"Das kann doch nicht sein! Ich hab ewig für diesen Test gebüffelt! Ich kann doch nicht wirklich eine 5 geschrieben haben!" Die Lehrerin ignorierte meinen kleinen Ausraster und ging einfach weiter. Aber ich fiel gerade in ein depressives Loch. Meine Eltern würden mich umbringen, wenn sie erfahren, dass ich schon wieder eine 5 geschrieben habe. Sie hätten mir schon beinahe den Ausgang verboten als ich eine 5 in Geschichte geschrieben hatte, aber die 5 in Mathe würden sie mir garantiert nicht so einfach durchgehen lassen. Dabei war es gar nicht mein Fehler, dass die Lehrerin den Unterrichtsstoff so schlecht präsentierte, dass ich kein einziges Wort davon verstand. Wenn das so weiterging, würde ich niemals zu den Abschlussprüfungen zugelassen werden und müsste das Jahr wiederhohlen, und das obwohl ich sowieso schon älter war als all meine Klassenkameraden. Irgendwann würde die Alterslücke ziemlich auffällig werden, und ich war sonst schon zu unbeliebt um mich auffällig zu geben. Ich wollte nicht schon wieder solche Probleme in ihrer Klasse. Ich musste etwas gegen diese Noten unternehmen! Die Lehrerin riss mich aus meinen Gedanken und setzte den Unterricht fort.
Nach der Schule ging ich möglichst gemächlich nach Hause. Ich wollte die Begegnung mit meiner Mutter möglichst lange herausschieben, denn wenn sie von meiner Note erfahren würde, hätte ich keine Chance mehr, heute Abend in den Club zu gehen, obwohl ich mich dort mit meinem Freund Matt verabredet hatte. Ich zerbrach mir den ganzen Weg nach Hause für eine Ausrede, und am Ende öffnete ich unsere Haustüre ohne irgendeine brauchbare Idee gefunden zu haben. Aber ich hatte Glück, denn in der Küche lag ein Zettel auf dem stand, dass meine Mutter weg war und später nach Hause kommen würde. Also rannte ich erleichtert in mein Zimmer um mich vorzubereiten.
Ein letztes Mal kontrollierte ich, dass ich auch wirklich alles dabei hatte. Ich nahm meine Heels in die Hand, öffnete leise die Zimmertür und verfluchte einmal wieder meine Faulheit, die mich daran hinderte Türe zu ölen, sodass diese nun laut quietschte. Doch ich hatte Glück und niemand hörte es. Wie sollte es auch jemand hören, meine Eltern stritten sich mal wieder in der Küche wegen irgendetwas ohne Belang, mein Bruder hörte so laut Musik dass man es in Amerika noch hören würde und meine Schwester war wahrscheinlich sowieso schon länger weg. Bis ich im Club ankommen würde, wird sie sich wohl schon wieder so abgefüllt haben, dass sie sich sogar von einem stinkenden alten Bettler angraben lassen würde. Aber so war sie halt, ein grosses Luder. Aber das war jetzt auch egal. Ich schlich aus meinem Zimmer und die Treppe runter. Jetzt kam der schwere Teil: Ich musste an der offenen Küche vorbei, in welcher meine Eltern wie gesagt heftig am Streiten waren. Aber immerhin wusste ich, was ich tun musste. Ich wartete ab, bis meine Mutter (die in meine Richtung stand) sich mal wieder dramatisch umdrehte und schlich vorbei. Ich schnappte mir einen Hausschlüssel und verschwand in die kühle Abendluft, wo ich mir dann meine schwarzen High Heels anzog. Es war schon nervig, sich jedes Mal an den Eltern vorbeischleichen zu müssen. Aber ich und meine Schwester wussten genau, dass wenn wir unsern Eltern sagen würden dass wir weg sind, würden sie es irgendwie fertigbringen, uns in ihren Streit einzubinden, sodass es den restlichen Abend kein Entkommen gab. Aber jetzt war nicht der Moment um sich über sowas aufzuregen, ich hatte mich zu beeilen. Mein Freund Matt wartete im Club bereits auf mich und ich war wie immer zu spät dran. Und ich wollte endlich den heutigen Tag vergessen und hinter mich bringen. Also lief ich lief los in Richtung Bushaltestelle in der Hoffnung, den Bus noch zu erwischen.
