Es war mitten in der Nacht, als ich unsanft geweckt wurde.
Wum, wum, wum. Irgendjemand klopfte wild und laut an meine Wohnungstür.
"Stand-up, stand-up. The war starts. The war starts." Wum, wum, Wum.
"Ja, ist ja gut, bin wach." Schon hämmert er an die nächste Tür. Wum, wum, wum. "Stand-up, Stand-up. The war starts. The war starts." Wum, wum, wum.
Schlaftrunken nahm ich meinen Wecker und hielt ihn dicht vor mein Gesicht, da ich ohne Brille schlecht sehe. Drei Uhr morgens. Der spinnt ja wohl, dachte ich, und wollte mich nochmal umdrehen. Plötzlich begriff ich, lies den Wecker fallen, saß mit einem Ruck gerade und hellwach im Bett. Es war der 17.Januar 1991 und die Alliierten hatten begonnen Saddam Hussain zu bombardieren.
Als der Morgen graute, schaute ich, an meinem Kaffee nippend, aus dem Wohnzimmerfenster in Richtung Kuwait. Wir, Birgit meine Mitbewohnerinu und ich, wohnten direkt am Strand, im 12. Stock mit herrlichem Blick über das funkelnde Blau des Persischen Golfes. Nur ein paar Kilometer vom Fahrdamm nach Bahrain entfernt. An diesem Morgen war der weit im Norden liegende Horizont rot vom aufgewirbelten Sand.
Von nun ab liefen die Telefone heiß. Familienangehörige, Freunde, Bekannte wollten wissen, wie es uns geht, und was bei uns los war.
Den Rest der Tage saßen wir, in wechselnden Grüppchen, da niemand in dieser Zeit gern allein sein wollte, vor dem Fernseher. Zur Arbeit im Militärkrankenhaus Dhahran ging ich nicht, da ich Urlaub hatte und eigentlich am nächsten Tag nach Dubai fliegen wollte, aber die Zivilluftfahrt war eingestellt worden. Außerdem war bekannt, dass Militäreinrichtungen bevorzugte Angriffsziele waren. So wartete ich etwas ratlos ab.
Dann ging alles sehr schnell. Birgits Eltern wussten, aus den Abendnachrichten, dass die Direktion eines Panzerwerkes in ihrer Nähe, ihre letzten Beschäftigten aus Saudi Arabien herausflogen. Mitten in der Nacht fuhren sie zum Direktor und baten ihn ihre Tochter und eine Kollegin mitzunehmen. Der Direktor sagte sofort zu.
Am frühen Morgen bekamen wir Besuch vom zackigen Colonel A.D, der uns kurz angebunden mitteilte, wir sollten uns am nächsten Tag zum Abmarsch bereithalten. Dabei fixierte er Birgit etwas länger als nötig. Die mitgebrachten amerikanischen, olivgrünen Uniformen sollten wir anziehen, nur Handgepäck mit, ich müsste vor ihm salutieren. Argwöhnisch betrachtete Birgit die schweren Springerstiefel und zog ihr Näschen kraus.
Am nächsten Tag saßen wir in unbequemen Stühlen, über uns eine riesige Zeltplane, und harten der Dinge die da kommen würden, und sahen uns gelangweilt um. Am interessantesten war die Anzeigentafel, die uns mitteilte, wann und wohin der nächste Flug ging. Die Süßigkeiten- und Getränkeautomaten waren fast leer. Drinnen im Gebäude waren Toiletten, die ich gerne und häufig aufsuchte.
"Langweilig." Birgit hypnotisierte die Uhr, die über dem Eingang ins Flughafengebäude angebracht war, und kaute auf einer ihrer dunklen Locken herum.
"Sei froh, dass wir hier sind und bald nachhause können."
"Das Warten ist langweilig, es stinkt nach Kerosin und mir wird gleich schlecht."
"Komm, wir gehen spazieren. Da draußen steht der A.D und schaut zu uns rüber, ich glaube der steht auf dich."
"Ist mir gestern auch schon aufgefallen, deshalb brauchst du nicht zu grinsen." Angestrengt verzog Birgit ihr Gesicht.
Wir schlängelten uns durch die eng zusammengestellten Feldbetten, auf denen meist männliche Soldaten in Uniform saßen, sich unterhielten, aßen, lasen oder einfach nur schliefen.
"Meine Damen, ich habe gute Neuigkeiten. In der nächsten halben Stunde geht ein Truppentransporter nach Deutschland. Halten sie sich bereit."
"Jawohl Sir", dachte ich und mich beschlich wieder das Gefühl, salutieren und stramm stehen zu müssen. Die grotesk bemalten Flugzeuge betrachtend schlenderte ich weiter, und ließ Birgit mit dem A.D. allein zurück. Es wäre ein angenehm lauer Abend gewesen, wenn nicht diese Bedrohung in der Luft gelegen hätte.
