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Ich stand vor unserem Stammhotel und fror erbärmlich. Der Schnee blieb in meinen Haaren hängen und fiel in meinen Nacken, verärgert zog ich meine Jacke enger um mich und schob die Hände tief in meine Hosentaschen. Auf der Straße und in allen Geschäften hing Weihnachtsdekoration, überall leuchteten bunte Lichter und egal wo man hinging, man wurde von Weihnachtsmusik berieselt.
Für einen kurzen Moment zog sich mein Herz zusammen. Ich hatte schon lange kein Weihnachten mehr gefeiert, mit wem auch? Ich lebte alleine in dieser großen Stadt in meiner kleinen, schäbigen Wohnung, kannte kaum jemanden, nur meine Kunden, Familienväter, die ihre Neigungen vor eben diesen verborgen hielten, angesehene Angestellte in großen Firmen, die es sich nicht leisten konnten öffentlich zu sagen, dass sie auf Kerle standen. Dafür war ich da, damit verdiente ich mein Geld und es reichte, damit ich davon leben und studieren konnte. Freunde hatte ich trotzdem keine. Dafür war ich unabhängig, ich brauchte niemanden.

Manch ein Kunde versuchte mir zu erzählen, er würde mich lieben, er wolle mir ein besseres Leben ermöglichen, ich sollte doch zu ihm ziehen. Das war nur leeres Gerede, sie fuhren lediglich darauf ab, was ich tat und vielleicht auch noch auf meinen Körper und mein Gesicht, mein Kapital eben. In diesem Geschäft gab es keine Liebe, keine Gefühle, nur die reine, körperliche Befriedigung.
In letzter Zeit hatte sich etwas verändert. Ich traf einen Kunden viel öfter als sonst und auch öfter als alle anderen. Noah. Der Name hatte einen schönen Klang, fand ich. Er war auch sonst ein sehr schöner Mann, groß, dunkelhaarig, trainiert, keine übertriebenen Muskeln, aber ein breites Kreuz, ein Beschützer-Typ. Außerdem war er mit seinen 24 Jahren nur drei Jahre älter als ich, das war selten, die meisten meiner Kunden waren über 40, oder noch älter.
Alles an dem, was Noah und mich irgendwie verband, war seltsam oder selten. Für gewöhnlich küsste ich nicht, das waren unnötige Zärtlichkeiten, Noah hatte mich geküsst und ich hatte es zugelassen. Inzwischen gehörte es dazu, aber nur bei Noah, sonst nicht. Außerdem redeten wir. Sonst klärte ich nur das Geschäftliche, das war’s, zum Reden war auch meistens keine Zeit und es interessierte mich für gewöhnlich nicht, was meine Kunden zu sagen hatten. Aber Noah, dem hörte ich gerne zu, seine Stimme hatte einen schönen Klang und er schaffte es sogar, mich zum Lachen zu bringen. Einmal, da hatte er mich angerufen und mich gebeten zu einem Café zu kommen und wir verbrachten eine Stunde dort und redeten, oder besser gesagt, er redete und ich hörte zu. Weil ich deswegen einen anderen Job absagen musste, hatte er mich sogar bezahlt. Ich traf mich sonst nie woanders, als in einem Hotel und vor allem nicht zum Reden.
So gesehen, war Noah wirklich etwas Besonders und auch der einzige, der mich jemals warm und freundlich, ohne Hintergedanken, angelächelt hatte.


„Tut mir leid, dass ich etwas spät dran bin, aber ich musste noch etwas erledigen.“, riss Noah mich aus meinen Gedanken und legte seine Arme um mich. „Ich hoffe, ich hab dich nicht zu lange warten lassen.“ Und wieder dieses schöne Lächeln. „Kein Problem.“, murmelte ich und zog die Hoteltür auf. Im Eingang stand ein riesiger Tannenbaum, über und über geschmückt mit roten und goldenen Kugeln und Bändern, wirklich schön. Auch sonst standen überall weihnachtliche Dekoartikel und mich überkam die Sehnsucht nach einem Weihnachtsfest. Schnell schüttelte ich den Kopf und ging zur Rezeption, holte den Schlüssel, dann folgte Noah mir in eine der oberen Etagen.

