Drangsal
„Ich will endlich wieder einmal Sex mit DIR.“
Sein Blick ist hart. Seine Augen glänzen. Mit hartem Griff zwingt er sie zurück auf die Couch.
„Ich werde es nicht zulassen, dass du dich wieder in deinen Phantasien verkriechst.“
Die Ohrfeige wirft ihren Kopf zur Seite. „Sieh mich an!“
Sie zwingt sich, ihn anzusehen, schaut ihm in die Augen, die nun, da sie seinen Blick erwidert, ganz weich werden und sich in kleine Lachfältchen zerstreuen.
Er ist ihr so vertraut. Sie kennt die Wärme, die Begierde, das verhaltene Feuer in seinem Mienenspiel.
Sie weiß, wie sehr er sie liebt.
„Wem gehörst du?“, raunt er.
„Dir“, antwortet sie mechanisch.
Es kostet sie Kraft, wirklich hinzuschauen. Wie viel lieber würde sie die Augen schließen und sich fallen lassen, sich davonträumen in eine andere Welt, in einen Kokon aus grobem Seil, ein Verlies aus Eisen und Stein, in die Arme eines gesichtslosen Entführers.
Doch er lässt sie nicht entkommen.
„Schau mich an!“, fordert er harsch, sobald ihr Blick zur Decke flieht.
Er öffnet ihre Schenkel, drückt ihre Knie in Richtung Oberkörper. Sie spürt sein erigiertes Glied, das sich entschlossen zwischen ihre Gesäßbacken drängt.
„Zeig mir, wie sehr du mich liebst!“, flüstert er.
Sie weiß, wie viel es ihm bedeutet, sie auf diese Weise zu nehmen – auch und gerade dann, wenn es ihr widerstrebt, wenn sie Schmerzen hat und sich alles in ihr dagegen sträubt. Für ihn ist es ein kostbarer, ein unschätzbarer Liebesbeweis.
Als er in sie eindringt, kann sie die Tränen nicht mehr länger zurückhalten.
„Tue ich dir weh?“, fragt er zärtlich. Sie nickt.
„Das ist schön.“ In seinen Augen sieht sie ein warmes Leuchten.
Er nimmt sie mit ruhigen, festen Stößen. Sein Blick hält den ihren fest.
Sie weint.
Sie weint, und er genießt das. Endlich ist sie wieder sein.
Ihr Körper wird von einem lautlosen Schluchzen geschüttelt.
Es tut so weh, dass sie kaum noch atmen kann.
„Ich liebe dich“, flüstert er.
„Ich dich auch“, lügt sie.
Sie erstickt an der Nähe, die er ihr auferlegt.
Er ahnt nicht, dass sie dabei ist, ihn bei lebendigem Leibe zu häuten, ihm glühende Nägel ins Fleisch zu treiben, ihm das Herz aus der Brust zu reißen.
Er weiß nichts vom Erkalten ihrer Gefühle, kennt nicht die Last ihrer Zweifel.
Er liebt sie. Klar und unerschütterlich.
Mit einem kehligen Schrei zersplittert ihr Schmerz.
Und er lächelt zufrieden…
Eiszeit
Du sitzt auf dem Sofa, keine fünf Meter von mir entfernt. Doch es könnte auch ein anderer Kontinent sein. Die Distanz, die uns trennt, ist unüberwindbar. Ich sehe dein liebes, vertrautes Gesicht, erstarrt zu einer Maske aus Schmerz und Einsamkeit. Dein Hass tut mir beinahe körperlich weh. Dabei habe ich selbst den Bannspruch geschleudert, der dich so kalt und hart werden ließ.
‚Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar‘ heißt es. Dich aber hat die Wahrheit geradezu vernichtet. Sie hat dir deinen Stolz und deine Würde geraubt, dir den Boden unter den Füßen weggezogen und deine Existenz zerrüttet. Vor allem aber hat sie dein Vertrauen in mich zerstört.
