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Die geheimnisvolle Frau in der Notaufnahme

Niemand wusste, wer sie war. Sie musste gegen 23 Uhr am Samstagabend eingeliefert worden sein, einem Notruf folgend, dass eine Frau an der Kreuzung Johannisweg und Nachtmahrallee orientierungslos aufgefunden war. Sie hatte sich heftig gegen die weißgekleideten Einsatzkräfte gewehrt, unverständliches Zeug von sich gegeben und war zunächst mittels eines leichten Sedativs ruhiggestellt worden. Danach hatte sie sich etwas beruhigt und lag nun zur Beobachtung auf Zimmer 8.
Denn man hoffte, dass sie nach reichlich Schlaf (vielleicht auch nach dem Abbau möglicher Drogen) eine bessere Auskunft über sich geben konnte als ein allgemeines Entsetzen und einen offensichtlich falschen Namen.

Als sie aufgegriffen worden war, trug sie merkwürdige Kleidung und hatte nur ein Notizbuch bei sich, das man ihr erst entreißen konnte, als das Beruhigungsmittel bereits eingesetzt hatte. Während die Kleidung in eindeutigem Schwarz gehalten war – ein schwarzes langes Kleid, eine schwarze Strumpfhose und hohe schwarze Stiefel – war das Notizbuch in braunes Leder eingeschlagen.

Die Ärztin vom Dienst in der Notaufnahme hatte einen kurzen Blick hineingeworfen; sie erhoffte sich davon vielleicht einen Adressaufkleber oder sonstige Details zur Besitzerin, welche eine Identifikation ermöglichen konnten, aber es schienen nur dahingeworfene Kurzgeschichten zu sein – ausgerechnet unter dem Titel „Ausgesucht schlechte Beiträge im Wettbewerb der Silvia Silberwald“.

 

Das Böse im Bann finsterer Mächte

 Es war etwas kompliziert. Früher hatte man immer gedacht, dass das Böse der Grund oder der Urheber der finsteren Mächte war, aber seit Melanie Vorkenstiels bahnbrechender "Abhandlung über das Böse" (2019, inzwischen vergriffen) war selbst einigen Laien klar, dass "das Böse" eine allzu schwammige Vereinfachung war. Es kam in vielerlei Gestalten, es hatte tausende an Motivationen und Millionen an Methoden, aber nur ein Ziel. Die finsteren Mächte hingegen waren sich meist uneins, verwendeten stets dieselben Methoden, verfügten nur über eine Handvoll Gestalten und arbeiteten oft mehr gegeneinander als gegen das Gute.

Letzteres wurde der allgemeinen Auffassung nach von Silvia Silberwald verkörpert, die feengleich über allem schwebte und wenn nicht der Welt, so zumindest der Gesellschaft einen warmen Hauch verleihen wollte, indem sie die allgemeine Zusammenarbeit und Kreativität förderte. Nimmermüde trat sie als gutes Beispiel auf, fand für jeden ein freundliches Wort und sorgte für die Einhaltung der Grundregeln von Anstand und Fairness.

Kein Wunder, dass sie beim Bösen wie den dunklen Mächten gleichermaßen unbeliebt war, aber dass es nicht zum Schlimmsten kam, verdankte sie ihrer Schar an Verteidigern, die unbeirrt gegen Trolle und schlimme Hexen vorgingen.

Doch da diese Heerscharen wie gesagt oft uneins waren, wogten die Gewalten hin und her, und zurzeit hatten die finsteren Mächte sogar das Böse im Griff, etwa auf der Festung Gewitterbruch oder im sagenumwobenen Dunkelwald.

Die Liebenden im Fahrstuhl

Dieser Beitrag musste leider gestrichen werden, da er nicht jugendfrei ist.

Alle sind aufgerufen, sich ihre eigenen Vorstellungen zu machen und auf eigene Faust Fahrstuhl zu fahren.

Die Hexe im Liebesrausch

 "Meine Güte", dachte die Hexe, "ich sollte künftig wirklich jemand anders die Wirkung meiner Liebestränke testen lassen. Schon die letzte Party hätte mir eine Lehre sein sollen!"

Nach diesem letzten halbwegs klaren Gedanken stürmte sie in die Küche, riss das Brotmesser aus der Schublade und machte sich einen Schlitz ins Kleid. Sie brauchte einfach mehr laszive Beinfreiheit.

