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Kapitel 1

Maskierte Augen,
    Schneeweißchen.

Fröstelnd zog ich den warmen Kimono enger um meinen Körper. Trotz der Sitz- und Innenheizung war es in dem großen VW-Auto immer noch schweinekalt. Was mussten wir auch mitten im Winter umziehen? Zusammengekauert saß ich auf dem Beifahrersitz neben meinem Dad. Er war ein verhältnismäßig großer, stämmiger Mann mit warmen braunen schokoladenaugen und einem herzlichen Lachen. Ich liebte meinen Dad sehr, besonders nach dem Tod meiner Mum sind wir zwei sehr zusammengewachsen. Mein Blick schweifte flüchtig über seinen in einer dicken Jacke eingehüllten Körper, doch glitt gleich wieder aus dem Fenster. Überall weiß. Die Farbe weiß dominierte überall seid Schnee gefallen ist. Ich liebte den Winter. Zwar ist er ziemlich kalt doch ich mochte die kleinen weißen Schneekristalle. Ich fand es wunderschön wenn der Schnee in dicken Schichten auf den Bäumen lag oder wenn sich Wasser bildete, gefror und Eiszapfen formte. Der Winter hatte so viel mehr zu bieten als die anderen Jahreszeit. Klar, im Frühling sprießen die ganzen Pflanzen, wachsen und gedeihen. Im Sommer ist es schön warm, die Haut wird braune, die Getränke kühler. Und im Herbst haben alle Blätter wunderschöne Farben und fallen dann ab. Aber für mich gibt es keine schönere Zeit als den Winter. Deshalb fühlte ich mich gerade so gefangen. Hier saß ich auf den lauwarmen Ledersitzen unseres Autos auf dem Weg in unser neues Leben und wollte einfach nur noch weg. Verschwinden. Mich irgendwo in den Schnee legen und einschlafen. Es würde so vieles erleichtern. Früher war alles noch besser. Aber früher hatte meine Mum auch noch gelebt. Sie starb jetzt vor drei Monaten. Für mich war sie der hübscheste, klügste und liebste Mensch auf Erden. Doch als sie starb, brach für ihn und mich eine Welt zusammen. Meine Mum Christina und mein Dad Daniel waren schon seit der Abschlussklasse ein Paar, heirateten direkt nach ihrem Abschluss und vier Jahre später war ich dann da. Ihr Glück war perfekt. Bis vor ein paar Monaten. Mum wurde Lungenkrebs diagnostiziert. Dad wollte natürlich sofort das sie mit der Chemotherapie begann doch sie weigerte sich. Mum vertraute noch nie dieser fortgeschrittenen Medizin. Sie wollte die Chemo nicht. Weder Dad noch ich konnten sie dazu bewegen. Es war sehr schwer für uns beide das zu akzeptieren und ihr die schönste restliche Zeit zu machen, die sie bekommen kann. Trotzdem meinte sie zu uns, bevor sie starb, dass sie sich keine bessere letzte Zeit hätte vorstellen können, dass sie uns über alles liebte und im Herzen bei uns war. Bittere Tränen der Verzweiflung und Wut weinte ich des Anfangs über die Dreistigkeit meiner Mum, mich und Dad einfach allein zu lassen. Doch bald musste ich ihren Willen akzeptieren. Wie sehr ich sie vermisste konnte sich keiner vorstellen und auch meinem Dad ging es nicht anders. Auch er ertrug es kaum mehr in unserer Wohnung wo ihn alles an Mum erinnerte. Deshalb wollte er raus. Weg. Seine Entscheidung umzuziehen war gleichermaßen eine Erleichterung und ein Neuanfang wie ein Schock. Ich sollte mein ganzes Leben hinter mir lassen, meine Freunde, meine Schule. Alles aufgeben.

Trotz des großen Verlustes willigte ich ein. Ich wusste ganz genau das Dad es nicht länger aushielt. Auch für mich war es eine große Belastung immer und Überall an Mum erinnert zu werden. Und so saßen wir jetzt hier in dem großen VW und fuhren davon. Schon früh morgens begann unsere Reise, doch jetzt war es später Nachmittag. Bisher sind wir erst einmal stehe n geblieben um zu tanken und einen Kaffee zu trinken. Die warme Luft, die aus der Heizung blies, machte mich träge gar müde. Meine Augen fielen im.er wieder zu und mein Kopf rutschte ans Fenster. Dads leichtes Schmunzeln auf meine Müdigkeit war das letzte was ich sah bis meine Augen ganz zufielen und ich in das Reich der Träume versank.