Unerwartet über mir – eine Explosion.
Während ich überrascht nach oben schaue, renne ich, es ist mir nicht bewusst. „Was ist das? Orange- gelb, rund, mit kleinen Ausläufern, mondgroß, nein der Mond ist das nicht."
Neben mir eine unbekannte Stimme, die schreit. „Da hat einer gepennt, warum gab es keinen Alarm. Das ist eine Patriot, die eine Scud küsst."
Ich denke nichts, sondern renne, renne und renne.
Endlich erreichte ich das Gebäude, orientierungslos wirrte ich durch die mit Menschen vollgestopften Gänge. Ein Mann hyperventilierte, alle anderen Soldaten blieben erstaunlich gelassen. Jahrelange Übung, vermutete ich, während mein Herz bis zum Hals schlug.
Als die Entwarnung ertönte, machte ich mich auf die Suche nach Birgit und fand sie draußen neben dem A.D. stehend, sich Sand von der Kleidung klopfend.
Jetzt fiel es mir wieder ein, aus dem Augenwinkel hatte ich gesehen, wie der A.D. Birgit in den Sand schubste und sich schützend über sie warf.
In der Zwischenzeit liefen Piloten auf ihre Kampfflugzeuge zu, die startklar auf sie warteten, und veranstalteten ein Höllenspektakel, sodass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand.
„Meine Damen, hier habe ich etwas für Sie und ich bitte Sie es zu nehmen, vertrauen Sie mir“, brüllte der A.D. uns ins Ohr, nestelte in seiner Hemdtasche, zog ein Päckchen Beruhigungstabletten heraus und gab uns jeweils zwei, während wir in Richtung Gebäude liefen.
„Das ist genau das, was ich brauche.“ Ohne Wasser würgte ich die Pille herunter, die andere wollte ich lieber in Reserve halten. Kurze Zeit später ließ das Zittern nach.
Plötzlich fing die Alarmsirene an zu jaulen. Diesmal liefen wir unter der Aufsicht des A.D, im gesitteten Trab in den zweiten Hanger. Die Türen wurden geschlossen, wir legten uns auf den Boden und warteten. Er war unheimlich still und dunkel, nur die Flutscheinwerfer des Flugplatzes spendeten etwas Licht und tauchten den Hanger in ein unbehagliches Zwielicht. Draußen heulten die Sirenen und hier drinnen gab niemand einen Mucks von sich. Wie leise Menschen sein können, wunderte ich mich, denn hier befanden sich über hundert Personen.
Wie paralysiert lagen wir da, starrten nach oben, in diesem Moment war mir alles egal, von mir aus hätte die Decke einstürzen können, egal.
Die Entwarnung riss mich aus meinem Gedankenstrom. Wie viel Zeit vergangen war, wusste ich nicht. Mein Zeitgefühl war durcheinander. Leichtfüßig sprang der A.D. auf, gab uns die Hand und zog uns hoch.
„Meine Damen, ich bin gleich wieder zurück.“
Irgendwie hätte ich eine Verbeugung und ein schnittiges Hacken zusammenschlagen erwartet. Birgit sagte nichts mehr, ich glaube sie hat beide Pillen zusammen geschluckt.
Kurze Zeit später kam er mit der frohen Botschaft zurück, dass unser Pilot trotz allem jetzt starten würde.
Endlich saßen wir im Flugzeug und es hob ab. Wir saßen längs zur Flugrichtung an der Wand, auf Sitzen aus roten grob geflochtenen Stoffleinen. Rote Deckenleuchten und offene Rohre, aus denen Dampf kam, tauchten die Innenkabine in eine beklemmende Atmosphäre. Wir hörten gespenstischen Lärm von Kampfflugzeugen. Durch das Bullauge sahen wir in der Dunkelheit nur einzelne Positionslichter, ich sich mal näherten mal entfernten, ob Freund oder Feind konnten wir nicht erkennen. Unser Pilot flog etliche Ausweichmanöver, die unseren Mägen einiges abverlangten und ich schwor nie wieder zu fliegen.
Als wir endlich in Deutschland landeten und aus dem Flugzeug die Leiter herabkletterten, empfing uns unser Heimatland mit typischem Regenwetter. Ich schaute in den verhangenen Himmel und der Regen rann mir über mein Gesicht, und ich lächelte. Die Wüste würde ich vermissen mit dem warmen, gelben Sand, den Kamelen am Horizont, der trockenen heißen Luft, den Dünnen die wie weiche Hügel aussahen. Und die Sonne, die Sonne,die leuchtend und strahlend vom Himmel schien. Sie konnte auch unbarmherzig brennen, aber wen störte das.
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2010
Alle Rechte vorbehalten