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Hoch droben, am Brocken, da gehen sie um,

und es sind nicht nur bucklige Gestalten.

Oh, noch zieh’n sie dahin, weitgehend stumm –

aber man weiß: später gibt es kein Halten.

 

Die Leute im Dorf, die wissen wohl Bescheid

über alles, was sich dort oben tut.

Für Fragen haben sie jedoch keine Zeit.

Und um nachzuseh’n, fehlt ihnen der Mut.

 

Der einsame Wanderer auf seinem Pfad

hat nur unklare Gerüchte vernommen.

Wunderliche Weiber auf hohem Grat?

Seine Vorstellung ist reichlich verschwommen.

 

Die Neugier, sie treibt ihn, sie zieht ihn voran.

Sowas war schon oft das Verderben.

„Doch schließlich“, sagt sich der wackere Mann,

„werde ich heute dabei schon nicht sterben.“

 

Wer würde es wagen, ihn über Gefahr

und drohende Risiken aufzuklären?

Bestimmt niemand aus jener schweigsamen Schar.

Zudem würde es seinen Aufstieg erschweren.

 

 

 

 

So steigt er denn weiter und weiter hinauf.

Derweil senkt sich sachte die Sonne in Rot.

Man denkt sich, das Unglück nähm‘ schon seinen Lauf

und der Wanderer sei … ja nun, gleich schon tot.

 

Doch halt: zuerst wird der Zirkel eröffnet:

ein formaler Reigen, ein fröhlicher Tanz.

Man überspringt mutwillig das reimende Wort

und erfüllt den Gipfel mit mystischem Glanz.

 

Es schimmert und funkelt und glitzert allhier:

ein so schreckliches schönes Machtgefunkel.

Weise ins Dickicht verzieht sich das Getier.

Unten im Dorf ist es inzwischen dunkel.

 

Da steigt der Wanderer über die Kante

und lugt nur ganz zaghaft zwischen die Steine.

Sieht das Feuer, das bereits prasselnd brannte;

außenherum Hexen, große und kleine.

 

Hexen? Ja, wirklich? Vielleicht nur Leute mit Besen.

Vielleicht ein luftiges Quidditch-Spiel gar,

und mehr ist an der Sach’ nicht dran gewesen?

Doch wie macht man sich hier den Unterschied klar?

 

Der Wanderer rätselt, er hält sich versteckt.

Er ist zwar noch bange und sehr auf der Hut.

doch seine Neugier ist nunmehr geweckt.

So harret er weiter und wahrt seinen Mut.

 

 

Da vorne, am Feuer, da tritt jemand vor!

Ist’s die Oberhexe, der ruhende Pol?

Gibt allen ein Zeichen, darauf tönt ein Chor

von mehr als über einhundert Stimmen wohl.

 

Und in der Luft entsteht ein starker Strudel;

ein Zittern in des waldigen Laubes Höh’n,

ein Wirbel, ein unselig‘ Geisterrudel:

furchtbar, gewaltig, und doch irgendwie schön.

 

Das Feuer, es lodert noch höher hinauf,

als ob es schier nimmermehr enden wolle.

Die Hexenmagie nimmt hier bloß ihren Lauf.

Ob’s jemand bemerkt, spielt heut‘ keine Rolle.

 

Der Wand’rer, zwischen den Felsen verborgen,

bemerkt nun auch, dass sich was unter ihm rührt.

Er fürchtet schon, es gäbe für ihn kein Morgen,

denn eine Erschütterung ist‘s, die er spürt.

 

Ein Erdrutsch? Auf dem Brocken? Ein Beben gar?

Mit Grausen klammert er sich an einen Baum.

Kräfte der Erde werden hier offenbar!

Noch ein Werk jener Hexen? Man glaubt es kaum.

 

Doch … das Rütteln lässt nach, und die Melodie

verändert nun relativ sacht ihren Ton.

Solchen Choral vernahm der Lauscher noch nie.

Aber nur Furcht ist seines Zuhörens Lohn.

 

 

Nun bricht ein Sturm los, und er ist fast von Sinnen.

Er vernimmt Gemurmel, Rufe und Lachen.

Der Orkan braust schier unaufhaltsam von hinnen.

Seht! Schatten, die das Feuer weiter entfachen!

 

Schier entfesselt hat sich nunmehr die Natur:

die Wolken scheinen rasend am Firmament.

Der Wanderer dort bereut längst seine Tour,

während das Feuer bis in den Himmel brennt.

 

Dann wird die Melodie urplötzlich zum Ruf.

Nur nach was oder wem, ist ihm noch nicht klar.

Er befürchtet schon jemand mit Horn und Huf;

den Teufel vielleicht, seine Großmutter gar?

 

Und doch… der Wind legt sich allmählich, erstirbt.

Und selbst jene Flammen werden geringer.

Von ferne hört man, wie eine Grille zirpt.

Da hebt die Oberhexe ihren Finger.

 

„Schwestern und Gäste!“, sagt sie in die Runde,

„der Reigen der Elemente ist fast beendet.

Schließen wir ihn noch in dieser Stunde.

Ein letztes fehlt noch, so sei dies gewendet.“

 

Sie weist auf das Feuer, das weiterhin zischt.

Die Menge nickt ihr bloß zu, summt einen Ton,

und von oben ergießt sich schon eine Gischt:

ein Platzregen ist hierbei des Klanges Lohn.

 

 

„Eins sind Feuer und Wasser, Erde und Luft!“

Regen prasselt herab, schier ohne Ende.

Und während die Oberhexe dies noch ruft,

schleicht sich der Wanderer leis vom Gelände.

 

Spät, zu spät wohl! Sie ruft ihm lachend noch nach:

„Nichts wird man dir glauben, nichts hast du geseh’n!“

Tatsächlich – er fragt sich: „War ich wirklich wach?

Sah ich wahre Hexen am Feuer dort steh’n?“

 

Er rennet, er jaget, den Brocken hinab.

Er stolpert, verfängt sich, und mit einem Knall

stürzt er auf Fels, der Berg wird sein Grab.

Wieder ein tragischer Brocken-Bergunfall.

 

Impressum

Texte: Darkana
Cover: https://pixabay.com. Free for commercial use. No attribution required.
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Beitrag zum September-Wettbewerb der Anthologie-Wettbewerbsgruppe. Das Thema lautete „Feuer, Wasser, Erde, Luft“.

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