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Wenn man auf die Geschichte der Neuzeit zurückblickt, dann sind die großen Entscheidungen oft mit den Namen weniger Männer verbunden, die sich voll Mut und Einfallsreichtum aufgemacht haben, neue Wege zu gehen und den Lauf der Dinge in völlig neue Bahnen zu lenken. Ich spreche hier natürlich von Größen wie Timothy Sanderson, Dean Donnelly und Jon Griffith.

Der Sanderson-Kompressor hat seit 1871 Dampfkraft in jeden Haushalt gebracht, Donnelly haben wir den ungeahnten Ausbau der Hydraulik zu verdanken und Griffith war bekanntlich der Vater der flächendeckenden Versorgung mit Erdgas. Diese drei Titanen waren es, auf denen die Moderne fußt. Zwar gab es anfangs die üblichen Neider und Skeptiker; vor allem die Vertreter der sogenannten Elektrizität wollten in recht penetranter Art eine Lobby für ihre teuren und gefährlichen Verfahren schaffen.

Doch das Urteil von 1875 - San Mateo County gegen Thomas Edison - beendete diesen Unsinn ein für alle Mal. Der Mann, der zuvor durchaus respektable Erfindungen am Telegrafen vollbracht hatte, wollte plötzlich in Menlo Park in weit größerem Umfang mit Strom herumexperimentieren. Kein Wunder, dass dies ordnungsbehördlich untersagt wurde und später, als der Erfinder Klage einreichte, der Prozess zu seinen Ungunsten ausging. Zehn Jahre später flackerte eine ähnliche Sache noch einmal durch einen Verrückten namens Nicolai Tesla auf, aber da gab es ja bereits den Präzedenzfall, und die Sache ging zwangsläufig genauso aus.

Und seitdem herrscht Ruhe und Einigkeit - nicht nur in den Staaten, sondern weltweit. Der großartige Willard Hopkins schrieb in seinem Vorwort zu "Das Jahrhundert der Dampfkraft" in gewohnt begeisterter Manier: "Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sich die wirren und fehlgeleiteten Kräfte, welche die elektrische Reibung zu Funken umsetzen wollten, durchgesetzt hätten! Entweder wären wir alle schon an diesen unsichtbaren - und unberechenbaren - Ladungen gestorben, oder wir säßen alle im Dunkeln, und keine Maschine würde uns für Arbeiten im Allgemeinen und Mobilität im Besonderen bereitstehen. Wo wären wir ohne Züge, Automobile und Dampfer? Nur die schier unbändige Dampfkraft garantiert uns einen sicheren und verlässlichen Umgang mit moderner Technik."

Dieser Hintergrund dürfte wohl den meisten gebildeten Lesern bekannt sein; ich habe ihn nur der Vollständigkeit dieser Ausführungen vorangestellt. Denn an etlichen Orten - also nicht nur hier in Kalifornien, wo das alles seinen Anfang genommen hat - mehrten sich plötzlich die Gerüchte von einer Gruppierung, welche offenbar zur heutigen Zeit, also fast hundertfünfzig Jahre nach der wegweisenden Entscheidung des Gerichtshofes, immer noch der Stromlehre anhängt und sich bemüht, sie wieder ins Gespräch zu bringen.

Anders ließen sich die Berichte, die wöchentlich mit der Rohrpost zu meinem Schreibtisch in der Aufsichtsbehörde für Technologie geliefert wurden, nicht deuten. Allein die Vorstellung, was unvorsichtige oder gar böswillige Leute mit der Elektrizität anstellen mochten, ließ mich erschaudern. Mir waren die ursprünglichen Konzepte der elektrischen Anwendungen aus dem Museum bekannt; meist lief alles auf einen elektrischen Stuhl hinaus. Der Staat Kalifornien benötigt keine Mordinstrumente, und es war unter anderem meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass dies bei der Bevölkerung nicht anders war. Es war hauptsächlich den Bemühungen der entsprechenden Aufsichtsbehörden zu verdanken, dass die Vereinigten Staaten sei hundertunddrei Jahren nicht mehr in Kriege verwickelt waren.

Daher war es unvermeidlich, dass ich in meiner Post einen Untersuchungsauftrag meines Vorgesetzten, Mr. Dongley, vorfand. Er instruierte mich, den Gerüchten auf den Grund zu gehen und die Angelegenheit zügig zu beenden. Leichter gesagt als getan. Aber ich hatte wenigstens einen Anhaltspunkt: für den nächsten Tag war in Menlo Park eine Ansprache ausgewählter Strom-Befürworter vorgesehen.

Also traf ich meine Vorbereitungen und fuhr gleich morgens mit einem Dampftaxi zum bezeichneten Platz. Ein paar Dutzend Leute hatten sich schon versammelt, um den aufrührerischen Reden zu lauschen. Ich war ziemlich sicher, dass auch der eine oder andere Polizist in Zivil unter den Anwesenden war.

Schließlich traten ein recht durchschnittlich aussehender Mann sowie eine unmodisch gekleidete Frau ans provisorische Podest. Er brüskierte die Wartenden gleich durch die Tatsache, dass er keinen Hut trug. Ein unverzeihlicher Fehler, der ihn gewiss bei so manchem das Wenige an Sympathie, das er aufbringen mochte, kosten konnte.

Dann begann er ohne Umschweife. "Guten Tag. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich hier erschienen sind, hier auf dem besonderen historischen Gelände."

Ich hatte inzwischen durchgezählt: achtunddreißig Personen bei einer Sache von angeblich landesweiter Bedeutung waren nun nicht sonderlich viele. Und das "historische Gelände" war der Parkplatz eines Gartencenters, das wegen Umbauarbeiten geschlossen war.

"Menlo Park war der Ursprung vieler Erfindungen... hätte es wenigstens sein können, wenn nicht die Dummheit und Kurzsichtigkeit einer Generation, die es nicht besser wusste, das alles verhindert hätte."