Ich habe dich betrogen. Nicht körperlich, meine Hand hat in all den Jahren nie einen anderen berührt als dich. Aber mit meinem Geist und mit meiner Seele. Ein anderer Mann hat mich begeistert, bewegt und bezaubert, und ich habe es zugelassen, habe in seiner Zuneigung geschwelgt und ihm mein Herz geöffnet. Wir haben gemeinsam in Wortwolken getanzt und uns in aus Buchstaben gewebten Räumen geküsst. Und ich habe mich in ihn verliebt, so gründlich, wie man sich nur verlieben kann.
All das geschah hinter deinem Rücken. Ich habe es dir lange Zeit verschwiegen, weil ich wusste, dass du von mir verlangen würdest, den Kontakt sofort abzubrechen – und ich es einfach nicht übers Herz brachte, diesen Mann aus meinem Leben gehen zu lassen. Dabei war immer klar, dass unsere Gefühle nicht für die Realität gemacht waren. Wir hatten nur unseren literarischen Zauberraum, um einander zu begegnen, hatten nur Worte, um unsere Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Aber ich war süchtig nach diesen Worten. Ich wollte nie wieder ohne sie sein.
Damals dachte ich, dass beides möglich wäre: meine wortverliebte Verzauberung und die warme, greifbare Realität in deinen Armen. Ich glaubte, dass es einen Weg gäbe, beides zu leben und wahrhaftig zu empfinden, ohne damit das Bestehende zu schmälern. Doch unsere Beziehung war längst krank zu dieser Zeit. Sie litt an chronischer Entfremdung, an akuter Überreizung und anhaltender Perspektivlosig- keit. Und schon bald wurden jene Traumzauberräume für mich zur Droge, zum einzigen Ausweg aus dem Schmerz und der Erschöpfung unseres zermürbenden Beziehungsalltags. Du indessen hattest so eine Fluchtmöglichkeit nicht. Du versankst alleine in Kummer und Verzweif- lung und fühlst dich nun zu Recht von mir im Stich gelassen.
Das Schlimme ist: Ich liebe jenen anderen Mann immer noch. Er ist meinem Herzen ganz nah, und es fällt mir schwer, ihm nicht zu schreiben. Ich vermisse ihn und sehne mich nach ihm. Aber dich liebe ich deswegen nicht minder. Wenn ich dich dort drüben auf der Couch sitzen sehe, so fern und wie versteinert auf deiner einsamen Insel, dann wird alles in mir ganz weich. Dann muss ich an mich halten, um nicht vor dir auf die Knie zu sinken und meinen Kopf in deinen Schoß zu legen. Ich muss meine Hände bezähmen, nicht über die Züge deines Gesichts zu wandern oder dir durchs Haar zu streichen, muss meinen Mund mit Gewalt daran hindern, dich zu küssen.
Die Liebe, die ich für dich empfinde, wird genährt von unserer gemeinsamen Geschichte, von all den Dingen, Orten und Erinnerungen, die wir schon miteinander geteilt haben, vom Glück der ersten Jahre, von all den Hoffnungen und verheißungsvollen Träumen einer gemeinsamen Zukunft. Aber viele davon liegen jetzt zerbrochen im Staub und es ist ungewiss, ob sie je wieder heilen können. Ich liebe dich, aber ich weiß nicht, ob wir auf Dauer miteinander glücklich werden können. Wir sind so verschieden und die Situation ist so verfahren, voller Konflikte und Gegensätze, voller Spannungen und Schmerzen und geprägt von tiefer gegenseitiger Verletzung.
Vielleicht ist das einzige Heilmittel für dich, jetzt aufzustehen und hocherhobenen Hauptes zu gehen – aus meiner Welt, aus meinen Armen und aus meinem Leben. Und vielleicht kann ich nicht mehr tun, als dich ziehen zu lassen, damit die Wunden sich schließen können, die ich dir geschlagen habe. Aber noch bist du da. Du starrst und schweigst und mauerst. Aber du bist noch da.
Und solange du da bist, besteht Hoffnung.
La Bête
Staunend stehe ich vor dir, du stolzes, wildes Tier.
Sehe deine geifernden Lefzen, deinen flackernden Blick.