Ich schien Glück zu haben, denn bald darauf stand ich im Club 'Barracuda'. Ich schlängelte mich durch die Menge auf der Suche nach Matt. Ich kam nur sehr langsam voran, da mich die meisten ignorierten und mir fast absichtlich vor der Nase herumstanden und tanzten. Irgendwann wurde es mir zu doof und ich begann damit, die Leute einfach unhöflich wegzustossen. Plötzlich sah ich kurz Matts Kopf in einer Ecke und quetschte mich nun gezielt durch die Menge. Als es gegen Ende des Raumes endlich etwas weniger voll war und ich Matt etwas besser sah wollte ich seinen Namen rufen, doch dann lichtete sich die Menge komplett und ich konnte meinen Augen nicht trauen. Dort sass Matt auf dem Sofa, wild knutschend mit ausgerechnet meiner Schwester. Ich konnte mich nicht bewegen und starrte die beiden nur an. Matt sah auf und entdeckte mich und starrte zurück und kam dann auf mich zu. Ich begann nach hinten zu torkeln, drehte mich dann um und rannte hinaus.
Ich sog die schwere, kalte Luft tief in meine Lungen und rannte weiter. Ich rannte ziellos geradeaus, bis ich meine gesamte Energie verbraucht hatte und stehenblieb. Mein Herz raste und ich musste erst wieder zu Atem kommen, bis ich realisierte wo ich war. Ich stand vor der 'Haunted Bar', an der ich regelmässig mit dem Bus vorbeifuhr. Ich hätte zwar einfach nach Hause gehen können, es wären etwa 30 Gehminuten, doch ich hatte das Bedürfnis die Erinnerungen an diesen Tag in Alkohol zu ertränken. Ich ging also hinein und war erleichtert, dass die meisten Leute etwa in meinem Alter oder wenig älter waren. Ich setzte mich also an die Bar und bestellte einen Drink. Nach einer Weile sass ich nur noch da und trank schluckweise, bestellte immer wieder nach. Währenddessen drehten sich meine Gedanken im Kreis um das, was gerade passiert war. Ich hatte gerade zwei mir nahestehende Menschen verloren, und das wo ich sonst schon beinahe niemanden hatte. Ich wurde immer verzweifelter und trank immer mehr, bis irgendwann die meisten Leute weg waren und ich realisierte, dass bereits 1 Uhr morgens war. Ich rutschte vom Hocker, und die Welt drehte sich erstmals. Der Alkohol hatte mir wohl mehr zugesetzt als ich realisiert hatte. Ich torkelte also aus der Bar und musste mich erstmals abstützen. Ich atmete tief ein und versuchte meinen Blick zu klären. Dann richtete ich mich auf und ging los. Doch nach wenigen Schritten stolperte ich und dachte schon ich würde jetzt schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Asphalt machen, doch eine Hand schnappte nach meinem Arm und zog mich hoch. Ich sah hoch und schaute in leuchtend graue Augen, die mich sofort fesselten. Ich zwinkerte ein paar Mal um mich wieder zu sammeln, und sah mir meinen Retter genauer an. Er sah unglaublich gut aus, dunkelblonde kurze Haare und muskulös. Er trug ein ärmelloses Shirt, so dass man das Drachen Tattoo auf seiner rechten Schulter sah, dass sich über seinen Oberarm weiterzog. Er grinste mich frech an. "Na, sind wir etwas betrunken?" Ich fühlte mich plötzlich wieder nüchtern und wurde rot. "Danke für die, ähm... Hilfe." Er lachte. "Keine Ursache. Wieso so spät noch unterwegs?" "Ach, kein Grund." Keiner von uns sagte für einen langen Moment etwas, und ich merkte, dass er mich immer noch am Arm hielt. Dort, wo er meine Haut berührte, schien sie zu brennen. Er schien meinen Blick zu bemerken und liess meinen Arm los. "Ähm... ich sollte langsam nach Hause." Er nickte und fragte, ob ich Hilfe brauchen könnte. Ich verneinte und wollte mich umdrehen, doch ich stolperte schon wieder und er fing mich wieder lachend auf. "Vielleicht sollte ich die Dame begleiten, so dass sie sicher ankommt." Mit knallrotem Gesicht nickte ich leicht, und plötzlich war mir schwindlig und ich konnte mich gerade noch an seinem Arm festhalten, bevor meine Knie komplett nachgeben konnten. Sein Blick wechselte von amüsiert zu besorgt und hielt mich fest. "Alles okay?" Ich nickte schwach. "Geht gleich wieder." Ich versuchte mich zu fassen und richtete mich wieder auf. Er legte meinen Arm um seine Schultern und seinen um meine und so gingen wir los. "Wie heisst unser betrunkener Vogel den eigentlich?" "Elly. Und wie heisst der edle Ritter auf dem weissen Ross?" Er grinste. "Erik, stets zu euren Diensten. Und nun, oh holde Maid, erläutert mir doch den Grund für euer grosses Trinkgelage heut." Mein Gesicht verdüsterte sich. "Sagen wir, ich hatte einen miesen Tag.