ihrer eigenen Welt zu versinken. Und ich beschloss hier zu ankern und mich meiner Trauer hinzugeben.

Es war schon so lange her. Ich musste ihr wohl durch die ganze Welt gefolgt sein, ohne sie je zu erreichen. Sie hatte mich erweckt und dann verlassen. Kaum eines Blickes schien sie mich zu würdigen und doch hatte es den Anschein, als flüchtete sie vor mir. Was hatte ich getan? Doch hätte ich es ändern können? War es wirklich mein Wille der mich so veränderte, dass ich nun frei schweben konnte. So weit entfernt von meiner Heimat, allem was mir bekannt, lieb und teuer war?

Während der helle, weisse Mond sein beinah rundes Gesicht am Horizont zeigte und lange Schatten zu mir wanderten, versank ich in Selbstmitleid und in der Vergangenheit. Dort wo alles begann. Zu jenem Tag an dem ich ein anderer wurde.

Es war ein schöner Tag. Wie jeder Tag. Die Sonne schickte ihre heissen Strahlen über den Wüstensand, liess sie wie kleine Brennlupen auf meinem silbernen Sand tanzen. Und als die Hitze des Tages sich neigte, ein ganz leichtes Rauschen durch die Palmen der Oase zu meinen Füssen fuhr, da sah ich sie zum ersten Mal.

Sie setzte ihren zierlichen Fuss, der in einer ledernen Sandale mit einer goldenen Schnalle steckte, auf meine sandige Haut. Ihr nachtblaues Gewand hinterliess mit jedem Schritt den sie auf mir ging kleine Dünenwellen die mich erschauern liessen. Jedes Sandkorn, das sie so bewegte begann sich mit Energie zu füllen. Es begann zu schwingen und leuchten und als sie ganz über mich hindurch geschritten war, zitterte ich am ganzen feinkörnigen Leib und die Wellen ergossen sich zwischen meinen einzelnen Sandkörnern und versetzte alles in mir und an mir in eine einzige grosse Schwingung. Bis sie zur Oase zurückgekehrt war, war ich hoffnungslos verloren. Alle meine Sandkörner erhoben sich, tanzten einen energetisch wilden Tanz und formierten meinen Leib neu. Sie erhoben sich und damit mich und ich begann zu schweben.

...




Dieses Märchen könnt Ihr nachlesen in der Märchesammlung »Seelen des Orient«


von Carolyn Pini www.carolyn.pini.org
Zwölf magische, fantastische Märchen wie aus 1001 Nacht mit wunderschönen Illustrationen von Bettina Luise Körner: www.artbytheweek.com

erschienen November 2011, im Re Di Roma-Verlag www.rediroma-verlag.de
ISBN 978-3-86870-396-2
Softcover, 210 Seiten
EUR 18.95 (D)

Impressum

Texte: Cover: © Bettina Luise Körner
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2009

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