Es ist eine der ältesten Geschichten der Welt: erschlage den Drachen, und die Jungfrau wird dein sein. Da geht es nicht darum, ob der Drache das wirklich verdient hat oder ob die Jungfrau wirklich noch eine Jungfrau ist. Es geht ums Prinzip.
Aber in meinem Fall hatte der Drache es mehr als verdient, und was die Jungfrau war, das war mir gleich. Jedoch nicht, wer sie war. Denn sie war eine Tochter des Königs, die jüngste der drei… und die schönste. Nur deswegen war sie mir aufgefallen, als ich ihr vor vielen Monaten zufällig auf dem Markt von Dreydal begegnet war, begleitet von einer Zofe und zwei Wachen. Selten nur kam sie herab in die Stadt, so hieß es, und glücklich solle sich derjenige schätzen, der ihrer ansichtig würde.
Doch ich fühlte mich mehr als glücklich. Eine Sehnsucht hatte mich ergriffen, wie ich sie noch kaum gekannt hatte, und der Gedanke, dieses wunderbare Geschöpf könnte eines Tages meine Gefährtin sein, bewegte mich innerlich gar sehr. Ach, das wäre zu wenig gesagt. Mein Herz schlug schneller, wenn ich nur an sie dachte, und ich gebe zu, meine Gedanken kreisten die meiste Zeit um sie. Sie war der erste Gedanke am Morgen und der letzte am Abend. Als ich erfuhr, dass ihr Name Sholaya war, brannte er sich unauslöschlich in mein Herz, und ich schwor mir, nicht eher zu ruhen, bis ich alles getan hatte, was nötig war, um ihr einen ernsthaften Antrag zu machen, so wie es die Sitte gebietet.
Meiner Arbeit war es ein Ansporn. Als Erfinder verkaufte ich allerlei nützliche kleine Gegenstände, welche den Bürgern das Leben erleichtern sollten, aber ich erkannte schließlich, dass ich weder mit meinem Kehrgerät, bestehend aus einer sinnreichen Konstruktion mit Besen und Schaufel, noch mit meinem verstellbaren Spiegelhalter oder dem sich selbst nachfüllenden Tintenfass einen bedeutenden Eindruck auf die Prinzessin gemacht hätte. Man erwartete in diesen Kreisen einen Mann von Adel, angetan mit Seide und Brokat, auf einem edlen Ross und natürlich einer malerischen Burg, die er sein Eigen nannte.
Ich hatte nur ein altes Pferd, vom Rest ganz zu schweigen. Doch sollten mich die bitteren Fakten von der Erfüllung meiner Sehnsucht abhalten? Niemals! So dachte ich mir immer ausgefeiltere Dinge aus, welche Sholaya beeindrucken und mit Freude erfüllen sollten. Obgleich einige nette Spielzeuge dabei waren, von der watschelnden metallenen Ente bis zu einem praktischen Gerät, das mit beschrifteten Holzwalzen arbeitete und zur Verschlüsselung ihres Tagebuches geeignet war, schien mir alles letztlich nicht gut genug für sie. Die zahlreichen Experimente und Materialien fraßen zudem meine Barschaft auf, und die Pläne, die ich in den Ankauf einer Burgruine gesteckt hatte, musste ich schließlich aus Geldmangel auch zurückstellen. So war ich nach sechs Monaten weiter von meinem Ziel entfernt als am Anfang.
Dann kam der Drache. Er kam aus dem Nichts, so schien es; niemals hatte man in unserem Lande von einem Drachen gehört, jedenfalls von keinem echten, der umherflog und das Vieh von den Wiesen schnappte, um es dann irgendwo zu verzehren. Manchmal war auch ein Schäfer oder Kuhhirte dabei. Der Drache schien in der Auswahl seiner Mahlzeiten nicht wählerisch zu sein. Aber man stellte fest, dass er ungefähr einmal pro Woche seinen schrecklichen Tribut forderte und eintrieb.
Der König schickte seine Wachen und Ritter aus, selbstverständlich, aber sie kehrten unverrichteter Dinge heim und gaben an, die Kreatur nicht gefunden zu haben und ihr ohnehin nicht gewachsen zu sein. So erzählte man es sich an den Brunnen von Dreydal, der Hauptstadt, auf den Märkten und Plätzen. Die Wochen vergingen, und die Furcht wuchs. Angeblich hatte sich ein Schäfer mit einer Mistgabel zu wehren versucht und war von einem Feuerstrahl verbrannt worden. Anderswo hatte Gerüchten zufolge ein Bogenschütze den Mut aufgebracht, eine Kuhherde vor dem Drachen zu verteidigen, und er war samt Bogen in Stücke zerfetzt worden.