“ "Jeder hat mal einen miesen Tag. Ist das wirklich ein Grund sich fast ins Koma zu saufen?" "Hey, ich hab mich nicht fast ins Koma gesoffen. Ich bin einfach etwas mehr als angetrunken. Und ich denke, ich habe sehr wohl das Recht, mich zu betrinken, wenn ich mitansehen muss wie mein Freund mich mit meiner Schwester betrügt." Nach dieser Aussage herrschte eine Weile Schweigen. Ich sah nicht hoch, doch ich konnte mir Eriks Gesichtsausdruck etwa vorstellen. Ich spürte, wie er mich etwas näher zog und sanft mit seiner Hand über meinen Arm strich. Diese Geste löste irgendwie die Blockade und die Tränen begannen leise über mein Gesicht zu rinnen. Er wischte mir die Tränen vorsichtig von meinem Gesicht, und als ich in seine besorgten, leuchtend grauen Augen sah brach auch die letzte Barriere in sich zusammen und die Tränen rannen in Bächen. Er blieb stehen und drückte mich sanft an sich. Ich krallte mich an sein Shirt und weinte an seiner Schulter. Er strich mir sanft über den Rücken und murmelte beruhigende Worte. Irgendwann gingen mir die Tränen aus und ich beruhigte mich. Erik nahm mein Gesicht und wischte die letzten Reste meines Heulanfalls sanft weg. Dann traf es mich wie ein Schlag. "Oh mein Gott, das tut mir unglaublich Leid! Ich hab dir ja das Shirt total vollgeheult!" Ich lief knallrot an, Erik aber lächelte nur und wuschelte durch meine Haare. "Keine Ursache. Wichtig ist nur, dass es dir wieder etwas besser geht." Ich nickte leicht und bemerkte dann, dass ich schon fast zu Hause war. "Es ok jetzt, ich wohn hier gleich um die Ecke, den Rest schaffe ich alleine. Danke viel Mal für... alles." "Steht’s zur Stelle, Ma'am." Er sah mich einige Sekunden einfach an, dann schnappte er sich in einer schnellen Bewegung mein Handy und begann zu tippen, dann gab er es mir zurück. "Meine Nummer, falls einmal wieder ein edler Ritter auf weissem Ross von Nöten sein sollte." Er küsste mich kurz auf die Stirn und ging dann seinen Weg. Ich sah ihm noch einen Moment nach und ging dann auch. Einmal schaute ich noch zurück und unsere Blicke trafen sich. Wir grinsten, und gingen dann beide schweigend unseren Weg nach Hause.
Ich öffnete leise die Tür und schlich hindurch. Das Haus war dunkel, mit etwas Glück hatte niemand etwas gemerkt. Ich schlich hoch in mein Zimmer und öffnete die Türe. Ich konnte mir einen erschreckten Schrei gerade noch so verkneifen, denn meine Mutter sass im Dunkeln auf meinem Bett und starrte mich böse an. Sie stand langsam auf, ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. "Elisabeth White, wo zur Hölle hast du bis um diese Zeit gesteckt?" Ich sah meine Mutter verängstigt an. Sie sprach meinen Namen nur komplett aus, wenn sie wirklich, wirklich wütend war. "Ich war, ähm, bei einer Freundin und habe, ähm, die Zeit vergessen. Tut mir wirklich leid." "So so, die Zeit vergessen. Darf ich dann fragen wieso du nach Alkohol stinkst?" Ich zuckte zusammen. Meine Mum wusste, dass die paar Freunde die ich hatte, Eltern hatten die ihnen verbaten zu Hause Alkohol zu trinken. "Wir, ähm, waren in der Stadt unterwegs und haben dort etwas getrunken und sind dann noch zu ihr nach Hause." "Und wer ist deine tolle Freundin, bei der du dich so lange verkrochen hast?" "Das war, ähm... Marlene!" Gott sei Dank war mir gerade noch Marlene in den Sinn gekommen. Ich hatte zwar nicht sonderlich viel Kontakt mit ihr momentan, doch wir waren uns schon lange gegenseitig die Alibis für solche Fälle. Meist war zwar ich das Alibi, aber nun konnte ich auch wieder einmal Gebrauch von dem Abkommen machen. "Na schön, ich werde Morgen einmal ein Telefonat führen und sicherstellen, dass du mich auch nicht anlügst. Und jetzt ab ins Bett mit dir! Du hast Morgen übrigens Hausarrest." Damit stolzierte sie aus meinem Zimmer. Das konnte sie doch nicht machen! Ich war jetzt schon fast 19, da konnte sie mir doch nicht verbieten einmal bis halb 2 weg zu bleiben, und das auch noch an einem Freitag/Samstag! Aber ich konnte jetzt auch nichts mehr tun. Ich schickte Marlene eine SMS mit den Informationen die sie brauchte, um meine Lüge morgen als wahr scheinen zu lassen und schmiss mich dann ins Bett.
