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Nervös stand ich am Flughafen und wartete darauf, dass das Flugzeug mit meinem Louis darin endlich landen würde. Immer wenn ich das Gefühl hatte, es seien wieder Stunden vergangen, dann sah ich auf die Anzeigetafel mit der großen Uhr, nur um dann festzustellen, dass es lediglich ein paar Minuten waren, die vergangen waren.
Der Blumenstrauß in meiner Hand wirkte unnatürlich bunt und sah, im wahrsten Sinne des Wortes, aus wie das blühende Leben. Damit bildete er vermutlich den größten Gegensatz zu dem, was mein Schatz in den letzten Monaten wieder durchgemacht hatte und ich spielte kurz mit dem Gedanken den Strauß einfach in den nächsten Mülleimer zu werfen. Letztendlich brachte ich es doch nicht übers Herz, dazu waren sie viel zu schön.

Lou war Soldat und hatte die letzten drei Monate in Afghanistan verbracht. Er hätte es nicht gemusst, aber er wollte es unbedingt, egal wie oft ich ihm gesagt hatte, dass es furchtbar werden würde und man mit Krieg keinen Frieden sichern konnte. Er wollte nicht auf mich hören und wir waren mehr oder minder in einem Streit auseinander gegangen, zumindest hatten wir kaum ein Wort gesprochen, als ich ihn zum Flughafen gefahren hatte, damit er in den Osten fliegen konnte.
Bevor er aus meinem Sichtfeld verschwunden war, hatte er mir zugewinkt und mir waren die Tränen gekommen, also hatte ich fluchtartig den Flughafen verlassen und brauchte bestimmt eine halbe Stunde, bis ich in der Lage unser Auto von dem Parkplatz zurück in unser Londoner Apartment zu lenken.
Jeden Tag hatte ich Angst um ihn, jeden Tag wartete ich darauf einen Anruf zu erhalten und man mir sagen würde, dass Louis im Kampf gefallen war. Aber er kam nicht, stattdessen erhielt ich zehn Tage nach seiner Abreise einen Brief von Louis.

Ich vermisse dich Hazza, ich vermisse dich so sehr. Du hattest Recht, es ist schrecklich hier, aber ich glaube trotzdem daran, dass unsere Arbeit etwas bewirken kann. Ich weiß, dass du anders darüber denkst.
Einmal im Monat ist es uns gestattet per Videotelefon mit der Familie und mit Zuhause zu kommunizieren. Wenn ich einen genauen Termin weiß, dann schreibe ich dir und dann können wir uns zumindest so sehen.
Glaub mir, ich warte jetzt schon wieder sehnsüchtig darauf dich nach diesen drei Monaten endlich wieder zu sehen und ich hasse mich dafür, weil wir uns vor meiner Abreise gestritten haben. Verzeih mir das.
Ich träume jede Nacht von dir und wenn ich nachts Wachdienst habe, dann sehe ich mir die Sterne an und stelle mir vor, wie du zum selben Zeitpunkt in den Himmel siehst oder nachts auf unserem Balkon stehst. Dann fühle ich mich mit dir verbunden.
Bis bald, ich vermisse dich und ich liebe dich.
Louis.



Den Brief hatte ich immer bei mir und am diesem Tag stand ich jede Nacht auf dem Balkon und beobachtete die Sterne. Tatsächlich fühlte ich mich ihm näher und seitdem schlief ich besser, auch wenn es mich traurig machte ohne ihn zu sein. Das Bett war so groß und leer ohne Louis.

Dreimal sahen wir uns über das Videotelefon und am liebsten hätte ich jedes Mal noch länger mit ihm gesprochen, aber unsere Zeit war begrenzt, also wartete ich jeden Tag darauf, dass ein Brief von ihm eintraf. Jeden einzelnen verwahrte ich in einer kleinen Schachtel neben unserem Bett und immer wenn mich die Sehnsucht überkam, wickelte ich mir eine Decke um die Schultern, setzte mich nachts auf den Balkon und las jeden Brief nochmal.


Endlich war die Maschine gelandet und ich beobachtete durch eine Glasscheibe, die die Passagiere zu dem Gepäckband strömten. Ich hielt nach Louis Ausschau, er hatte doch gesagt, dass er mit diesem Flugzeug kommen würde. Als keine Passagiere mehr aus der Tür in den Raum kamen und ich Lou immer noch nicht entdeckt hatte, bekam ich Panik. War ihm vielleicht doch etwas passiert? Am letzten Tag, bevor er zurückkommen würde?
Mühevoll unterdrückte ich die Tränen und zwang mich zur Ruhe. Erst einmal setzte ich mich auf einen der Wartesessel und atmete tief durch. Die ersten Flugreisenden passierten den Zoll, als alle weg waren, war mein Louis immer noch nicht da.
Ich besah die Blumen in meiner Hand, stand mechanisch auf und lief zu unserem Auto. Oder war es jetzt vielleicht nur noch meins? Mit brennenden Augen reihte ich mich in den zähen Londoner Verkehr ein und suchte mir einen Parkplatz, als ich das Haus erreicht hatte, in dem sich das Apartment befand. Ein leeres Apartment.

