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Prolog

Cajamarca, Peru

15. November 1532

 

Francisco Pizarro stand mit seinen berittenen Soldaten und einer großen Infanterie vor der Stadt Cajamarca im Andenhochland Perus. Ausgestattet mit einer beachtlichen Menge an Kanonen, Feuerwaffen und Kampfhunden waren sie bereits seit dreiundfünfzig Tagen unterwegs. Ihre Route verlief nördlich durch das Gebiet von San Miguel de Piura sowie den anliegenden Provinzen des riesigen, südamerikanischen Landes. Seine Krieger gehörten mehrheitlich der untersten spanischen Gesellschaftsschicht an. Sie waren von Erzählungen über die unvorstellbaren Schätze des Inkakönigs angelockt worden. Dieser wohnte angeblich in einer goldenen Stadt, mit Gebäuden, deren Dächer ganz in Blattgold gehüllt waren.

 

Die Indiobevölkerung war den Fremden, trotz deren offensichtlicher Bewaffnung, zunächst sehr freundlich gesinnt. Ihr König Atahualpa hielt sich zu jenem Zeitpunkt im nahegelegenen Baño del Inca’ auf. Begleitet wurde er von vierzigtausend Indiokriegern, da er sich zur gleichen Zeit in einem verbitterten und äußerst brutal geführten Krieg mit seinem Halbbruder Huascar befand. Es ging um die Alleinherrschaft über das große Inkareich. Trotzdem erfreute er sich an den heiligen Thermalquellen, welche nur der Oberschicht zugedacht waren.

Francisco Pizarro schickte Atahualpa eine Botschaft, in der er seine Ankunft ankündigte und den Inkakönig um eine Unterredung bat. Der jedoch wollte die Fremden auf keinen Fall empfangen und verschob das Treffen auf einen späteren Zeitpunkt. Heimlich beorderte er zwanzigtausend Krieger in die Außenbezirke Cajamarcas um den Spaniern in den Rücken zu fallen und sie gefangen zu nehmen. Er war sich dem Gelingen seiner List sicher. Er glaubte, die Fremden würden bei einer solch deutlichen Überzahl umgehend die Flucht ergreifen.

Francisco Pizarro war jedoch auf der Hut vor den Kriegern der Sonne und befahl wiederum seiner Infanterie sich mit Kanonen und Trompeten auf den höchsten Punkt der Stadt Cajamarca zu begeben, während er seine berittenen Soldaten anhielt sich in der selbigen zu verstecken. In der Folgezeit wussten die anrückenden Späher Atahualpas ihrem König zu berichten, dass sich die Spanier aus Furcht vor der Übermacht zurückgezogen hatten.

 

Gegen sechzehn Uhr des folgenden Tages zog Atahualpa majestätisch in Cajamarca ein. Er saß auf einer goldenen Bahre und wurde von acht seiner Krieger getragen. Um seine Macht zu demonstrieren, trug er eine goldene Krone sowie eine Kette mit großen Smaragden. Dazu einen bunten Federschmuck mit Ornamenten aus Goldblech. Begleitet wurde er von achtzig Abgeordneten, sowie vierhundert bewaffneten Kriegern. Die Indios zeigten sich sehr überrascht, im Stadtzentrum keinen einzigen Spanier anzutreffen. Währenddessen beobachtete Francisco Pizarro die herankommenden Späher Atahualpas aus sicherer Entfernung. Er war zu allem entschlossen und ließ sie sofort gefangen nehmen. Lediglich einem erlaubte er die Rückkehr zu seinem König, unter Auflage, ihm das Buch des Evangeliums zu überreichen.

In dieser angespannten Situation warf Atahualpa das heilige Buch der Spanier zu Boden und forderte die Fremden auf, sein Land umgehend zu verlassen. Außerdem sollten sie alles zurückzugeben, was sie sich bereits angeeignet hatten. Niemand würde dem Sohn der Sonne Befehle erteilen. Ansonsten würde er sie alle töten lassen.

Unbeirrt von den Drohungen Atahualpas gab Francisco Pizarro das vereinbarte Signal. Die Trompeten ertönten laut und bereits die ersten abgeschossenen Kanonenkugeln führten zu Panik und Furcht unter den Indiokriegern. Dazu erschienen, wie aus dem Nichts, die Soldaten zu Pferde, ausgerüstet mit Feuerwaffen und Hunden. Pizarro selbst ließ sein Schwert mit aller Kraft niedersausen, spaltete einem von Atahualpas Leuten mit einem einzigen Hieb den Schädel und riss die Klinge dann sogleich zurück, um sich auf den nächsten Gegner zu stürzen.