Ich wachte auf, fühlte mich aber schrecklich. Es war lange her, seit ich das letzte Mal einen Kater hatte. Ich schleppte mich aus dem Bett in die Küche hinunter und machte mir einen Tee. Während das Wasser kochte, schnappte ich mir ein Brötchen und die Zeitung und überflog die Artikel, fand aber nichts Spannendes. Ich endete bei den Horoskopen und suchte nach meinem. Laut meinem Horoskop sollte heute nichts schiefgehen. Daran glaubte ich allerdings nicht. Meine Mutter würde immer noch wütend sein, und ich hatte immer noch Hausarrest. Was sollte ich den zu Hause den ganzen Tag tun? Ich konnte mir höchstens wieder Gedanken um den letzten Abend machen, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte und die ich auch weiterhin so lange wie möglich verdrängen wollte. Wahrscheinlich würde ich wieder einmal den ganzen Tag an meinem Laptop sitzen, irgendwelchen YouTube Stars nachschwärmen, ja ich war ein Youtubefangirl, oder eines meiner Bücher lesen. So richtig einen auf braves Mädchen machen halt. Ich hatte ja sowieso niemanden, für den es sich lohnen würde trotz Hausarrest rauszuschleichen. Ich schnappte mir meinen nun fertigen Tee, riss noch einen Bissen von meinem Brötchen und setzte mich an den Esstisch, wo auch mein Bruder sass. "Morgen Anthony." "Morgen Elly. Du siehst ziemlich tot aus. Was haste denn in der Nacht noch alles angestellt?" Mein Gesicht verzog sich zu einer schmerzhaften Grimasse. "Ach, nichts Besonderes. Ich habe nun nur seit gestern Abend einen neuen Exfreund, dank dem Luder von Schwester, dass es eine gute Idee fand im Club vor allen Leuten mit ihm rumzumachen." Anthony sah mich geschockt an. "Also... ich bin mir nicht sicher ob ich deinen Ex verprügeln gehen will oder Samantha eine überziehen will." "Wie wäre es mit beidem, in dieser Reihenfolge?" "Mal schauen. Aber ich muss sagen, du siehst schon einigermassen in Ordnung aus dafür, dass du gestern Abend... betrogen wurdest." "Hmm. Ich hab’s noch nicht so richtig vollständig registriert. Das kommt wahrscheinlich dann, wenn ich dem dummen Luder eine grosse Ladung Ohrfeigen verpassen konnte. Wo ist das Biest denn eigentlich?" Anthony sah weg von mir. "Sie... ist noch nicht nach Hause gekommen. Mutter war eine Furie heute Morgen, als sie bemerkt hat dass sie immer noch nicht zurück ist. Sie ist jetzt auf der Suche nach ihr." "Gut, dann kann ich wenigstens das Problem mit meiner Note noch etwas herausschieben." "Deiner Note? Haste schon wieder ne 5 geschrieben?" "Ja... wieder in Mathe... wenn das so weitergeht werde ich noch durchfallen!" "Ach, so schwer kann das doch gar nicht sein." Ich lachte auf. "Ach ja, sagt genau derjenige, der aus dem Gymnasium geflogen ist und dann eine Lehre als Maler angefangen hat." "Hey, reib mir das nicht unter die Nase. Ich arbeite gerne als Maler. Und ich konnte ja nicht vorher wissen, dass ich nicht fürs Gymnasium geschaffen war." "Du warst schlichtweg zu faul, dir die Dinge anzusehen!" "Ja ja, was auch immer. Iss dein Morgenessen, du verkatertes Ding." Ich murmelte noch irgendwas und gehorchte dann doch.
