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Das Gefühl über neues, glattes, unberührtes Eis zu gleiten, immer schneller zu werden und in einer Kurve scharf zu bremsen, war unbeschreiblich. Ich liebte das Eislaufen, nicht als Leistungssport sondern einfach so zwischendurch, mein Onkel war Verwalter einer Eishalle, sodass ich die Möglichkeit hatte auch außerhalb der Öffnungszeiten zu fahren.
Meistens fuhr ich jedoch, wenn die Eishalle geöffnet war, dabei kam ich auch mit Leuten ins Gespräch oder fand jemanden, der genauso leidenschaftlich gern fuhr wie ich. Eben so jemand war Fiete. Ich hatte ihn vor ein paar Wochen kennen gelernt, als er mit ein paar Freunden auf der Eisbahn war und wir uns dabei fast über den Haufen gefahren hätten. Dabei war nicht wirklich klar gewesen wer von uns beiden eigentlich Schuld war und wir hatten uns ein paar Wettfahrten geliefert, der Verlierer war schuld und musste dem Gewinner außerdem etwas ausgeben. Ich hatte gewonnen. Seitdem traf ich ihn ab und an in der Eishalle an und wir plauderten ein bisschen, meistens jedoch versuchten wir zu beweisen, wer von uns beiden der bessere Fahrer war.


„Shiro!“ Ich sah mich in der Halle um und entdeckte Fiete, der ganz oben auf einer Tribüne saß und mir übertrieben stark zuwinkte. Ich kraxelte mit meinen Schlittschuhen den Weg nach oben und setzte mich auf die Holzbank. „Ich hab dich gar nicht vor der Halle warten sehen und die haben doch gerade erst aufgemacht, warum bist du schon drin?“, fragte er neugierig und zog die Schnürsenkel seines Schlittschuhs fest. „Mein Onkel ist Verwalter, ich komm hier auch so rein.“, erklärte ich knapp und der große Braunhaarige sah mich mit großen Augen an. „Wirklich? Warum hast du das denn nicht mal früher gesagt? Dann könnten wir uns doch viel bessere Wettrennen liefern!“ Er stand auf und fuchtelte wild mit den Armen. „Ich weiß, aber es ist eigentlich gar nicht erlaubt außerhalb der Öffnungszeiten zu fahren und ich darf das eigentlich auch nicht und wenn dann was passiert…“ „Ach komm schon, sei doch mal ein bisschen risikofreudig!“, unterbrach Fiete mich einfach und stakste die Treppe nach unten, ich folgte ihm.
„Wie wär’s? Morgen treffen wir uns einfach eine Stunde bevor die Halle aufmacht und dann laufen wir um die Wette und wenn ich gewinne, dann fahren wir öfter außerhalb der Zeiten und wenn du gewinnst, dann wird das morgen mein erstes und letztes Mal.“ Er hielt mir seine Hand hin, ich zögerte. Ich war kein Feigling, aber hier stand, wenn etwas passierte, der Job meines Onkels auf dem Spiel. Möglicherweise schlug ich Fiete aber, dann hatte sich das Thema zumindest für alle Zeit erledigt.
Zweifelnd ergriff ich seine Hand und brachte Fiete damit zum Grinsen. „Gute Entscheidung. Mach dich auf was gefasst!“


„Okay, drei Runden warm laufen. Dann die Mitte entlang bis zum anderen Ende und dann du links und ich rechts an der Wand zurück zum Startpunkt.“, erklärte Fiete seinen Plan und ich nickte. „Ach und noch was. Der Verlierer bezahlt die Kinokarte des anderen, den es kommt ein guter Film und ich finde, den sollten wir zusammen gucken.“ Lachend legte ich meine Jacke über die Bande der Eisbahn. „Gut, dass du das einfach so entscheidest. Aber okay.“ Wir schlugen noch einmal ein und machten uns dann auf den Weg zu unseren Aufwärmrunden.

„Bereit?“ Ich nickte meinem Gegner zu und stellte mich in Position. „Auf die Plätze. Fertig. Los.“ So schnell ich konnte, versuchte ich loszufahren, Fiete und ich befanden uns ungefähr auf einer Höhe, als wir an der Stelle ankamen, an der wir wenden mussten, damit wir nicht gegen die Bande fuhren. Wir bogen ziemlich gleichzeitig in unsere jeweilige Richtung ab und ich war davon überzeugt, dass meine Wendung wirklich gut geklappt hatte, als ich mit einem Fuß wegrutschte und gegen den anderen stieß, ins Straucheln kam und schließlich in voller Geschwindigkeit auf das Eis krachte.