Es war eine ungleiche Schlacht. Nur wenige Indios konnten sich vor den Eroberern und ihren modernen Waffen in Sicherheit bringen. Alle Abgeordneten des Inkakönigs verloren in der Schlacht ihr Leben. Pizarro selbst stellte sich zunächst vor Atahualpa um ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren. Der mächtige König wurde gefangengenommen und in seinem Sonnentempel festgehalten. In den darauffolgenden Tagen plünderten die Spanier alles was nicht niet- und nagelfest war. Sie häuften große Mengen an Gold und Silber, sowie hochwertigen Strickwaren auf dem Marktplatz von Cajamarca an. Die Gold- und Silberobjekte wurden auf Druck des spanischen Könighauses eingeschmolzen.

Atahualpa erkannte sehr schnell das besondere Interesse der Spanier an den glänzenden Edelmetallen. Für die Inkas jedoch besaßen sie eine ganz andere Bedeutung. An dem Ort seiner Gefangenschaft zeichnete Atahualpa in Höhe seines Kopfes eine Linie an die Wand. Er versprach den Raum innerhalb von zwei Monaten bis zu der markierten Linie mit Gold, Silber und Edelsteinen aufzufüllen, falls man ihn frei ließe. Ein schriftliches Dokument sollte diese Vereinbarung für immer festhalten. Francisco Pizarro stimmte der Offerte scheinbar zu und in den folgenden Wochen trafen unzählige Lieferungen mit der kostbaren Ware aus allen Gegenden des Inkareiches in Cajamarca ein. Am Ende betrug das Lösegeld für Atahualpa satte 6.087 kg Gold und 11.793 kg Silber.

Kleinere ethnische Gruppen, die Atahualpa unterdrückt hatte, unterstützen die Spanier. Ständige kleinere Schlachten mit aufständischen Inkas lieferten Pizarro den Vorwand den Inkakönig, dessen Tod er bereits lange vorher beschlossen hatte, der Verschwörung gegen ihn zu beschuldigen. Das Urteil, Tod durch den Strang, wurde am 26. Juli 1533 auf dem Hauptplatz von Cajamarca vollstreckt. Vorher erfuhr Pizarro noch von einem heiligen Tempel mit unglaublichen Mengen an Gold und Silber im Süden des gewaltigen Inkareiches. Es handelte sich um Pachacamac, dem heutigen Lima. Der Tempel wurde geplündert und die edlen Metalle auf hölzerne Galeonen (2) geladen. Schon bald verließen die ersten Schiffe mit ihrer wertvollen Fracht den südamerikanischen Kontinent. Ihr Ziel: Sevilla in Spanien. Nach der Hinrichtung Atahualpas zerfiel das große Reich der Inkas. Die Dynastie der Inkaherrschaft war zu Ende. Weitere Eroberer aus anderen Ländern, vor allem Abgesandte der katholischen Kirche, erreichten Peru und unterstützen Pizarro bei seinem Vormarsch auf Cusco, der ehemaligen Inkahauptstadt. Die letzten Oberen der Inkas wurden nach und nach durch spanische Stadthalter ersetzt.

 

1780/81 kam es noch einmal zu einem großen Aufstand der Indios gegen die spanischen Besetzer. Die Besatzungsmacht hatte einen Aufstand dieser Größe nicht für möglich gehalten. Zu Beginn der Rebellion waren sie restlos überfordert, obwohl sie selbst ein gut ausgebildetes Heer besaßen. Sie mussten vor den Aufständischen fliehen. Die Schlagkraft des Rebellenheeres war jedoch sehr gering. Bei den anschließenden Kämpfen verloren viele ihr Leben. Andere wurden dadurch entmutigt und verließen das Heer oder liefen gar zur gegnerischen Seite über. Durch Belagerung versuchte das verbliebene Rebellenheer unter Túpac Amaru (3) Cusco zurück zu erobern. Das stellte sich später als ein folgenschwerer Fehler heraus. Ab Mitte Januar 1781 starteten dann die Royalisten eine Großoffensive. Sie fielen in die Hochburgen der Rebellen ein und richteten dort als Abschreckungsmaßnahme grausame Massaker unter der Urbevölkerung an. Die bis dahin erfolgreiche Allianz zwischen Indios und Kreolen zerbrach endgültig. Am 5. April desselben Jahres wurde Túpac Amaru von einem seiner Offiziere verraten und zusammen mit seiner Familie und vielen Offizieren gefangen genommen. Am 18. Mai wurde er zusammen mit seinen Verwandten und einigen seiner Mitstreiter grauenvoll hingerichtet. Dabei passierte das Unglaubliche: Túpac Amaru sollte durch Pferde gevierteilt werden, nachdem man ihm die Zunge herausgeschnitten hatte. Die Kraft der Pferde reichte jedoch nicht aus, um den Mann zu zerteilen. Schließlich wurde entschieden, Túpac Amaru loszubinden und ihn mit einer Waffe zu töten. Zur Abschreckung wurden Teile seines Körpers in fünf verschiedene Städte gebracht und dort öffentlich zur Schau gestellt..

