Peres lag auf einer Lichtung des Waldes und sah in den Nachthimmel. Schon seit gefühlten Stunden vertrieb er sich die Wartezeit mit dem zählen der Sterne. Als er Schritte hörte setzte er sich auf und kniff die Augen zusammen um etwas zu erkennen. Im Dunkeln erkannte er die junge Frau, sie auf ihn zuzuschweben schien, erhellte ein Lächeln seinen Blick.
„Hallo Orea“ begrüßte er sie und stand auf um sie in seine Arme zu schließen.
„Tut mir leid, dass du warten musstest, aber Vater hat aufgepasst wie ein Wachhund“. Wie jedes Mal verzauberte Oreas Stimme Peres.
„Das kennen wir ja schon“, sagte er mit einem Lächeln und setzte sich wieder auf das Leinentuch, welches er mitgebracht hatte.
„Aber jetzt bist du ja da“. Sanft legte Peres den Arm um sie und zog sie an sich.
„Lange können wir das Versteck-Spiel aber nicht mehr spielen. Vater wird bestimmt bald wieder misstrauisch“. Orea klang niedergeschlagen.
„Ich werde morgen zu ihm gehen und mit ihm reden“ sagte Peres zuversichtlich.
„Jetzt lass uns keinen Trübsal blasen, sondern unsere Zweisamkeit genießen“
„Du hast ja Recht“, stimmte Orea ihm zu und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Peres war kurz im Gedanken versunken, wie er es Oreas Vater beibringen sollte, als er etwas im Unterholz hörte. Etwas überrascht sah er zu Orea, aber sie hatte die Augen geschlossen und schien nichts bemerkt zu haben.
„Du bist das einzige für mich, das zählt“, erklang es plötzlich von Orea „Wenn mein Vater unsere Vereinigung nicht annehmen will, dann gehe ich mit dir fort“
Diese Worte kamen für Peres sehr unverhofft, aber es machte ihn stolz – stolz so eine Freundin zu haben.
„Er wird es annehmen“ sagte er zuversichtlich. Orea nickte und ließ sich auf den Rücken fallen. Peres legte sich seitlich an sie heran und streichelte ihr über den Bauch. Sanft küsste er sie, denn langsam wollte er mehr von ihr, aber er wusste, dass sie eine ehrbare junge Frau war.
Als ihm etwas in die Nase stieg, hob er den Kopf.
„Was ist das für ein Geruch?“, fragte Orea überrascht. Tatsächlich roch es noch verwesendem Fleisch.
„Ich weiß es nicht“ sagte Peres und richtete sich auf. Als er wieder ein Geräusch hörte, nahm er seinen Bogen in die Hand und sah sich um, doch es war nichts zu sehen.
„Peres, hinter dir am Waldrand“, ertönte Oreas erstickte Stimme. Geschwind drehte er sich um und hielt den Atem an. Am Rand des Waldes standen drei Wölfe. Allerdings waren es keine normalen Wölfe. Sie waren mannshoch, weiß und ihre leuchtend roten Augen durchschnitten die Dunkelheit. Als Peres den Bogen anhob, knurrten die Wölfe. Dieses Knurren kam einem Donner gleich. Das Geräusch ging Peres durch Mark und Bein. So gut es ging zielte er auf einen der Wölfe und ließ den Pfeil vom Bogen rauschen. Doch der Pfeil, der eigentlich hätte tödlich sein müssen, prallte einfach an dem Wolf ab. In Peres stieg die Panik auf und auch Orea war aufgesprungen.
„Weg hier“ sagte Peres laut, drehte sich um und rannte – rannte um sein Leben, dicht gefolgt von Orea.
Das tosende Knurren der Wölfe verfolgte sie durch den halben Wald, dann war Ruhe. Keuchend blieben beide stehen.
„Ich glaube wir haben sie abgehängt“ keuchte Peres. Orea ging zu ihm.