Dann war der Drache immer näher an Dreydal zu sehen gewesen. Einige Bürger konnten aus erster Hand von dem greulichen Untier berichten; seinen gewaltigen Klauen, den mächtigen Schuppen, den weiten Schwingen und den langen Zähnen. Immer mehr Felder wurden versengt, Tiere verschleppt und Menschen getötet. Näher und näher kam der Drache, und in den Tempeln wurden die Glocken geschlagen, Gebetsstunden verlängert und Opfer dargebracht. Doch nichts half. Das Volk richtete seinen Blick zum Schloss, zum Herrscher.
In seiner Not versprach der König dem, der das Land von dem Drachen befreite, die Erhebung in den Adelsstand und die Hand der jüngsten Tochter, denn die anderen beiden waren bereits verheiratet. Sholaya, die mit ihren zwanzig Jahren in der Blüte ihrer Schönheit stand, winkte huldvoll von einem Balkon herab. Nie werde ich diesen Anblick vergessen: die Grazie ihrer Bewegungen, die Anmut, mit der sie über ihre Schulter blickte, und wie ihr goldenes Haar von einer kecken Brise umspielt wurde. In ihren Augen stand zweifellos die Sorge um ihr Volk geschrieben. Sie sprach kein Wort, sichtlich bewegt von der Anteilnahme der Bevölkerung und dem großzügigen Angebot ihres Vaters, der nichts unversucht ließ, um die schreckliche Gefahr zu bannen.
Ich ging damals aufgewühlt heim und pries die Götter, welche mir eine solch unverhoffte Chance hatten zukommen lassen, obgleich ich mit dem Leid der Opfer des Drachen haderte, und flehte die Götter um ihren Beistand an. Wie üblich erhielt ich keine Antwort.
So gürtete ich mich am nächsten Tag und ging, all meinen Mut zusammengenommen, zum Schloss. Es thronte auf dem passend bezeichneten Schlossberg oberhalb der Hauptstadt. Als ich den Wachen sagte, in welcher Angelegenheit ich da sei, lachten sie zwar, mussten mich aber gewähren lassen. So erreichte ich den Thronsaal, in welchem König Ugmon, die herrliche, betörende Sholaya sowie einige Wachen und ein grau gekleideter Mann gerade über die Krise sprachen.
Ich zog meinen Hut in ehrerbietiger Weise, verneigte mich und stellte mich als der Erfinder Stroras Grünschneider vor, gekommen, um dem abscheulichen Drachen ein Ende zu machen.
Das helle Lachen von Sholaya hätte ich nicht erwartet. Es tat so gut, sie nicht in Sorge zu sehen, sondern erleichtert über einen wackeren Kämpen, der das schier Unmögliche für sie wagen wollte. Ich erwiderte ihr Lächeln; ein vielversprechender Anfang einer wunderbaren Beziehung. Wie oft hatte ich mir unsere erste Begegnung vorgestellt, aber gleich im Thronsaal und in Anwesenheit ihres Vaters – nein, so kühn waren meine Träume nie gewesen. Ich hatte mir ein fast zufälliges Treffen vorgestellt, vielleicht im Schlossgarten, einem Feldweg oder unter dem Baldachin des Standes, der auf dem Markt Handschuhe anbot. Sie hätte einen davon dezent fallenlassen können und ich hätte ihren Wink wohl verstanden, und während ich ihn ihr gereicht hätte, hätte sie mir Ort und Zeit der nächsten Begegnung zugeflüstert, vielleicht im Schatten der Tempel oder an einem verschwiegenen See, wo nur sie und zwei Zofen ein Picknick zu sich nahmen.
Aber hier waren wir nun, zusammengeführt von einer Gefahr, auf Geheiß des Königs selbst, und die Zeit drängte. Ich war zu allem bereit.
„Ihr traut Euch also zu, das Ungeheuer zu erlegen?“ fragte der König, während er auf dem Thron Platz nahm.
„Sonst stünde ich nicht hier, Eure Majestät“, erwiderte ich mit fester Stimme. Ein Plan würde mir schon noch einfallen. Als Erfinder muss man auch improvisieren können.