 

Kapitel 1

 

Callao, Lima

Peru, ca.1760

 

Plötzlich tauchten sie am Horizont des pazifischen Ozeans auf. Zuerst waren es drei winzige Punkte, die sich wie eine Fata Morgana in der Wüste, in bizarre Formen verwandelten. Die dreieckigen Havenasegel (4) der kleinen, spanischen Flotte flatterten lustlos unter dem sanften, blauen Tropenhimmel. In gleichmäßigem Rhythmus zogen die Mannschaften ihre Ruder durch das leicht aufschäumende Meereswasser. Es herrschte eine angespannte Stille unter den vorwiegend spanischen Seeleuten, während langsam die Silhouette der peruanischen Küste in Sicht kam. Die Flotte bestand aus drei spanischen Karavellen (5), die in Mittelamerika extra für die Pazifikroute hergestellt worden waren und jeweils einen Großmast und zwei kleinere Tragmasten besaßen. Bug und Heck der Schiffe hatte man scharf nach oben gezogen und zusätzlich mit einer metallischen Verkleidung versehen, um gegen Schiffsbohrwürmer (6) bestehen zu können. Auf dem 22 Meter langen Flaggschiff bestand die Besatzung aus einem Bootsmann, acht Seeleuten, zehn Schiffsjungen, einem Priester und drei Privatpersonen, die jeweils aus unterschiedlichen Motiven nach Peru reisten. Abgesandte des spanischen Könighauses verteilten sich zusammen mit einer stattlichen Anzahl Soldaten auf die beiden Begleitschiffe. Unter den Privatreisenden befand sich auch ein polnischer Edelmann, der dem Lockruf des Goldes folgte. Kurzum, er wollte in dem weiten südamerikanischen Land sein Glück machen. Sein Name war Graf Sebastian Berzeviczy aus Niedzica in Polen. Man schrieb das Jahr 1760, als es ihm endlich gelungen war, seinen Onkel, den damaligen Burgherren von Niedzica, von seinem Vorhaben zu überzeugen. Schließlich war es jener Verwandte, der seine abenteuerlichen Pläne finanzieren sollte.

Und damit begann eine aufregende Geschichte, die sich bis ins neue Jahrtausend hineinzog und mich von einem Abenteuer ins nächste jagte…

 

Allerdings waren die Zeiten in Peru unsicherer geworden, seit die Aufstände der Indios gegen die spanischen Eroberer stetig zunahmen.

„Wird auch langsam Zeit, dass wir wieder festen Boden unter die Füßen bekommen“, brummte Juan de Castillo ein langer, kahlgeschorener Seemann aus Galizien in seinen ungepflegten Bart. Mit einem Fernrohr aus Messing stand er lässig an der Reling und beobachtete den immer näher kommenden Küstenstreifen Perus. Vor gut zehn Tagen waren sie in Panama in See gestochen und nun sah es so aus, als könnten sie bald, ohne von Piraten behelligt worden zu sein, im Hafen von Callao (7) vor Anker gehen. Sebastian Berzeviczy war heilfroh, dass die anstrengende Reise allmählich zu Ende ging. Er hatte sie ohne schwerwiegende Blessuren überstanden. Mit der Grobheit der Spanier hatte er sich nie anfreunden können. Insgeheim hegte er sogar Mitleid und viel Verständnis für die unterdrückte Urbevölkerung in der Neuen Welt.

Der Hafen von Lima, Callao, platze schon im 18. Jahrhundert aus allen Nähten. Neben der spanischen Kriegsmarine lag hier eine bedeutende Anzahl an Handelsschiffen vor Anker, die entweder beladen oder entladen werden sollten. Lagerhallen und Handelshäuser wuchsen wie Pilze aus dem Boden.