Ich war immer noch am Morgenessen, als ich hörte wie die Haustüre geöffnet wurde. Ich sah in den Gang und entdeckte Samantha, wie sie versuchte vorbeizuschleichen. Sie schaute herüber und unsere Blicke trafen uns. Ich konnte nicht anders als hasserfüllt zu schauen, aber ihre Reaktion war das Letzte. Anstatt irgendeine Art von Reue oder Schuldgefühl zu zeigen, grinste sie mir triumphierend entgegen, bevor sie weiter in Richtung Zimmer ging. "Anthony, ruf Mutter an. Unsere kleine Prinzessin hat den Weg zurück ins Schloss gefunden." Anthony drehte sich blitzschnell um und sah gerade noch, wie Samantha zu ihrem Zimmer rannte. Dann stand er wortlos auf und schnappte sich das Telefon und ging nach oben um anzurufen. Ich blieb sitzen und nahm mein Handy hervor. Ich musste nun wohl endgültig und offiziell den Schlussstrich ziehen. Ich suchte nach Matts Kontakt und schrieb eine SMS, seine Stimme wollte ich nicht hören:
Hey Matt. Wie du dir sicher schon denken kannst, ist es offiziell aus zwischen uns. Ein schönes Leben, ich will dein Gesicht hier nie wieder sehen müssen, egal ob du nun was mit meiner Schwester hast oder nicht. Elly
Ich schickte die SMS ab und löschte seine Nummer. Da begannen die Tränen wieder zu laufen. Ich hatte schon erwartet, dass das nicht so leicht an mir vorbeiziehen würde. Immerhin hatte ICH wirklich etwas für ihn empfunden. Ich schnappte mir ein Taschentuch und versuchte die Tränen wegzuwischen, die immer wieder durch neue ersetzt wurden. Ich stand auf und schleppte mich mit einer Packung Taschentücher in mein Zimmer. Ich schnappte meine Kopfhörer, schaltete die Musik ein, schmiss mich aufs Bett und lies meinen Tränen freien Lauf. Irgendwann hatte ich mich dann endlich wieder im Griff und schleppte mich ins Badezimmer, um meine verheulten Augen zu betrachten und zu kühlen. Ich war im Moment wirklich froh, das Haus nicht verlassen zu müssen. Aber langsam begann die Wut auf Samantha immer mehr in mir zu brodeln, und ich hatte immer mehr das Bedürfnis nach Rache. Das würde aber nicht sonderlich gut enden, ich war nicht wirklich gut in diesem Racheding.
Gerade noch war am fiese Rachepläne schmieden, da klingelte es an der Tür. Ich wollte eigentlich nicht hinunter gehen, da meine Augen immer noch etwas geschwollen waren, aber als es das zweite Mal klingelte hatte ich keine Wahl mehr. Also schleppte ich mich die Treppe runter und öffnete die Tür, nur um sie gleich wieder zuzuschlagen. Wieso zu Hölle musste Matt gerade jetzt herkommen? "Elly, Baby, mach die Tür auf." "Verschwinde Matt! Ich hab dir doch geschrieben dass ich dich nie wieder sehen will!" "Las es mich doch erklären, Baby!" Ich machte die Tür einen Spalt breit auf und schaute hinaus. "Da gibt es nichts zu erklären. Ich hab dich an den Lippen meiner Schwester gesehen, das ist Erklärung genug. Und jetzt verschwinde bitte aus meinem Leben." Ich schloss die Tür ab und liess ihn sein Zeug vor der Tür sagen, aber abhören würde ich das nicht. Ich verzog mich wieder in mein Bett und versuchte meine Fassung zu bewahren. Wie lange würde es dauern, bis mein Leben wieder normal wird? Ich wollte doch nur glücklich sein, einen Mann an meiner Seite und ein paar Freunde, mit denen ich Zeit verbringen konnte, eine glückliche Familie. Momentan hatte ich nichts von dem. Dabei könnte ich momentan wirklich eine Schulter zum Anlehnen brauchen. Plötzlich fiel mir auf, dass ich den Kontakt von Erik auf meinem Handy geöffnet hatte. Ich war versucht, ihn anzuschreiben, aber ich schob diesen Gedanken aus meinem Kopf. Schliesslich hatte ich keine Ahnung wer er eigentlich war. Es war nach meinem Trinkgelage gestern ein wahres Wunder, dass ich mich noch an seine Existenz erinnern konnte. An seine grauen Augen... "Lass das Elly!", sagte ich mir selbst und versuchte, seine Augen aus meinen Gedanken zu schütteln. Ich würde mich jetzt garantiert schon in den nächsten Typen verlieben, nicht nachdem das mit Matt immer noch so problematisch war, ich konnte ihn durchs ganze Haus rufen hören. Vielleicht sollte ich Anthony bitten, ihm eine zu verpassen, damit endlich Ruhe war. Ich kämpfte mich aus meinem Bett und klopfte an seine Türe." Anthony, kannst du kurz für mich ein Arschloch verprügeln gehen?" "Klar, ich zieh mir nur kurz was über", hörte ich aus seinem Zimmer. Damit gab ich mich zufrieden und entschied, etwas zum Mittagessen für uns beide zu machen. Ich meine, er würde immerhin gleich meinen Ex verprügeln, da hatte er sich schon was zu Essen verdient. Am einfachsten waren Spaghetti mit einer Tomatensauce, und da ich keine Energie für mehr hatte würde er sich wohl damit zufriedenstellen müssen. "so, wo haben wir denn das Drecksschwein", murmelte mein Bruder als er die Treppe runterkommt. "So wies klingt steht er noch draussen vor der Tür", meinte ich und versuchte lässig zu wirken. Anthony schloss die Tür auf und öffnete sie langsam. "Oh Gott, danke Elly! Hör mir bitte kurz-" Da hatte er schon die Faust meines Bruders im Gesicht. "Verschwinde. Lass dich nie wieder auf unserem Grundstück oder in der Nähe von uns blicken, oder du bekommst einiges mehr als nur eine Faust zu spüren." Damit schloss er die Tür wieder und schlenderte in die Küche, die Hand leicht ausschüttelnd. "Boah, so n Schlag tut mehr weh als ich erwartet habe." Ich musste etwas schmunzeln. "Ach Elly, Kopf hoch. Ich pass schon auf meine kleine Schwester auf. Und freu dich drauf, Mum sollte jeden Moment zu Hause sein, und dann gibt es richtig Ärger für Samantha." "Darauf freu ich mich wirklich schon."