Ugmon deutete auf meine Kleidung, „Wie ein Ritter seht Ihr nicht gerade aus. Oder gar von Adel. Bevor ich Zusagen mache, müsste ich schon überzeugt sein, dass Ihr ein geeigneter Kandidat seid.“
Ich verbeugte mich. „Ich sehe nicht wie ein Ritter aus, weil ich keiner bin. Meine Erfahrung mit dem Töten von Drachen ist jedoch ebenso groß wie die Eurer Ritter, die ihn offenbar auch noch nicht besiegt haben. Und ein Adelstitel würde bei dem Vorhaben nicht behilflich sein; zudem ist er ja Teil Eures Angebotes.“
Der Mann in Grau trat vor. Ich hatte ihn früher schon an der Seite des Königs gesehen, es musste einer seiner Berater sein. „Vielleicht seid Ihr gewitzt, vielleicht sogar mutig“, meinte er, „aber wie könnt Ihr uns überzeugen, dass Ihr nicht nur ein Aufschneider seid, Herr Grünschneider?“
„Bei meiner Ehre!“ rief ich aus. „Messt mich an meinen Taten! Entweder fällt der Drache oder ich! Ich tue dies nicht nur zum Wohl des Landes, sondern aus Liebe zur unvergleichlichen Prinzessin Sholaya, der allein mein Herz gehört. Wie könnte ich sie enttäuschen und hier Aufschneidereien zum Besten geben?“
Sholaya sah mich mit großen Augen an. So leidenschaftlich hatte ihr gewiss noch niemand seine Liebe gestanden. Aber sie war eine Prinzessin durch und durch: ihr Gesicht wurde zu einer kühlen und undurchdringlichen Maske, die alle Herzlichkeit und Rührung über meine Gefühle verbarg.
Ihr Vater hüstelte dezent und sagte nichts, sicher um uns den bewegenden Moment genießen zu lassen. Der Berater jedoch trat einen Schritt auf mich zu.
„Ich zweifle nicht an Eurer Tollkühnheit, doch wirkt Ihr auf mich weder wie ein Kämpfer noch sonst jemand, der sich mit solchen Kreaturen auskennt. Ihr seid der erste, der sich überhaupt in der Sache gemeldet hat, und König Ugmon möchte den Drachen zwar bald entfernt haben, doch es sind schon genug Personen gestorben. Er ist sicher meiner Meinung, dass ein Mann von Ehre, wie Ihr, sein Leben nicht leichtfertig wegwerfen sollte. Vielleicht nehmt Ihr Euch eine Nacht Zeit und überdenkt Euer Vorhaben noch einmal.“
Der König sah uns beide nachdenklich an. Ich musste es ihm hoch anrechnen, dass er sich so um das Wohlergehen jedes Einzelnen sorgte. Und war mein Entschluss nicht wirklich spontan und unbedacht gewesen? Wie sollte ich bei der Kreatur obsiegen, wo schon Bogenschützen und Ritter gescheitert waren? Doch wenn ich zu Sholaya hinübersah…
Die Prinzessin ging leichtfüßig und mit wehendem Gewand zu ihrem Vater hinüber, warf mir einen schnellen Blick zu und flüsterte ihm dann etwas ins Ohr. Während der König langsam nickte, war ich immer noch im Bann dieses Blicks, der mir noch von keiner Frau zuteil geworden war. Nur das Heftigste aller Gefühle mochte sein Beweggrund gewesen sein.
So durfte ich also hoffen, dass sie im Inneren genauso aufgewühlt war wie ich? Dass ihr Herz gleich meinem bis zum Halse klopfte? Sie stand reglos neben ihm, kühl und majestätisch, und man hätte sich nicht ausmalen können, was in ihr vorging.
Schließlich traf der König seine Entscheidung. „Wir sind der Meinung, dass Euer Mut vorbildlich ist und gerade in diesen Zeiten das ist, was das Land braucht. Wir danken Euch für Euren Einsatz, Meister Grünschneider, und sobald ihr den Beweis erbringt, dass Ihr den Drachen erschlagen habt, sollt Ihr Titel und die Hand der reizenden Sholaya erhalten. Mögen die Götter mit Euch sein!“
Ich bedankte mich mit einer weiteren Verbeugung, drehte mich zackig um, wie ich es auf den Paraden gesehen hatte, und verließ innerlich gestärkt den Thronsaal. Ich hätte jubeln können. Mein Ziel lag zum Greifen nah! Der Drache war nur ein unbequemes Hindernis: viel wichtiger war, dass auch die Prinzessin Gefühle für mich hegte! Unzweifelhaft war sie von meinem Auftritt und meiner Kühnheit beeindruckt gewesen.
Ich eilte heim und räumte meinen Arbeitstisch leer. Jetzt war es nicht mehr die Zeit der possierlichen Spielzeuge, sondern der ernsthaften Pläne. Ich musste den Drachen ausfindig machen und brauchte Waffen, um ihn unschädlich zu machen. Für den ersten Punkt kramte ich meine Karten der Gegend heraus. Dann legte ich die Füße hoch und sann über Pläne nach.