Die Historie lehrt, dass Edison dort armdicke Stromleitungen verlegen wollte und mit Spannungen zu experimentieren plante, die einen Elefanten umgebracht hätten. Schönen Dank auch.

Der Redner hielt kurz inne und sah sich um. Wenn er für diese Beleidigungen eines Gerichts Applaus erwartet hatte, sah er sich jetzt enttäuscht. Äußerlich ungerührt fuhr er fort:

"Aber der Fortschritt geht weiter. Mag man auch hier noch dem Vorgestrigen verbunden sein - in den Kolonien und auch in Europa ist man da weiter. Die Elektrizität ist inzwischen nicht nur sauberer, sondern auch billiger als Gas und Kohle!"

Ich konnte mich angesichts der absurden Behauptungen nicht länger halten. "Harvey Davenport, Reporter, San Francisco Herald“, rief ich, "und womit erzeugen Sie diese fabulöse Elektrizität?"

Der Redner blickte verärgert auf mich herab. "Zwar auch mit Gas und Kohle, aber der Wirkungsgrad..."

Seine Antwort ging in Buhrufen unter. Ich schüttelte nur den Kopf. Überraschenderweise trat nun die Frau ungefragt vor und übernahm das Megaphon. Ich musste über ihren schief sitzenden Hut und die flachen Schuhe lächeln. Offensichtlich war sie eine der wenigen Frauen, die sich in einen technischen Werdegang verirrt hatten und nun mit Männern über Dinge fachsimpeln musste, die sie einfach nicht richtig verstehen konnte. Sie tat mir fast leid.

"Geehrte Anwesende!" trompetete sie. "Es geht hier nicht um die Frage, welche Technologie besser ist..."

"Das wurde ja auch längst entschieden!" rief ein vorwitziger Mann aus der dritten Reihe dazwischen. Die Umstehenden lachten.

"Es geht vielmehr darum, dass unsere Forschungen ergeben haben, dass wir uns in einem gefährlichen Irrweg befinden, einer Sackgasse. Wäre die Elektrizität damals fachgerecht erforscht worden, dann wären wir nicht nur als Nation, sondern weltweit auf einem ganz anderen, weit fortschrittlicheren Entwicklungsstand!"

"Mumpitz!" rief jemand. Ich gebe zu, er hatte meine Stimme.

"Entgegen der landläufigen Meinung“, fuhr die Rednerin unbeirrt fort, "ist Elektrizität sicher und genau begrenzbar. Obendrein ist sie im Gegensatz zu Gas ungiftig und unbrennbar. Und sie kann im Gegensatz zu Dampfkesseln nicht explodieren."

Was für eine Anmaßung! Die Menge der Personen, die jährlich durch Gas oder Dampfkraft verletzt wurden, lagen in einem niedrigen Prozentbereich - ein Maß, das durch den überragenden Nutzen mehr als wettgemacht wurde.

"Stattdessen ist sie die Grundlage für eine Vielzahl an Erfindungen, an die wir heute nicht einmal denken können. Unsere Bevölkerung ahnt nicht einmal, zu welchen Möglichkeiten wir imstande wären, wenn..."

Und so ging es weiter. Immer phantastischere Bären wurden den Zuhörern aufgebunden: Rechenmaschinen, Steuerungsgeräte, extrem genaue Uhren, sogar vor selbstständigen Automaten und dem Flug zum Mond schreckte sie nicht zurück. Diese Spinnereien verdrossen zusehends auch etliche andere Personen, die sich offenbar einen sachlicheren Vortrag vorgestellt hatten. Aber was konnte man von einer Frau auch anderes erwarten?

Als sie endlich das Megaphon ihrem Mitstreiter zurückgab, breitete sich neben Erschöpfung auch eine gewisse Erleichterung aus. Der Mann fuhr sich sichtlich nervös mit der Hand durch die Haare und richtete nochmals einige Worte an die Menge, die inzwischen schon ein Drittel der Personen verloren hatte. Mir fielen jedoch zwei Männer auf, die sich stirnrunzelnd Notizen machten. Hatte ich's doch geahnt. Das würde ein juristisches Nachspiel haben.

"Wie Miss Peterson ausgeführt hat, könnte eine allgemeine Zulassung von Elektrizität ein Segen für jeden Haushalt, ja für die ganze Nation sein. Wir bitten Sie, Ihre lokalen Abgeordneten anzuschreiben, damit das Gesetz, das auf dem unglückseligen Gerichtsurteil von 1875 beruht, geändert werden kann. Ich danke Ihnen."

Die Menge zerstreute sich schneller, als wenn ein Ministrant mit einem Klingelbeutel umhergegangen wäre. In den Gesichtern war Enttäuschung zu lesen. Statt Wissenschaft hatte man nur Ammenmärchen präsentiert. Kein Politiker von Name und Anstand würde sich darauf einlassen wollen, das war klar. Ich stellte mir Lord Hardcastle vor, wie er mit einem solchen Ansinnen konfrontiert würde. Das machte die Angelegenheit komischer als sie eigentlich war.

Die beiden Polizeispitzel lungerten noch ein wenig herum, zogen sich dann aber ebenfalls zurück. Ich stellte fest, dass ich als letzter Zuhörer noch auf dem Parkplatz stand. Während der unauffällige Redner das Podest wieder abbaute, kam Miss Peterson in ihren plumpen Tretern auf mich zu.

"Reizend, dass Sie noch da sind. Darf ich davon ausgehen, dass Ihnen unser Vortrag gefallen hat?"

Die Höflichkeit - und meine Tarnung als Reporter - geboten es, nicht ob des Stapels an Nonsens laut aufzulachen.

"Sehr interessant, ja“, murmelte ich so neutral wie möglich.

Sie sah mich abwartend an.

"Aber“, schob ich nach, da ich als Reporter ja ein gewisses Interesse an den Details der Angelegenheit zeigen musste, "es mutet schon erstaunlich an, dass Sie mit dieser Sicherheit über ungelegte Eier... will sagen, Erfindungen sprechen, von denen wir heutzutage nur träumen können. Sie behaupten allen Ernstes, das alles sei mit etwas Strom möglich?"