Ich hörte nicht, was Mum zu Samantha sagte, und das hiess das sie wirklich Ärger bekam. Wenn unsere Mutter leise schimpfte, war es am schlimmsten. Und hätte sie nicht gerade gestern noch mit meinem Ex rumgemacht, hätte ich vielleicht sogar etwas Mitleid mit ihr. Ich selber hatte im Moment aber andere Probleme, denn Matt hatte damit angefangen auf mein Handy anzurufen, und gerade drückte ich wieder auf den roten Hörer. Am liebsten würde ich das Handy ja einfach ausschalten, aber dann würde er damit anfangen auf unser Haustelefon anzurufen, und darauf konnte ich gut verzichten. Aber trotzdem, jedes Mal wenn es wieder klingelte spürte ich einen weiteren Dolch in mein Herz rammen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich ertrug es langsam nicht mehr. Da machte ich einfach meine Kontaktliste auf, wählte mit geschlossenen Augen irgendeine Nummer und rief an. Es klingelte lange und ich dachte schon ich müsste wieder auflegen, da hörte ich eine tiefe Stimme. "Carter." Mein Atem blieb kurz stehen. Das war der Typ von gestern, Erik. Ich hatte tatsächlich ihn angerufen! "Hallo, ist da jemand?" Ich riss mich zusammen und antwortete. "Ja, ähm, hier ist, öhm, Elly." "Elly.... Ah, von gestern Abend. Bist du noch gut nach Hause gekommen?" "Ja, bin ich." "Gut zu hören. Also, wie kann ich dir behilflich sein?" "Ähm..." Was sollte ich bloss sagen? Ich kam mir etwas doof vor zu gestehen dass ich schon wieder den Tränen nahe war und eigentlich nur wollte dass mein Telefon nicht mehr klingelt. "Bist du noch da Elly? Ist alles in Ordnung?" Er klang besorgt. "Ja, alles in Ordnung. Tut mir Leid dass ich dich störe, ich weiss gar nicht genau wieso ich angerufen habe. Du hast sicher besseres zu tun." Er lachte. "Du störst nicht, ich mache gerade sowieso nichts Spannendes." Er wurde wieder etwas ernster. "Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist, Elly?" Ich wollte ja sagen, aber es blieb mir im Hals stecken. Dafür kam ein leiser Schluchzer hoch, den ich nicht mehr unterdrücken konnte. "Elly?" Erik klang nun ziemlich besorgt. "Es... Es geht schon." "Willst du drüber reden?" Etwas erstaunt hielt ich inne. Es war lange her, dass jemand mich fragte ob ich reden wollte. Nicht einmal Matt hatte sie das gefragt wenn es ihr schlecht ging. "Schon in Ordnung, ich will dir deine Zeit nicht stehlen." "Nein, ich hab sowieso nichts zu tun. In 30 Minuten im Bears, ich lad dich auf einen Kaffee ein." Damit legte er auf. Er war sich wohl sehr sicher, dass ich kommen würde. Aber ehrlich gesagt hatte ich es dringend nötig, mit jemandem zu reden.