Die nächsten Tage waren hektisch und mit viel Arbeit gefüllt. In der Stadt fragte ich herum, wer den Drachen alles gesehen hatte, wo das gewesen war und in welche Richtung er schließlich davongeflogen war. Ich sprach mit den Hinterbliebenen der Opfer und betrachtete die Klauenspuren auf den Wiesen. Daraus errechnete ich die ungefähre Größe des Untiers.
Nach rund einer Woche war klar, dass er sich stets nach Südwesten zurückzog, in das bergige Gebiet der Eisenberge, in denen es früher Erzminen gegeben hatte, bis der Vertrag mit den Zwergen die Förderung unterbunden hatte und diese jegliche Eisenader persönlich herausgekratzt hatten. Ich sprach mit alten Bergleuten und markierte mir einige Eingänge auf der Karte.
An den Abenden arbeitete ich mit Holz, Draht und Seilen. Dinge zusammenschrauben, an den Hölzern einiges abfeilen, Experimente mit Mausefallen: so sahen meine Beschäftigungen aus, die mich unweigerlich zur Konfrontation mit der Kreatur bringen würden. Vor meinem geistigen Auge stand Sholaya mit ihrem Lächeln und feuerte mich an. Ich arbeitete so hart wie nie zuvor.
Schließlich hatte ich alles beisammen. Von meinem letzten Geld kaufte ich einen gebrauchten Karren, spannte meinen Gaul davor und zog los in die Eisenberge. Am dritten Tag sah ich den Drachen in der Entfernung kurz kreisen und dann in eine Schlucht abtauchen. So konnte ich meinen Kurs korrigieren.
Es dauerte weitere zwei Tage, bis ich endlich diese Schlucht erreichte. Der Karte nach gab es in der Nähe nur einen Mineneingang; das musste sein Versteck sein. Ich schnallte mir das Bündel aus dem Karren auf den Rücken und begab mich in das Gewirr der Felsen. Einen ganzen Tag musste ich klettern, um mich dem Eingang zu nähern, und wie erschrocken war ich, als ich nicht weit von mir das Poltern von Geröll vernahm und kurz darauf der Schatten einer geflügelten Kreatur über mich hinwegglitt.
Doch das war der Moment, auf den ich gewartet hatte. Das Untier war ausgeflogen. So rasch ich konnte, stieg ich zum Mineneingang hinab. Auf dem Boden waren die Klauenspuren deutlich zu erkennen. Ich betrat den Zugang und ging so weit hinein, bis ich die erste Abzweigung erreichte, das waren ungefähr vierzig Schritte. Hier packte ich meine Sachen aus und setzte meinen Plan in die Tat um. Im Licht von zwei Fackeln bereitete ich alles vor, dann nahm ich die leeren Säcke unter den Arm und verließ die Mine. In Hörweite legte ich mich unter einem überhängenden Felsen auf die Lauer.
Am ersten Tag passierte gar nichts. Ich kämpfte gegen das Verlangen an, nochmals in die Mine zu gehen. Nein, ich musste einfach Geduld haben. So vertrieb ich mir die Zeit mit schönen Gedanken an Sholaya. Was sie sagen würde, wenn ich mit dem Kopf des Drachens zurückkam. Wie sie mir zulächeln würde, jetzt, wo die Gefahr gebannt war. Wie sie mir über die Wange streichen und süße Worte zuraunen würde. Und wie ich sie schließlich in den Arm nehmen würde, sobald wir verheiratet waren. So verging der Tag wie im Fluge.
Am zweiten Tag kamen mir gelinde Zweifel an meinem Plan. Was, wenn nicht alles wie vorgesehen funktionieren würde? Was, wenn der scheußliche Drache mehrere Horte hatte? Mein Proviant reichte nur noch für zwei weitere Tage. Wenigstens das Pferd hatte noch etwas zu fressen… ich hatte es mit einem langen Seil auf einem Wiesenstück an den Karren gebunden und ein paar Äpfel hingelegt. Dann stieg in mir mit Schrecken der Gedanke hoch, dass der Drache ausgerechnet das Pferd als Mahlzeit entdecken würde. Immerhin lag der Weg, den ich gekommen war, nicht in der Richtung, welche direkt zur Stadt führte. Während ich noch zwischen angenehmen Gedanken an meine Prinzessin - ach was, Gemahlin! – und der Sorge hinsichtlich des treuen Gauls schwankte, vernahm ich das charakteristische Geräusch der Drachenschwingen. Rasch drückte ich mich tiefer unter den Felsen und hielt den Atem an.
Dann hörte ich wieder Geröll knirschen, ein Schnauben und… nichts mehr. Ich verharrte bewegungslos. Die Zeit dehnte sich ins Unerträgliche, dann plötzlich ertönte ein furchtbares Geräusch, ein tiefer, tierischer Schrei, geboren aus Empörung und Schmerz. Ich glaubte ein Kratzen auf Stein zu vernehmen. Doch dann war wieder Stille.