Und jetzt? In eine Bar, natürlich! Hatte nicht erst letzte Woche eine neue Cocktailbar in der Nähe eröffnet? Oder war es eine Sushibar? Egal! Sie warf das Messer weg und stürmte durch die Haustür, ihrem Schicksal entgegen.

Der heimliche Helfer im Dunkelwald

 „Diesmal muss es klappen, ihr Würmer, Spitzbuben und Spießgesellen!“ zischte der Dämon zu seinen Untertanen, die sich unterwürfig auf der tief verschatteten Lichtung zusammengerottet hatten. Trotz seiner großen Worte war er eigentlich nur ein kleiner Dämon, aber alles Böse fängt einmal klein an, vielleicht mit einem frechen Versuch, einer gezielten Unverschämtheit oder gar einer unrühmlichen Tat. Über diese Einsteigerhandlungen war dieser Dämon zwar schon weit hinaus, aber in den Rängen der finsteren Mächte war er nur ein kleines Licht, oder besser gesagt, ein kleiner Schatten.

„Mein Verbündete hat eine Falle aufgestellt“, krähte er zuversichtlich, „und wenn unsere Feindin hier eintrifft, dann schürfen wir uns zusammen und tun ihr etwas Furchtbares an! Habt ihr alle eure Waffen dabei, die schartigen Messer, die rostigen Zangen, die schreckliche Literatur des Zwielichts?“ Seine Schergen hielten verschiedene Gegenstände hoch, die man wegen der Dunkelheit alle nicht sonderlich gut erkennen konnte. Aber dem Dämon genügte die Zurschaustellung von Unterwürfigkeit. Tiefe und Metaphern waren seine Sache nicht.

Skandal in der Kirche

 „Das Feld ist abgegrast“, notierte Henrik Rahnsen. Ausgerechnet einen Journalisten hatte es in das verfluchte Dorf verschlagen, allerdings aus ganz anderen Gründen. Aber er nahm an Themen, was er bekommen konnte. „Alle naselang vermeldet die Presse neue Schandtaten, die wie üblich bestritten und verharmlost werden. Solange die Wirklichkeit das Vorstellungsvermögen der Leserschaft übertrifft, halte man sich am besten von weiteren Verschwörungsthrillern fern. Banale Wendung: alle sind wahr.“ Rahnsen hielt inne. Jetzt brauchte er noch einen bitteren Abschlusssatz. Ah, diesen: „Man hat sich fast daran gewöhnt.“

Oben im Bergschlösschen hingegen trank der Bischof gerade einen Pharisäer. Ein wenig Ketzerei war nur standesgemäß, und angesichts der Vorgänge im Dorf war dies eine mehr als lässliche Sünde.

Der Schurke auf Abwegen

 Irgendwo mittendrin gab es einen Schurken, der ursprünglich eine böse Tat begehen wollte. Er sollte als Assistenzarzt feststellen, wann und wo die große Feindin eintreffen würde, damit sie aus dem Krankenhaus in den Dunkelwald entführt werden konnte.

Aber der Einfluss von Silvia Silberwald hatte etwas in ihm bewirkt. Daher hakte er die Unbekannte als „unbekannt“ ab und machte weiter seine Runde, ohne jenen, dem er in Wahrheit verpflichtet war, darüber zu informieren.

Manche mögen dies bezweifeln und behaupten, in den Niederwelten würde stets nur das Böse und wenn überhaupt etwas anderes, dann das Chaos regieren, aber solch seltene Ereignisse kommen hin und wieder vor. Sie getreulich zu bewahren, dafür sorgen die Chronisten.

Skandal im leeren Zoo

Der Skandal fiel leider aus, weil der Zoo überraschend geschlossen hatte. Manche meinten, dies sei der eigentliche Skandal. Aber die Ursache beunruhigte viele.

Der Magier in der leeren Stadt

Die Nachwelt wusste nicht, wie sie dieses Werk einordnen sollte. Manche meinten, es sei mysteriös, andere munkelte von Verbindungen, die nicht in diese Welt gehörten. Aber alle waren sich über die düstere Größe einig, die es umfasste.

