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Miss Maverick

Ihre Absätze klackerten auf dem Asphaltboden der Tiefgarage, als sie aus ihrem Wagen gestiegen war. Der schwarze Jaguar F-Type Cabrio gab ein Klicken von sich, als die Zentralverriegelung sich schloss. Sie begegnete niemandem, die meisten Parkplätze hier unten waren noch leer. Die Kühle hier unten trieb ihr ob des knielangen Mantels keine Gänsehaut. Das Gesicht neutral, beinah schon starr stieg sie in den Fahrstuhl. Sie war zu früh im Büro. Wie jeden Morgen. Dabei hatte ihr Tag schon längst begonnen. Diese nervtötende Musik lullte sie ein. Das leise Dudeln ließ sich einfach niemals ausblenden, sosehr man es auch versuchte. Und dann schwebte es einem den halben Tag durch den Kopf.

Der Spiegel zeigte ihr eine junge Frau. Mitte zwanzig. Ein feines Gesicht, hohe Wangenknochen, tiefe Stirn, sinnliche Lippen, eine gerade, starke Nase. Große, braunen Augen mit langen Wimpern, das Gesicht dezent geschminkt. Die dunklen Haare fein säuberlich nach hinten gekämmt, zu einem Chignon gebunden. Weiter unten der knielange Mantel. Er mündete in langen, schlanken Beinen, eingehüllt in Nylon. Ihre Füße steckten in blauen Stilettos, passend zu dem Kleid, das ihr Mantel so geschickt, aber dezent verbarg. Feminin, hübsch, zu jung, um so ernst dreinzublicken. Ihr Blick wanderte abschätzig an sich selbst herunter, ehe sie einen Fussel von ihrer Nylonstrumpfhose zupfte. Ein letzter Blick auf ihr Gesicht. Glatte, helle Haut. Makellos, würde man auf den ersten Blick sagen. Wie eine Puppe.

Bing!

Der Fahrstuhl riss sie aus ihren Gedanken.

"Guten Morgen, Amelia", begrüßte die junge Frau ihre Sekretärin. Der Schwarz-Weiß-Look stand der Afroamerikanerin sehr gut zu Gesichte. Sehr vorteilhaft. Was man im siebten Monat sicherlich nicht von allen sagen konnte. "Guten Morgen, Miss Maverick", kam es heiter zurück.

Ihr Büro war groß und geräumig, die Wand mit der Tür aus Milchglas. 'M.V. Maverick' stand in durchsichtigen Lettern an der Tür. Die Möbel allesamt modern und stilvoll. Der Schreibtisch aus dunklem Holz war groß und penibel aufgeräumt, die Schubladen allesamt abgeschlossen. Ein riesiges Regal voller Bücher und Ordner stand - eindrucksvoll, aber nicht erdrückend - an einer Wand. Der Schreibtisch war mit Blick auf die Tür ausgerichtet, nicht auf die New Yorker Stadt. Ansonsten war das Büro leer. Nichts Persönliches. Warum auch? Das hier war die Arbeit. Da hatten persönliche Sachen ihrer Ansicht nach nichts zu tun. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr Privatleben sich praktisch auf null gesenkt hatte.

 Sie seufzte einmal lautlos. Das hier würde wieder ein anstrengender, nervenaufreibender Tag werden.

Sie zog sich ihren Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe in ihrem Büro, ehe sie sich hinter den Schreibtisch setzte und den Computer hochfuhr. In der bis gerade eben noch herrschenden Schwärze des Bildschirms hatte sie ihr Gesicht sehen können. Man sah ihr niemals an, wann die Nächte zu lang gewesen waren. Da hatten ihre Gene wohl eindeutig gesiegt. Die Hohen Wangenknochen traten noch mehr hervor, da sie ihre Haare zu einem seitlichen Chignon nach hinten gesteckt hatte. Das wirkte professionell und streng, aber war immer noch feminin genug.  Ihr Kleid war dunkelblau, nicht zu kurz, ließ aber erahnen, was sich darunter verbarg, ohne aufdringlich zu wirken. Dezenter Schmuck und Make-up. Nichts war verrutscht oder verschmiert, soweit sie das hatte sehen können. Gut.