Ich wartete bis zum nächsten Morgen, bis ich mein Versteck verließ und mich wieder in die Mine begab. Im Schein meiner Fackel starrte mich der tote Drache blicklos und vorwurfsvoll an. Ich inspizierte die drei Armbrüste, die er ausgelöst hatte, als er das quergespannte Seil berührt hatte. Sie hatten ihre giftgetränkten Bolzen alle abgefeuert. Und auch die Holzleisten auf dem Boden, die mit giftgetränkten Nägeln versehen waren, hatte er zur Hälfte erwischt, als er sich in Überraschung, Ärger und schließlich Todesqual gewunden hatte.
Man braucht vielleicht einen Ritter, um einen Drachen im Zweikampf besiegen zu können, aber es genügt ein Erfinder, um einen Minenschacht zu einer tödlichen Mausefalle von Drachengröße umzubauen. Der Drache nahm fast die gesamte Breite des Ganges ein. Ich weiß nicht, wie es ihm gelungen war, sich zur Flucht zu drehen, aber auf diese Weise lag der Kopf wenigstens auf der Zugangsseite. Er war allein einen Schritt breit und einen halben hoch. Mit meiner Säge und der Axt brauchte ich Stunden, um ihn abzutrennen, dann konnte ich ihn endlich in den größten der mitgebrachten Säcke packen und mitschleifen.
Der Rückweg zum Pferd war äußerst mühsam und langwierig. Als ich es endlich erreicht hatte, war mein Proviant aufgebraucht, und es begann zu regnen. Das bescherte mir wenigstens etwas Wasser zum Trinken. Einen Tag lang ernährte ich mich von Beeren und Wurzeln, bevor ich bewohntes Gebiet erreichte und mir ein Bauer aus Mitleid etwas Brot gab. Mehr halb tot als halb lebendig kam ich nach einer anstrengenden Fahrt in meinem Heim an, versorgte das Pferd, aß etwas und ging schlafen.
Nun war der große Tag gekommen. Gereinigt, erfrischt und mit meiner besten Kleidung fuhr ich mit dem Karren zum Schloss. An den Toren wiederholte sich das Spiel vom letzten Mal, aber da in den letzten Tagen kein Drache aufgetaucht war, hielt man meine Ankündigung für zumindest entfernt glaubhaft und ließ mich durch.
Schließlich stand ich im Thronsaal, wie vor etlichen Tagen, und dieselben Personen waren anwesend. Mir fiel auf, dass Sholaya ein noch schöneres Kleid angezogen hatte, wie um mir eine Gunst zu erweisen.
„Der Drache ist erlegt, Eure Majestät!“ sprach ich und verneigte mich angemessen. König Ugmon gab seinen Wachen einen Wink, den Sack auszupacken. Sie kamen dem mit einer Spur Widerwillen nach, denn der grobe Stoff war getränkt von getrocknetem Blut. Doch dann lag der Kopf vor uns.
Sholaya erbleichte. Die hässliche Fratze des Ungeheuers war sicher zu viel für ihre zarten Nerven. Der König blickte nachdenklich und besorgt auf den Rest des greulichen Untiers, dessen Blut auf den Marmor tropfte. Da trat der Berater vor und zeigte auf das abgetrennte Haupt.
„Das also soll der Kopf eines Drachen sein, Grünschneider?“
„Ich habe ihn selbst abgesägt und hergebracht, ja“, antwortete ich.
Der graue Mann verschränkte die Arme. „Ihr wisst es vermutlich nicht, aber der Drache ist vor drei Tagen nach Norden davongeflogen, weit über die Grenze. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er je wiederkommt. Aber Ihr wollt uns weismachen, dass dieser… Kadaver von jenem Drachen sei? Ihr seid wohl doch eher ein Aufschneider, wie ich es von Anfang an dachte!“
Sholaya blickte kühl und missbilligend zu mir herab. „Den König in einer solchen Krise plump zu betrügen, ist eine niederträchtige Sache. Ich will mit Euch nichts zu tun haben!“
Ich hob abwehrend die Hände. „Es ist der Drache, das versichere ich Euch! Ich habe ihn verfolgt und in den Bergen mit meinen Waffen zur Strecke gebracht. Wenn Euch der Kopf nicht überzeugt, dann kommt mit in die Eisenberge und seht Euch den Rest des Körpers an!“
Ugmon blickte mich durchdringend an. „Wir haben Erkundigungen über Euch eingezogen. Ihr habt schon früher künstliche Tiere und andere Fälschungen hergestellt. Man wird gewiss feststellen, dass Ihr da einen Schweinekopf oder Ähnliches präpariert habt. Doch möchte ich nicht, dass dieser sogenannte Beweis meinen Thronsaal weiter besudelt…“
„Es ist der Drache, bei allen Göttern!“ rief ich verzweifelt aus.