"Nun ja... die Menge an Strom variiert gewiss mit dem Einsatzzweck, würde ich sagen“, gab sie zurück, aber sie war mir schon in die Falle gegangen. Anstatt über hypothetische Szenarien zu sprechen, hatte sie in meinen Augen ein Geständnis über ungesetzliche Experimente und damit Gefährdung der Bevölkerung abgelegt. Eine Rohrpostnachricht von mir, und schon nächste Woche würden sie und ihr sauberer Kumpan sich hinter Gittern wiederfinden!

Der Kumpan hatte gerade seine Arbeiten beendet und kam herüber. Sein breites Lächeln erlosch schlagartig, als er mich näher betrachtete.

"Mr. Davenport... von welcher Zeitung waren Sie noch?"

"San Francisco Herald, Auflage 79.000“, antwortete ich. Mit Zahlen kannte ich mich aus.

"Oh, hat man Sie in der Aufsichtsbehörde für Technologie entlassen?" gab er schneidend zurück. Mir wurde eiskalt. Er hatte mich von irgendwo wiedererkannt! Mit Gesichtern war ich noch nie gut gewesen.

"Das muss ein Irrtum sein, eine Verwechslung..." sagte ich lahm.

Er schüttelte den Kopf und wandte sich an Miss Peterson. "Davenport war einer der Gutachter, der vor drei Jahren meine Skizzen geprüft und abgelehnt hat. Er arbeitet für die Behörde, da bin ich sicher."

Dieser Kerl hatte so ein Allerweltsgesicht! Nicht einmal jetzt fiel mir sein Name ein.

"Miss Peterson“, versuchte ich die Situation zu retten, "bitte erklären Sie Ihrem Kollegen, dass ich bereits vorhin mein ernsthaftes Interesse an Ihrer Sache kundgetan habe und er mich wohl mit jemandem ver..."

Weiter kam ich nicht, denn dann sah ich nur noch Sterne, und alles wurde schwarz um mich. Als ich wieder zu mir kam, saß ich gefesselt auf einem Stuhl in einer Art Industrielagerhalle. Mein Hinterkopf schmerzte. Ein ozonhaltiger Geruch stieg in meine Nase, und um mich herum war ein ungewohntes, tiefes Summen zu hören. Ich erschrak. Das musste dieser teuflische Strom sein!

Ich sah mich um. Das ganze Gebäude schien mit fremdartigen Geräten gefüllt zu sein, jedenfalls sah ich weder Rohre für Dampfkessel noch Gasleitungen. Stattdessen standen vereinzelte Kästen mit einer Vielzahl an Schiebern und flimmernden Lichtern herum, die durch gebogene Schläuche verbunden waren. Diese waren jedoch ziemlich dünn und bisweilen so abgeknickt, dass sie nicht Teil einer Hydraulik sein konnten. Ich erinnerte mich an meine früheren Museumsbesuche und vermutete, dass es sich um Stromkabel handelte. Ich war also umgeben von Elektrizität!

Weit links von mir konnte ich schließlich doch noch eine Dampfmaschine ausmachen, die auf Hochtouren lief. Mittels einer Übersetzung war sie mit einem zylindrischen Gerät verbunden, dessen zentrale Achse von der Dampfmaschine angetrieben wurde und schnell rotierte. Einige dieser Kabel kamen heraus, das war alles. Sie waren mit den meisten der anderen Kästen verbunden.

Zwischen diesen Geräten lief mehr als ein halbes Dutzend Leute herum, der geschmacklosen Kleidung und ihrer offenkundigen Vertrautheit mit diesen Dingen nach alles abtrünnige Wissenschaftler. Auch der Redner von vorhin und Miss Peterson waren darunter. Sie besprachen sich halblaut, doch ich konnte keine Details verstehen. Sie schienen über das weitere Vorgehen unschlüssig zu sein, was mich betraf, denn sie blickten öfters zu mir herüber und deuteten sogar einmal auf mich.

Anscheinend kamen sie aber doch zu einem Ergebnis, denn schließlich traten beide auf mich zu. Der Mann musterte mich kühl und verschränkte die Arme.

"Na, wieder aufgewacht, Mr. Davenport?"

"Die Entführung eines Staatsbeamten ist eine Straftat“, sagte ich knapp.

"Die Behinderung des Fortschritts durch engstirnige Behörden leider nicht“, konterte er.

"Ah, und deshalb glauben Sie, Sie könnten machen, was Sie wollen? Gefährliche Experimente zum Beispiel?"

"Über die Phase der Experimente sind wir weit hinaus“, meinte er.

"Tatsächlich? Haben Sie mich in ihre geheime Untergrundbasis verschleppt, um mich jetzt mittels Stroms zu exekutieren?"

Miss Peterson mischte sich ein. "Nein, Mr. Davenport. Wir wollen Ihnen vielmehr vermitteln, dass sich Ihre Behörde auf einem Irrweg befindet."

"Das ist schon vorhin nicht sonderlich gelungen. Wie kamen Sie überhaupt auf all diese Science-Fiction-Ideen? Nicht einmal in einem Roman würde Ihnen das jemand abkaufen."

"Sie sind ein Skeptiker, Davenport“, knurrte der Unbekannte, "und deshalb sehen wir uns gezwungen, Ihnen unsere Quellen zu zeigen. Wir waren anfangs auch verblüfft, aber wenn man die Sache erst einmal verstanden hat, wird alles klarer."

"Sie können viel behaupten. Wahrscheinlich setzen Sie mich unter Drogen oder leiten mir Strom ins Gehirn!"

Er lächelte. "Wer hat hier die Science-Fiction-Ideen? Wir folgen nur der reinen Wissenschaft."

Damit trat er an eine der Armaturen heran und drückte einige Knöpfe, zog an einigen Schaltern. Es sah alles sehr kompliziert aus.