Nicht spanische Einwanderer hatten sich umgehend nach ihrer Ankunft in Callao beim Stadthalter anzumelden. So auch Sebastian Berzeviczy, der sich an jenem Ort mit einem Abgesandten der katholischen Kirche aus der Inkahauptstadt Cusco treffen wollte. Der Stadthalter forderte von ihm den gewohnten Obolus und es bedurfte den Rest des Tages, um Berzeviczys Gepäck auszulösen. Glücklicherweise hatte er im Vorfeld seiner Reise alles sorgfältig vorbereitet. Die guten Kontakte seiner Verwandten zur katholischen Kirche waren Gold wert. Man begleitete ihn von Lima aus bis in die heilige Stadt Cusco im Andenhochland. Dort fand er Unterkunft und Ruhe bei den Jesuiten der ‚Compania de Jesus’, deren Kirche an der ‚Plaza de Armas’ auf Inkamauern errichtet worden war.

Doch schon bald darauf wurde der junge Graf von der harten Wirklichkeit in Cusco eingeholt. Hatte er anfangs noch von den Schätzen der Inkas geträumt, sah er nun täglich ihr gedemütigtes und von den Spaniern unterworfenes Volk. Er traf Menschen auf der Straße, deren Sprache er nicht verstand. Die Nachkommen der Inkas unterhielten sich immer noch in Quechua, der alten Inkasprache, während er kaum des Spanischen mächtig war. Dazu kam die extreme Höhenlage von Cusco, die ihm Probleme bereitete, auch wenn seine Kopfschmerzen und Schwindelanfälle allmählich nachließen. Coca (8) hieß hierzulande das Wundermittel, welches selbst von den Geistlichen des Klosters konsumiertwurde.

Die Nächte waren kalt und feucht und vom Gold der Inkas war weit und breit nichts zu sehen. Den gewohnten Komfort vermissend, war Berzeviczy bereits nach den ersten Wochen geneigt wieder nach Europa zurückzukehren. Die meiste Zeit verbrachte er in den Archiven des Klosters, um sich über die eigentliche Conquista (9) der Spanier durch Francisco Pizarro ein eigenes Bild zu machen. Dabei verbesserten sich langsam seine Kenntnisse der spanischen Sprache. Immer häufiger besuchte er die ehemaligen ‚Yachaywasi’ (10) der Inkas, deren Mythen und Legenden ihn zunehmend faszinierten. Sein Interesse an ihrer Kultur wuchs mit jeder neuen Information, die er bekam. Schade war bloß, dass er sich nicht mit ihnen verständigen konnte. Bei den Nachfahren der Inkas gab es auch außergewöhnlich hübsche Mädchen, ein Umstand, der ihm sehr wohl aufgefallen war. Meist hatten sie lange, schwarze Haare, geheimnisvolle, dunkle Augen und exotische Gesichter mit hohen Wangenknochen. Sie bildeten einen krassen Gegensatz zu den hellhäutigen und blonden Polinnen, die er in seinem Heimatland getroffen hatte. Natürlich waren ihm auch die versteckten, aber neugierigen, Blicke einzelner Damen auf sein goldfarbenes Haupt nicht entgangen. Gesellschaftlich gesehen, war Cusco zu jener Zeit eine geteilte Stadt. Den spanischen Machthabern stand die unmittelbar von den Inkas abstammende Bevölkerung gegenüber, auch wenn sich die beiden Gruppen so gut wie möglich aus dem Weg gingen.

Und dann hatte er SIE gesehen. Sie war Umina Atawallpa, eine Inkaprinzessin, die ihn nicht mehr los ließ. Sie war eine ausgesprochene Schönheit. Zunächst hatte er weder gewusst wer sie war, noch woher sie kam. Im Haus des Wissens sah er sie zum ersten Mal.

Ob er sie ansprechen sollte? Er wusste es nicht. In jedem Fall war sie etwas Besonderes. Ihm war ihr Goldschmuck aufgefallen. Dazu trug sie elegante, wenn auch sehr bunte Kleider, was sie eindeutig von den anderen Frauen abhob, die er auf der Straße oder auf dem Wochenmarkt gesehen hatte. Er nahm sich vor den Indiojungen Pepe nach ihr zu befragen. Pepe brachte allmorgendlich die Maisrationen ins Kloster. Bisher war er sein einziger Kontakt zu den Einheimischen. Das heißt, eigentlich war er gar kein richtiger Einheimischer mehr, denn er lebte bei einer spanischen Familie, die ihn als Findelkind bei sich aufgenommen hatte. Daher sprach er beides: Spanisch und Quechua. Und er war ein netter Kerl, immer gut gelaunt und zu Späßen aufgelegt.