Überrascht hielt ich inne, als ich gerade den Schlüssel in das Schloss unserer Haustür stecken wollte und mir ein kleiner, roter Zettel ins Auge fiel.

Nicht aufmachen, ich hole dich.



Ich ließ die Hand mit dem Schlüssel sinken, riss den Zettel von der Tür und setzte mich auf die Stufen des Treppenhauses. Das war unverkennbar Louis Schrift, aber wie kam die an unserer Haustür, er war doch gar nicht in dem Flugzeug gewesen. Aber was auch immer der Grund war, ich hielt mich an die Anweisung und wartete artig vor der Tür, die Blumen über meine Beine gelegt.

Irgendwann hörte ich ein leises Klicken und als ich mich umdrehte, war die Tür einen kleinen Spalt breit geöffnet. Hastig sprang ich auf und hatte eigentlich erwartet, dass jemand heraus kommen würde, aber nichts geschah. Ich nahm die Blumen und stieß vorsichtig die Tür auf.
Das ganze Apartment war dunkel, lediglich die Spur aus Teelichtern beleuchtete den Flur und das Wohnzimmer, was ich von der Tür aus sehen konnte. Behutsam, um die Kerzen nicht auszupusten, trat ich in die Wohnung und schloss vorsichtig die Tür hinter mir, dabei widerstand ich der Versuchung das Licht anzumachen und laut nach jemandem zu rufen. Den Blumenstrauß legte ich auf die Kommode.

In meinem Magen kribbelte es erwartungsvoll, als ich der gelegten Spur folgte, die mich ins Wohnzimmer führte. Hinter der großen Couch sah ich einen schwachen Lichtschein und als ich das Möbelstück umrundet hatte, machte ich große Augen.
Unter einer kleinen Lampe saß eine vollkommen schwarze, kleine Katze, die mit Hilfe einer roten Leine und einem dazu passenden Katzengeschirr an Ort und Stelle gehalten wurde. Als das kleine Tier mich sah, fing es an zu mauzen und ich streckte ihm vorsichtig meine Hand entgegen. Neugierig beschnupperte das Kätzchen mich und leckte mit der rauen Zunge über meine Finger. Ich liebte Katzen und Louis wusste das.
Am Halsband der kleinen Katze hing noch ein roter Zettel und ich faltete ihn auseinander, während ich dem Kleinen die Ohren kraulte.

Hoffentlich gefällt dir dein erstes Geschenk. Komm in die Küche, aber mach das Licht nicht an.



Ich stand auf und verließ schweren Herzens das süße Kätzchen, das anfing aus der Schale mich zu schlabbern, die neben ihm stand. Nach einem letzten Blick machte ich mich auf den Weg in die Küche und versuchte dabei keine Möbelstücke zu rammen, was mir sogar gelang.
Auf der Arbeitsplatte standen wieder viele Teelichter und eine Platte, auf der sich ein Kuchen befand, der die Form eines Herzes hatte. Mit roten Zuckerguss hatte jemand ‚Ich love you‘ darauf geschrieben und daneben stand ein Bild von mir und Louis aus unserem letzten Urlaub. Ich hatte meinen Arm um seine Taille gelegt und der Braunhaarige den Kopf auf meine Schulter. Glücklich lächelten wir in die Kamera.
Ich fand wieder einen dieser roten Zettel und klappte ihn mit zitternden Fingern auf, weil ich so gerührt war. Louis war einfach wahnsinnig.

Den Kuchen können wir später essen, findest du nicht auch? Magst du ins Schlafzimmer kommen? Du brauchst viel zu lange und ich vermisse dich.



So schnell wie ich konnte und mir das in der Dunkelheit möglich war, sprintete ich durch den Flur zu unserem Schlafzimmer. Auch diese Tür war nur angelehnt und ich stieß sich auf, langsam und mit einem leisen quietschen öffnete sie sich und es verschlug mir die Sprache, als ich den Raum sah.
Louis musste ewig gebraucht haben, um all diese Kerzen aufzustellen und anzuzünden. Ab jedem erdenklichen Platz stand ein Teelicht und der Raum erstrahlte in einem warmen Licht. Leise Musik hatte eingesetzt, sobald ich einen Blick in den Raum geworfen hatte und auf dem Bett saß, zwischen tausenden von Blütenblättern, Louis, mein Louis.
Er lächelte, als er mein sprachloses Gesicht sah und stand auf. „Ich hab dich vermisst Hazza.“, murmelte er und zog mich in eine Umarmung. Ich brauchte einen Moment, bis ich endlich reagierte, aber dann schlang ich meine Arme um seinen Hals und drückte ihn fest an mich. Gierig zog ich den vertrauten Duft wieder ein und mein Herz pochte vor Glück und ich konnte es nicht fassen, meinen Lou endlich wieder in Arm zu halten.