Die Wahrsagerin in Zimmer 8

 „Wir sollten ihr vielleicht noch ein weiteres Beruhigungsmittel geben, Dr. Severt“, meinte die Krankenschwester, „sie schläft sehr unruhig, spricht im Schlaf und phantasiert. Vorhin schrie sie, die Welt bestünde aus verwürfelten Puzzlestücken. Und sie hat mich am Handgelenk gepackt und gefragt, ob ich eine Dämonin sei.“

Der Arzt blickte nachdenklich auf die Patientin, die im Moment recht ruhig dalag.

„Was haben Sie ihr geantwortet?“ fragte er.

„Ich habe es natürlich bestritten.“

Der Dieb auf der Suche

Es war schon spät in der Nacht, als ein gutgekleideter Herr das Krankenhaus betrat. Zügig durchquerte er die Flure, bis er vor dem verglasten Bereich des Nachtdienstes stand.

„Sie haben heute eine neue Patientin bekommen…“ begann er.

„Wir haben viele neue Patienten. Das ist ein Krankenhaus“, gab die Nachtschwester müde zurück.

„Nicht so eine Patientin!“ schnarrte er. „Schwarz gekleidet, silberner Gürtel, mit einem ledernen Notizbuch. Wo ist es?“

„Die Besuchszeiten sind vorbei. Und über Wertgegenstände geben wir keine Auskunft.“

Er zwang sich zu lächeln. „Es ist so… sie ist eine wichtige Autorin unseres Verlags. Ich muss dafür sorgen, dass das Manuskript nicht versehentlich abhandenkommt.“

Die Nachtschwester nickte. „Ich verstehe. Das erklärt vielleicht auch, dass ihr das Buch so wichtig war. Aber ich kann Ihnen keine Sachen von Patienten aushändigen. Kommen Sie morgen wieder. Ich bin sicher, in der Nacht läuft das Buch nicht weg. Ich kann Ihnen nicht helfen.“

Er zeigte eine metallene Marke mit offiziellem Anstrich. „Auch jetzt nicht?“

„Ach, eben waren Sie noch ein Verlagsvertreter, jetzt sind Sie von einer Behörde?“

„Es handelt sich um eine geheime Behörde.“

„Von der ich noch nie gehört habe.“

„Das macht sie nicht weniger echt.“

„Es tut mir leid, ich bin sicher, ich würde um diese Zeit niemanden von Ihrer Behörde erreichen, um das überprüfen zu können, nicht wahr?“

Er straffte sich. „Ich komme morgen wieder, und Sie können sich auf eine Anzeige wegen Verfahrensbehinderung gefasst machen.“

Damit ging er davon. Auf seinem Weg spähte er noch in einige Zimmer, aber da noch eine andere Nachtschwester auf dem Flur war und ihn bemerkte, sah er schließlich von weiteren Nachforschungen ab und verließ verärgert das Krankenhaus. Sein Auftraggeber im Dunkelwald würde unzufrieden sein. Die verstreuten Textstücke mussten unbedingt aus dem Verkehr gezogen werden, und er hatte es vermasselt. Aber dann hatte er eine Idee.

Der Tod in der Sushibar

"Ungewöhnlich", dachte der Tod und betrat die Bar, "hier habe ich selten zu tun. Mal sehen: acht Kunden. Da wird doch nicht..."

Er ging in die Küche. Wie er es erwartet hatte, lag dort der neunte Kunde, der Koch. Er hatte mit seinem Fischmesser Seppuku begangen.

Der Tod sah sich mit seinen leeren Augenhöhlen um. Der Fall war so einfach - selbst ein Lebender hätte aus den Resten der Zutaten, die noch herumlagen, die richtigen Folgerungen ziehen können.

"Wer Kugelfisch nicht fachgerecht zubereiten kann, sollte es lassen", murmelte der Tod kopfschüttelnd, sammelte seine Kunden ein und ging zu seinem nächsten Termin.

Der Charmeur im Wartezimmer

Ein ungewöhnlich gutgekleideter Herr war unter den ersten Patienten, die am Morgen das Krankenhaus betraten. Da es in der Nähe einige Todesfälle gegeben hatte und man einige Leichen gerade zur näheren Untersuchung in die Leichenhalle des Krankenhauses brachte, war das Personal etwas angespannter als üblich. Die neuen Patienten wurden daher zunächst in ein Wartezimmer gebeten; man hatte ihnen versichert, ein Notarzt würde gleich zur Stelle sein.

In Wirklichkeit war der zuständige Notarzt am anderen Ende der Siedlung, da sein Bruder, der Zoodirektor, ebenfalls unter den Verstorbenen war. Die Polizei wollte hierbei eine Identifikation durch einen Verwandten.