Da war ich nun, sass im Bears an einem Tisch in der Ecke, einen Tee zwischen den Händen und seit 10 Minuten am Warten. Hatte er mich wirklich versetzt? Dann hätte er gar nicht vorschlagen sollen sich zu treffen. Ich war kurz davor meine Tee hinunterzukippen und zu verschwinden, da fiel Erik fast zur Tür herein. Ausser Atem schaute er sich um, bis er mich fand und kam auf mich zu. "Mein Gott Elly, es tut mir so leid. Ich wollte schon lange hier sein, wirklich. Ich habe plötzlich ein Telefon erhalten, das ich nicht einfach ignorieren konnte." Ich winkte ab. "Schon in Ordnung, kann ja mal passieren." Er lächelte dankbar und setzte sich hin. Schon kam auch die Bedienung und fragte ihn mit anzüglichen Blicken nach seiner Bestellung. Genervt von ihrem Blick sah ich zu Erik und verstand plötzlich, wieso sie ihn mit ihren Augen auszog. Anscheinend musste es zu angefangen haben zu regnen, denn Eriks Haare und Kleider sahen ziemlich durchnässt aus, sein Shirt klebte förmlich an seinem muskulösen Oberkörper. "Du hättest nicht durch den Regen rennen müssen, deine Kleider sind ja völlig durchnässt", meinte ich leise, nachdem er einen Kaffee bestellt hatte. Er sah wirklich verdammt gut aus. Vor allem sah er ganz anders aus als Matt. Matt hatte braunes Haar und braune Augen. Er sah zwar gut aus, aber eher auf eine normale Art. Erik dagegen sah mit seinem blonden Haar und den leuchtend grauen Augen atemberaubend aus, wortwörtlich. Ich musste mich von seinen Augen losreissen, damit es nicht komisch wirkte. "Ach, das macht nichts. Ich kann mir später nebenan im Trainingscenter was anderes anziehen, ich habe da immer Reservekleidung in meinem Schrank." Ich schüttelte den Kopf. "Geh dich kurz umziehen. Es bringt nichts wenn du jetzt noch krank wirst." Er sah mich kurz prüfend an und nickte dann. "Ich bin gleich zurück." Als er das Bears verliess, atmete ich aus. Erik Carter sah definitiv verboten gut aus. Ich begann mich zu fragen, wieso er sich überhaupt die Zeit nahm, herzukommen. Immerhin kannten wir uns erst seit gestern Abend, und da war ich betrunken und er hatte mich einfach nach Hause begleitet. Und wieso wollte ich überhaupt mit ihm sprechen, mich ihm anvertrauen? Auch ich kannte ihn erst seit unserem betrunkenen Treffen. Ich war sonst überhaupt nicht so, im Gegenteil. Normalerweise sprach ich mit niemandem über meine inneren Sorgen, meinen Schmerz. Und dieser Mann brachte mich dazu, ihm alles sagen zu wollen. Was war los mit mir? Ich hing noch etwas diesen Gedanken nach und trank etwas Tee, bis Erik wieder zur Tür hineinkam. Diesmal hatte er Jeans und einen Hoodie an und eine Tasche dabei, wahrscheinlich waren da seine nassen Kleider drin. Grinsend kam er wieder zu meinem Tisch. "Ich hatte sogar einen Schirm dort." "Freut mich." Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. "Also, was bedrückt dich?" Auch ich wurde wieder ernst. "Ach, dasselbe wie gestern." "Erzähl‘s mir." Und das tat ich. Ich erzählte ihm, wie ich Matt knutschend mit meiner Schwester gefunden hatte, wie ich mich daraufhin betrank und dann ihn getroffen hatte. Ich begann auch Dinge zu erzählen, die mir vorher nie aufgefallen waren. Dass Matt mich eigentlich nie so behandelt hatte wie ich es mir gewünscht hätte. Dass er mich für selbstverständlich nahm, sich nicht für meine Probleme interessiert hatte. Dass er immer mehr von mir wollte und mir nicht die Zeit geben wollte, die ich brauchte, dass er immer wieder mir vorwarf dass er sich Mühe gäbe aber ich nichts tun würde, was nicht stimmte. Wie er immer wieder gemeine Witze auf meine Kosten riss. Wie oft er mich verletzt hatte, aber ich es über mich ergehen liess weil ich verliebt war. Ich bemerkte gar nicht, dass ich zu Weinen begonnen hatte, bis Erik mir sanft die Tränen aus meinem Gesicht wischte. Ich schniefte, wischte mir die immer wieder kommenden Tränen aus dem Gesicht und sah Erik entschuldigend an. "Tut mir leid, ich wollt hier nicht rumheulen." Er schüttelte den Kopf. "Da gibt es nichts zu entschuldigen." "Wieso tust du dir das überhaupt an? Du hast sicher viel Besseres zu tun als einer rummeckernden Frau zuzuhören." Er lächelte. "Nicht wirklich. Ausserdem lasse ich Menschen nicht gerne alleine in ihren Problemen wenn ich ihnen helfen kann, sei es nur indem ich zuhöre." "Danke…" "Keine Ursache. Aber ich könnte jetzt etwas frische Luft vertragen. Lust auf einen Spaziergang? " Er stand auf, lächelte mich auffordernd an und hielt mir seine Hand hin. "Wieso nicht?" Ich nahm seine Hand und stand auf. Erik bezahlte unsere Getränke und wir verliessen das Bears. Schweigend gingen wir die Strasse entlang und ich bemerkte, dass er immer noch meine Hand hielt. Ich wurde etwas rot, aber ich sagte nichts, denn wenn ich ehrlich war gefiel es mir. Seine Hand war warm und stark, und meine Hand kribbelte überall dort wo seine sie berührte. "Erzähl mir was über dich" sagte Erik plötzlich in die Stille. "Da gibt es nicht so viel zu sagen. Ich schliesse bald das Gymnasium ab und dann geht’s wohl an eine Hochschule oder Universität studieren. In meiner Freizeit mach ich auch nicht sehr viel. Vorher hab ich meistens etwas mit Matt unternommen… Aber diese Zeiten sind jetzt auch vorbei." Es schmerzte etwas daran zu denken, dass ich jetzt zu viel Zeit haben würde und nichts mehr um diese Lücke zu füllen. "Naja, sonst verbringe ich die meiste Zeit zu Hause oder im Ausgang mit ein paar Freunden. Was ist mit dir, was machst du so?" Erik begann damit, ein paar Sachen über sich zu erzählen. Er studierte im letzten Semester Pädagogik, in seiner Freizeit ging er meistens ins Trainingscenter oder spielte zwischendurch mit seinem Bruder eine Partie Tennis. Eigentlich wollte ich noch weiter nachfragen, aber irgendetwas gab mir das Gefühl das ich das lieber lassen sollte.
