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Irene Adler ist eine Frau mit vielen Gesichtern.

Vielleicht, so ehrlich musste sie schon sein, waren es sogar zu viele. Sie hatte aufgehört zu zählen; kümmerte sich nicht mehr darum, wie viel sie tatsächlich log und schauspielerte oder wie oft sie schon ihre eigenen Gedanken verdrängte, um einer Rolle gerecht zu werden.

Sie war eine Expertin auf ihrem Gebiet, eine der Besten. Und sie wusste es, war sich dessen mehr als nur bewusst. Tatsächlich war sich Irene sogar sehr sicher, dass ihr Ruf ihr zumindest in London, wenn nicht sogar in ganz England, vorauseilte. Ob sie das nun mit Stolz erfüllen sollte, wusste sie manchmal selber nicht wirklich. Andererseits fand sie ihr Leben genau so wie es verlief auch nicht unbedingt schlecht. Sie sah es immer von der professionellen Seite: Sie kannte ihren Job wie keine Zweite, und sie wusste was sie wann und warum tat. Sie war die

Frau auf ihrem Gebiete, und sie liebte es, zu wissen, dass alle es wussten.

Und einer, der hatte die Gerüchte auch gehört. Sie sei die Beste, so hieß es, sie sei die

Frau. Und Jim liebte das Beste, war es doch gerade so genug für ihn

. Für seinen Erzfeind. Für Sherlock Holmes.
Er kontaktierte sie, wie für ihn typisch, auf Umwegen. Ließ sie rätseln, spielte mit ihr. Es war einfach seine Art; er musste allerdings zugeben, dass sie sich gut schlug, wenn es um seine Spiele ging. War sie um Längen nicht so gut wie Sherlock, so war sie doch besser als die meisten Menschen. Er mochte das – Menschen, die ihm zumindest kurzzeitig die Stirn bieten konnten, wenn er seine kranken Spiele spielte. Und so sah er sie als das Einzige an, was sie jemals für ihn sein könnte: eine Gegnerin, die im gleichen Team spielte wir er.

Einerseits gaben sie sich gegenseitig Anweisungen, halfen einander, verstanden sich gut, trotz unterschiedlicher Postionen; obwohl er Teamchef war, und sie 'nur' der Stürmer, der zwar gut, aber wirklich nur unwesentlich besser als der Rest, spielte. Andererseits musste Moriarty ehrlich gestehen, dass er mehr als einmal Irenes Missionen sabotiert hat, versucht hat, die Frau zu besiegen, die ja eigentlich auf seiner Seite stand.

Hätte er seine Beziehung zu ihr beschreiben sollen, wäre ihm das wirklich außerordentlich schwer gefallen. Sie war schön, ja. Intelligent, ohne Zweifel. Hinterhältig, wie eine Schlange. Und das waren ja schon drei Gründe, die Frau zu verehren. Aber was ihn am meisten beeindruckte, war ihr unglaubliches, wenn auch verdientes, Selbstbewusstsein. Leute wurden um Moriarty still, zitterten, kauerten. Und während er daran perfide Freude hatte, so musste er gestehen, wie sehr er Leute mochte, die dies nicht taten. Es gab durchaus Momente, in denen er von Irene ebenso besessen war wie von Sherlock. Er wollte sie brechen, so wie er es immer mit den Regeln seiner kleinen Schachspiele mit Sherlock tat. Er wollte, dass sie ihn anerkannte, als stärker, als wichtiger, als Gott. Als der Gott, der er ja offensichtlich war.

Aber er wusste auch, dass er es eigentlich nicht wollte; er wollte genau das bei Sherlock erreichen – aber bei Irene? Nein, er wollte sie ganz, wollte sie stur und zickig und ach so überlegen. Und genau das machte ihm Angst. Es war nicht gut für ihn, für irgendwen. Er wollte keine Freunde, er wollte Feinde; er wollte Untergebene, keine Gleichgestellten. Er wollte einseitige Angst und keinen gegenseitigen Respekt.