„Was waren das für Ungeheuer?“. Die Panik war ihr noch immer anzusehen.
„Ich weiß es nicht. Jedenfalls müssen wir ins Dorf zurück und die anderen warnen“
Dann schrie er plötzlich auf, als er einen stechenden Schmerz im Rücken spürte. Auch Orea schrie, denn ein zweiter Wolf hatte sie gepackt. Zwei weitere Wölfe stürmten auf sie zu und verbissen sich in ihnen. Wild strampelnd versuchten die beiden Elben sich zu wehren, aber gegen die weißen Wölfe waren sie aussichtslos verloren.
„Orea“ dröhnte es am darauffolgenden Morgen durch den Wald, ihr Vater war auf der Suche nach ihr. Nachdem er bei Sonnenaufgang ihr fehlen bemerkt hatte, hatte er sich direkt auf die Suche nach ihr gemacht.
Nun suchte er fast zwei Stunden nach seiner Tochter, ohne einen Anhaltspunkt wo sie sein könnte. Er trat auf die Lichtung und überquerte sie um auf der anderen Seite wieder in den Wald einzutauchen.
Wenige Atemzüge später fand er die zerfetzten Kadaver von Orea und Peres.
„Nein“ schluchzte er mit Tränen in den Augen und ging auf die Knie. Minuten der Trauer und der Fassungslosigkeit gingen ins Land, ehe er wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte. Seine Tochter war tot und das nur wegen diesem Bastard Peres. Ihm geschah es ganz Recht, dass er zerfleischt worden war. Aber seine arme Tochter? Nur weil sie sich diesen Nichtsnutz angelacht hatte, war sie tot. Immer hatte er sie vor ihm gewarnt, aber sie hatte nicht hören wollen. Stattdessen hatte sie sich ihm immer wieder widersetzt und sich aus dem Haus geschlichen. War dies nun ihre Strafe? Aber es war doch gleichzeitig eine Strafe für ihn, schließlich hatte er nun sein einziges Kind verloren. Die Fragen quälten ihn.
Als er auf die geschundenen Leichen blickte, entdeckte er etwas Seltsames. Auf beiden Körpern lagen je zehn neben einander gelegte, weiße Haare.
Sheja stand auf einen Hügel über dem Meer und starrte in den Himmel am Horizont. Zu gerne würde sie einmal über das Wasser zum Horizont reisen, aber dieser Wunsch würde sich wohl nie erfüllen. Schon als Kind hatte sie sich immer gewünscht einmal die Welt der Elben, die sich mit ihren Bergen, Wäldern und Seen über das weite Land erstreckte, zu erkunden. Doch dies war ihr bis zum heutigen Tage verwehrt geblieben. Alles, was sie bis jetzt vom Elbenland kannte, war die Umgebung des Dorfes und den Weg zur Schwester ihres Vaters.
„Sheja, dein Vater sucht dich“, erklang es hinter ihr. Ohne sich umzudrehen wusste sie, dass es Clark war.
„Ich komme gleich“, sagte Sheja und atmete die frische Meeresluft tief ein.
„Ist gut“, sagte Clark und ging wieder den Hügel hinunter zum Dorf. Clark war ein ganz besonderer Elb, zumindest für Sheja. Sie kannte ihn, seitdem sie denken konnte und schon immer war er an ihrer Seite gewesen. Ihre Eltern gingen bereits davon aus, dass sie sich später einmal vereinigen würden.
Sheja seufzte, kehrte dem Meer den Rücken und folgte Clark hinunter zum Dorf. Dort wurde sie bereits von ihrem Vater erwartet.
„Da bist du ja endlich. Wo treibst du dich nur immer rum?“. Er ließ ihr keine Zeit um auf seine Frage zu antworten, sondern fuhr direkt fort.
„Ich möchte, dass du dir dein Ross nimmst und zu deiner Tante reitest“. An seinem ernsten Tonfall erkannte sie, dass dies keine Bitte sondern ein Befehl war, der keine Rückfragen erlaubte. Ergeben nickte sie.