„Du…wo warst du? Ich war am Flughafen und du bist nicht gekommen und ich dachte dir wäre etwas passiert…du hast mich einen verdammten Schrecken eingejagt!“, rügte ich ihn, als mir wieder einfiel, wie verzweifelt ich zuvor gewesen war. „Es tut mir leid, aber ich wollte dich überraschen und irgendwie musste ich dich ja aus der Wohnung bekommen. Ich bin schon vor zwei Tagen gelandet und hab in einem Hotel gewohnt, damit ich alles organisieren konnte. Verzeihst du mir?“ Sanft nahm Louis mein Gesicht zwischen seine Hände und sah mich liebevoll an.
„Als ob ich das nicht könnte! Das alles ist wundervoll.“ Ich machte eine ausladende Handbewegung und Louis lächelte. „Das freut mich.“ Sanft legte er seine Lippen auf meine und ich seufzte auf. Ich hatte ihn wieder.


„Gefällt dir dein Geschenk, also das erste?“ Wir lagen in unserem Bett, die Kerzen waren zum Teil erloschen, nur der Mond schien durch das Fenster.
„Das Kätzchen? Auf jeden Fall, du weißt doch, wie sehr ich sie liebe. Vielleicht sollten wir es auch mal abbinden und herholen.“ Louis kicherte leise und ich stand auf, um das kleine Tier aus dem Wohnzimmer zu holen. Es hatte sich unter der Lampe zusammengerollt und schlief, blinzelte mich aber an, als ich mich vor es kniete.
„Na du?“, fragte ich leise und öffnete das Geschirr von dem zarten Körper, bevor ich das schwarze Fellknäul hochhob und ins Schlafzimmer trug. Kaum lag ich im Bett, wuselte das keine Tier umher und leckte erst mir und dann Louis über das Gesicht.
„Gott, es ist einfach so niedlich!“, schwärmte ich und klaute das Kätzchen, das auf den Rücken zwischen uns lag und alle vier Pfoten von sich gestreckt hatte, am Bauch. „Wie willst du den kleinen Kater nennen?“, fragte Louis und sah mich fragend an.
„Ich weiß nicht.“ Ich machte ein nachdenkliches Gesicht. „Nero?“ Louis nickte begeistert und beugte sich zu mir herüber, um mich zu küssen. „Das ist ein toller Name. Er ist dann für dich da, wenn ich es nicht sein kann.“
Erschrocken sah ich meinen Freund an. „Aber…heißt das, dass du wieder in den Osten fliegst und ich die wieder drei Monate nicht sehe und Angst um…“ Er legte mir einen Finger auf die Lippen uns stoppte meinen Redefluss. „Psst. Nein, das bedeutet, dass es sein kann, dass ich mal für ein Seminar für ein oder zwei Tage verreisen muss. Ich hab mich an der Uni eingeschrieben und mache in zwei Monaten das, was icheigentlich schon immer machen wollte. Lehrer für Englisch und Dramaturgie werden. Du hattest Recht, durch Krieg und Kämpfe kann man keinen Frieden bringen. Die Zeit da unten war furchtbar. Ich habe Menschen sterben sehen und das will ich mir nicht nochmal antun. Und ich will nicht, dass du jeden Tag Angst um mein Leben haben musst, ich will nicht, dass du leidest.“
Protestierend mauzte Nero auf und verzog sich ans Fußende des Bettes, als ich dem Braunhaarigen freudig um den Hals fiel, zumindest soweit mir das im Liegen möglich war. Wir lachten beide auf und ich vergrub mein Gesicht anschließend in der Halsbeuge meines Freundes. „Du weißt nicht, wie glücklich du mich damit machst.“, nuschelte ich und er küsste meine Schläfe. „Ich kann es mir so ungefähr vorstellen.“, antwortete Louis und ich hörte, dass er lächelte.
„Wir werden dann erstmal weniger Geld haben aber…“ „Es ist mir egal wie viel Geld wir haben, solange du nicht mehr zurück gehst und bei mir bleibst.“, unterbrach ich dies Mal den Älteren und sah ihn an. „Und wenn wir die Wohnung verkaufen müssen, dann ist mir das auch egal, Hauptsache du begibst dich nicht länger in Gefahr.“ „Keine Sorge.“, versicherte Louis mir und strich mir ein paar Locken aus dem Gesicht. „Ich verlass dich nicht mehr.“

„Lou, weißt du was?“
„Was denn?“
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch Harry, mehr als alles andere.“
Zufrieden kuschelte ich mich an die starke Brust meines Freundes, der seine Arme um mich schlang. Nero lag am Fußende des Bettes und schnurrte schlafend vor sich hin und schläferte mich damit ein.
Jetzt war das Bett nicht mehr so groß und verlassen und ich brauchte mich nicht mehr einsam fühlen und die Nächte auf dem Balkon verbringen, den Lou würde immer bei mir bleiben.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
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Tag der Veröffentlichung: 23.02.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die, die jemanden vermissen und für die, die jemanden im Krieg verloren haben. Für die, die jeden Tag ihr Leben gefährden um andere zu retten und für die, die diesen Druck irgendwann nicht mehr aushalten.

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