Du hast mich vor dir gewarnt, mehr als einmal hast du das.
Und doch konnte ich deinem Ruf nicht widerstehen.
Ich folgte dir in deinen Garten und pflückte die Rose,
die Verbotene, die mich meine Freiheit kosten sollte.
Wirst du mich jetzt verschlingen?
Was ist es nur, das mich in deinen Bannkreis lockte,
obwohl ich doch wusste, dass dort Zerstörung lauert?
Was ließ mich die Stimme der Vernunft vergessen?
Liegt es daran, dass du ein Teil von mir bist?
Schon immer warst, von Anbeginn?
Dass ich nicht ganz bin ohne dich?
Ja, ich habe Angst.
Werde ich mich verwandeln, wenn du mir zu nahe kommst?
Wird ein dunkles Grollen aus meiner Kehle dringen?
Werden meine Finger sich zu Klauen verformen?
Wird meine Gier nach Blut erwachen?
Wie wird es sich anfühlen, wenn ich meine Reißzähne
in warmes, zuckendes Fleisch schlage?
Und wirst du mich dann noch lieben?
Es ist so viel leichter, schön zu sein. Unberührbar, unantastbar schön.
Angebetet, bewundert, begehrt. Aber kühl und ohne jede Regung.
Ich ersticke fast an meiner Makellosigkeit.
Heilen soll ich dich, sagst du?
Wie könnte ich das, da ich doch selbst nicht heil bin.
Ich sehne mich nach dir, ich brauche dich.
Zerreiß mich ruhig, ich bin doch längst zerrissen.
Nicht du, du sanfte Kreatur, nur ich allein.
Siehst du denn nicht deine erhabene Schönheit?
In deiner Haltung und in deinem Gang?
Die Grausamkeit, die du mir nicht verhehlst,
die eben macht dich schön, weil du dich in ihr zeigst.
Du hebst den Kopf, den Leib bereit zum Sprunge.
Ja, nimm mich, mach mich zu der Deinen.
Erlöse mich von meiner Einsamkeit.
Ich sehe es wohl, auch du fühlst dich verlassen,
ich atme, spüre deine Traurigkeit.
Wann haben wir verzagt, Geliebter?
So nah wir uns auch sind, wir werden niemals
den Abgrund überwinden, der uns trennt.
Wenn du mich ansiehst
Wenn du mich ansiehst, wird mein Körper zur Landschaft, werde ich weich und geschmeidig wie eine Weide im Wind. Mein Haar: eine Wildkräuterwiese, duftig und üppig, sinnlich und wild. Deine Hände nisten darin. Sie erkunden meine Hügel und Täler: die Biegung meines Nackens, die Rundung meiner Brüste, die sanfte Wölbung meines Bauches, die Konkave zwischen Taille und Hüfte, die du so sehr liebst, und die kühne Kurve, mit der die Tiefebene meiner Lenden in das Hügelland meines Hinterns übergeht. Mein vulkanisches Becken erglüht unter deiner Berührung.
Meine Brüste, die zarten, runden, wohlgeliebten, vergehen in hungrigem Sehnen. Meine Augen werden zu Seen im Mondlicht, feucht schimmernd im Spiegelschein deiner Liebe, und meine Lippen gleichen Erdbeer- feldern, die nur darauf warten, gepflückt zu werden. Behutsam pflügen deine Finger durch das Ackerland meiner Scham, spielen mit Klatsch- mohn und Getreideähren. Komm, ja, komm, mein Geliebter, schöpfe aus dem nie versiegenden Brunnen, stille deinen Durst an meiner sprudelnden Quelle!
Vielleicht findest du Gefallen daran, meine Hände zu Garben zu binden oder mir Brennnesselwälder unter die Sohlen zu setzen. Wie auch immer du mich willst, ob mit Dreschflegel oder Drillmaschine, meine satte, fruchtbare Erde ist dein. Bepflanze sie mit leuchtenden Striemen und glühenden Küssen, mit Hitze, Lust und Schmerz. Komm, und bewohne deine Ländereien, mein Herr!
Texte: Titelbild (c) Günter Havlena / pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2011
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