„Ja Vater“. Er legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und ging wortlos zurück ins Haus. Insgeheim fragte sie sich, was denn los sei. Warum schickte ihr Vater sie weg? War etwas geschehen? War er böse auf sie? Nachdenklich ging sie zum Stall und holte ihre Stute heraus. Limona war eine stolze Schimmelstute mit schönem Behang und starken Muskeln. Sanft strich Sheja über den Hals des Tieres und trenste sie auf. Das Halfter hängte sie zurück an seinen Platz. Während sie die Stute sattelte kam Clark zu ihr.
„Du willst weg?“, fragte er und die Verwunderung war ihm deutlich anzuhören.
„Vater schickt mich zu seiner Schwester“, erklärte Sheja
„Aber warum?“ Clark sah sie fragend an, aber sie konnte ihm keine genaue Antwort geben.
„Das werde ich wohl auch erst erfahren, wenn ich dort bin“. Clarks Ausdruck verhärtete sich.
„Ich komme mit“. Noch nie waren die beiden getrennt gewesen.
„Nein, Sheja wird alleine fortgehen“. Ihr Vater war hinter die beiden getreten.
„Aber…“ meldete sich Clark, doch bei dem Anblick von Etélon, Shejas Vater, verstummte er abrupt. Etélon hielt einen Leinensack und Shejas waldgrünen Umhang in den Händen. Mit einem Seufzer nahm sie ihm die Sachen ab und legte sie auf Limonas Rücken.
Sichtlich sauer ging Clark davon.
„Er wird drüber hinweg kommen“, sagte Etélon mit sanfter Stimme.
„Vater, warum muss ich fort?“ Sheja erwartete keine Antwort und bekam auch nur eine, die sich nicht zufrieden stellte.
„Es ist noch zu früh um dir dies jetzt zu erklären. Später wirst du alles verstehen“
„Was ist mit Straßendieben und Landstreichern?“ fragte Sheja voller Hoffnung, dass Clark vielleicht zu ihrem Schutz mitreiten dürfe, aber Etélon schüttelte den Kopf.
„Reite am Tag, dann wird dir niemand auflauern.“ Sheja war kurz vorm verzweifeln, aber sie wagte es nicht ihrem Vater zu widersprechen.
Tejla, ihre Mutter, trat neben Etélon und lächelte Sheja aufmunternd an. Im Blick ihrer Mutter erkannte Sheja jedoch, dass etwas nicht stimmte. Tejla trat vor und umarmte ihre Tochter
„Pass gut auf dich auf“ flüsterte sie Sheja zu und drückte sie fester an sich. Sheja überlegte ob dies nun ein Abscheid für immer war, aber das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie würde ihre Familie ganz sicher wiedersehen.
Aufmunternd lächelte sie ihre Mutter an und stieg auf den Rücken ihrer Stute.
„Wir schicken dir einen Boten, wenn du zurück kommen kannst“, sagte Tejla und tätschelte den Hals des Pferdes.
„In Ordnung. Passt auf euch auf“. Sheja murmelte etwas und die Limona setzte sich in Bewegung. Mit einem leichten Trab erreichte sie den Rand des Dorfes und musste lachen, als sie den Reiter, der dort auf etwas zu warten schien, erkannte.
„Vater hat dir doch verboten mit mir mit zu kommen“. Limona blieb neben Clarks braunem Hengst stehen und schnaubte.
„Ich lasse dich nicht alleine gehen“ sagte Clark ernst.
„Was soll ich denn ohne dich hier?“. Sheja spürte, wie sie leicht verlegen wurde.
„Komm, ehe Etélon mein Fehlen bemerkt“. Sheja nickte und setzte ihre Stute wieder in Bewegung. Schweigend ritt sie neben ihm her, immer dem Weg folgend.