„Shiro!“ Benommen richtete ich mich auf und blinzelte, verschwommen erschien Fiete vor meinen Augen, er kniete auf dem Eis und sah mich besorgt an. Mein Schädel brummte ziemlich heftig und als ich versuchte aufzustehen, rutschte ich mit dem Fuß weg, dieser tat höllisch weh. „Hast du dir wehgetan Bist du verletzt?“ „Mein Kopf tut weh und ich glaube ich hab mir den Fuß gestaucht oder gebrochen oder so.“ Vorsichtig löste ich die Schnürsenkel und verzog schmerzhaft das Gesicht, als ich mir den Schlittschuh auszog. Als ich meine Socke von meinem Fuß streifte, sah ich, dass dieser angeschwollen und leicht bläulich war.
„Das sieht aber gar nicht gut aus. Versuch doch mal bis zur Bande zu robben und dann helfe ich dir beim Aufstehen.“, schlug Fiete vor. Mit Schmerzen robbte ich also zum Rand, Fiete nahm meine Sachen und half mir dann zumindest mich aufzurichten, damit ich mit meinem Körper vom Eis runter kam. Auf einem Bein stand ich da und betrachtete von Oben meinen Fuß.
„Du solltest damit zum Arzt fahren. Ich komm auch mit, es ist ja schon irgendwie meine Schuld, wenn ich dich nicht überredet hätte, dann…“ „Nichts dann, wenn ich mich bei der Wendung nicht so dumm angestellt hätte, dann hätten wir den Salat jetzt nicht. Kannst du mir zum Ausgang helfen?“
Auf die Bande und auf Fiete gestützt, humpelte ich zum Ausgang, dort zog ich mir den zweiten Schlittschuh aus, schlüpfte in meine Winterschuhe und zog mir meine Socke wieder über den verletzten Fuß.
Große Klasse, dieser Winter war definitiv für mich gelaufen. Was auch immer ich hatte, damit konnte ich wohl eine Weile nicht mehr fahren. Warum musste ich mich auch immer auf so einen Mist einlassen? Es war bestimmt nicht Fietes Schuld, oder nicht nur. Leider schien er das nicht so zu sehen, so bedröppelt, wie er neben mir stand und mich mitleidig ansah.


„Hallo. Ich wollte Shiro besuchen.“ Ich hatte die Klingel gehört und kurz darauf Fietes Stimme. Dieser spazierte kurz darauf in mein Zimmer. Seit meinem Unfall waren zwei Tage vergangen und ich lag mit einem Gips in meinem Bett und las ein Buch.
„Wie geht’s dir?“, fragte der Braunhaarige schuldbewusst und stand etwas verloren in meinem Zimmer. „Es geht so, mein Fuß ist gebrochen. Keine Ahnung, wann ich wieder fahren kann.“, berichtete ich und versuchte mich an einem Lächeln. „Hör bloß auf dich dafür verantwortlich zu machen, du kannst nichts dafür oder zumindest nicht mehr als ich. Letztendlich war es mein Fehler.“, setzte ich noch hinterher und deutete auf das Fußende meines Bettes. „Setz dich.“ Fiete zog seine Jacke aus und setzte sich tatsächlich, mitleidig sah er meinen Fuß an.
„Ich dachte mir, wenn du kannst und Lust hast, dann könnten wir ja trotzdem ins Kino gehen. Ich bezahle, ist mir egal, ob du das willst oder nicht, aber ich fühl mich schuldig und dann will ich zumindest was tun, was dich von deinem Schmerz ablenkt.“, schlug er vor und es klang nicht so, als könnte ich ihn umstimmen. „Na schön, wenn das dein Gewissen beruhigt. Wann fängt der Film denn an?“, gab ich mich geschlagen und der Größere lächelte. „In einer Stunde.“ Ich erhob mich und griff nach den Krücken neben meinem Bett, dann humpelte ich zu meinem Schrank, um eine Jeans hervor zu kramen.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2012

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