Der Berater machte eine herrische Geste. „Ihr fallt dem König ins Wort? Ihr wagt es, Eure Lügen aufrechtzuerhalten, und Ihr spottet obendrein den Göttern?“ Er senkte seine Stimme. „Dankt ihnen vielmehr, dass König Ugmon gnädig ist. Packt diesen Schädel ein und macht Euch davon, ohne ein einziges Wort, oder es wird hier noch mehr Blut vergossen, als wir hier schon haben… und zwar das Eure. Mehr als diesen Rat kann ich Euch nicht geben.“
Ich zögerte, denn ich glaubte die Wahrheit auf meiner Seite, doch Ugmon mochte es für Aufsässigkeit gehalten haben, denn er fügte hinzu: „Hört besser auf meinen Berater, denn je mehr ich über Euren Täuschungsversuch nachdenke, desto schwärzer könnte meine nächste Entscheidung für Euch ausfallen.“
Da nickte ich nur noch knapp, stopfte den Schädel zurück in den Beutel und machte mich davon, so schnell es ging. Und während die Türwache die schwere hölzerne Tür zum Thronsaal hinter mir zuzog, hörte ich Sholaya noch spöttisch sagen: „Was für ein ekliger Kerl! Ihr wart zu gnädig zu ihm, Vater.“
Ich weiß nicht, wie ich nach Hause kam. Ich war wie vom Donner gerührt. Was war nur geschehen? Wieso glaubten sie mir nicht? Und wie feindselig Sholaya plötzlich war!
Doch dann ging mir ein Licht auf. Sie hatte sich nie wirklich freundlich mir gegenüber gezeigt. All ihre Kälte und Ablehnung hatte ich für adlige Zurückhaltung gehalten, und ihr erstes Lachen hatte mir gegolten. Es war nicht aus der Erleichterung über einen Recken entstanden, sondern aus dem Hohn über jemanden, den sie als weit unter sich stehend betrachtete. Sie hatte mich ausgelacht.
Und der König und sein sauberer Berater? Es musste ihnen widerstreben, einen einfachen Bürgerlichen als Drachentöter zu ehren, zu adeln, mit der Prinzessin zu verheiraten. Natürlich war es einfacher, mich als Betrüger darzustellen und ohne Lohn davonzujagen. Eine List des Adels; zwei Fliegen mit einer Klappe. Drache tot, und das kostenlos.
Ich ballte meine Faust. Diesmal war ich auf dieses Pack hereingefallen, aber das würde mir nicht wieder passieren. Jetzt kannte ich meine Feinde, und ich würde sie ruinieren. Meine Wut wuchs und wuchs. Ruinieren? Nein, dieser König musste abtreten, so oder so. Der Berater würde mit ihm fallen. Und Sholaya sollte mich noch um Entschuldigung bitten.
Mir würde etwas einfallen, wie immer. Schließlich war ich Erfinder. Und ich hatte Zeit. Das Unglück würde kommen, wenn sie es am wenigsten erwarteten.
Eines Tages würde ich meine Rache bekommen.
Wie sich konnte mein Vater nur auf so ein dämliches Angebot einlassen? Meine Hand für die Beseitigung des Drachens? Wo leben wir denn? Ich werde mich doch nicht jedem Dahergelaufenen, jedem Söldner an den Hals werfen!
Eine völlig überzogene Idee, Vater, habe ich ihm gesagt. Aber er hat gemeint, das sei Politik, und überhaupt seien meine Schwestern in meinem Alter auch schon verheiratet oder mindestens verlobt gewesen. Ach ja, sagte ich, bin ich meine Schwester? Erwarte ich schon ein Kind vom Rittmeister und muss jetzt schleunigst unter die Haube? Und er winkte bloß ab und meinte, die Sache mit dem Drachen habe Vorrang. Da war mir schon klar, wer bei ihm keinen Vorrang hat, nämlich ich. Dabei bin ich von uns dreien die Einzige, die sich für Politik interessiert und sich mal im Thronsaal zeigt.
Und dann, vorletzte Woche, stiefelt dieser Kerl herein. Unangemeldet und völlig bar jeder adligen Sitte. Grünschneider. Das klingt nicht nur bürgerlich, sondern wie ein Gärtner. Ein Gärtner will das Land vom Drachen befreien! Lächerlich.
