„Wo ist Heaven?!“, schrie Caroline und starrte entsetzt auf die leere Koppel ihres weißen Hengstes. Wo konnte der Vollblüter nur stecken? „Heaven!“, rief sie und drehte sich im Kreis. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Wie vom Donner getroffen schwang sie sich auf ihr Fahrrad und fuhr los. In ein paar Metern Entfernung war eine Autobahn! Was wenn, nein…daran durfte sie jetzt nicht denken. Sie war schweißgebadet als sie an der Autobahn ankam. Und da sah sie es. Eine kleine Menschentraube hatte sich um ein am Boden liegendes Pferd versammelt. „Was ist hier los? Lassen sie mich bitte durch!“, rief sie in die Menschnetraube und bahnte sich einen Weg zu dem Pferd. Das weiße Fell war Blut überschmiert, seine Augen waren geschlossen und er atmete nicht mehr. Sie war zu spät gekommen. „Ein Lastwagen hat das Pferd angefahren, ist das dein Tier Mädchen?“, fragte ein junger Mann mitfühlend. Caro nickte und kniete sich neben dem Schimmel auf den Boden. Mit Tränen in den Augen umarmte sie seinen Hals und begann bitterlich zu weinen…
Das war vor einem Jahr gewesen. Und immer noch quälte sie der Gedanke, dass sie schuld an dem Unfall war. Hätte ich ihn bloß nicht auf die Koppel gebracht, dann wäre ihm sicher nichts passiert und wäre ich schneller gefahren, hätte ich ihn vielleicht noch retten können
, dachte sie bedrückt. Sie saß auf ihrem Bett und blickte in den Sternenhimmel. Der Vollmond hing wie eine Laterne am Himmel. „Ach Heaven“, seufzte sie und ihr kamen wieder die Tränen. Da klopfte es an ihrer Tür und sie sagte: „Herein“. Ihre Mutter trat ein. Sie hatte einen großen Teller mit Spaghetti in der Hand. „Kind, du musst was essen“, sagte sie und stellte den Teller auf ihren Schreibtisch. „Du musst was essen, das geht jetzt schon seit einem Jahr so“, sagte die Mutter kopfschüttelnd. Caroline fuhr herum. „Ja, ich kann doch nichts essen wenn ich weiß das Heaven wegen mir Tot ist!“, schrie sie ihre Mutter an. Robina, ihre Mutter, schüttelte nur traurig den Kopf. „Schatz, du bist nicht Schuld an Heaven of Hopes Tot. Der Laster ist schuld. Er hat ihn überfahren, nicht du“, meinte sie. Caroline seufzte und setzte sich an den Tisch. Ihre Mutter verschwand wieder nach in die Küche. Lustlos pickte Caro ein paar Nudeln mit den Fingern heraus. Dann ließ sie den Teller stehen und ging hinüber zum Fenster. Sie öffnete es weit und setzte sich auf das Fensterbrett. Es war nicht sehr hoch. Sie lebten im ersten Stockwerk der Mietwohnung in München. Nach Heavens Tot waren sie hierher gezogen. Vorher hatten sie in einem Haus gelebt. Und jetzt hatten ihre Eltern beschlossen dass es besser für sie wäre, wenn sie ganz aus München wegziehen würden. Doch da war sie anderer Meinung. Morgen war es allerdings schon so weit. Ihre Sachen waren schon gepackt und standen in Kisten in ihrem Zimmer herum. Seufzend kletterte sie wieder ins Zimmer und schloss das Fenster. Wenigstens zogen sie wieder aufs Land. Dort hatten sie dann ein schönes weißes Häuschen. Es hatte hellblaue Fensterläden und eine Hellblaue Eingangstür. Außerdem war genau gegenüber ein Reiterhof. Caro wollte endlich wieder reiten. Und den Schmerz vergessen. Morgen würde sie ein neues Leben anfangen, ganz ohne die schmerzhaften Gedanken an Heart. Ihr geliebtes Vollblutpferd. Mit tränen in den Augen dachte sie an den Schimmelhengst mit der schwarzen Mähne zurück. Was hatten sie doch schon alles erlebt? Sie waren über Felder galoppiert und hatten im See gebadet. Außerdem hatten sie bei einem Rennen teilgenommen. Und sie hatte jede Minute mit ihm genossen. Doch nun war alles vorbei. Sie würde nie wieder sein seidenweiches Fell unter ihren Fingern spüren. Sie würde nie wieder sein morgendliches Weckwiehern hören, das ihr sagte: „Ich habe Hunger mach mir was zu essen!“, und das alles nur wegen eines Kaputten Zaunes. Sie hasste sich dafür, dass sie den Zaun nicht gründlicher repariert hatte. Sie hasste sich auch dafür dass sie nicht schnell genug mit dem Fahrrad an der Autobahn war. Insgesamt hasste sie ihr Leben. Sie wollte nicht mehr an ihn denken müssen. Nie wieder! Sie hoffte sie würden so schnell wie möglich von hier wegziehen. Nur um alles zu vergessen…