„Nutzen wir doch die Zeit des Wartens, um uns etwas zu unterhalten“, meinte der gutgekleidete Herr aufgeräumt und wandte sich an eine ältere Dame, die sich krampfhaft an einem Rollator festhielt.

„Gnä‘ Frau sehen ja aus wie das blühende Leben, was machen‘s bloß hier im Krankenhaus?“

Sein Wiener Dialekt war unwiderstehlich; sie blickte huldvoll zu ihm auf – auf eine Art, die eigentlich ein mildes Herabblicken hätte sein sollen, aber er war nun mal einen Kopf größer als sie. Und obendrein in den besten Jahren.

„Ach, nur eine Routineuntersuchung“, hüstelte sie, wobei sie ein halbes Dutzend Gebrechen unterschlug, aber sie wollte den eleganten Herrn ja nicht verschrecken.

„Sie werden sehen: im Handumdrehen sind‘s wieder heraus, meine Schöne. Aber vielleicht treffen Sie unterdes auf meine Schwester, die hier bettlägerig ist.“ Er beschrieb ihr die arme Verwandte, die letztens wegen Wahnvorstellungen eingeliefert worden war.

„Jaja… eine traurige Sache“, pflichtete ihm die Dame bei. Einige der anderen Patienten nickten.

„Umso trauriger, dass die Ärzte mich aus falsch verstandener Diskretion nicht zu ihr lassen wollen. Da komme ich extra aus Wien, um sie zu besuchen, und habe natürlich kein Familienstammbuch dabei. Diese elende Bürokratie! Soll ich etwa den ganzen Weg zurückfahren? Ich bitte Sie – Sie alle – mir zu helfen. Teilen Sie mir einfach mit, wo ich meine Nichte finden kann. Ich warte hier.“

„War es eben nicht Ihre Schwester?“ erkundigte sich eine Patientin mit provisorisch verbundenem Arm argwöhnisch.

In diesem Moment trat eine Krankenschwester ein. „Sie suchen nach einer Schwester? Wer hat hier eine akute Verletzung? Der Arzt kommt gleich.“

„Da haben Sie eine Schwester“, meinte die Frau mit der Armverletzung hämisch zum Charmeur. Dieser warf ihr einen verärgerten Blick zu und ging hinaus. Die Verwandtschaftsbeziehungen von Menschen waren alle unnötig kompliziert und dann gab es auch noch Berufsbezeichnungen, die genauso hießen! Der Meister würde all dem ein Ende machen, sagte er sich, wechselte seine Gestalt und flog zum Dunkelwald.

Der Pfarrer auf dem Friedhof

Da lag er jetzt. Auch er war Gast in der Sushi-Bar gewesen und hatte die Spezialität des Tages bestellt.

Die Witwe im Botanischen Garten

Elfriede Hundsbek zitterte immer noch. Nachdem sich ihr vermeintlicher Notfall als bloßer weiterer Gichtanfall entpuppt hatte, hatte man sie nach einer Spritze mit beruhigenden Worten heimgeschickt. Aber sie wusste, in ihre vier Wände konnte sie noch nicht zurückkehren. Nicht nachdem sie… das gesehen hatte, was sie gesehen hatte.

Stattdessen war sie zum Botanischen Garten gefahren. Mit dem Taxi, versteht sich. Man brauchte sich der Gicht ja nicht mehr aussetzen wie möglich. Sie hoffte, hier ein wenig Abstand und Klarheit zu finden – hier inmitten der Ruhe und floralen Schönheit, die sie immer geliebt hatte. Ganz langsam ließ ihr Zittern nach.

Hatte sie sich vielleicht tatsächlich nur geirrt? War sie einer optischen Täuschung aufgesessen?

Sie seufzte. Nein. Sie mochte alt sein, sie mochte Gicht, Rheuma und einen Bandscheibenvorfall haben, aber ihre Augen waren noch bemerkenswert scharf. Sie wusste genau, was sie gesehen hatte, als sie dem gutgekleideten Charmeur, der angeblich aus Wien kam, aus dem Fenster nachgeblickt hatte.

Im einen Moment war es ein Mann im langen schwarzen offenen Mantel gewesen, mit verwegenem Halstuch und dünnen Nappalederhandschuhen – und im nächsten Moment eine Kreatur aus Albträumen, die sich auf ledrigen Schwingen Richtung Norden davonmachte, zum Dunkelwald.