Nicht nur lächerlich, sondern geradezu peinlich waren die Blicke, die er mir zugeworfen hat. Ein liebestoller Köter könnte nicht jämmerlicher sein. Ich weiß nicht, was diese Versager immer an mir finden. Ist es meine makellose Haut, meine göttliche Nase, meine allseits bewunderte Frisur oder meine tiefen, tiefen blauen Augen? Gedichte über Bergseen und den Mond habe ich zu Dutzenden in meinem Gemach liegen, alle verfasst von einfallslosen Bewerbern – aber immerhin adligen Bewerbern. Dieser aber… der war nichts davon. Klein, mit struppigen Haaren, schmächtig und obendrein mit abgewetzten Ärmeln. Sowas entgeht mir nicht.
Mein Vater war von Anfang an nicht von ihm überzeugt. Aber er ist oft zu geduldig mit dem Volk, hört sich dessen Anliegen an und spricht seine Urteile. Seine Nachsicht kostete uns wertvolle Zeit. Schließlich sprang Lukar hinzu, geschmeidig und brillant wie immer. Er ist mir zwar öfters unheimlich, aber niemand ist seiner Rhetorik gewachsen, auch mein Vater nicht. Und Lukar machte gleich ein treffliches Wortspiel mit dem Namen des Mannes. Aber das war diesem nicht Warnung genug. Der Frechdachs wagte es tatsächlich, mir vor aller Ohren seine Liebe zu gestehen! Wohlgemerkt, ich habe diese Gestalt noch nie zuvor gesehen! Eine Unverschämtheit, ein Bruch jedes Protokolls! Ich war so aufgebracht, dass ich fast aufgeschrien hätte. Doch dank meiner mustergütigen Beherrschung verzog ich keine Miene, sondern musterte den Wüstling nur kalt und herablassend. Mehr verdiente er nicht.
Es war wieder der geschickte Lukar, der die Sache souverän in die Hand nahm, während mein Vater nur belustigt kicherte. So viel zu seinem Schutz meiner Ehre. Aber er wollte mich ja auch dem Erstbesten zur Frau geben, wie ein Pferdehändler. Gleichwie, Lukar war großzügig genug, dem Emporkömmling ins Gewissen zu reden und ihm eine goldene Brücke zu bauen, damit er ohne Gesichtsverlust verschwinden konnte, aus dem Thronsaal und unser aller Leben.
Aber der Zwerg verstand auch diesen Wink nicht. Stattdessen glotzte er wieder zu mir herüber, und mir wurde die Sache langsam zu bunt. Nicht auszudenken, wenn er irgendwie Erfolg haben sollte und mich dann in die Pflicht nehmen wollte! Also ging ich zu meinem Vater und raunte ihm zu, dass er endlich den Irren loswerden sollte, sonst würde ich den Rittmeister besuchen.
Und Ugmon zwinkerte mir verstohlen zu und trug der traurigen Gestalt auf, einen Beweis für das Erlegen des Drachens mitzubringen. Das schien ein recht sicherer Weg zu sein, die Angelegenheit sich selbst lösen zu lassen. Nie und nimmer würde so einer einen Drachen besiegen, wo doch unsere besten Ritter gescheitert waren. Andererseits war ich diesen Rittern auch nicht versprochen worden…
Jedenfalls zog der Gärtner ab und wurde über eine Woche lang nicht gesehen. Wir dachten alle schon, er habe die Drachenjagd aufgegeben, wenn er sie denn jemals überhaupt verfolgt hatte. Es gibt ja auch Bittsteller, die sich vom König wegen einer weinerlichen Geschichte ein Almosen erhoffen.
Doch der Mann kam wieder, wie immer schlecht gekleidet, irgendwie ausgemergelt und mit einem tropfenden Sack, den er hinter sich herzog. Schon das ließ uns stutzig werden. Lukar hatte uns längst mitgeteilt, dass der Drache fort war, und nun kam der Kerl mit seiner vorgeblichen Trophäe an. Natürlich glaubten wir ihm kein Wort, doch er beharrte darauf und blickte nicht nur einmal zu mir herüber. Wieder war es Lukar, der einsprang und zuletzt schlichtende Worte fand, während ich sehr erbost über den Betrug und diese unverschämten, ja geradezu gierigen Blicke war. Was bildete der Kerl sich ein? Ich machte ihm deutlich, dass ich mit ihm nichts zu tun haben wolle. Es war mir unangenehm, überhaupt mit ihm zu reden. Schließlich sprach mein Vater ein Machtwort, und endlich zog der Betrüger mit seinem ekligen Gepäck ab. Ich machte meinem Ärger Luft und war froh, dass der Mann endlich verschwunden war. Ich hoffe, ich sehe ihn nie wieder.