Ein großer Glaszylinder, der sich ein paar Meter vor mir befand, leuchtete plötzlich auf, und graue Wirbel erschienen darin, die sich allmählich zu einem rechteckigen Bild formierten. Es gewann an Schärfe und die Schatten wurden zu vielen unterschiedlichen Grautönen, in denen sich Menschen bewegten! Es war, als würde ich durch ein Teleskop blicken, das nur Schwarzweißbilder lieferte.

"Sie sehen das Jahr 2021, wie es wäre, wenn sich nicht Dampfkraft und Gas, sondern Elektrizität durchgesetzt hätte“, erklärte Miss Peterson.

"Mumpitz!" rief ich aus. "Das könnte eine beliebige Theatervorführung sein, welche mittels Spiegeln und Farbfiltern projiziert wird."

Er schüttelte den Kopf. "Nein. Es ist eine Variante unserer Welt. Wir beobachten sie schon seit über vierzig Jahren und lernen immer noch dazu. Es ist phantastisch, was ihnen alles gelungen ist - ja, dank Strom und ohne die Gängeleien gewisser Aufsichtsbehörden."

"Zum Mond, ja?" fragte ich sarkastisch.

Er nickte ernsthaft. "Ja, auch das. Aber wichtiger war die Halbleitertechnik, die schließlich zu den Computern führte. Die haben alles verändert."

"Halbe Leitern und... Rechenmaschinen?"

"Geräte, welche nicht nur Zahlen, sondern auch Symbole in unglaublicher Geschwindigkeit verarbeiten können. Da sich alles durch diese Symbole ausdrücken lässt, letztlich auch Bilder, Töne, Filme, Pläne, Zeichnungen, Musik... sind Computer der zentrale Bestandteil der Kommunikation geworden."

"Ach, und die Rohrpost?"

"Gibt es nicht mehr, da die Inhalte eines Briefes in Bruchteilen einer Sekunde übertragen werden können."

Ich betrachtete die fremdartigen Bilder in der Glasröhre. Die Menschen wirkten nicht unglücklich. Ihre Mode war anders, wesentlich gewagter, und niemand trug Hüte. Ein größerer Teil der Frauen trug dagegen Hosen und wirkte irgendwie selbstbewusster als ich es gewohnt war... und attraktiver, wie ich ehrlicherweise zugeben musste.

Aber das musste nichts bedeuten. Es war höchstwahrscheinlich ohnehin nicht echt.

"Offensichtlich betrieben Sie hier illegale Anlagen. Glauben Sie, ein paar gefälschte 16-mm-Filme mit Hintergrundprojektion würden mich dazu bewegen, darüber hinwegzusehen?"

"Keineswegs“, antwortete der unauffällige Mann, "wir haben Größeres mit Ihnen vor. Sie sollen uns bei einem Detail helfen."

"Ich werde doch mit Verbrechern keine gemeinsame Sache machen!"

Er beugte sich verärgert vor. "Verbrecher? Ich bin Theodore Edison, Nachfahre von Thomas Edison, des größten Erfinders seiner Zeit, und Sie werden schon sehen, wie kleingeistig Sie alle gewesen sind, Sie und Ihre tolle Aufsichtsbehörde!"

Da hatte ich wohl einen Nerv getroffen. Er kam mir zwar nicht ausgesprochen gewalttätig vor, aber immerhin hatte er mich bereits niedergeschlagen und entführt. Das genügte mir. Ich nahm mir vor, mich vorsichtiger auszudrücken. Trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen: "Und Miss Peterson ist die Inkarnation von Kleopatra?"

Ich und meine große Klappe! Wahrscheinlich packten sie gleich das Stromkabel aus.

Aber sie lächelte nur milde und meinte: "Ich bin eine geborene Tesla. Unsere Ahnen haben sich Ende des 19. Jahrhunderts zusammengetan, um die Elektrizität heimlich weiter zu erforschen, und schon die zweite Generation ist auf Bemerkenswertes gestoßen. Und unsere Eltern haben später schließlich diesen Televisor entwickelt, um in die Geschichte zu blicken - und zwar nicht nur die Geschichte dieser Welt."

Das war zu phantastisch, um wahr zu sein, aber ich wusste, dass Edison und Tesla damals als die Genies ihrer Zeit galten. Wenn sie wirklich im Einklang zusammengearbeitet hatten... was mochte alles daraus erwachsen sein? Dieses Gerät kam mir immer echter vor. Und immer noch zeigten sich darin merkwürdige Produkte, die bestenfalls den Science-Fiction-Filmen aus dem Kino glichen. Immer wieder nahmen die Menschen kleine leuchtenden Glasscheiben zur Hand, in denen Texte und Bilder aufblitzten. In nahezu jedem Haushalt schien mindestens ein Televisor zu stehen, der dauernd Bilder fremder Leute und fremder Landschaften anzeigte. Und bisweilen gab es Darstellungen, die scheinbar tatsächlich im Weltraum angesiedelt waren. Insgesamt kam es mir so vor, als würde hier ein Entwicklungsstand gezeigt, den wir erst in hundert oder gar zweihundert Jahren erreicht haben würden. Und kaum etwas davon beruhte auf Dampfkraft.

Sollte Elektrizität wirklich die Lösung sein?

"Woher soll ich wissen, dass das alles nicht nur Phantasieprodukte aus dem Kino sind, sondern wirklich existiert?" fragte ich Edison.

"Endlich stellen Sie die richtigen Fragen“, gab er zurück, "es ist ganz einfach: durch unsere Beobachtungen waren wir in der Lage, einiges davon nachzubauen. Natürlich nicht auf deren technischem Niveau, aber immerhin... statt sogenannter Transistoren und Mikrochips arbeiten wir mit Röhren. Für alles Weitere fehlen uns die Mittel und die technischen Grundlagen, da es ja ansonsten keine offizielle Forschung und keine bekannten Herstellungsprozesse dafür gibt. Aber mit Röhren hat das Ganze auch dort begonnen."

"Röhren?" Ich verstand gar nichts.