Als Dad mich sanft weckte merkte ich das unser Auto stillstand. "Sind wir da?" fragte ich immer noch ein bisschen verschlafen. Während ich gähnte und mich streckte antwortete mein Dad mit "Ja, hier in Chrumsville, werden wir erst einmal leben.".

Chrumsville. Der Name dieser Stadt hörte sich kein bisschen vertraut an. Weder vertraut noch heimisch. Wieder einmal bekam ich Zweifel. Hätte ich mich doch lieber weigern sollen mit umzuziehen? Unschlüssig öffnete ich die Wagentür. Sofort schwang mit die kalte Winterluft entgegen. Etwas wacher öffnete ich den Sicherheitsgurt, sprang ins Freie, atmete die Eiskalte Luft ein und lächelte als eine Schneeflocke auf meiner Nase landete. Glücklich darüber, Schnee auf meinem Gesicht zu spüren, ging ich einige Schritte vom Auto weg, sah in den Himmel wo die Sonne am Horizont begann unterzugehen und dessen Farben von blau zu gelb, rosa, rot und lila gingen und streckte die Zunge heraus. 'Wie damals' schien der Wind mir zu zuflüstern und sofort erinnerte ich mich an meine Vergangenheit mit Mum. Mum. Wie sehr sie mir doch fehlte. Wie sehr sie Dad fehlte. Ich konnte nur hoffen das es ihr dort, wo auch immer sie jetzt ist, besser ging. Dad lachte seit langen mal wieder als er mich da mit heraus gestreckter Zunge sah wie ich versuchte die Schneeflocken mit ihr zu fangen. "Komm, Schneeweißchen, helf mir lieber die Koffer ausladen." grinste er. Es tat gut, Dad wieder lächeln zu sehen. Bei seinem Lächeln konnte man dahinschmelzen denn es war einfach so warmherzig und wunderbar. Ohne zu zögern ging ich zu ihm und nahm ihm meinen großen roten Koffer aus den Händen. Dad war vor ein paar Tagen schon einmal hier gewesen, hatte alle Möbel hierher gebracht und das Haus eingerichtet. Schwungvoll drehte ich mich um und mein Blick fiel auf ein wunderschönes, modernes Haus. Einige Büsche umsäumten einen Steinweg, der jetzt von Schnee bedeckt war, welcher zu einer großen, gläsernen Eingangtür führte. Das Haus hatte mindestens zwei Stockwerke, einen Balkon und eine Glasfront. Überrascht und erfreut quiekte ich auf, lächelte zu meinem Dad und grinste: "Das ist echt voll schön hier, Dad!" "Freut mich wenn es dir gefällt." lächelte er stolz. Aufgeregt folgte ich mit dem Rollkoffer dem Weg. Bei der Eingangstür wartete ich auf Dad, da er noch den anderen Koffer aus dem Auto holen musste und weil er den Schlüssel hatte. "Gleich morgen früh gehe ich in die Stadt und lasse dir auch einen Schlüssel machen." sagte er während er aufschloss. "Okeii." stimmte ich zu. Als es zustimmend vom Schlüssel klickte, das wir eintreten könnten, schwang die Tür auf und machte den Weg frei in eine großen, geräumigen Flur. Erfreut trat ich ein.

Dad folgte mir, legte den Schlüssel in eine grüne Glasschale und bevor ich weiter gehen konnte, bat er mich die Schuhe auszuziehen und auf den kleinen Vorleger zu stellen der unter der Garderobe hing.