Meine Tochter ist ein törichtes Ding, und ich denke, ein Ehemann würde sie wieder in vernünftige Bahnen bringen. Sie ist ohnehin im richtigen Alter. Passenderweise flattert da draußen so ein Drache herum, der großen Schaden anrichtet. Keiner weiß, wie man ihn loswird, und obwohl Lukar angedeutet hat, er habe Mittel und Wege, das Problem zu lösen, traue ich ihm nicht. Ich will hier keine Magie herumspuken haben – gerade jetzt nicht, wo der Vertrag mit den Zwergen erneuert werden muss. Die würden darin gleich wieder einen Grund sehen, die Verhandlungen neu zu eröffnen, und das kann ich gar nicht brauchen. Nicht mit den Elfen im Osten.
Ich habe einen Freiwilligen entsandt, den Drachen zu erlegen, aber er kam mit einer Fälschung zurück. Gut, dass Lukar mich schon zuvor über den Abzug des Drachens informiert hatte. Der sogenannte Erfinder kam mir ohnehin unzuverlässig vor. Und Sholaya wäre eher vom Turm gesprungen, als ihn zu heiraten. Also war ich milde und ließ den Mann gehen. Daher ist alles zum Glück gut ausgegangen. Aber einen Drachenkopf, einen echten natürlich, hätte ich schon gerne gehabt.
Das Schicksal durchkreuzt die besten Pläne. Um meinen Einfluss beim König zu steigern, rief ich einen kleinen Drachen herbei, der aber immerhin so manchen Schaden anrichten konnte. Ein paar tote Schafe später hätte ich ihn in einem spektakulären Ritual verbannen können, sonst wäre kein Schaden entstanden, und ich hätte mich als glorreicher Retter des Landes erweisen können.
Aber Ugmon war ein störrischer Narr. Bloß keine Magie, war seine Devise! Ha! Ich wartete etwas ab, ob er seine Meinung noch ändern würde, wenn die Schäden größer wurden. Und das wurden sie. Aber dann kam er auf die idiotische Idee mit den Drachentötern und seiner Tochter. Wer macht denn sowas heutzutage noch? Und als Krönung des Ganzen kam wirklich jemand an, der den Drachen erschlagen wollte. Einen Drachen! Ich wollte es ihm ausreden, aber vergeblich. Dann zog er los, und rund zwei Wochen später ist die magische Verbindung zu dem Drachen verschwunden. Da wusste ich, dass ihm etwas zugestoßen war. Also erzählte ich Ugmon, dass das Ungeheuer nach Norden davongeflogen war. Was hätte ich sonst tun können? Der Rest ist eine Groteske. Der Mann tat mir fast leid. Aber nur fast. Er hätte sich nicht einmischen sollen. Das hat er jetzt davon.
Harhar! Ich hatte mit dem Erzdämon Zogdronok gewettet, ein Königreich nur durch Gefühle zu Fall zu bringen, nicht durch Magie, Elementare oder niederhöllisches Kroppzeug. Man muss nur den richtigen Ansatzpunkt finden… Sehnsüchte wie die Geltungssucht eines Mächtigen ohne Gewissen, die Selbstsucht einer Verwöhnten ohne Herz oder die aussichtslose Liebe eines Arglosen ohne nennenswerte Erfahrung. Wird dies sinnreich verflochten, entsteht ein wahres Drama aus Missverständnissen, Wendungen und Motivationen, wobei am Schluss niemand das bekommt, was er will, alle unglücklich sind und die Saat für dunklere Ansätze gesät ist. Damit bereiten die Sterblichen uns den Weg vor, in ihre Herzen, in ihre Welt.
Zogdronok hatte an mir gezweifelt, doch ich habe Lukar einiges zugeflüstert, das Haarband von Sholaya versteckt, so dass sie sich ein neues kaufen musste, und die Schüssel von Stroras gestohlen, damit auch er sich auf dem Markt eine neue kauft. So wenig ist erforderlich, das Schicksal der Sterblichen, wie an Schnüren gezogen, in die gewünschte Richtung laufen zu lassen. Sie werden nie wissen, wie nah wir sind. Und je heftiger ihre Gefühle sind, desto geringer ist ihre Vernunft. Es wird eine Zeit kommen, in welcher sie sich nur mit wenig Anstoß von unserer Seite völlig zugrunde richten. Wir werden da sein.
Cover: Pixabay/fantasticpicture: freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis nötig
Tag der Veröffentlichung: 01.08.2021
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Widmung:
Beitrag zum Anthologie-Wettbewerb Juli 2021 mit dem Thema "Heftige Gefühle".