Überraschung im verfluchten Dorf

"Als Chronist unseres schönen, wenn auch verfluchten Dorfes darf ich Ihnen versichern: es gibt Fortschritte. Bekanntlich gab es ja innerhalb des letzten Jahres drei überraschende Ereignisse bei uns, wobei die ersten beiden nicht so sehr... also meine Tochter hat vor kurzem ein Kind bekommen, das war eigentlich schon ein paar Monate lang absehbar, und der Vater wird sich schon auch noch finden lassen... der Sommer war ungewöhnlich lang und heiß... nun ja, die meisten Leute machen den Klimawandel dafür verantwortlich, obwohl ich meine, es liegt eher am Wetter... und zuletzt, tja... also, das Dorf ist überhaupt nicht verflucht.

Der vermeintliche Werwolf hat sich als Kostümprobe für Halloween herausgestellt. Was man für Untote auf dem Friedhof gehalten hatte, waren ein paar junge Leute, die zur Unzeit Picknick machen wollten, ohne Licht... hm, meine Tochter war auch dabei, vor einem Dreivierteljahr. Aber ich bin sicher, dass kein Untoter...

Wie dem auch sei: dass der Glockenturm abgebrannt ist, lässt sich auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückführen, insbesondere im Zusammenhang mit Benzin und Streichhölzern. Und die alte Hedda, die man für eine Hexe hielt, ist von ihren drei Dutzend Katzen buchstäblich... aber so ist die Natur, das hat nichts mit Hexerei zu tun.

Tja, und unser Pfarrer hatte schon immer eine Vorliebe für Fischgerichte. An der ganzen Sache mit dem Fluch ist also nichts dran. Ich schlage vor, wir versammeln uns am Sonntag zur üblichen Zeit und preisen unseren Dunklen Meister Beelzebub."

Die Liebenden im Liebesrausch

Wenn es etwas gab, womit Elfriede Hundsbek ihren verstörten Geist wieder beruhigen und ihre Nervosität lindern konnte, dann jenes Meisterwerk der Trivialliteratur. Die Liebenden im Liebesrausch galt unter Literaturkritikern als tautologisch, übertrieben, voll von absolut unglaubwürdiger Leidenschaft und gesättigt mit nahezu jedem Klischee, welche ein Heftroman hergeben konnte.

Es enthielt tatsächlich siebzehn Mal den Satz „Wie konntest du mir das nur antun?“, wofür es 1983 den Kitschpreis in Form einer rosa Zuckerwatte aus Recyclingmaterial erhalten hatte. Kurz: ein Klassiker.

Und es wirkte. Elfriede Hundsbek hat danach nie wieder über Dämonen gesprochen. Es gab allerdings auch Personen, denen jene Literatur verhasst war, weil sie den Blick für die wahren Dinge förmlich zukleisterte. Aber von denen ist hier nicht die Rede, außer sie liegen noch im Krankenhaus. Noch.

Der Mörder in der finsteren Spelunke

„Nun, wo sonst, meine Freunde? Man brauchte keinen Meisterdetektiv, ihn dort zu entdecken. Natürlich lag jene Spelunke nicht unweit des Dunkelwaldes, und selbstverständlich hatte auch hier ein eigensinniger Dämon seine grausigen Finger im Spiel gehabt.

Und so hatte der eine dem anderen einen Hinweis gegeben, und eines kam zum anderen… oh, das sei zu vage? Also nochmal von vorn, mein guter Assessor.

Die finsteren Mächte hatten Oberhand gewonnen, wie das hier nun mal üblich ist. Woanders ist es noch anders, vielleicht gibt es dort mehrere Lichtgestalten wie Silvia Silberwald, aber hier ist sie nun mal einzigartig. Und was ist schon ein Licht gegen die allgegenwärtige Dunkelheit? Ja, notieren Sie dieses Bonmot ruhig, Johnessy, Sie machen ja ohnehin wieder hinter meinem Rücken eine Publikation daraus.