"Elektronenröhren sind elektrische Bauelemente“, erklärte Edison, "sie enthalten Elektroden, die sich in einem luftleeren oder gasgefüllten Kolben aus Glas, Stahl oder Keramik befinden. Man kann sie als Schaltelemente verwenden und letztlich damit die Symbole ausdrücken und verarbeiten, wie es in Computern üblich ist. Damit hinken wir den Leuten auf dem Bildschirm zwar mehr als fünfzig Jahre hinterher, aber das ist immer noch besser als über hundert, wie es hier im Rest der Welt üblich ist."

"Und das haben Sie alles entwickelt?"

Miss Peterson schüttelte den Kopf. "Es ist eine Gemeinschaftsarbeit von zahlreichen Untergrundwissenschaftlern. Japan ist da sehr weit, und auch in Russland gibt es hochinteressante..."

"Sagen Sie nicht, dass Sie mit den Asiaten und den Kommunisten zusammenarbeiten“, entfuhr es mir. Dabei wollte ich doch eigentlich vorsichtiger sein.

Zu meiner Überraschung lachte Edison nur. "Davenport, Sie haben ja keine Ahnung. Während wir hier unsere althergebrachten Vorurteile pflegen, ist drüben bereits etwas entstanden, das sich Globalisierung nennt. Der erste Schritt zu einer Welt, die sich ganzheitlich sieht. In Europa gibt es zum Beispiel längst eine europäische Union."

Unfassbar. Und doch war dieser Begriff schon vorhin in den Bildern aufgeblitzt, zusammen mit Erdsatelliten, künstlicher Intelligenz, robotischen Staubsaugern und elektrischen Rasierapparaten. Unter letzteren konnte ich mir wenigstens etwas vorstellen. Da tat sich anscheinend eine ganz neue Welt auf. Aber wie würde die Aufsichtsbehörde darauf reagieren? Und die Politik? Oder gar der Präsident? Es war bekannt, dass er erhebliche Aktienmengen von Sanderson Global als auch Griffith Enterprises hatte.

"Wie dem auch sei“, fuhr Edison fort, "uns geht es nicht nur darum, Sie zu überzeugen. Wir bitten Sie, mitzumachen. Unter all Ihrer Verbohrtheit sind Sie nämlich ein heller Kopf. Das meint zumindest meine Kollegin."

"Na ja..." Hier konnte ich kaum widersprechen.

"Mr. Davenport“, sagte die bewusste Kollegin zu mir, "unser Anliegen wäre nur halb so bedeutend, wenn es um die reine Beobachtung zu Forschungszwecken ginge. Nein, Mr. Edison hat da eine wunderbare Möglichkeit entdeckt, doch noch alles zum Guten zu wenden."

Edison winkte ab. "Der Ruhm gebührt Michail Doliwo-Dobrowolski, Teslas Sohn Jerry und natürlich Frank Westinghouse III. Bei Bohrungen nach neuen Gasvorkommen sind Jerry und Michail auf ein Mineral gestoßen, das vermutlich im Kern eines Asteroiden eingeschlossen war. Jahrzehnte lang lag es unbeachtet in einem Keller, bis Westinghouse es in seine Experimente einbezog und merkwürdige Messwerte erhielt. Das ließ ihn nicht los, und er jagte schließlich jede Art von Strom hindurch, den es damals gab: Gleichstrom, Zweiphasenwechselstrom und später auch drei Phasen. Und das war die Grundlage für unsere Maschine hier. Sie erzeugt nicht nur ein Fenster in eine Variante unserer Geschichte, sie kann dieses Fenster für einen kurzen Zeitraum auch öffnen."

Er gab mir etwas Zeit, um die Implikationen zu verstehen.

"Sie meinen... wir können mit dieser Variante kommunizieren? Sie vielleicht sogar besuchen?" Ich war fassungslos.

Miss Peterson nickte feierlich. "Westinghouse hat fast sein ganzes Vermögen hineingesteckt, einige Teilhaber ebenso. Wir stehen im Austausch mit etlichen Forschungsgruppen, aber dies ist die einzige Maschine dieser Art. Mehr von diesem Erz haben wir einfach nicht."

Um mich herum blinkten immer noch diese bunten Lichter an den Geräten auf. Als ob sie ein neues Zeitalter signalisieren würden. Auf verschiedenen kleineren Glasröhren wurden ebenfalls Texte angezeigt, die mir völlig kryptisch erschienen. Unglaublich, was mit Strom alles zustande zu bringen war.

Der große Betrachtungsschirm zeigte derweil fliegende Maschinen, grelle Lichter von einer Helligkeit, die man niemals mit Gaslicht erzeugen konnte, futurisch anmutende Autos, winzige Taschenlampen und vieles mehr. Ich hätte nicht bei der Aufsichtsbehörde angefangen, wenn ich kein Herz für Technik gehabt hätte. Mir ging es stets um die Sicherheit der Technik, nicht um ihre Beschränkung. Die Erkenntnis, dass die einstige Entscheidung gegen die Elektrizität einfach verfrüht gewesen war, traf mich hart.

"Kann ich mit Westinghouse sprechen?" fragte ich. Ich hätte gerne noch einen Zeugen gehabt, der mir all das bestätigen konnte.

Edison schüttelte bedauernd den Kopf und band mich los. "Leider nicht. Er wurde krank, die Haare fielen ihm aus, und nach einiger Zeit starb er. Manche vermuten, er hatte sich zu lange mit diesem Erz beschäftigt. Wir bewahren es daher in einem gesicherten Behälter auf, inmitten der Maschine."

Miss Peterson rückte ihre Brille zurecht. "Es gab schon im neunzehnten Jahrhundert in Frankreich Experimente mit verschiedenen merkwürdigen Substanzen, darunter Pechblende, aber auch in Europa hatte die amerikanische Skepsis an der Elektrizität Auswirkungen, und mit der Zeit verliefen die Forschungen im Sande. Möglicherweise ist auch das eine der Wissenslücken, die es bei uns gibt und woanders längst gefüllt ist. Sie sehen also, Mr. Davenport, unser Anliegen ist nicht selbstsüchtig, und wir wollen keine neue Welt erschaffen, sondern dieser Welt nur zurückgeben, was ihr so lange verwehrt wurde."