Und Pepe erzählte ihm von Umina Atawallpa, der Inkaprinzessin. „Die wird von allen unverheirateten Männer Cuscos umgarnt“, meinte er und lächelte verschmitzt. „Bisher hat sie allerdings noch keinen ihrer zahlreichen Verehrer erhört. Sie widmet sich ganz ihrer Ausbildung, einem Privileg welches nur der Inkaelite zusteht. Normalerweise wäre ihr als Frau die Teilnahme an Lehrveranstaltungen untersagt gewesen. Es sei denn…“ und wieder grinste Pepe schelmisch vor sich hin…„sie gehört zu den schönsten Mädchen des Landes. Dann dürfte sie ebenfalls das Haus des Wissens besuchen. Nur ausgesuchte Mädchen erhalten dort von den Mamakuna (11) eine intensive und methodische Erziehung in gutem Benehmen, Hausarbeit, Webtechnik und Sonnenreligion.“

Der junge Graf Berzeviczy hatte schon eine Menge von den Inkas gelernt, aber von nun an konnte man ihn noch häufiger im Haus des Wissens antreffen. Bald schon fiel ihm auf, dass Umina immer zur gleichen Zeit erschien und dann den vorab von ihr ausgewählten Sitzplatz in Anspruch nahm. So war es für ihn nicht schwer sich ihr zu nähern und sie in ein Gespräch zu verwickeln. Das heißt, anfänglich war Umina sehr verschlossen. Ihre königliche Abstammung erlaubte es eigentlich nicht, sich von einem Fremden ansprechen zu lassen, doch ihr gefiel die zurückhaltende und freundliche Art, mit der er ihr den Hof machte. Er war so ganz anders, als die rauen Spanier, mit denen sie vereinzelt zu tun hatte. Dazu gefielen ihr sein kurzes, blondes Haar, seine helle Haut und erst recht seine strahlend blauen Augen. Hatte nicht der mächtige Inkakönig selbst von einem hellhäutigen, großgewachsenen Fremden gesprochen, der kommen, -und das Imperium retten würde? War er jetzt endlich da?

Aus den heimlichen Treffen der beiden so unterschiedlichen jungen Menschen, entstand in der Folgezeit eine innige Liebesbeziehung. Sebastian Berzeviczy war wie vernarrt in seine Inkaprinzessin, durch die er nun noch mehr von der sagenumwobenen Welt voller Geheimnisse und Mystik kennenlernte. Es war die verschwindende Kultur ihres Volkes, den einst so mächtigen Inkas. Anfangs trafen sie sich heimlich, an versteckten Orten und nur für kurze Augenblicke. Die wachsamen Augen von Cusco lauerten überall. Manchmal brachte Umina ihren kleinen Neffen, Jose Gabriel Condorcanqui, zu den Treffen mit. Besonders dann, wenn es ihr untersagt war, ihre vornehme Behausung ohne Begleitung zu verlassen. Der Junge erwies sich als verschwiegen und war hoch intelligent. Sebastian fand Gefallen an ihm und nahm ihn manchmal mit, wenn er in den ehemaligen Ländereien der Inkas rund um Cusco auf die Jagd ging.

Wie die meisten Städte der Inkas, so war auch Cusco zweigeteilt. In Hanan, der Oberstadt, standen keine Prachtbauten. Um den Dorfplatz herum befanden sich zweistöckige Lagerhäuser und Terrassen mit Nischen für Kultbilder. Hier lebte das einfache Volk in schlichten Einraum-Hütten, die sie sich oftmals sogar noch mit ihren Haustieren teilten. Umina lebte in Hurin, der Unterstadt. Hier besaß die Elite großzügige Unterkünfte, die direkt an der Hauptplaza und in Brunnennähe lagen. Hurin verfügte über einen Tempel sowie zwei große, längliche Gebäude, die als Kallankas beschrieben wurden. Eine abgeflachte Kuppe überragte die Unterstadt. Sie bildete eine so genannte zeremonielle Plattform, auch Ushnu genannt, auf der vor den Spaniern den Göttern geopfert wurde. Ein Netz von Kanälen versorgte den Aufenthaltsort der Elite mit fließendem Wasser. In dieser Umgebung konnte sich Umina verhältnismäßig frei bewegen, auch wenn die vielzählige Verwandtschaft stets ein wachsames Augen auf sie hatte. Dazu kamen dieielen v männlichen Bewunderer, die sie noch zusätzlich beobachteten.