Wo war ich stehengeblieben? Das Böse ging also um, der Dämon aus dem Dunkelwald brauchte eine Ablenkung, als beauftragte er in dieser Spelunke den Mörder. Da ich ihm jedoch bereits auf der Spur war, ließ jener sich einen Kniff einfallen: er überredete den Koch, Kugelfisch zu machen, obwohl seine Spezialausbildung dafür noch gar nicht abgeschlossen war. Was Eitelkeit nicht aus den Menschen machen kann, nicht wahr? Tote Menschen, letztlich. Nein, das war kein Bonmot, aber wenn Sie es dennoch notieren wollen, Walter, dann meinetwegen.

Als ich vorhin in der Küche stand und die Todesart des Kochs betrachtete, war alles klar: sein Schuldbewusstsein hat ihn dazu getrieben. Vielleicht auch die Furcht vor dem unvermeidlichen Gerichtsverfahren. Oder die Angst vor den Geistern der Toten. Wer weiß?

Aber ich ahnte auch, dass ein Mann mit einer solchen Auffassung von Ehre nicht leichtfertig ein solch neues Rezept verwendet hätte. Nein, jemand – oder etwas – musste ihn dazu getrieben haben. Und jener Drahtzieher ist der eigentliche Mörder. Damit schließt sich der Kreis.“

Die Nonne in Nöten

Kaum hatte sich die Nonne zwei neue Nonnentrachten von der Stange genommen und die Umkleidekabine betreten, stand vor ihr (bitte umblättern)

Der Fremde in der Umkleide

Entsetzlich! Die Nonne hielt die Kleidung schützend vor sich und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Laut aber sagte sie: "Machen Sie, dass Sie hier rauskommen!"

Der Fremde stammelte: "Ich - ich habe nicht gesehen, dass hier schon jemand drin ist. Sehen Sie, ich wollte nur dieses Werwolfskostüm anprobieren."

"Und wenn es ein Talar wäre! Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie!" krächzte die Nonne mit aller verbliebenen Standhaftigkeit.

Daraufhin entfernte sich der Fremde tatsächlich. Später würde er das Kostüm zuhause wieder anlegen und es vor Begeisterung auch seinem Freund Jonas zeigen wollen, der schräg gegenüber wohnte. Pech, dass einige Passanten ihn beim Überqueren der Straße bemerken würden.

Die Nonne in der Kirche

„Wo sonst?“ fragten sich manche, die bisher eher heimlich der Angelegenheit gefolgt waren, und nickten zustimmend.

Aber das war der Nonne gleichgültig; sie tat ihre Pflicht, und diese um so lieber in der neuen Nonnentracht. Ihr war bewusst, dass die finsteren Mächte erstarkten, bereits eine eigene verzerrte Version des Glaubens geschaffen hatten, mit allen umgedrehten Vorzeichen und Teilnehmern – nicht nur im verfluchten Dorf, sondern in der ganzen Umgebung, selbst in der Stadt, oben im alten Herrenhaus und selbst beim Bergschlösschen, das dereinst der ganze Stolz derer von Silberwald gewesen waren. Nach diesem langen und schwermütigen Gedanken kniete sie nieder und sprach ein Gebet in der Hoffnung, dass jemand kommen und sie alle vom Bösen erlösen möge.

Der Zwilling auf der anderen Seite

Als sie erwachte, war es ungefähr Mittag. Die Erinnerung an die letzten Stunden war immer noch verschwommen, aber das Bild von Gilgara stand ihr noch vor Augen. Diese Hexe hatte ihr an einem Kreuzweg eine Falle gestellt und dann ihren Dämonen überlassen. Das hätte übel enden können, aber Kreuzwege sind auch Übergänge, und so war sie geflohen, in diese billige Niederwelt. Nur dass die Verzerrung hier so groß war, dass sie sogar das Gedächtnis beeinträchtigte, hatte sie nicht ahnen können.

Sie stand auf, strich das Kleid glatt und fand im Schrank Gürtel und Stiefel, selbst das Notizbuch. Ja, das war schon besser, Gekleidet in die perfekte Ausrüstung, verließ sie das Zimmer.

Aus dem Zimmer gegenüber trat eine Krankenschwester und verstellte ihr den Weg.

„Sie können noch nicht gehen; der Herr Doktor war noch gar nicht bei Ihnen, um Sie zu entlassen.“

„Der Herr Doktor braucht mich nicht zu sehen, mir geht es gut“, sagte die Schwarzgekleidete nachdrücklich.