"Aber... wie soll das vonstatten gehen?"

Edison räusperte sich. "Wenn wir die komplette Energie einsetzen, die unser Generator erzeugen kann, dann können wir für wenige Sekunden einen kleinen Übergang eröffnen - nicht in die Gegenwart, die Sie hier auf dem Monitor sehen, sondern in die Vergangenheit. Und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem die gerichtliche Entscheidung getroffen wurde. Unser Computer hat jahrelang gebraucht, um die notwendigen Koordinaten zu errechnen, und erst seit kurzem liegen uns die Daten vor. Durch unseren Vortrag haben wir gehofft, Mitstreiter zu finden, die uns historisch unterstützen können. Und glücklicherweise sind wir auf Sie gestoßen... auch wenn Sie zunächst recht widerspenstig waren."

"Ich bitte Sie. Sie wollen mich doch nicht durch die Zeit schicken wie in dem Roman von H.G. Wells?"

"Natürlich nicht. Aber Sie sind ein erfahrener Gutachter. Wenn Sie ein Gutachten verfassen würden, das einen Gegenpol zu den sonst damals zirkulierenden Meinungen über Elektrizität darstellt, dann könnte man es zu den anderen Unterlagen hinzufügen, und das Gesamtbild sähe vielleicht anders aus. Eine andere Chance sehen wir nicht."

Ich überlegte. "Würde man so ein Dokument nicht einfach als Fälschung betrachten, da es ja quasi aus dem Nichts kommt?"

"Daran haben wir schon gedacht“, meinte Miss Peterson. "Es ist uns gelungen, das Briefpapier mit dem Briefkopf der damaligen Westinghouse Company zu beschaffen. Es würde also so aussehen, als wäre dort der Ursprung. Durch unsere Erfahrungen mit Strom können wir auch die Ergebnisse von Messungen und Experimenten beisteuern, die schon damals hätten durchgeführt werden können, wenn man gewollt hätte, und welche die Sicherheitsanforderungen bestimmen. Wir haben umfangreiches Material über Isolatoren und Stromstärken. Ich kann Ihnen versichern, dass niedrige Spannungen und geringe Stromstärken ganz harmlos sind. Ansonsten würden wir hier in diesem Labor nicht seit Jahren unfallfrei arbeiten können."

Tatsächlich sah der Raum so aus, als ob er schon seit Jahren in Betrieb sei. Nach außen hin erschien die Halle vermutlich nur als großer Lagerraum mit den üblichen Anschlüssen für Gas, Wasser und Dampf. Den Strom erzeugten sie ja einfach selbst. Praktisch.

"Und was dann?"

"Wir schicken Ihr Dokument durch den Spalt, der von der Maschine geöffnet wird, ins Frühjahr 1875, als die Untersuchungen in vollem Gange waren, und zwar in die Kanzlei von Beaumont & Beaumont, die Thomas Edison vertreten haben. Die Anwälte werden es schon in ihrem - also unserem - Interesse einsetzen und haben damit ein weiteres Argument bei der Gerichtsverhandlung. Das ist alles."

"Nein, ich meinte, was erwarten Sie beim Erfolg der Sache?"

Miss Peterson strahlte, und zum ersten Mal sah sie nicht wie eine langweilige Wissenschaftlerin aus, sondern eher wie ein Abglanz der modernen Frauen, die ich in der Glasröhre gesehen hatte. "Alles wird sich verändern! Und das Beste: wir, die wir uns innerhalb dieses Labors befinden, werden die alte Welt kennen und die neue. Dafür sorgt das Drehstromfeld, das bis zu den Wänden reicht."

"Und der Rest der Welt?" gab ich zu bedenken.

"Wird in einem Utopia erwachen“, meinte Edison, "und nun ist es an der Zeit zu handeln. Mr. Davenport, sind Sie dabei? Wollen Sie Ihrem Land zu einem nie dagewesenen Fortschritt verhelfen?"

"Das ist eine schwere Entscheidung“, murmelte ich.

"Ich habe nie gezögert, wenn es um Wissenschaft und Fortschritt ging, genau wie alle Edisons vor mir“, sagte er mit fester Stimme, "und erst recht werde ich jetzt nicht aufgeben. Dies ist der krönende Höhepunkt unserer Bemühungen, einen Fehler wiedergutzumachen. Bitte helfen Sie uns. Ihr Land braucht Sie, Mr. Davenport."

Wie hätte ich da ablehnen können? Zögernd erst, aber mit wachsender Begeisterung sah ich mir die Diagramme und Berechnungen an, die mir vorgelegt wurden. Ich konnte keine Fehler darin feststellen. Es war, als hätte sich mir wirklich eine neue Welt geöffnet, und ich bedauerte, diese Leute vor kurzem noch für gefährliche Narren gehalten zu haben. Dies hier war real und eine große Sache, eine umwälzende Sache.

Also schrieb ich das Gutachten in dem Stil, der mir aus den Gerichtsakten meiner Ausbildung und aus dem Museum bekannt war, mit den passenden Skizzen und Erläuterungen. Die anderen prüften jeweils, ob alles glaubhaft in die damalige Zeit passte, und gaben hin und wieder Ratschläge zu den Details. Am Schluss standen wir mit allen Mitarbeitern dieses Labors am Schreibtisch und gingen es im Einzelnen nochmal durch, bis alle zufrieden waren. Meine Hand schmerzte vom vielen Schreiben, mein Füller war leer, und einige Passagen waren von Miss Peterson als Anhang auf einer Schreibmaschine verfasst worden. Das Ergebnis sah ziemlich offiziell aus. Mich hätte es jedenfalls überzeugt.

