Der Geist von Weihnachten
von
Peter Splitt
Es ist kurz vor Heilig Abend, ein vierundzwanzigster Dezember. Gemäß der alten Traditionen und Gewohnheiten beginnen in den verschiedensten Gegenden dieser Welt die Vorbereitungen auf ein fröhliches und gesegnetes Weihnachtsfest. So auch in Peru, wo die Familien sich allerdings bis Mitternacht mit dem Beginn der Feierlichkeiten gedulden müssen. Dann allerdings geht die Vorfreude schnell in eine ausgelassene Stimmung über und ein pompöses Festessen und die Bescherungen für die Kleinen werden von einem aufwendigen Feuerwerk begleitet.
Darauf folgen Musik und Tanz bis hinein in die frühen Morgenstunden. Aber die Gegensätze können in dem riesigen südamerikanischen Land nicht größer sein, denn vielen Menschen ist es aufgrund ihrer extremen Armut nicht vergönnt an diesen Vergnügungen teilzunehmen. Für sie bedeutet Weihnachten nur Verzweiflung, Entbehrung, Hunger und Hoffnungslosigkeit.
In einer dieser zahllosen armen Familien sagte ein kleines Kind weinend zu seinem Vater: „Vati ich habe großen Hunger! Gibst du mir bitte etwas zu essen!” Beschämt schaute der Mann auf seinen jüngsten Sohn und antwortete ihm: „Bitte habe noch ein wenig Geduld, mein Junge. Deine Mutter ist sicher gleich zurück.” Was sonst auch hätte er anderes antworten können? Die große Holzkiste in der sie sonst ihre Lebensmittel aufbewahren war leer. Sie befand sich in der mit einem alten Bettlaken von dem staubigen Wohnraum abgegrenzten Kochnische. Einen Kühlschrank besaß die Familie Gonzales nicht. Elektrischen Strom gab es, wenn überhaupt, nur für einige wenige Augenblicke am Tag.
Herr Gonzales meinte zu seiner Frau Maria: „Meine liebe Frau, welch ein Unglück! Es ist Weihnachten und unsere Kinder leiden Hunger, dazu befürchte ich, dass an Geschenke für sie wieder einmal nicht zu denken ist.“
Der kleine Junge der Familie Gonzales lief auf die Straße und schaute den anderen Kindern aus der Nachbarschaft beim Ballspielen zu. Ein unwiderstehliches Verlangen nach dem Ball zu greifen, überfiel ihn. Es war Fernando, der zweite Sohn von Herrn Gonzales, einem der ärmsten Bürger der Stadt. Seine Familie lebte in einer einfachen Behausung aus Lehm und Adobe am Ortsrand von Nazca.
Der Junge dachte: „Warum kauft mir mein Vater nicht auch einen solchen Ball, wie die anderen Kinder schon längst einen bekommen haben? Ich habe überhaupt nichts! Sie schauen mich nicht einmal an.“
„Alles ist so teuer geworden,” beklagte sich Dona Maria kurz vor den Festtagen bei ihrem Mann „Selbst Fleischknochen, die immer am billigsten waren sind kaum noch zu bezahlen. Und wie viele Weihnachtsfeste sind bereits vergangen, ohne dass wir in der Lage waren unseren Kindern ein Geschenk zu kaufen? Ihre Kleider sind alt und abgetragen. So viel Zeit ist verstrichen, ohne dass wir uns selbst einmal neu einkleiden oder richtig satt essen konnten.”
Sie schaute ihren Gemahl verlegen an. Ein Ausdruck von Besorgniss erschien auf ihrem Gesicht. Sie wusste, das er eigentlich ein verantwortungsvoller Ehemann war, der immer alles für seine Familie gegeben hatte. Und trotzdem wurde ihre gemeinsame Situation zunehmend schwieriger.
Nazca ist eine fröhliche Stadt südlich der peruanischen Hauptstadt Lima und dazu reich an Kultur und Geschichte. Sie gilt als eine der ältesten und wichtigsten Zentren des antiken Perus, entstanden bereits weit vor der Geburt Christi. Richtig bekannt wurde Nazca aber erst durch die geheimnisvollen Linien, die von der Deutschen Maria Reiche entdeckt und gepflegt wurden aber nur aus der Vogelperspektive als Figuren und Symbole zu erkennen sind.
Zu dem Armenviertel am Ortsrand, in dem auch die Familie Gonzales lebt, gelangt man von ihrem eigentlichen Zentrum über eine alte, schwankende, hohe Hängebrücke aus Holz. Die zum Teil losen Holzplanken erwecken keinen vertrauensvollen Eindruck. Trotzdem wird die Brücke als Hauptverkehrsverbindung zwischen den Ortsteilen, und sogar zum Transport von Gütern benutzt.
Nach reichlicher Überlegung wandte sich Herr Gonzales an seine Ehefrau: „Ich sehe ja ein, dass es hier für uns von Tag zu Tag schwieriger wird. Vielleicht kann ich bei meinem Chef für dieses Jahr eine höhere Weihnachtsgratifikation herausschlagen. Ich werde nichts unversucht lassen.“ Am frühen Weihnachtstag reihte sich Herr Gonzales geduldig in die lange Schlange vor dem Büro seines Arbeitgebers ein, um auf das so heiß ersehnte Weihnachtsgeld zu warten. Plötzlich machte sich Unruhe unter den wartenden Arbeitern vor ihm breit und er vernahm Beschwerderufe und sogar wüste Beschimpfungen. Von einem Weihnachtsbonus war nicht mehr die Rede, sondern ganz im Gegenteil, den Angestellten wurde sogar noch ihr Lohn gekürzt!
Jetzt war er selbst
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2019
ISBN: 978-3-7438-9658-1
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