„Freust du dich denn schon auf morgen? Da ist immerhin Heiligabend.“ Der Ältere lächelte wieder sanft und ich schüttelte bestimmend den Kopf. „Ich feiere kein Weihnachten.“, antwortete ich schlicht und hängte meine nasse Jacke an den Garderobenhaken. „Nicht? Warum nicht?“ „Das ist unwichtig.“, beendete ich das Thema und setzte mich auf das Bett, zog mir die Schuhe von den Füßen. „Na schön.“ Noah stellte sich vor mich und nahm mein Gesicht in seine Hände, dann neigte er sich zu mir und küsste mich kurz. „Wenn du nicht darüber reden willst, ist es auch okay.“


Ich stand unter der Dusche und wusch mir die Spuren vom Körper. Irgendwie war selbst das mit Noah anders, außerdem wusste ich, dass er auf mich warten würde. Normalerweise bestand ich darauf, dass meine Kunden verschwanden, während ich duschte, aber Noah wartete immer auf mich und ich fand das überhaupt nicht schlimm.
Mein Lohn lag auf dem kleinen Schränkchen neben der Eingangstür und ich steckte das Geld in meine Tasche, ehe wir das Zimmer wieder verließen.

„Auch wenn du Weihnachten nicht feierst, dann nimm das trotzdem, aber erst morgen aufmachen.“ Noah reichte mir einen roten Umschlag mit goldener Schleife und umarmte mich noch einmal, ehe er winkend die Straße entlang ging, in dem dichten Schneetreiben konnte ich ihn schon bald nicht mehr sehen. Irritiert sah ich auf den Umschlag. Ein Weihnachtsgeschenk? Für mich? Ich war ziemlich neugierig, aber wenn er sagte, ich solle erst am nächsten Tag hinein sehen, dann würde ich das auch tun.

Zurück in meiner kalten, tristen und leeren Wohnung, legte ich den Umschlag auf meinen kleinen Couchtisch und starrte eine Weile darauf, wiederstand aber der Versuchung ihn zu öffnen.
Ich fragte mich, was darin sein könnte und gleichzeitig, warum mir ein Kunde, auch wenn es Noah war, mir überhaupt etwas zu Weihnachten schenkte.

Ich kochte mir etwas zu essen und versuchte nicht mehr an den Brief zu denken, aber selbst als ich später in meinem Bett lag, ging er mir nicht aus dem Kopf. Genauso wenig wie Noah, aber den musste ich sowieso ständig denken.


Der nächste Tag begann wie jeder andere auch. Ich stand auf, duschte, kochte Kaffee und setzte mich mit meinem Frühstück in die Küche und sah gelangweilt aus dem Fenster, darauf wartend, dass mich ein Kunde anrufen würde. Das Radio lief und der Moderator wünschte allen Hörern einen schönen Heiligabend. Schlagartig fiel mir der Brief wieder ein und ich lief ins Wohnzimmer, er lag noch immer auf meinem Tisch. Vorsichtig nahm ich ihn hoch und löste das goldene Band, öffnete den Umschlag und zog einen Brief heraus, dieser roch leicht nach Noah.

Lieber Manu,

Heute ist Weihnachten und ich denke, wir wollen beide nicht allein feiern, denn dann ist es kein Weihnachten. Ich möchte dich gern zu mir nach Hause einladen, dafür hole ich dich am Café ab. Um 16 Uhr werde ich da sein, wenn du nicht willst, dann erscheine einfach nicht, das ist auch okay. Außerdem möchte ich dir etwas geben und freuen würde ich mich sowieso, wenn du kommen würdest.

Noah.



Eine Einladung zu Noah? Zu ihm nach Hause? Und was wollte er mir geben? Ich hatte noch fünf Stunden, bis es Zeit war um loszugehen. Natürlich würde ich auftauchen, ich konnte mir vorstellen, dass Noah irgendwie enttäuscht wäre, wenn ich nicht kommen würde.
Mein Handy klingelte, ein Kunde wollte sich mit mir treffen, sofort. Ich sagte ab, mein Gefühl sagte mir, dass heute ein besonderer Tag werden würde und ich wollte niemanden sehen. Der Mann am anderen Ende der Leitung zeterte rum, wie ich es mir erlaubten könnte ihm abzusagen, er würde schließlich gut zahlen. Das stimmte zwar, aber das war mir in diesem Moment egal, selbst wenn ich diesen Kerl nie wieder sehen würde und mir somit eine Geldquelle verloren ging, ich mochte ihn sowieso nicht, er war grob, ignorant und egoistisch.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 11.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Usagi, weil sie mich dazu inspiriert hat und ich einer Figur den Namen gemopst habe, weil er so schön ist und weil sowieso. :) x3

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