„Ach komm schon Kai! Es ist Adventszeit, da musst du fröhlich sein und auf dem Weihnachtsmarkt ist es bestimmt schön und es gehört dazu mindestens einmal dahin zu gehen. Tu’s für mich, bitte.“ Timo sah mich flehend an, er hatte seinen Hundeblick aufgesetzt, die braunen Augen wirkten wie die eines Kindes. Wie sollte ich ihm da diese Bitte noch abschlagen? Ich seufzte und sah ihn an. „Na schön, dann komm ich eben mit.“ Timo sprang auf und fiel mir spontan um den Hals, schlang seine dünnen Ärmchen um mich. Der 16-Jährige hauchte seinen Atmen gegen meine Hals und mir kroch eine Gänsehaut über den Rücken, sanft schob ich ihn von mir und lächelte. „Aber wehe ich langweile mich oder finde es doof, dann ist das deine Schuld.“, drohte ich freundschaftlich und wuschelte durch seine blonden Haare. „Quatsch, das wird toll werden. Außerdem hab ich eine Überraschung für dich.“ Er richtete seine Haare und zog zwei Karten aus der Tasche. „Karten für das Riesenrad.“ Stolz präsentierte er mir seine Überraschung. „Du wusstest, dass ich mitkomme.“, stellte ich grinsend fest und er nickte. Ihm war bewusst, dass er mich immer überreden konnte. „Natürlich.“, lachte er und schob mir meine Karte hin.
Es war schein eine sehr süße Idee, aber ich hatte wahnsinnige Höhenangst und fragte mich, wie ich eine halbstündige Fahrt, so stand es jedenfalls auf der Karte, mit Timo in dieser kleinen Kapsel überleben sollte, trotzdem nahm ich die Karte entgegen.
Mit meinen 19 Jahren sollte ich mich eigentlich unter Kontrolle haben, sollte mich nicht an den Gedanken irgendwelcher Lieberein klammern, aber trotzdem musste ich immer wieder dem Drang wiederstehen, den Kleinen an mich zu ziehen und zu küssen. Timo machte es mir auch wirklich nicht einfach, völlig unbedarft und schon fast kindlich umarmte er mich mal hier und mal da und hatte sich nachts im Schlaf sogar einmal an mich gekuschelt, als er bei mir geschlafen hatte, weil er Stress mit seinen Eltern gehabt und ich ihn den ganzen Abend getröstet hatte.
„Warum magst du keine Weihnachtsmärkte?“, riss der Jüngere mich aus meinen Gedanken und ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, mir geht nur manchmal dieses geheuchelte Glück auf den Keks“, gab ich zu.
Dass ich in Wirklichkeit neidisch auf all die glücklichen Pärchen war, die lächelnd und Händchen haltend über den Markt schlenderten und am Abend dann vor dem Fernseher kuschelten, verschwieg ich besser.
„Also wenn du nicht willst, dann…“, fing er an, aber ich unterbrach ihn. „Ach was, das wird bestimmt schön. Und danke für die Karte.“ Er lächelte herzerwärmend. Wie sollte ich das nur überstehen?
Zwei Stunden später standen wir am Eingang des bunt erleuchteten Weihnachtsmarktes, staunend wie ein kleines Kind sah Timo sich um und strahlte mich dann an. „Siehst du, das ist doch schön hier.“ Ich nickte und ließ mich dann von dem Kleineren zu einem Stand, der Weihnachtsgebäck in allen Variationen verkaufte, ziehen.
„Guck mal, ein Lebkuchenmann.“ Timo zeigte auf ein ziemlich großes Gebäck, dass wirklich die Form einer Figur hatte und mit Zuckerguss verziert war. „Guten Tag, ich hätte gern den Lebkuchenmann dort.“, sprach ich die junge Verkäuferin an, die das Gebäck in eine Tüte packte und mir reichte. Ich zog mein Portmonee aus der Tasche und zahlte den verlangten Preis, ehe ich mich mit der Tüte zu Timo drehte der mich schon mit großen Augen ansah. „Bitteschön.“ Ich hielt ihm die Tüte hin und er lächelte glücklich. „Oh danke, danke, danke. Aber das wär doch gar nicht nötig gewesen.“ Schon fast schüchtern nahm er die Tüte in die Hand und öffnete sie, der Geruch von Lebkuchen wehte uns um die Nase. „Du hast mir die Karte geschenkt, ich schenk dir den, ganz einfach.“, gab ich lächelnd zurück. „Mhm, ich freu mich schon darauf den zu essen.“, grinste er und zog mich weiter.