Ein Pfeil sauste durch die klare Mittagsluft, verfehlte sein Ziel aber um wenige Zentimeter. Die Hirschkuh schreckte auf und sprang mit panischen Sprüngen in das dichte Unterholz.
„Verflucht“, schimpfte Kain leise. Er hatte Hunger und das war sein großes Problem, denn der Hunger ließ ihn unpräzise werden. Seit vier Tagen hatte er nun schon nichts mehr gegessen. Insgesamt war er seit einer Woche unterwegs um diese Bestien zu finden, die seinen Bruder so zugerichtet hatten. Sein Vorrat hatte allerdings nur drei Tage gereicht. Nun verfluchte er sich, weil er nicht sparsamer gewesen war.
Kain rappelte sich auf und machte sich auf die Suche nach ein paar Waldbeeren, auch wenn die seinen Hunger nicht stillen konnten. Der Elb fand erst nach langem Suchen einen Strauch mit reifen Beeren, welche er gierig pflückte. Den Geschmack der leicht säuerlichen Früchte empfing er mit großer Vorfreude, steckte aber immer nur eine in den Mund um schneller satt zu werden.
Plötzlich hörte er einen knackenden Ast hinter sich. Sofort versteckte Kain sich hinter einem Baumstamm. Waren das die Bestien?
Nach kurzem Warten erblickte er jedoch nur einen Hirsch, der stolz auf die Lichtung schritt. Direkt erkannte Kain seine Chance, woraufhin er langsam nach seinem Bogen und einen Pfeil griff. Als der Hirsch sich umsah, stoppte Kain in seiner Bewegung. Erst als das Tier den Kopf senkte bewegte er sich wieder und legte den Pfeil in die Sehne des Bogens. Langsam hob er diesen und zielte auf den Brustkorb des stolzen Tieres. Der Hirsch schien nichts von seinem nahenden Ende zu ahnen, bis er den Pfeil spürte, der sich in seine Brust bohrte. Nach einigen erschrockenen Sprüngen Richtung Wald sackte er zusammen. Erst, als die Lebensgeister aus dem Körper des Tieres gewichen waren und keine Gefahr mehr von dem mächtigen Geweih ausging, näherte Kain sich dem Leichnam.
Sein Magen überschlug sich fast vor Freude auf das bevorstehende Mahl. Auf der Lichtung entfachte er mit herumliegendem Holz, trockenem Gras, Zunder und seinen Feuersteinen ein Lagerfeuer. Aus einer nahegelegenen Quelle holte er mit seinem Reisetopf Wasser und stellte diesen in die Glut.
Während das Wasser heiß wurde, häutete er einen Teil des Körpers und schnitt sich ein großes Stück Fleisch heraus. Dieses legte er in das Wasser und streute noch etwas Gewürz, welches er in einem kleinen Döschen bei sich trug, hinein.
Auf einem Ohr war er stets wachsam, während er sein Lager aufbaute und das Fleisch im Wasser köchelte. Es roch einfach köstlich, aber er würde sich noch gedulden müssen.
Als es langsam zu dämmern begann, nahm Kain das Fleisch aus der Brühe, legte es in seine kleine Schale und schöpfte mit einer Art Löffel noch etwas Brühe hinzu. Mit dem Löffel fixierte er das Fleisch und schnitt es mit seinem Messer klein, ehe er anfing zu essen.
Mit gefülltem Magen lag er wenig später auf seinem Fell am Lagerfeuer und sah hinauf in den sternenklaren Himmel. Genauso eine Nacht war es auch gewesen, in der sein Bruder Opfer der Bestien geworden war. Er schloss die Augen und dachte an die Zeit mit seinem Bruder zurück. Als Kinder hatten sie immer miteinander gespielt und herumgetobt. Am liebsten hatten sie „Elbenfürst und Bettler“ gespielt, wobei sie abwechselnd jeder einmal der Fürst und einmal der Bettler gewesen waren.