Sie tippte ihr Passwort ein, um an ihre Daten zu kommen. Ihr Handy legte sie neben sich auf den Schreibtisch aus edlem, dunklem Holz.

Sie schlug die Beine übereinander. Sie durfte nicht versagen. Und bisher hatte sie es wunderbar hinbekommen. Nur brauchte sie eine Pause. Das hier war zwar etwas, das sie machen wollte, das ihr in gewisser Weise auch Spaß machte, aber das, was man ihr zumutete, war zu hoch für sie. Zu viel Verantwortung, als dass sie es händeln könnte, ohne irgendwann einzuknicken.

Aber sie durfte nicht zurückschrecken. Sie hatte nicht nur sich etwas zu beweisen. Die junge Frau checkte mit regloser Miene ihre Mails. Vieles war einfach nur Müll, Spam, Schrott, irgendwelche unsinnigen Angebote. Sie löschte sie umgehend, machte sich dann daran, das, was wichtig und zu gebrauchen war, zu beantworten. Es war nicht einfach, so viele Projekte gleichzeitig am Laufen zu haben. Sie musste immer und zu jeder Tag top informiert sein. Etwas anderes konnte sie sich nicht leisten. Aber irgendwie schaffte sie das. Zumindest bisher.

Sie klickte sich durch die Daten, die ihr ihre Sekretärin geschickt hatte. Strich sich eine imaginäre Haarsträhne zurück und ordnete die Informationen im Kopf den einzelnen Projekten zu, die diese Zweigstellen der eigentlichen Firma gerade am Laufen hatte. Sie wollte sich eigentlich nicht allein darum kümmern. Es war zu viel. Aber zu delegieren war nicht ihr Stil. Und das wirkte sich allgemein auf ihr Leben aus. Sie ging spät schlafen, stand früh wieder auf, fand kaum Schlaf und schon gar keine Zeit für Entspannung.

Sie war so versunken in ihre Arbeit, dass sie das leise Klopfen an der gläsernen Tür erschreckt zusammenzucken ließ. „Herein“, meinte sie mit höflicher, aber distanzierter Höflichkeit. Ihre Sekretärin betrat den Raum mit einer Tasse Kaffee. „Vielen Dank, Amelia“, entfuhr es ihr seufzend, aber tatsächlich dankbar. Kaffee war jetzt das, was sie brauchte.

Ein kurzer Blick auf die Uhr an der Wand. Sie war schon seit zwei Stunden am Arbeiten. Wie die Zeit verging. „In einer halben Stunde ist das Meeting mit dem Vorstand, Miss Maverick“, wies Amelia die junge Unternehmerin auf ihren Terminplan hin.

Diese nickte bloß, ehe die Sekretärin das Büro verließ und sich wieder an ihre Arbeit machte. Für sie würde die junge Frau auch noch einen Ersatz suchen müssen für die Zeit, die sie in Mutterschutz war. Ein Seufzer entfuhr ihr. So viel zu tun. Und dann auch noch das Meeting... Es gab gerade kaum etwas, das ihr weniger zusagte.

Sie rieb sich über die Schläfe und atmete ein paarmal tief durch. Okay, eine viertel Stunde hatte sie noch, der Vortrag für das Meeting war fertig und sie hatte ihn geübt. Es würde schon alles glatt laufen. Solange sie nur ihren Vater überzeugen konnte. Auf jegliche mögliche Fragen hatte sie Antworten parat. Es konnte eigentlich nichts schiefgehen. Es durfte nicht.

Sie schaltete den Computer auf Standby und erhob sich, bevor sie ihre Sachen packte und sich auf den Weg zum Konferenzraum machte.

Impressum

Texte: Schora & me
Bildmaterialien: http://artistericsweet.deviantart.com/
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2015

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