„Man Kai, bitte! Ich bin 16!“, bettelte Timo mich an, als wir an einem Glühweinstand angekommen waren. „Ich will aber nicht schuld sein, wenn es am Ende Ärger gibt, weil du zusätzlichen Alkohol drin hast. Du weißt außerdem genau, dass bei dir auch das bisschen reicht, was da sowieso drin ist.“ Dieses Mal konnte er so viel schmollen, wie er wollte, ich würde ihm den Glühwein nicht kaufen. „Dann halt nicht.“ Er zog nochmal einen Schmollmund, wohl in der Hoffnung ich würde es mir noch überlegen, als ich aber nichts mehr sagte, ging er zur Theke, bestellte einen einfachen Glühwein und zog seinen Ausweis aus dem Portmonee, dem er der Bedienung verärgert unter die Nase hielt, dann kehrte er zu mir zurück und stellte die Tasse mit dem heißen Getränk neben meiner ab. „Ich seh ja wohl nicht jünger aus als 16! Da fragt die mich wirklich nach einem Ausweis.“, beschwerte er sich und ich lachte auf. „Jetzt sei doch nicht so beleidigt.“ „Krieg ich wenigstens einen Schluck von deinem Glühwein?“, fragte er, ich schüttelte den Kopf. „Du bist gemein.“, warf er mich vor. „Nein, ich will nur nicht, dass es dir schlecht geht. Schon vergessen, wir gehen gleich Riesenrad fahren.“ Dass ich den Alkohol brauchte um überhaupt in dieses Monster zu steigen war ja unwichtig. „Na schön.“, grummelte der Kleine und nippte an seinem Getränk.
Wir standen mit den Karten in der Hand in der nicht allzu langen Schlange vor dem Riesenrad und warteten darauf, dass wir einsteigen konnten. Naja, Timo wartete gespannt darauf, ich hoffte, dass es einen kurzfristigen, technischen Defekt geben würde und man das Riesenrad schließen müsste. Leider geschah das nicht und ich saß kurz darauf mit dem Jüngeren in der Kapsel, die natürlich immer nur für zwei Personen war. Stück für Stück ging es weiter nach oben, immer wieder ein Zwischenstopp, weil noch andere Leute einstiegen.
„Guck mal, man kann schon fast den ganzen Weihnachtsmarkt überblicken, das ist richtig schön. Alles so bunt erleuchtet.“ Er klebte beinahe mit seinem Gesicht an der Scheibe, während ich jeden Blick nach draußen vermied und versuchte nicht daran zu denken, dass wir uns jetzt fast ganz oben befanden, bestimmt 30 Meter über dem Boden. Außerdem machte mich die Nähe, so ganz alleine in dieser Kabine, zu Timo wahnsinnig nervös und ich musste wieder mit mir kämpfen, um nicht über ihn herzufallen.
„Ist alles okay?“ Besorgt sah der Blonde mich an und musterte mich. „J-ja, alles gut.“, presste ich hervor und versuchte mir ein Lächeln abzuringen, was kläglich misslang. „So sieht das aber nicht aus! Sei ehrlich, was ist los?“ „Naja…ich hab…Höhenangst.“, gab ich zu und der Kleine riss förmlich die Augen auf. „Oh aber warum hast du das denn nicht gesagt? Wir müssen doch gar nicht hiermit fahren und…oh das wusste ich nicht, das tut mir so leid!“ Er setzte sich neben mich auf die kleine Bank und rutschte dicht an mich heran, legte seine Arme um mich und ich klammerte mich haltsuchend an ihm fest, diese Fahrt war schlimmer als ich gedacht hatte. Mein Herz raste, nur mit Mühe konnte ich ein Zittern unterdrücken und mir war schlecht.
„Ich…ich dachte, du würdest dich freuen, wenn ich mitfahre…und ich wollte…dich nicht…enttäuschen und es war…ja auch eine…schöne Idee.“, stammelte ich in seine Haare und versuchte ruhig zu atmen. „Natürlich habe ich mich gefreut, weil du zugesagt hast, aber du hättest ruhig ehrlich sein können, dann hätten wir was anderes gemacht. Aber es ist so lieb von dir.“ Durch Timos Nähe bekam ich zwar meine Angst etwas in den Griff, dafür wurde mir seine Präsenz mehr als bewusst und ich riss mich zusammen. „Das nächste Mal bestimmst du, was wir machen.“, versprach er mir flüstert, viel zu nah an meinem Ohr, dann sah er mich entschuldigend an. „Ist schon gut, es geht langsam.“, versicherte ich ihm und starrte ihn an. Waren seine Augen schon immer so wunderschön warm und braun gewesen und hatten schon immer diesen intensiven Blick gehabt?
Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Bildmaterialien: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2012
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