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Eins

"Renn, Renn solange du kannst" hallten die Wörter hinter ihr her. Der eisige Wind in ihrem Nacken, die Schneeflocken die um sie herum flogen, der Sturm, der um sie peitschte. All das war nicht laut genug um seine Worte unhörbar zu machen. All das reichte nicht aus, den seine Stimme war kalt, so kalt das sie sich durch alles Unheil einen Weg bahnte. Ihr Herz schlug so laut, das sie hätte schwören können, es würde zerspringen. Ihr Atem war schnell, zügig, fahrig. Alles um sie war kalt, grau und undurchdringbar.

Ihre Hände zitterten von der Kälte, sie spürte ihre Finger nicht mehr. Die Schluchzer die ihr langsam aber laut entfuhren, machte ihr verschwinden nicht einfacher. Auch die umgefallenen Bäume die im weg laden, erschwerten ihr entkommen. Es war wie ein Hindernislauf. Stein für Stein, Baum für Baum umlief sie, immer den Blick auf das Ende gerichtet. Auf das helle Licht, das am Ende des Waldes auf sie wartete. Äste und Sträucher peitschten ihr ins Gesicht, ihr Schienbein war aufgerissen und etwas warmes rann ihren Unterarm entlang.

Die Hand ausgestreckt, lief sie auf die Rettung zu. Ein Schrei war zu hören. Ein lautes Krachen und sie wusste das er hinter ihr war. Seine Zischende Stimme ließ sie erzittern.

"Du rennst zu langsam, Ava. Du musst schneller sein, sonst macht das doch keinen Spaß" Sie trat noch doller in den matschigen Bode, sie versuchte noch schneller zu sein. Doch als sie seinen kalten Atem im Nacken spürte, wusste sie das sie verloren hatte.

"Ava, ich habe gesagt du sollst Rennen!" Seine Hand auf ihrer Schulter. Ihr Leben war zu ende. Sie konnte nicht schneller sein als er. Niemals. So wie er, war kein Anderer. Der letzte Atemzug den sie tun sollte. Die letzte bewegung, die sie auführen konnte. Der letzte Herzschlag, den sie hören konnte. Ein Lauter knacks. Die Hand war weg.

Der kühle Atme war verschwunden. Sie schöpfte Hoffnung. Sie blickte nicht zurück, sie sah nicht wer oder was sie gerettet hatte. Das letzte was sie hörte war dieser Schrei. Dieser Schrei der ihr durch Mag und Bein ging. Der all ihre schönen Erinnerungen auslöschte, der alles in Vergangenheit rückte. Das Licht empfing sie, wie einen alten bekannten. Die Wärme fuhr durch ihren gesamten Körper. 

Zwei

Der Morgen war sonnig, als Ava die mit Blättern bedeckte Straße entlang lief. Die Hände in den Jackentaschen, um sie vor der leichten kühle des Herbstes zu schützen und das Gesicht der Sonne zugewandt, lief sie an weißen Reihenhäusern vorbei, immer der Sonne entgegen. Obwohl sie kräftig schien, wehte eine kühle Brise, die die Blätter der Bäume weiter trieb. Scheinbar rastlos flogen sie von einem Bürgersteig zum nächsten und verloren sich in der Ferne. Die meisten Menschen schliefen noch und so war die Straße verlassen und fühlte sich dennoch durch die Blätter so belebt an. Die Fenster der Häuser am Rand waren klein wie zugekniffene Augen und nirgendwo war ein Anzeichen von Leben zu sehen. Weder in den Gärten, in denen sonst so häufig Spielsachen von Kindern lagen, noch in den Häusern. Alles wirkte friedlich und still, alles bis auf Ava. Sie knetete ihre Finger und biss sich andauernd auf ihre Lippen, die schon ganz rau waren. Sie hatte gehofft durch einen Spaziergang etwas klarere Gedanken zu bekommen und einen Plan schmieden zu können. Doch grade das schöne erfrischende Wetter, machte sie noch nervöser und planloser.

Obwohl der Tot ihrer Mutter nun 5 Jahre her war, erschien es ihr als wäre er grade erst gestern gewesen. Sie hatte sich immer gefragt warum es ihre Mutter getroffen hatte und nicht sie. Sie war es doch gewesen, die sich ihr eigenes Ende gewünscht hatte und nicht das ihrer Mutter. Eiligst zog sie ihre Hände aus den Taschen und hielt sie in den Wind um den Schmerz in ihnen zu Lindern. Sie hatte sich bei Zeiten angewöhnt die Fingernägel tief in ihre Hand zu bohren bis es weh tat, nur um zu merken das sie etwas empfand. So setzte sie einen Schritt vor den anderen, immer weiter in Richtung Ende. Nach und nach hörte sie das Meer rauschen und ihre Schritte wurden schneller, immer schneller. Sie wollte das Blau sehen, das endlos Weite, das Unerreichbare. Vorsichtig stieg sie die Dühne herauf und zog sich nach oben, bis sie das Meer endlich vor sich liegen sah. Kühle, endlose Weite spiegelte sich in ihren Augen wieder. Das Glitzern des Meeres strahlte mit der Sonne um die Wette und sie schwörte noch nie so etwas Wunderbares gesehen zu haben. Sie atmete tief ein und langsam wieder aus. Dann griff sie sachte und mit viel Überwindung in ihre Tasche und zog es hervor. Das Einzige was sie von ihrer Mutter noch hatte, das Einzige was sie wirklich von ihr bewarte, ihr Buch. Die Seiten waren schon zerfledert vom lesen und der Rücken, den Ava selbst angefertigt hatte, war zerkratzt. All das was dort drin stand war ihr von ihrer Mutter geblieben und sie verstand es immer noch nicht.

 „Der Spinnenmann mit seinen langen Fingern, der dich fängt, egal ob Tag oder Nacht. Der mit Lügen überdeckt ist, so heftig und schmerzvoll, das du die Linen auf seiner Haut erkennst. Voller schwarzer Hass und purer Bösartigkeit. Er wird mich finden, ich weiß es genau, denn er will dich kriegen. Er will alles was es gab und jemals gibt auslöschen, denn du bist der Grund für alles.“

Das Buch, oder ehr das Manuskript, bestand nur aus solchen Gedichten oder Geschichten. Ava fuhr jede Zeile mit ihrem Finger nach und versuchte es zum tausendsten Mal zu verstehen, doch es war vergebens. Behutsam deckte sie das Papier wieder zu und strich über den roten Samt. Er fühlte sich nach Jahren immer noch sanft und gemütlich an, so als wolle man in das Buch kriechen und sich nur damit zudecken. 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.02.2014

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