Wir gingen noch eine Weile schweigend weiter, bis wir in einen Park kamen. Auf einer Plattform spielte eine Gruppe Musiker. Erik blieb stehen, drehte sich zu mir um und verbeugte sich. "Darf ich um diesen Tanz bitten, Ma’am?" Ich wurde etwas rot, nickte nur und legte meine Hand wieder in seine. Er zog mich mit sich auf die Wiese zu den Musikern und legte seine Hand an meine Hüfte. Ich legte meine auf seine Schulter, und die Musiker, die uns anscheinend bemerkt hatten, begannen einen Walzer zu spielen. "Ich kann aber nicht wirklich tanzen", murmelte ich knallrot. Erik lachte. "Macht nichts, ich auch nicht." Das stellte sich aber ziemlich schnell als Lüge heraus, denn er führte mich sicher und gekonnt über die Wiese und wir bewegten uns zum Takt. Ich trat ihm auch nicht allzu oft auf die Füsse, sondern schlug mich überraschend gut. Ich hatte das Gefühl, als ob wir über die Wiese flogen und irgendwo ganz hinten in meinem Kopf wünschte ich mir, ich hätte eines dieser luftigen Sommerkleider an und wir wären alleine in einer Waldlichtung. Und je länger wir tanzten, desto mehr hatte ich das Gefühl tatsächlich dort zu sein. Ich schaute schüchtern in seine Augen und sie zogen mich sofort in ihren Bann. Mein Herz begann schneller zu schlagen als er meinen Blick erwiderte. Wir tanzten weiter, den Blickkontakt nicht unterbrechend, mein Herz immer schneller schlagend. Küss mich, dachte ich und stockte kurz. Hatte ich das wirklich grade gedacht? Ich schaute wieder in seine Augen. Ja, ich wünschte mir tatsächlich, seine Lippen auf meinen zu spüren. Und sobald ich mir das eingestanden hatte, realisierte ich, wie sehr ich mir mehr und mehr Nähe wünschte. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, zog Erik mich sanft näher zu sich, immer näher. Wir wurden langsamer und blieben schliesslich stehen. Erik kam näher und ich schloss meine Augen, den Kuss sehnsüchtig erwartend. Plötzlich spürte ich, wie Erik kurz in der Bewegung innehielt. Dann spürte ich, wie er mir einen Kuss auf die Stirn gab. Verwirrt öffnete ich meine Augen und sah Erik fragend an. "Tut mir leid, Kleines. Aber so funktioniert das nicht. Du scheinst mir nicht die Art von Frau zu sein, die einfach vom einen Mann zum nächsten springt, und ich will nicht der Ersatz für jemanden sein. Es würde uns beiden nur schaden, wenn ich dich jetzt küssen würde." Ich verstand zwar, dass das, was er sagte, durchaus Sinn ergab, aber trotzdem hatte ich jetzt gerade ein Verlangen nach seinen Lippen. Aber da konnte ich nichts tun, und er nahm die Hände von mir. Ich spürte die Kälte dort, wo sie vorher noch waren und wünschte sie mir zurück. Er lächelte mich an und nahm meine Hand, und wir gingen wieder zurück. Wir sprachen nicht mehr viel, und als wir bei mir zu Hause waren gab er mir noch einmal einen Kuss auf die Stirn. "Bis bald, Elly" "Bis bald", flüsterte ich als er schon wieder ging. Ich schloss die Haustür auf und drehte mich noch ein letztes Mal um, und wie am Tag zuvor trafen sich unsere Blicke und wir grinsten.
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2014
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