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Von der Freundschaft von Sakura und dem Wind



Es war einmal ein Mädchen mit langen, roten Haaren und vielen Sommersprossen, die wie kleine Kinder auf ihrem Gesicht verstreut waren und spielten. Ihre Mutter kam jeden Abend und erzählte ihr Geschichten, Geschichten vom bösen Wind, der die Leute im Dorf verlachte und ihnen das Haus wegpustete. Immer horchte das Mädchen aufmerksam und prägte sich alles ein. Wenn sie vor die Tür ging, zog sie ihre kleine Strickjacke enger um sich und lief mit schnellen Beinen über die Gassen. Sie besuchte ihre Großmutter, die am anderen Ende des Dorfes in einer kleinen Hütte wohnte. Ihre Katze namens Neko kam freudig auf sie zu und stupste Sakura zur Begrüßung mit der nassen Nase an, führte sie durch das bewachsenen Gartentor hinein in die gute Stube. Ihre Großmutter saß dann immer im Schaukelstuhl vor den tanzenden Flammen des Feuers und strickte wundersame Kleider für ihre geliebte Enkelin. So auch heute. Sakura setzte sich auf den flauschigen Teppich, nahm Neko auf den Arm und sah ihrer Großmutter beim Stricken zu. Am Anfang sagte sie immer nichts, doch wenn man Geduld hatte, begann sie, von ihrer Kindheit zu erzählen, damals als der Wind noch friedlich über die Felder zog und mit den Haaren der Mädchen spielte. Den Jungen pustete er den Strohball über die ganze Wiese und gewann die Spiele. Jedes Kind liebte den Wind. Doch eines Tages hatte man ihn beschuldigt, für Unruhe zu sorgen und der Wind zog los und riss die Dächer vom Haus, machte die Felder unfruchtbar und verscheuchte das Vieh.
„Großmutter.“, begann das Mädchen heute, „Was würde passieren, wenn man den Wind besänftigen würde? Wenn man ihm erzählen würde, dass alles nur ein Missgeschick war?“
„Dann wäre er uns wieder wohlgesinnt.“, sagte sie und fuhr Sakura über die Apfelroten Haare. „Und ich hoffe, du wirst einmal ein kluges Mädchen und verärgerst keinen, der dir nichts getan hat.“
Das Mädchen schaute auf Neko hinab und nickte. „Ich werde es mir merken.“
Nach dem Mittagessen, verließ Sakura ihre Großmutter wieder und zog los zum Feld. Die Leute auf den Gassen zeigten mit dem Finger auf sie. Niemand hatte es in den letzten Jahren gewagt, auch nur einen Schritt auf die Felder zu zumachen. Selbst Händler mieden das Dorf soweit es ging. Bis jetzt reichten ihre Vorräte gut, doch wenn der Winter kam, war das Leben ungemütlich und grausam.
Die kleinen Stiefel versanken im Schlamm, doch Sakura kümmerte sich nicht darum. Der Wind musste aufhören, sie wollte, dass ihre Großmutter vergaß, dass der Großvater bei einem Sturm sein Leben gelassen hatte. Sie wollte, dass der Wind wieder mit den Kindern spielte, den Menschen die leichten Sommerprisen wieder gab, mit ihnen um die Wette rannte. Dafür würde sie sogar zu ihm gehen, sei es noch so gefährlich.
Tapfer kämpfte sie gegen die mächtigen Böen an, zwang sich, einen weiteren Schritt zu machen. Die Alten sagten, der Wind wohne tief im Wald, der an das Feld grenzte. Keuchend schlug das Mädchen sich durch das Feld, Staub wehte ihr in die Augen, ließ sie husten. Doch ihr Wille trieb sie an. Der Wille für ein schönes Leben in Eintracht mit den Naturgeistern.
Äste verhedderten sich in ihren langen Haaren, hielten sie fest. Entschlossen griff sie nach dem kleinen Messer, das die immer bei sich trug, seit sie gehen konnte und schnitt sich ihre Pracht ab.