Nachdem ich mich von meinen Boots befreit hatte und die Daunenjacke aufgehängt hatte ging ich weiter durch eine etwas kleinere Glastür, während ich Dad hinter mir klappern hörte. Diese führte in eine wunderschöne Wohnstube, mit einem Kamin, einer Sitzecke, einem Fernseher und einem großen Bücherregal. Es war schon alles eingerichtet. Über dem Bücherregal hing ein riesiges Porträt von Mum und mir. Es war schon ein bisschen älter, denn ich war da gerade 7 Jahre alt. Heute betrachtete ich meine Mum die mich damals lächelnd in den Armen hielt, sitzend auf einem riesigen Heu-Ballen. Ihre Augen funkelten wie Diamanten und ihr lächeln ließ Eisberge schmelzen. Damals war noch alles gut. Unbeschwert und wie ein Traum. Auch ich lachte und klammerte mich an Mums Hals. Schon damals sah ich nicht ganz normal aus. Mum war einfach wie ein Engel mit ihren Goldblonden, gelockten Haaren und den strahlend, blauen Augen. Ich sah schon damals aus als würde ich nicht dazugehören, denn meine Rabenschwarzen Haare und die Mandel-Augen passten schon damals nicht zu meinen blonden Eltern. Nur das gelockte hatte ich von Mum. Auch wenn sie nur leichte Locken hatte, hatte ich Korkenzieherlocken. Schon damals hüpften sie wie lebendig um mein Gesicht und ließen meine Augen strahlen. Damals war alles besser. Dad und ich waren glücklicher. Doch man kann die Zeit nicht zurück drehen. Kann nicht ändern was geschehen ist. Ich ließ meine Augen weiter wandern, von der hellen citrusfarbenen Wand über eine weiße Decke zu einer großen Glasfront, die den Blick auf die untergehende Sonne und eine schönen Garten freigab. Der Schnee fiel gemächlich herab und bedeckte die ältere Schneeschicht mit einer neuen. Sachte ging ich etwas weiter in den Raum und schaute erstaunt herab als meine nackten Füße eine flauschigen, erdfarbenen Teppich berührten. Dieser lag auf Parkett welches geheizt durch eine Fußbodenheizung wunderbar warm war. Die Wohnstube ging weiter in ein angrenzendes offenes Esszimmer in dem unser alter Esszimmertisch stand. Dad hatte die alten Holzstühle gegen modernere ausgetauscht und auch hier hingen an den Wänden wunderschöne Bilder. Auf vielen war ich alleine oder mit Dad zusehen und Mum war nur auf wenigen drauf. Dieser Raum führte durch eine Tür wahrscheinlich in die Küche, aber diese wollte ich jetzt nicht erkunden. Viel interessanter war es doch zu erfahren wo mein eigenes Zimmer war. "Wow, Dad ! Das Haus ist echt super. Das hast du sehr gut hinbekommen mit dem einrichten ." strahlte ich. "Wo ist mein Zimmer?"

" Dein Zimmer ist oben. Du kannst auch gleich deine Koffer mit hoch nehmen." erwiderte er erfreut. Meine Koffer schnappend, machte ich mich auf den Weg nach oben. Eine moderne, hölzerne Wendeltreppe führte nach oben. Diese endete in einem weiteren, diesmal aber wesentlich kleinerem Flur. Nur 3 Türen gingen von ihm weg. Auf gut Glück probierte ich die erste Tür rechts von mir und landete im Badezimmer. Es beinhaltete eine Badewanne, eine Dusche, eine Toilette, ein Waschbecken, ein Spiegel und einen kleinen Schrank. Größenteils wurde es in weiß- und Creme-Tönen gehalten.

Selbst die Handtücher hatten einen Creme-Ton. Das war auf jeden Fall nicht mein Schlafzimmer. Hinter mir schloss ich die Tür des Bades wieder und probierte es also links von mir. Doch auch dies sollte nicht mein Zimmer sein, denn hier drin stand Mums und Dads altes Bett.