Edison steckte alle Seiten in eine Mappe und hielt sie hoch. "Dies ist der Funke, mit dem wir das Feuer der Wissenschaft neu entzünden! Dies ist das Feuer, welches Prometheus den Menschen gebracht hat! Lasst es uns nun abermals überbringen!"

So viel Pathos hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Nun, sollte er den Versuch genießen. Wahrscheinlich würde überhaupt nichts passieren. So erstaunlich seine Maschine auch sein mochte, die Überbrückung von Zeit und Raum mutete einfach zu phantastisch an.

Aber Theodore Edison ging zielstrebig zum hinteren Bereich der Konstruktion, hob eine Klappe an und schob die gesamte Schreibmappe hinein. Dann wandte er sich einer Wand mit Skalen zu und drehte dort an etlichen Reglern, bis die Nadeln der Skalen voll ausschlugen. Das sonore Brummen wurde zunächst lauter und wandelte sich dann zu einem immer höheren, fast ohrenbetäubenden Ton, der alles zum Vibrieren brachte, bis er auf einmal nicht mehr zu hören war.

Die rote Nadel an dem Gerät, an das sich der Erfinder jetzt postiert hatte, kletterte immer weiter nach oben, und gelbe Warnlichter wurden aktiviert. Der Generator in der Ecke röhrte und jaulte, wohl weil er mehr Leistung bringen musste als je zuvor.

"Hat das schon mal jemand gemacht?" fragte ich Edison laut, um mich bei dem Lärm verständlich zu machen. Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Hinter ihm rang Miss Peterson die Hände. Die anderen Wissenschaftler starrten auf ihre Anzeigen. Keiner von Ihnen sah restlos überzeugt aus. Aber wir konnten jetzt nicht mehr zurück. Der Brief lag schon abgeschickt im Briefkasten.

Als der Boden zu beben begann, fiel mir unpassenderweise ein, was aus Prometheus geworden war: die Götter bestraften ihn mit einer ewigen Qual. Hier jedoch hörte das Beben rasch wieder auf, aber der Generator machte ein hässliches Geräusch und kam langsam zum Stillstand, während die Röhren und Lichter flackerten und erloschen.

Und das war das Ende der alten Welt. Wir stolperten aus der Halle, um Nachwirkungen des Bebens zu entgehen und um zu schauen, ob sich etwas geändert hatte.

Und ob.

Auf der Straße fuhren diese modernen Automobile, die ich aus den Bildern der Röhre kannte. Die Straße selbst war an der Kreuzung mit schwarzen Metallstangen versehen, an denen grüne Lichter leuchteten. Die Architektur des Vororts, in dem ich mich wiederfand, hatte sich gegenüber der von der Welt, an die ich mich erinnerte, maßgeblich geändert. Alles sah höher, futuristischer und glatter aus. Überall standen Werbetafeln für Produkte, die mir größtenteils nichts sagten. Und über mir zog ein riesiges, wohl metallenes Flugzeug seine Bahn.

Die Wissenschaftler lachten, umarmten sich und führten einen albernen Tanz auf. Mir wurde klar, dass ich jetzt wohl arbeitslos war. Von Dampfkraft war weit und breit nichts zu sehen, nur einige Schornsteine rauchten, wie sie das immer tun.

Als ein junger Mann vorbeikam, der in seiner Hand eines von diesen flachen Geräten hatte, hielt ich ihn an. "Entschuldigen Sie, können Sie mir etwas über die aktuelle Bedeutung der Elektrizität sagen?"

Er sah mich an, als hätte er einen komplett Verrückten vor sich. "Ja, Mann. Sie ist überall. Sie sind wohl... ah, jetzt sehe ich es. Sie drehen hier wohl einen Film, wie? Vierziger Jahre? Thriller oder Steampunk vielleicht?" Er deutete auf mich und anderen Wissenschaftler.

"So was in der Art“, gab ich zurück. "aber jetzt ist Drehpause. Ich müsste mal eine Bibliothek aufsuchen."

Er schüttelte den Kopf. "Wenn Sie nur was nachschlagen wollen, geht das einfacher. Sagen Sie, kann ich mal die Kulissen sehen? Ich bin ein totaler Filmfan."

"Was meinen Sie mit einfacher?"

"Schauen Sie doch einfach ins Internet, in die Wikipedia. Gibt's auch 'ne App für." Ich verstand nicht, was er mir sagen wollte. Diese Begriffe waren neu für mich. Aber es schien nicht schwierig zu sein. Ich fasste einen Entschluss.

"Sprechen Sie dafür am besten mit dem Regisseur. Das ist der Mann da drüben, ohne Hut. Und dafür zeigen Sie mir diese... Wikipedia."

"Klar, Mann“, meinte er nur, drückte mir sein Gerät in die Hand und zeigte mir rasch, was man wo eintippen musste. Es war wie auf einer winzigen Schreibmaschine, nur dass zu den gesuchten Begriffen gleich ein Artikel auf dem Glas angezeigt wurde. Wenn so viel Wissen tatsächlich in ein so kleines Gerät passte und überall kostenlos verfügbar war, dann hatten wir der Welt wohl wirklich einen Gefallen getan.

Ich setzte mich auf einen herumliegenden Holzbalken und begann meine Recherche. Wie erwartet, hatte die Kanzlei dank des Westinghouse-Gutachtens den Richter überzeugen können, zu Edisons Gunsten zu entscheiden. Damit stand diesem nichts mehr im Weg, und später arbeitete auch Tesla kurze Zeit für ihn, eröffnete jedoch später seine eigene Firma. Vor allem diese beiden trieben die Erfindungen elektrischer Systeme anfangs voran, später natürlich gefolgt von zahlreichen anderen. Das las sich gut.

Doch diese Wikipedia bestand aus unzähligen Querverweisen, und als ich in der Historie voranschritt, wuchs mein Entsetzen. Einige Artikel später rannte ich zu Edison, der immer noch mit dem jungen Mann diskutierte und bestritt, ein Regisseur zu sein.