Der Wind, welcher über ihr schwebte und das mutige Kind beobachtete, war erstaunt über ihre Entschlossenheit, Frieden zu bringen. Er ließ sie passieren, folgte ihr, bis zu seinem eigenen Heim.
Eine kleine Lichtung in voller Blüte und Windstille tat sich vor Sakura auf. Sie blickte sich um und setzte sich. Sie war an ihrem Ziel, das wusste sie.
„Wind!“, rief sie laut und klar. Sie hatte eine Stimme von schellenden Glöckchen, ihre Lieder zauberten ein Lächeln auf die Gesichter der Alten.
„Wieso bist du hierhergekommen?“, wisperte eine leise Stimme an ihrem Ohr. Sie sah hinter sich. Ein junger Mann stand auf der Lichtung. Er mochte so um die sechzehn Sommer sein, hatte wirres, braunes Haar und leuchtend blaue Augen. Am Leib trug er nichts weiter als ein weißes Hemd und eine braune Hose. Seine nackten Füße schienen sich auf dem wogenden Gras sehr wohl zu fühlen.
„Bist du der Wind?“, fragte sie, ihre Augen wurden groß. Einen solch schönen Jüngling hatte sie selbst im Dorf noch nie gesehen.
„Ja.“, gab er zurück und lachte leise. „Nun, Mädchen, was willst du von mir?“
„Ich möchte, dass du wieder lieb zu den Kindern wirst, den Menschen die Felder wieder gibst.“, sagte sie entschlossen und stand auf.
„Warum sollte ich das tun?“, fragte er sanft. Der gute Wille des Mädchens gefiel ihm.
„Weil ich mit dir lachen möchte. Und wenn meine Haare wieder nachgewachsen sind, kannst du auch mit denen spielen. Die Jungs vermissen dich.“, sagte sie leise, den Kopf gesenkt.
„Und was ist mit den Alten?“
Sie sah ihn erschrocken an. „Ich bitte dich, höre nicht darauf, was die Erwachsenen sagen. Sie müssen die Augen wieder öffnen, sie haben die wahre Natur längst vergessen, ihre Schönheit, ihre Notwendigkeit. Erwachsene sind starr auf das gerichtet, was ihnen den meisten Nutzen bringt. Spaß kennen sie nicht. Du musst die bekehren, ihnen das Leben wieder schenken!“ Tränen traten in ihre kleinen Augen. „Ich möchte so gerne mit dir befreundet sein. Du bist doch schon längst mein bester Gefährte.“
Er hockte sich vor sie hin, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und trocknete ihre salzigen Tränen. „Ja, da hast du Recht. Ich habe noch nie ein Mädchen mit einer solchen Kraft in ihrem Herzen gesehen. Ich kann dir vertrauen.“ Ein feines Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
„Heißt das, du wirst mit mir und den anderen Kindern spielen?“, fragte sie glücklich.
„Ja. Was hältst du von Drachen steigen lassen? Ich habe gehört, das hat man bei euch im Dorf schon lange nicht mehr getan.“
Sie sprang begeistert in die Luft. Und so nahm der Wind ein paar Blätter vom Baum, nähte sie mit langen Grashalmen aneinander und kürzte seine Hose, damit der daraus eine lange Schurr basteln konnte. Dann brach er drei gerade Äste ab und wickelte um den einen die Lange Schnur, die anderen jedoch legte er zu einem Kreuz und klebte es mit seiner Spucke hinten auf die Blätter. Das andere Ende des Seils befestigte er an den Ästen.
„Dann lass uns losgehen.“, meinte er und hielt ihr seine Hand hin. Freudig ergriff sie diese und machte sich zusammen mit ihm auf ins Dorf. Der Sturm hatte bereits nachgelassen und als man das Mädchen Hand in Hand mit dem Wind kommen sah, schlug man die Hände vor den offenen Mund. Einzig allein die Großmutter lächelte über den Sturkopf ihrer Enkelin und kam ihr auf dem Feld entgegen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so lebt der Freund der Kinder noch immer.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.01.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle mutigen Mädchen, die diese Welt noch einmal vor dem Untergang bewahren werden.

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