Sie meinten früher immer, dass ihnen dieses Bett schon immer Glück gebracht hätte, weil sie schon immer darin zusammen schliefen. Über dem Bett hing ein großes Hochzeitsfoto von den Beiden und daneben ein kleineres von Mum und mir bei meiner Geburt. Der Raum hatte zwei schöne große Fenster und eine Tür führte auf eine Balkon. Sonst stand nur noch ein Kleiderschrank, ein Nachtschrank und eine Lampe im Raum. Dieses Zimmer wurde in verschiedenen Creme- und Braun-Tönen gehalten. Nachdem ich es wieder verlassen hatte wendete ich mich der letzten Tür, geradeaus von mir, zu. Mit dem Koffer im Schlepptau, öffnete ich die weiße Tür und gelang in mein absolutes Traumzimmer. In dem Raum dominierten überwiegend die Farben Braun und Grün. Es sah aus wie mein persönlicher Dschungel. Einfach wunderschön. Das Licht der untergehende Sonne strahlte durch zwei Fenster und eine Balkontür und ließ das ganze noch viel wirkungsvoller aussehen. Ein großes Himmelbett nahm den Großteil des Zimmers weg. Grüner Stoff war über das Bett gespannt und ließ es aussehen wie ein Blätterdach. Und die braune Bettwäsche sah aus wie Erde. Auch ein braun-grüner Teppich lag im Zimmer. Selbst die Kommode und Wände wurden in diese beiden Farben gehalten. Und was nicht in den beiden Farben zu kaufen war wurde in weiß gekauft, wie der Schreibtisch mit Stuhl , das Bücherregal und das nagelneue Notebook darauf. Doch auch der Kleiderschrank war braun. Ich liebte diesem Raum jetzt schon. Ja, ich war schon komisch. Der Winter, mit seinem Schnee, war mir eindeutig die liebste Jahreszeit doch meine Lieblingsfarben waren nach wie vor grün und braun. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett sinken und atmete erst einmal tief durch. Das war alles wie im Traum für mich. Ich fühlte mich als würde ich schlafen und bald wieder aufwachen, glücklich, in den Armen meiner Mutter. Doch dies würde nie geschehen. Mum ist nach wie vor tot und nichts würde das ändern. Um mich abzulenken ging ich zu dem großen Kleiderschrank hinüber, öffnete die Türen und fing an meinen Koffer auszupacken. Der Schrank war eindeutig zu groß, für meine wenigen Kleidungsstücke, so leer sah dieser aus. Gerade als ich fertig geworden war und noch die zwei Kisten die in der Ecke standen mit meinem persönlichen Krimskrams ausgeräumt und im Zimmer verteilt hatte, klopfte es an der Tür. "Komm rein, Dad" rief ich. Er riss gespannt die Tür auf, grinste mich an und fragte:

"Und ? Wie findest du es?" "Es ist einfach unglaublich! Mein absolutes Traumzimmer. Oh man, danke Dad." erwiderte ich während ich auf ihn zuging, ihn umarmte und ihm eine Schmatzer auf die Wange drückte. "Na dann, Schneeweißchen, freut mich das es dir gefällt." schmunzelte er. 'Schneeweißchen' war sein Kosename für mich, weil ich den Schnee so liebte. " Kommst du mit runter und hilfst mir den Tisch decken? Ich hab Pizza bestellt." lächelte er. "Oh ja, Pizza" freute ich mich.

Schnell filzte ich an Dad vorbei, die Treppe herunter und in die Küche. Diese war eine normale Einbauküche, welche in weiß-, hell- und braun-Tönen gehalten wurde.

Ich öffnete einige Hängeschränke um Teller zu finden. Zwei von einem ganzen Service trug ich ins Esszimmer. Dad ging an mir vorbei in die Küche und holte Besteck, während ich Gläser aus einem Schrank im Esszimmer holte. Gerade als Dad das Besteck verteilt hatte, klingelte es auch schon an der Tür.

Dad schnappte sich noch schnell seinen Geldbeutel bevor er die Haustür öffnete und die Pizza entgegen nahm. Ich setzte mich schon einmal auf einen der Stühle und wartete auf meinen Vater. Nachdem wir genüsslich die Pizza gegessen hatten, die wirklich voll lecker war, half ich Dad noch abräumen. Danach verabschiedete ich mich und ging in mein neues Zimmer. Hier also sollte ich den Rest meiner Kindheit und Jugendzeit verbringen. Es war wirklich schön, zumindest unser Haus. Da ich noch nichts von dem Ort gesehen hatte nahm ich mir vor morgen das Dorf zu erkunden. Gerade ließ ich mich erst einmal auf mein Bett sinken, machte das Licht aus und schloss die Augen. Auch wenn ich auf der Fahrt viel geschlafen hatte war es doch ein anstrengender Tag gewesen weshalb ich fast sofort einschlief. Das letzte was ich tat war ein zufriedenes Lächeln aufsetzten.

Oben im Himmel gab es noch eine Person, die bei diesem seligen unschuldigen Lächeln, lächeln musste.

 

 

 

 

Impressum

Texte: Copyright liegt einzig und allein bei der Autorin & die Handlung sowie die erfundenen Personen entspringen einzig und alleine der Fantasie der Autorin!
Bildmaterialien: Cover made by Plurabelle :))
Tag der Veröffentlichung: 22.08.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch der schönsten Zeit die ich verbracht hatte und zwar in England. *-*

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