"Entschuldigen Sie uns einen Moment“, sagte ich zu dem Zeitgenossen und zerrte Edison mit mir in die Halle.

"Was ist denn los? Und warum glaubt dieser Kerl, ich würde einen Film machen?"

"Ich brauchte nur etwas Ablenkung für eine Recherche“, erwiderte ich ungeduldig, "gibt es eine Möglichkeit, die ganze Sache rückgängig zu machen?"

Edison verzog das Gesicht. "Warum sollten wir das tun - nach diesem Erfolg? Wir sind im Zeitalter der Elektrizität angelangt! Haben Sie diese Häuser gesehen? Die Autos? Die Beleuchtungskörper?"

"Weil diese Welt nicht so perfekt ist, wie wir angenommen haben." Ich zeigte ihm die Artikel, und seine Miene wurde ernst.

"Das zwanzigste Jahrhundert war durchzogen von zwei Weltkriegen und etlichen kleineren Kriegen“, fuhr ich fort, "man hat furchtbare Bomben entwickelt: Massenvernichtungswaffen. Dieses Internet hat zwar eine globale Kommunikation ermöglicht, aber auch die Verbreitung von Engstirnigkeit und Hass gefördert. Das Bankenwesen ist so eng damit verknüpft, dass es schon ein paarmal gravierende finanzielle Katastrophen gab. Alles ist elektrisch, alles hängt zusammen, und wenn irgendwo etwas passiert, geht alles andere auch gleich den Bach hinunter."

"Das ging aus den Beobachtungen nicht hervor“, gab er verblüfft zurück, "aber das waren immer nur Ausschnitte. Wir haben uns natürlich auf die technischen Details konzentriert, um aus ihnen etwas lernen zu können."

"Sie haben das große Ganze missachtet!" rief ich. "Ist das die Welt, die Sie haben wollten? Eine mit Millionen Kriegstoten, schrecklichen Waffen, Wut und Hass? Wer weiß, was noch alles in diesem Nachschlagewerk steht? Mr. Edison, können wir zurück?"

Er sah mich direkt an, und ich spürte, dass er so erschüttert war wie ich. "Nein. Das restliche Erz wurde verbraucht, und die meisten Maschinen sind zerstört. Ich wüsste nicht, wie man das hinbekommen sollte."

"Und wenn uns jemand von hier mit der technischen Überlegenheit unterstützt?"

"Sie würden sicherlich nicht ihre Welt gegen eine primitive Dampfwelt eintauschen wollen. Sehen Sie sich doch dieses Wunderwerk hier an! Meinen Sie, das würde jemand hergeben wollen?"

"Wohl nicht“, meinte ich resignierend und las abermals einige Artikel, aber je mehr ich in die Geschichte dieser Welt eintauchte, desto mehr Schrecken entdeckte ich. Wasserstoffbomben, Flugzeuge in Hochhäusern, die fanatische Zerstörung von uralten Kulturbauten, religiöse Spannungen, Seuchen, Korruption und immer wieder Kriege.

Und dann ging mir auf, dass es genau meine Aufgabe bei der Aufsichtsbehörde gewesen war, das große Ganze im Auge zu behalten und für die Sicherheit in der Technik zu sorgen. Ich hatte versagt, wie noch nie ein Mensch zuvor versagt hatte. Hatte mich blenden lassen von den Verlockungen des Fortschritts und hübschen Frauen in schicker Kleidung. Was für ein Narr ich gewesen war.

Langsam ging ich zu dem Filmfreund hinüber und gab ihm sein Gerät zurück. Er steckte es nachlässig ein, offenkundig ohne sich des technischen Wunders in seiner Hosentasche irgendwie bewusst zu sein.

"Und? Haben Sie alles herausgefunden?" fragte er nur.

"Mehr ich erwartet hatte“, gab ich zu, "und ich denke, ich habe eine fundamental falsche Entscheidung getroffen. Aber ich kann mich nicht bei jedem, den sie betrifft, entschuldigen."

Er stutzte kurz, grinste dann aber unvermittelt. "Wenn Sie sich entschuldigen wollen, dann für Ihren Hut. Der steht Ihnen überhaupt nicht."

"Ich meinte eher den Zustand der Welt."

Er zuckte mit den Schultern. "Die Welt ist, wie sie ist. Wir müssen eben das Beste daraus machen, mein Freund. Los, machen Sie nicht so ein trauriges Gesicht! Ich glaube, Sie nehmen Ihre Rolle zu ernst.“

Zu ernst? Ich war kurz davor, mich vor eines dieser neumodischen Fahrzeuge zu werfen, die an der Straße an uns vorbeibrausten. Die Welt war nicht, wie sie war. Sie war so, wozu wir sie gemacht hatten, in unserer grenzenlosen Selbstüberschätzung. Wir hatten vom Apfel der Erkenntnis gegessen und waren aus dem Paradies geworfen worden – einem Paradies, das ich heute Morgen noch nicht einmal als solches erkannt hatte.

Miss Peterson kam mit besorgtem Blick auf mich zu. „Theodore hat mir eben davon erzählt. Ja, es ist schrecklich… aber wir ahnten nichts davon. Und Sie sind nur zufällig hineingeraten.“

„Ich habe Ihnen das Gutachten geliefert“, murmelte ich, „ohne mich hätte es nicht funktioniert. Es ist meine Schuld.“ Es gab keinen Ausweg.

Wenn man auf die Geschichte der Neuzeit zurückblickt, dann sind die großen Entscheidungen oft mit den Namen weniger Narren verbunden, die sich voll ahnungsloser Überheblichkeit aufgemacht haben, Bewährtes über den Haufen zu werfen und den Lauf der Dinge in völlig neue, ungewisse Bahnen zu lenken. Sie wissen jetzt, von wem ich spreche.

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Tag der Veröffentlichung: 03.07.2021

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Widmung:
Beitrag zum Anthologie-Wettbewerb Juni 2021 mit dem Thema "Die Entscheidung" (Platz 1)

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