„Aber die Vorschriften…“

„Wohin ich gehe, brauche ich keine Vorschriften“, erwiderte sie und rechnete nicht damit, dass die Schwester das Zitat erkannte. Dies war nur eine Niederwelt, ein Abklatsch des Originals, ein Zwilling im besten Falle. Sie drehte sich um und ging weiter. Sie blätterte die letzte Seite des Notizbuches auf, und ihr Ziel war klar.

Überraschung im Sumpf

Der Spähdämon, der sich vorhin noch als schmalziger Österreicher ausgegeben hatte, dachte auf seinem Flug zum Dunkelwald nach. Nur selten hatte er Gelegenheit, eigenständig nachzudenken, da die höheren Dämonen ihm stets genaue Anweisungen gaben und jedes Aufblitzen von Selbständigkeit als furchtbare Abweichung vom Weg des Gehorsams betrachteten. Aber der Flug war langweilig und seine Loyalität zu seinem momentanen Anführer war geringer als dieser wohl annahm. Kurz entschlossen landete er im Sumpf, der vor dem Dunkelwald lag und eine bewährte Abschirmung der finsteren Mächte gegen die Menschen im Allgemeinen und die verbliebenen Anhänger der schrecklichen Silberwald-Hexe war. Ach, wenn sie nur eine Hexe gewesen wäre! Doch sie stand auf der Seite des Lichts, und so konnte man sie nicht einfach mit Macht und den anderen üblichen Dingen ins Dunkel bewegen. Mehrere Korruptionsversuche waren schmählich schiefgegangen; an einem war er selbst beteiligt gewesen.

Er ging auf und ab, schimpfte über Silvia Silberwald, alte Frauen mit Rollator und pflichteifrige Nachtschwestern. Wann hörte das alles endlich auf?

Er war so aufgebracht, dass er nicht bemerkte, wie eine schlanke Gestalt aus den Schatten trat, ihn packte und ihm einen silbernen Gürtel wie eine Schlinge um den Hals legte. Während er noch ungläubig auf die silbernen Nieten starrte und dachte: „Ich bin doch kein Werwolf!“ riss ihn jemand zu Boden, und er bekam keine Luft mehr. Das war vielleicht nicht so schlimm, da er als Dämon nicht unbedingt auf eine Atmung angewiesen war, aber das Silber fraß sich in sein ledriges Fleisch wie Säure. Und erst da erkannte er, dass es wohl geweihtes Silber gewesen sein musste. Aber da war es schon zu spät.

Die Magierin im Herrenhaus

Silvia Silberwald war zwar keine Hexe, aber das einfache Volk hat schon immer lieber „Hexe“ gerufen als korrekt „Magierin des Weißen Weges, Hüterin der Wege, Bewahrerin der Schriften und Verbündete der Lichten Mächte“ gesagt. Nicht wahr?

Und wie alle ansehnlich mächtigen Magierinnen verfügte sie über eine okularische Glaskugel – eine von jenen, die man bisweilen „Oculusio“ und manchmal „Palantir“ nennt. So hatte sie die Abläufe weitgehend mitverfolgen können – vom ungewöhnlichen Eintreffen der Fremden über die Versuche der finsteren Mächte, ihrer habhaft zu werden, bis zur Überraschung im Sumpf. Sie kannte auch die Nebeneffekte ihres Wirkens: eine Zersplitterung der Realität, mindestens aber der Chronologie. Denn diese Fremde gehörte nicht hierher. Es war löblich, dass sie gleich einen Dämon erledigt hatte, aber eigentlich sollte sie heimkehren – in ihre Welt, die gewiss nicht weniger dämonisch und angeschlagen war wie diese.

Die Magierin strich sanft über die Kugel, um den Blickwinkel zu verändern. Ja, die Fremde strebte jetzt zielstrebig dem Dunkelwald entgegen. Nur wenige Sterbliche hätten sich dort hingewagt; die wenigen, die Näheres darüber wussten, nannten meist nicht einmal seinen Namen.

Für einen Moment wogten Schleier über das Bild in der Kugel; Echos von den früheren Vorkommnissen. Der vermeintliche Werwolf war dabei, wegen dem die These vom verfluchten Dorf aufgekommen war; die liebestolle Hexe, die gleichzeitig mit dem Priester und dem Zoodirektor in der Sushibar angekommen war, wo alle die Spezialität des Tages bestellt hatten; der Mörder, der mit einem dünnen Lächeln die Bar durch eine Hintertür verließ, und Dr. Severt, der in einen Spiegel starrte, die Finger zu einer magischen Geste erhoben, sie dann aber wieder sinken ließ. Alles fügte sich zusammen.