Richtig?

Tatsächlich waren ihm Freundschaft und Beziehungen nie wichtig gewesen, war doch keiner ihm gemessen und überhaupt einen zweiten Blick wert.

Doch Irene, Irene intrigierte ihn zu sehr, mehr als sie sollte. Es lag zweifelsohne nicht an ihrem Äußeren, denn auch die Mary, Mona, Milly (?), mit der er sich aufgrund von Sherlock-Recherche mehrmals getroffen hatte, war eine attraktive Frau gewesen; und sofern er sich erinnern konnte hatte das keineswegs irgendwelche Auswirkungen auf ihn gehabt. Er hatte mehr Stolz als die bloße Beschränkung auf das äußere einer Person.

Aber, um ganz ehrlich zu sein, Intelligenz war etwas, das Moriarty nicht nur wertschätzte, sondern auch sehr, sehr anziehend fand. Zwar normalerweise weniger in der romantischen Bedeutung, da er ja normalerweise nicht auf diese romantische Art und Weise von Jemandem angezogen war, aber gewisse Anziehung empfand er nach wie vor.

Doch irgendwie,

dachte sich Moriarty, ist das nicht alles.



Nach kurzer Überlegung fällt ihm noch etwas ein; sie ist hinterhältig und jede Sekunde könnte sie dir ein Messer in den Rücken rammen. Er mochte diesen Gedanken; die Tatsache, dass Irene niemals mit hundertprozentiger Sicherheit vertrauenswürdiges Gebiet war. Es jagte das Adrenalin durch seine Adern, wie in der letzten Minute vor Schluss in einem wichtigen Fußballspiel. Du siehst Irene auf dem Feld und weißt, wenn du ihr den Ball zuspielst, könnte sie genauso gut an die Gegner abgeben, und du verlierst das Spiel. Und im Endeffekt kannst du ihr noch nicht mal böse sein, denn du hättest genau das Gleiche getan.

Moriarty seufzte kurz auf; wenn er so die Fakten betrachtete, verstand er jetzt jedenfalls wie sein Begehren nach dieser Frau, körperlich wie geistig, überhaupt zustande kommen konnte.

Gerade was die fleischlichen Begehren anging, fiel ihm noch ein triftiger Grund ein – ihr Temperament.
So kühl und mysteriös Irene immer spielte, so waren ihr Beruf und ihre Neigung kaum in irgendeiner Weise geheim. Der Gedanke, mit einer Domina zusammen zu arbeiten hatte Moriarty, bevor er die Dame kennenlernte, unheimlich belustigt. Jetzt, wo er die Lederhosen und die Korsetts gesehen hatte, welche Irene hin und weder trug, musste er doch schlucken. Und besonders Irenes Kampfanzug, wie sie es nannte, brachte ihn mehr als nur aus dem Konzept, auch wenn er es immer innerlich runter zu spielen versuchte; nicht besonders erfolgreich, übrigens.
Seine Neugier diesbezüglich wuchs umso mehr, als sie dann diesen wunderbar roten Striemen aus Sherlocks Gesicht hinterließ. Leuchtend, auffällig, schmerzhaft. Irene muss wunderbar ausgesehen haben, mit der Reitgerte in der Hand, ausholend, Worte süffisant wie eh und je.

Eine wahrhafte Schande, dass ausgerechnet Sherlock die Ehre erhielt, diese Auszeichnung im Gesicht zu tragen... Wie gerne würde Moriarty ihn dafür bestrafen etwas zu tragen, dass ihm gehören sollte. War es nicht wirklich unhöflich von Sherlock, Moriarty etwas wegzunehmen?