Cusco war für die Inkas das Symbol ihrer Macht schlechthin und der Mittelpunkt ihres Reiches gewesen. Der Schnittpunkt ihrer Straßen galt als Schnittpunkt des Weltlichen und des Heiligen. Die ehemaligen gewaltigen Bauten aus Granit hatten nicht nur praktischen Wert gehabt, sondern hatten, wie jede andere Herrschaftsarchitektur auch, als sichtbare Demonstration ihrer Stärke gedient. Enge Gassen führten steil zum Hauptplatz der Stadt hinunter. Hier wurden zu allen Zeiten Feste gefeiert und den Göttern gehuldigt und genau hier standen auch noch einige Herrscherpaläste der Inkas. Denn viele waren schon zerstört. Dieser Platz wurde von den Söhnen der Sonne ‚Waqaypata’ oder Treppe zum Gebet genannt. Die Spanier tauften ihn bezeichnenderweise später in ‚Plaza de Armas’ um, dem Platz der Waffen. Es waren kaum noch Reste der Paläste der Inkas zu sehen. Und das, obwohl sich doch jeder Inkaherrscher sein eigenes Denkmal hatte bauen lassen.

Umina erzählte Sebastian von dem heiligen Sonnentempel der Inkas und wie sie noch heute voller Erfurcht an den Ruinen unterhalb des von den Spaniern neu errichteten Klosters ‚Santo Domingo’ vorbeiging. Der Schmerz der Demütigung saß auch noch nach zweihundert Jahren spanischer Besatzung sehr tief. Einst hatten die Mauern ihrer heiligen Stätte aus perfekt fugenlos ineinander gefügten Natursteinen bestanden und der Umfang des Tempels mehr als 365 Meter betragen. Sein Hauptportal hatte an der Nordseite gelegen und war, wie auch die Nebeneingänge, mit Goldplatten bedeckt gewesen. Im Inneren des Tempels hatte es eine goldene Scheibe gegeben, welche die Sonne repräsentierte und darüber hinaus eine Darstellung des gesamten Inkaimperiums bot. In trapezförmigen Wandnischen hatte man die Mumien der früheren Inkaherrscher aufgestellt. Sie waren mit goldenen Masken und überaus fein gewebten Stoffen dekoriert worden. Ein benachbarter Raum war der Mondgöttin gewidmet. Er war vollkommen mit Silber ausgeschlagen. Gold und Silber hatten ausschließlich einen kultischen Wert, galt doch Gold als Schweißperlen der Sonne und Silber als Tränen des Mondes. Dazu erlaubten die halbrunde Mauer des Sonnentempels eine genaue Bestimmung von Mondphase, Sternenstand und Sonnenwende.

Auf die Grundmauern der zerstörten Gebäude setzten die Spanier eigene Häuser. Nach und nach blieb kein einziges Bauwerk der Inkas in Cusco erhalten. Kein Haus, kein Palast, kein Tempel. Nur ihre Mauern haben die Zeit überdauert. So exakt waren die einzelnen Steine behauen, so dicht und so passgenau, ohne Mörtel ineinander gefugt, dass zwischen ihnen keine Messerspitze mehr passte. An vielen Orten der Stadt verschmolzen die Reste der Inkazeit mit der Kultur der Conquistadores.

Es war am ‚Inti Raymi’, dem wichtigsten Fest der Inkas, genau zur Wintersonnenwende am 21. Juni, als Umina und Sebastin zum ersten Mal von Hochzeit sprachen. Jenes Fest war verbunden mit einem Dank für die Ernte des abgelaufenen Jahres und gleichzeitig mit der Bitte um Schutz für die kommende Saat. Zu diesem Fest kamen Abgesandte aus allen Provinzen in die Hauptstadt. Drei Tage vor dem Fest wurde streng gefastet. Am Morgen des ‚Inti-Raymi’ versammelten sich die erwachsenen Männer der übrig gebliebenen Inkafamilien noch vor dem Sonnenaufgang in gebückter Haltung auf dem Hauptplatz von Cusco. Sobald die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages zu sehen waren, erhob sich ihr Anführer, um dem Sonnengott ein Opfergetränk zu überreichen, genau so, wie es die Tradition verlangte. Danach hielt man auf den Ruinen des Sonnentempels eine auserwählte Zeremonie zu seinen Ehren ab. In dessen Folge wurden ihm weitere Opfer dargebracht. Nach der Opferung wurde das Fleisch der Opfertiere verzehrt und das Fest ging schließlich in ein Trinkgelage mit Tanzen, Gesängen und Festspielen über. Bei diesen Festen wurden die vierzehn königlichen Mumien neben dem aktuellen Regenten in einer Prozession öffentlich zur Schau gestellt und man bewirtete die Toten rituell mit Bier und einer üppigen Mahlzeit. Jetzt befanden sie sich wieder mitten unter den Lebenden.