In den darauffolgenden Jahren hatten sie nicht mehr so viel miteinander unternommen, was Kain nun ärgerte. Wie gerne würde er nochmal ein ausgiebiges Gespräch mit seinem Bruder führen, aber dafür war es nun zu spät. Leise verfluchte er die Monster. Zehn weiße Haare? Was hatte das zu bedeuten? Waren es wirklich die Dämonenwölfe aus den alten Sagen? Aber wie waren sie zurück gekehrt?
Vor vielen Jahrhunderten, so erzählte die Sage, hatte der Bruder des damaligen Elfenfürstes sich auf die dunkle Seite geschlagen. Um seinem Bruder seine Amtszeit zur Hölle zu machen, verbündete er sich mit einem dunklen Magier und erschuf gemeinsam mit ihm die weißen Dämonenwölfe. Unheimliche Wesen von unnatürlicher Größe und mit leuchtend roten Augen. Keine Waffe konnte ihnen etwas anhaben, egal welches Heer der Fürst nach ihnen ausschickte. Auf jedem Elb, der durch die weißen Dämonen den Tod fand, befanden sich, nach dem Ableben, zehn weiße Haare.
Das Volk des Fürsten litt unter ständiger Angst vor den Monstern und flehte ihren Fürsten an, etwas zu unternehmen, doch weder der Fürst, noch seine Berater wussten einen Ausweg.
Viele Schreckensjahre gingen ins Land und viele Elben wurden Opfer der weißen Wölfe. Als die Zeit des Fürsten vergangen war, trat ein Fremder an das Sterbebett und versprach dem Fürsten sein Volk von den Wölfen zu befreien.
Nach dem Ableben des Fürsten wurden auch die weißen Wölfe nie wieder gesehen. Keiner wusste, was aus ihnen oder dem Fremden geworden war. Auch der dunkle Bruder des Fürsten war verschwunden.
Wieso waren die Wölfe nun wieder aufgetaucht? Waren es überhaupt die Wölfe? Keiner hatte sie bisher gesehen – zumindest keiner der nicht den Tod gefunden hatte. Nur die geschundenen Körper und die zehn weißen Haare deuteten darauf hin. Waren es vielleicht doch nur gewöhnliche Straßendiebe, die im Schutze der Sage mordeten und als Ablenkung die Haare hinterließen?
Kains Mut sank. Hinter was war er eigentlich her? Vielleicht war er den Mördern seines Bruders schon begegnet ohne sich dessen bewusst zu sein und lief einfach nur einer Geschichte hinterher.
Von diesen Gedanken gequält legte er sich auf die Seite und versuchte etwas zu schlafen. Doch der Schlaf wollte ihn einfach nicht übermannen. Unruhig drehte er sich auf seinem Fell hin und her. Würde er die Bestien, falls es sie überhaupt gab, je aufspüren? Und was wollte er dann eigentlich tun? Mit Waffen konnte man sie ja anscheint nicht umbringen. Kain spürte, wie hoffnungslos sein Unterfangen war. Dennoch würde er nicht aufgeben.
Es verging einige Zeit, bis Clark das Schweigen brach.
„Weißt du, wieso dein Vater dich fort schickt?“, fragte er, aber Sheja schüttelte den Kopf.
„Nein, er hat mir nichts gesagt.“
„Naja, Hauptsache ich kann bei dir sein“. Sheja lächelte ihn dankbar an.
„Durch dich ist mir das Ganze auch nicht mehr so unheimlich“.
Clark sah in den Himmel, der sich langsam dunkel färbte.
„Wollen wir unser Nachtlager aufschlagen?“. Sheja wusste, dass er das Thema wechseln wollte, folgte seinem Blick und nickte.
Kurze Zeit später brannte ein helles und warmes Lagerfeuer auf einem etwas lichteren Platz zwischen den Bäumen. Sheja hatte ihren Proviant ausgepackt und teilte ihn mit Clark.