Dann verzogen sich die Schleier wieder, und sie ahnte, dass das letzte Kapitel nahte.

Die Fremde in der Nacht

Als die Fremde den Dunkelwald verließ, war es still. Das Kreischen der Harpyien war genauso erstorben wie das Zischen der Giftschlangen und das Geheul der Bitterwölfe. Die Mine, welche den Dämonen und Spähern Unterschlupf geboten hatte, war zum Teil eingestürzt; aus dem Schacht qualmte es immer noch.

Auf dem nun leeren Vorplatz zog die Fremde ihre Linien und Kreise, um endlich…

 

„Nein, halt!“, rief eine bedeutende Magierin in der fernen Stadt, im Herrenhaus der Silberwalds. „Was ist dort geschehen?“

Sie beugte sich vor und drehte die Kugel nach links, brachte sie dadurch aus der temporalen Achse. Es würde Wochen dauern, sie neu zu justieren. Aber das war es ihr wert.

Die Ereignisse sprangen zurück, bis zu dem Punkt, als die Fremde auf den Vorplatz trat, der mit Werwölfen, Vampiren und den üblichen kriecherischen Kreaturen, die sich Dämonen anbiedern, gefüllt war.

Ein Ghul rannte mit ausgestreckten Krallen auf sie zu, aber sie wich aus und trieb ihm einen Pflock ins Herz. „Noch jemand?“ fragte sie.

Die Vampire hüstelten und ließen den Werwölfen den Vortritt. Sie ließ ihren Gürtel kreisen, und die Angreifer heulten auf, gingen für einen Moment auf Abstand. Das Silber war ein unerwarteter Schock.

„Hey!“, sagte die Fremde. „Es muss nicht so enden. Ich will bloß den Kristall, den ihr in dieser Mine aufbewahrt. Ich kann ihn spüren, also leugnet es nicht. Ich brauche dessen Energie, um hier abzureisen. Dann seid ihr mich los, und niemandem geschieht etwas.“

Die Beobachterin wusste im selben Moment, dass sich die Unholde darauf nicht einlassen würden. Niemals. Selbst wenn es noch so vernünftig klang.

Aber das schien die Fremde auch zu wissen. Die Antworten der Kreaturen waren eindeutig; sie reichten von bloßem Gelächter bis zu so üblen Beleidigungen, dass selbst die Glaskugel deswegen für einen Moment errötete. Als sie wieder klar wurde und die Magierin abermals alles sehen konnte, hatte die Fremde ihr Notizbuch aufgeschlagen und las die letzten Worte einer Zauberformel.

Eine gewaltige Welle ging von ihr aus, wie ein dunkler Nebel mit silbernen Punkten darin. Und wo einer der Punkte ein Wesen oder den Mineneingang traf, wurde daraus eine hauchfeine silberne Linie, die zurück zu der fremden Zauberin führte. Die Kreaturen schrien auf und brachen zusammen; aus der Mine schoss ein Strahl bläulichen Lichts, das die Fremde mit der linken Hand aufnahm.

„Ich habe euch gewarnt“, sagte sie ruhig. „Und jetzt habe ich genug Magie für meine Abreise.“

Auf dem nun leeren Vorplatz zog die Fremde ihre Linien und Kreise, um endlich nach Hause zu kommen. Als das goldene Leuchten erschien, trat sie hindurch und verschwand.

Die vielen Splitter, die sie in der Welt hinterlassen hatte, fügten sich wieder zusammen zu einem Gesamtbild, sozusagen einer Geschichte mit dem ewigen Konflikt zwischen Gut und Böse. Auch wenn sie nur versehentlich hier gelandet war, so hatte sie doch etwas bewirkt.

Und was konnte man noch mehr verlangen?

Impressum

Cover: Pixabay License. Free for commercial use. No attribution required.
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Beitrag zum Juli-Wettbewerb 2022 der Anthologie-Gruppe. Das Thema ist der persönliche Titel, der aus zwei Teilen besteht. In diesem Fall ist es "Die Fremde" und "in der Nacht". (Weitere Kombinationen der Vorgabeauswahl wurden innerhalb der Geschichte als Kapitelüberschriften verwendet.)

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