Am nächsten Tag war es endlich soweit. Sie warf einen letzten Blick auf das Haus zurück in dem sie bis vor kurzem noch gewohnt hatte. „Auf wieder sehen, scheiß Leben“, sagte sie leise und stieg in den Vollgepackten Citrön. Nun fuhren sie endlich los. Weit weg, von der schmerzenden Erinnerung, hoffte sie. Schon wenige Stunden später parkte das Auto vor dem weißen Haus und Caro stieg aus. Sie schnappte sich zwei Taschen aus dem Kofferraum und ging nach oben. Ihr Zimmer befand sich auf der linken Seite und war bereits eingerichtet. Caro öffnete die große Tür aus Eichenholz und betrachtete ihr Zimmer. Eigentlich wollte sie die Wände vollkommen schwarz streichen. Doch durch den entsetzten Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter hatte sie es sich anders überlegt. Nun war das Zimmer tiefblau gestrichen und die Dachschräge über ihrem Bett war schwarz an ihr klebten kleine gelbe Sterne die im Dunkeln leuchteten. Caro stellte die Tasche auf den Fußboden neben den Holzschrank und seufzte laut. Dann ging sie ans Fenster. Von hier hatte einen herrlichen Ausblick auf die Koppel und sah sich gerne die Pferde an. Dabei hatte sie große Schwierigkeiten nicht an Heart zu denken. Doch ein paar Mal schaffte sie es. Nachdem sie ihrer Mutter beim Auspacken der Sachen geholfen hatte ging sie nach draußen, den schmalen Weg der ihr Haus und den Reitstall trennte entlang und direckt durch das große Holztor auf dem Stand: Beautyful Thinks. So hieß der Reitstall in dem sie bald Reiten würde. Mit langsamen Schritten ging sie über den Hof und schaute sich in ruhe um. Er war ziemlich groß. Das Stallgebäude war weiß und hatte ein rotes Dach. Die Koppel erstreckte sich über die weiten Hügel und auf ihr tobten unzählige Pferde. Daneben stand das Haupthaus mit schönen Rosenranken drum herum. Auf dem Koppelzaun saß ein Mädchen mit schwarzen Locken. Sie hatte braune Augen und strich einem schwarzen Traber sanft über die Stirn.
Anjeli sah das neue Mädchen verwirrt an das da über den Hof schlich. Es hatte schwarze Haare mit roten Strähnen darin und ein komplett schwarzes Outfit. „Schau mal Satan, was meinst du, wer das wohl ist?“, fragte sie an ihren Rappen gewandt. Der Traber stupste sie mit seinen Nüstern an als wollte er sagen: „Geh hin und frag sie“, doch Anjeli seufzte nur und stand sprang vom Zaun. Das Mädchen ging gerade in den Stall. Anjeli seufzte noch einmal, dann folgte sie dem Mädchen. Es war gerade dabei die Boxengasse abzugehen und sich die Schilder der Pferde anzusehen, die an jeder Boxentür hingen, als Anji, wie sie von allen genannt wurde, in den Stall trat. „Hallo, ich heiße Anjeli und wer bist du?“, fragte sie. Das Mädchen zuckte zusammen und drehte sich zu ihr um. „Ich, heiße Caro“, sagte es schnell und ging dann weiter. „Lonelyness?“, flüsterte sie dann leise. Anji sah sie fragend an. „Wieso habt ihr das Pferd Einsamkeit genannt?“, fragte Caro sie. „Weil er ein richtiger Außenseiter ist, er lässt niemanden an sich ran und fast sieht es so aus als würde er die Einsamkeit Lieben. Aber ich nenne ihn eigentlich immer Angelheart, weil er so ein reines Herz hat, außerdem ist er weiß wie ein Engel.“, erklärte sie ihr. „Achso“, meinte Caro nur und ging dann auf der anderen Seite wieder aus dem Stall. „Dann bis Morgen“, sagte sie und lief wieder durch das Tor nach Hause. „Komisches Mädchen“, murmelte Anji noch und ging dann wieder zur Koppel. Caro fragte sich die ganze Zeit was diese Anji von ihr gewollt hatte? Sie mochte keine Fremden, sie konnte doch nicht einfach so einer Fremden Vertrauen! Auch wenn das Mädchen mit den schwarzen Locken sehr sympathisch aussah. Und ihr Pferd sah auch nicht schlecht aus. Sie hatte nichts gegen Traber. Und schon gar nichts gegen Rappen. Seit Hearts tot mochte sie schwarz sehr gerne. Wahrscheinlich weil schwarz ein Gefühl der Sicherheit gab. Nun durchquerte sie den dunklen Wald. Es war sehr schön hier. Sie freute sich endlich von München weg zu sein. Komischerweise dachte sie hier nicht mal an Heart. Sie dachte an Lonelyness, das Pferd, von dem Anji behauptete es sei sehr scheu und ließe niemanden an sich heran. Wie es wohl aussah? Anji hatte gesagt es sei ein Schimmel. Eigentlich mochte sie Schimmel sehr gern. Aber dadurch dass er ebenfalls ein Schimmel war dachte sie wieder an Heart. Der wundervolle Schimmel mit der rabenschwarzen Mähne. Ach wie sehr vermisste sie sein helles Wiehern das sie morgens weckte. Schon wieder kamen ihr diese bescheuerten Tränen. Was sollte sie denn machen? Wieso hatte sie immer noch Tränen? Ach Heart, wenn du nur bei mir wärst