Zu der Zeit, als sich Sebastian Berzeviczy in Cusco aufhielt, konnten die Inkas natürlich nur noch heimlich ihre alten Riten ausüben. Trotz allem gelang es die Hochzeit von Sebastian Berzeviczy und Umina Atahualpa in einer prachtvollen, öffentlichen Zeremonie auf der mächtigen Festung ‚Sacsahayman’ oberhalb von Cusco zu zelebrieren. Gemäß altem Brauch, wurde das Paar von einem Manco, dem Abgesandten der Inkas, getraut und bekam zum Zeichen der Eheschließung ein Fruchtbarkeitsgetränk aus getrocknetem Muschelfleisch und Kräutern in einem goldenen Kero (12) serviert. Die anwesenden Damen und Herren stellten sich getrennt von einander in zwei Reihen auf. In großen Keramikkrügen wurde Chicha (13) gereicht, das man aus reich dekorierten Trinkgefäßen zu sich nahm. Danach stieg der Geräuschpegel unaufhaltsam an. Ein traditioneller Tanz folgte dem anderen. Die ausgelassene Stimmung dauerte mehr als vierundzwanzig Stunden an. Erst danach löste sich die Hochzeitsgesellschaft langsam auf und Umina hatte endlich ihren frischgebackenen Ehemann für sich alleine.

Sebastian Berzeviczy hatte sein eigentliches Ziel, die Suche nach dem Inkagold, schon längst aufgegeben. Die Liebe hatte seine Pläne durchkreuzt. Er hatte etwas sehr viel Wichtigeres gefunden. Schon nach geraumer Zeit zeigten die Fruchtbarkeitsrituale der Inkas Wirkung. Umina befand sich in anderen Umständen. Längst lebte sie zusammen mit Sebastian Berzeviczy in der Unterstadt. Sebastian hatte inzwischen auch das Vertrauen ihrer Familie gewonnen. Besonders der junge Jose Gabriel Condorcanqui war ihm ein treuer Freund geworden. Über die Familie seines Vaters stammte er direkt von Túpac Amaru, dem einstigen Inkakönig, ab. Als Mischling wurde ihm von den Jesuiten auch die spanische Sprache geleert. Diese Fähigkeit sollte ihm später helfen, in beiden Lagern Verbündete zu gewinnen. Er besaß die Statur und die typischen Gesichtszüge seiner Vorfahren und ihm war durchaus bewusst, welches Erbe er zu tragen hatte. Er fühlte sich dazu berufen, sein Volk zu befreien. Oftmals wurde er daher von Sebastian Berzeviczy liebevoll als kleiner Revolutionär bezeichnet. Wie nahe er damit lag, sollte sich schon im Jahre 1780 herausstellen. Dann schlug das Schicksal auf einmal unbarmherzig zu. Das Glück von Unima und Sebastian Berzeviczy war nur von kurzer Dauer. Er verlor seine geliebte Ehefrau in dem Moment, als sie ihm eine Tochter schenkte. Noch in den Armen ihrer Hebamme starb sie an inneren Blutungen.

Sebastian Berzeviczy verstand die Welt nicht mehr. Wie konnten ihm die Götter so etwas antun! Es war nicht Rechtens, dass Umina so früh sterben musste. Wie sollte er nur ohne sie weiterleben? Sein einziger Trost war seine kleine Tochter, die ein Abbild ihrer bildhübschen Mutter war, weshalb er sie auch nach ihr benannt hatte. Mehrere Dienstmädchen kümmerten sich den ganzen Tag um die kleine Umina . Ansonsten stand ihm die Familie seiner Frau jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Konnte er das Leid einmal nicht ertragen, so flüchtete er vor Trauer zu den verlassenen Ruinenstätten der Inkas oder begab sich tagelang auf Jagd. Nur sehr selten wurde er noch von Jose Gabriel begleitet. Der hatte in der Zwischenzeit ebenfalls geheiratet und ging seinen eigenen Plänen nach. Sebastian Berzeviczy beschloss in Peru zu bleiben. Seine Tochter sollte einmal die Inkadynastie weiterführen. Allerdings begannen sich in den Jahren darauf die Lebensumstände für die Bevölkerung und hier speziell für die Unterschicht drastisch zu verschlechtern. Litten anfangs nur die Indios unter den schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen, waren bald auch viele der Einwanderer davon betroffen. Durch drastische Steuererhöhungen kam es zu den ‚blancos pobres’, den sogenannten armen Weißen.