Rational gesehen wusste Moriarty natürlich, dass er Irene beauftragt hatte, mit Sherlock zu spielen. Aber da hatte er nicht damit gerechnet, wie sehr in die junge Frau faszinieren würde. Oder gar welche Anziehung und welch Begehren er für sie spüren würde. Definitiv nicht geahnt hatte er aber, wie besitzergreifend er werden konnte – es hatte ihn Stunden, Tage gekostet, den Grund für seine miserable Laune und seine leicht entflammbare Wut zu finden, nachdem er Sherlocks Wange gesehen hatte; doch dann identifizierte er es zunächst zögerlich als Eifersucht. Das war, bevor er von eventueller Zuneigung und Lust etwas ahnte.

Ursprünglich hatte er angenommen, Irene und er könnten so was wie Freunde mit feindlichem Unterton werden. Immerhin hatten sie beide eine gemeinsame Interesse: Sherlock Holmes.
Mittlerweile, so bildete er es sich ein, war dieser Mistkerl

das Einzige, was zwischen ihnen stand. Sie war besessen von dem Detektiven, von seiner Intelligenz, seinen Deduktionen. Er konnte das auch, aber sie sah es nicht; warum eigentlich? Weil er keine bescheuerte Mütze hatte, oder einen Hobbit als besten Freund? Es war ihm einfach unerklärlich!

In dem Moment, in dem er seine Gefühle widerwillig akzeptierte, wuchs nicht nur Verlangen und Wunschdenken, sondern auch die latente Eifersucht auf Sherlock. Er bekam das von Irene, was Moriarty sich so sehnlich wünschte: Zeit, Aufmerksamkeit, verdrehte und abartige Zuneigung.

Moriarty verabscheute den Gedanken der Liebe, dennoch. Was er hier empfand war ja vieles; und es war körperlich sowie geistig, ja. Aber Liebe, das war ein Spiel, das selbst Moriarty zu krank fand, um es zu spielen – denn er wusste, er könnte nie gewinnen.

Wobei, schade war es ja schon irgendwo. Sie hätten ein tolles Paar abgegeben, Irene und Moriarty. Ihre Kinder hätten die ganze Welt in Chaos verwandelt und ihren Papa damit so, so stolz gemacht. Aber so funktionierte das nicht. Selbst wenn diese zwei Verrückten irgendwann das Gleiche füreinander empfunden hätten, so hätten beide zu kalte Füße gehabt, als dass sie den Tanz mit dem Schmerz und den Tränen der Liebe gewagt hätten – man kann einfach keinen Tanz tanzen, dessen Schritte man nicht kennt, und man kann kein Spiel spielen, dessen Regeln einem für immer ein Rätsel bleiben.

Hinter den Masken und Fassaden waren sie beide fürchterliche Angsthasen, die keine Konsequenzen tragen wollten, sollte etwas schiefgehen. Liebe konnten sie nicht, musste man dafür doch menschliche Regung und Verletzlichkeit zeigen. Aber Lust, das konnten sie gerade so zustande bringen, den Tanz konnten sie wagen, dieses Spiel könnten sie spielen, denn beide waren Meister darin.

Sie kannte sein Spiel, wusste, dass sie eigentlich bedeutungslos für ihn war. Seine Spielfigur, wertvoller als einige, aber ersetzbar. Was sie vermutlich nicht ahnte; sie war kein bloßer Springer oder Turm – oder gar Bauer! Sie war seine schwarze Königin. Und er würde seinen ganzen restlichen Hofstab eigenhändig erschießen, um sie zu bewahren.

Doch Liebe, Liebe empfand Moriarty nie, wenn ihre Körper aufeinander trafen, wenn sie ihm zeigte, wie sadistisch sie sein konnte, und wie unglaublich masochistisch er eigentlich war, unter der harten Maske des Bösewichtes.

Aber so oft er seinen Blick auch über die unverhüllte, friedlich schlafende Gestalt neben ihm gleiten ließ, irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass er sich selbst belog, während er beschützend einen Arm um die Frau legte, die im Schlaf so schutzlos und unschuldig wirkte.

Impressum

Texte: Sherlock Holmes @ Sir Arthur Conan Doyle; Sherlock, Irene, Moriarty @ BBC
Bildmaterialien: http://desire-turns-to-ashes.tumblr.com/
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2013

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