, dachte sie bedrückt. Leise schluchzend lief sie durch den Wald. Über ihr ertönte der Schrei einer Eule. Nach fast ewigen laufen unter Tränen kam sie an einen See. Er war ziemlich groß und lag genau in der Mitte des Waldes. „Man, Heart, das hier hätte dir sicher auch gefallen“, murmelte sie leise. Sie setzte sich an den Rand des Sees und blickte traurig hinein. Sie war schon ein Jahr lang unglücklich und hatte seit dem auch nicht gelächelt. Von lachen wusste sie auch nix mehr. Wie war es eigentlich zu lachen? Das hatte sie längst vergessen. Schon zu lange hatte sie nicht mehr lachen können. Aber sie wollte es auch nicht. Wozu sollte sie lachen, wenn sie ihre Freude nicht mit ihrem geliebten Pferd teilen konnte. Der See wirkte ziemlich beruhigend auf sie. Als sie aufblickte sah sie eine Geisterhafte Erscheinung. Dort drüben, am anderen Ende des Ufers stand ein Schimmel. Weiß wie Schnee, mit einer schwarzen Mähne. Er schritt mit eleganten Schritten an den See und trank ein paar Schlucke. „Heart!“, rief sie und kam sich dabei ziemlich albern vor. Das war doch niemals ihr geliebtes Pferd. Er war doch tot! Das Pferd warf erschrocken den Kopf hoch. Seine Nüstern blähten sich und es riss vor Angst die Augen auf. Dann wieherte es schrill zurück in den finsteren Wald. Caro seufzte und stand auf. Mit langsamen Schritten machte sie sich auf den Weg nach Hause. Am Haus angekommen stand Anji davor und sah sie fragend an. „Was willst du denn hier?“, fragte Caro mürrisch und ging auf das Mädchen zu. „Ich wollte nach dir sehen, ich finde du siehst sehr traurig aus.“, meinte es. „Ach lass mich bloß in Ruhe, ja!“, sagte Caro barsch und verschwand im Haus. Anji blieb bedrückt in vor der geschlossenen Tür stehen. Dann ging sie wieder. Wer weiß was sie hat
, dachte sie bedrückt und stiefelte zurück zum Reiterhof.
Es vergingen einige Tage, bis es passierte. Caro stand vor ihrem geöffneten Fenster und sah nach draußen. Der Himmel war strahlend blau und ihre Mutter war zum Einkaufen gefahren während ihr Vater zum Golf ging. Sie wollte einfach nicht mehr. Ohne ihr geliebtes Pferd konnte sie nicht weiter leben. Sie stellte sich auf das Fensterbrett und sah in die tiefe. Von hier aus würde sie nun springen. Sie holte tief Luft und starrte auf die Berge.
Anji versuchte wie jeden Morgen Angelheart auf die Koppel zu bringen. Doch der Schimmel mit der schwarzen Mähne sträubte sich sie auch nur in seine nähe zu lassen. Als sie wieder einmal versuchte nach seinem Halfter zu greifen bäumte er sich auf und preschte davon. „Scheiße!“, rief Anji wütend, schnappte sich ihr Fahrrad und fuhr dem weißen Hengst hinterher. Das Pferd lief den kleinen Weg bis zum Haus von dem traurigen Mädchen zu. Er sprang über den Garten Zaun und raste unter den Apfelbaum. Anji stieg ab und sprang ebenfalls über den Zaun. In dem Moment als sie das Pferd erreichte sprang das traurige Mädchen aus dem Fenster. Anji schrie erschrocken und erstarrte. Genau vor ihren Augen passierte das Unfassbare. Statt in wilder Panik weg zu rennen stellte sich der Schimmelhengst unter das Fenster und Caro landete mit einem gekonnten Satz auf seinen Rücken. Dann rutschte sie vom Pferd und starrte es an. „Heart, bist du des, du lebst ja, du wolltest nicht das ich sterbe stimmts. Deswegen bist du wieder unter den Lebenden“, sagte sie erfreut. Anji kam jetzt auf die beiden zu. „Heart? Von wem redest du, das ist Lonelyness. Ich nenne ihn nur manchmal Angelheart“, sagte sie immer noch erstaunt. „Was? Aber er sieht genau so aus wie mein früheres Pferd! Es hieß Heaven of Heart, ich nannte ihn immer Heart“, meinte Caro verwirrt. „Wow, das glaubt mir keiner, Lonely hat einem Mädchen das Leben gerettet“, meinte Anji und lächelte. Zum ersten mal seit einem Jahr lächelte auch Caro.
Texte: bitte keine kopien
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An mein heißgeliebten Heart