„In ein paar Tagen müssten wir ankommen, spätestens aber in einer Woche“, sagte sie nachdenklich und Clark nickte.
„Je eher wir ankommen, desto besser“.
„Ich wüsste nur gerne, was das Ganze soll. Warum schickt mein Vater mich allein auf die Reise? Warum setzt er mich dieser Gefahr aus?“.
Clark zuckte mit den Schultern.
„Ich kann es dir leider nicht sagen“. Sheja seufzte und lehnte sich gegen ihn. Lächelnd sah er zu ihr, aber sie hatte die Augen bereits geschlossen. An ihrem ruhiger werdenden Atem erkannte er ein paar Minuten später, dass die eingeschlafen war. Sanft hob er sie hoch und legte sie behutsam auf ihr Fell am Feuer.
Er selber legte sich auf sein Fell und betrachtete sie. Schon lange war er in sie verliebt, aber er traute sich nicht es ihr zu zeigen, geschweige denn es ihr zu sagen. Zu groß war seine Angst vor einer Zurückweisung ihrerseits. So genoss er ihre Nähe und gab sich damit zufrieden für sie da zu sein wenn sie ihn brauchte, bis sie auf ihn zukam. Er würde warten, bis sie soweit war, da er sie zu nichts drängen wollte.
In der Nacht wurde er durch ein Knacken geweckt und richtete sich auf. Ein fauliger Geruch, wie der von verwesendem Fleisch, lag in der Luft. Das Feuer war bereits erloschen. Als er ein Knurren hörte, entzündete er es flink mit einem Stück Zunder. In dem Moment, als die Flammen aufloderten, verstummte das Knurren.
Zwischen den Bäumen sah er ein großes weißes Tier davonlaufen. Was es gewesen war, hatte er nicht erkennen können. Das Knurren sprach für einen Wolf, aber dafür war das Tier zu groß, für einen Bären war es wiederum zu flink und einen weißen Bären hatte er hier auch noch nie gesehen.
Nachdenklich legte er Holz auf dem Feuer nach und setzte sich davor. An Schlaf war für ihn nicht mehr zu denken. Er sah zu Sheja, sie hatte nichts davon mitbekommen. Es jagte ihm einen Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte was mit ihr hätte passieren können, wäre er nicht aufgewacht. Er musste auf sie aufpassen, auch wenn das bedeutete, dass er auf dieser Reise nur sehr wenig Schlaf bekommen würde. Notfalls würde er auch für sie sterben um sie zu schützen.
Am nächsten Morgen wachte er noch immer am Feuer, als Sheja die Augen aufschlug und ihn ansah.
„Guten Morgen“, sagte sie lächelnd, streckte sich und setzte sich auf.
„Gut geschlafen?“ fragte Clark. Seine Laune hatte sich schlagartig gebessert als sie aufgewacht war. Die ganze restliche Nacht hatte er am Feuer gesessen und gegrübelt, was für ein Tier das gewesen sein konnte, aber zu einer Lösung war er nicht gekommen.
„Ja, und du?“, fragte Sheja und Clark nickte. Er wollte sie nicht anlügen, aber er wollte ihr auch keine Angst machen, also behielt er den Vorfall erst einmal für sich. Lieber sah er ihr weiter zu, wie sie friedlich schlief, statt ihr Anlass zur Sorge zu geben. Wahrscheinlich würde sich das Tier ohnehin nicht mehr blicken lassen, aber der Wald war ja auch ansonsten voller Gefahren.
„Komm, wir essen etwas, dann reiten wir weiter“. Seine Stimme war ernst und das verwunderte Sheja. So kannte sie ihn kaum, aber sie traute sich auch nicht nachzufragen. Wenn etwas wäre und er würde es ihr erzählen wollen, dann würde er das schon tun, dessen war sie sich sicher.
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Tag der Veröffentlichung: 22.01.2012
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