Perus äußerer Schein strahlte allerdings wie nie zuvor und das Land entwickelte sich auf Kosten einer armen Mehrheit. Eine kleine Oberschicht in den Städten wurde immer reicher. Schon seit der Conquista schwelte unter der indianischen Bevölkerung ein konstanter Wille zur Rebellion gegen die Eroberer. Doch durch die Ermordung Túpac Amarus I im Jahre 1572 und die fast restlose Liquidation der Inkaaristokratie wurde das öffentliche Verlangen nach einem Inkastaat unterdrückt. Der Wunsch nach Befreiung war mit Sicherheit weiterhin präsent und viele der unter den Spaniern leidenden Indios wünschten sich die alten Strukturen zurück. Jose Gabriel Condorcanqui, der sich mittlerweile Túpac Amaru II nannte, galt als großer Vorläufer der Unabhängigkeitsbewegung. Ihm gelang es die Masse der Indios für seine Interessen zu mobilisieren ohne dabei direkt gegen den spanischen König zu rebellieren. Da aber seine Forderungen nicht erfüllt wurden, begann er mit Gewalt das System zu bekämpfen. Nach dem Tod eines Steuereintreibers der Regierung und anschließenden Repressionen schlossen sich achtzigtausend Kämpfer José Gabriel an. Unter ihnen befanden sich auch Kreolen und Mestizen (13). Informiert wurde die größtenteils aus Analphabeten bestehende Bevölkerung von Túpac Amaru durch Nachrichten in der alten Knotenschrift, Quipu genannt. In schmal gewebte Streifen wurden Mitteilungen geknotet und über das ganze Land verbreitet. Sebastian Berzeviczy hatte die Mobilisierungstätigkeiten José Gabriels die ganzen Jahre aus nächster Nähe verfolgt. Zwar konnte er die Sehnsucht der Indios nach Freiheit und Rückkehr in ein wieder aufgebautes Inkareich nur allzu gut verstehen, war jedoch mit der kriegerischen Vorgehensweise seines ehemaligen Gefährten nicht einverstanden. Seine Denkweise unterschied sich wesentlich von der Vorstellung Gabriels und so hatte er sich dessen Aufständen niemals angeschlossen. Außerdem war er damit beschäftigt, seiner Tochter den Weg in ihr zukünftiges Leben zu bahnen. Immerhin hatte das Schicksal es so gewollt, dass sie ohne leibliche Mutter aufwuchs und vielleicht gerade deshalb hielt er ein besonders wachsames Auge auf die heranwachsende Schönheit. Umso mehr überraschte ihn dann eines Tages ihr Begehren, den jungen Neffen von José Gabriel, Andrés Mendigure Túpac Amaru, heiraten zu wollen. Wie schon der Rest seiner Familie, stammte Andrés ebenfalls von Túpac Amaru, dem letzten Inkakönig von Vilcabamba ab. Der Junge hatte eine hervorragende Ausbildung genossen und galt als Bewunderer seines dynamischen Vetters José Gabriel. Sebastian Berzeviczy, in Gedanken immer bei seiner geliebten und viel zu früh verstorbene Frau, hatte gegen die Hochzeit nichts einzuwenden. Die Bräuche der Inkas waren ihm bestens bekannt und so wusste er, dass die Frauen meistens vor dem Erreichen des 18. Lebensjahres heirateten. Bei den Männern war es vor dem 25. Lebensjahr. Gemäß der traditionellen Vorgaben der Inkas, welche für verheiratete Männer zunächst den Einsatz im Militärdienst vorsahen, folgte Andrés, bald nach der Hochzeit mit Umina Berzeviczy, den Spuren seines berühmten Vetters Túpac Amaru II. Sein Ziel war es, die Indiostämme noch weiter im Süden des Kontinentes zu vereinen, um dann seinen Vetter bei der Belagerung von Cusco zu unterstützen. Die Nachricht vom Tode José Gabriels verhinderte zunächst seine eigentliche Absicht. Daraufhin trat der mittlerweile in Inca Mozo umbenannte Andrés mit zwanzigtausend Kriegern der Rebellenarmee seines Onkels Diego Cristobal bei, welcher die von Cusco flüchtenden Soldaten José Gabriels zwischenzeitlich wieder zusammengeführt hatte, um einen erneuten Angriff auf die Spanier zu wagen. Von Lima aus wurde jedoch eine Tausendschaft gut bewaffneter Soldaten nach Cusco beordert. Diese vertrieben nun endgültig die Rebellen und starteten eine Gegenoffensive. Diego Cristobal, der letzte Anführer des Indioaufstandes wurde gefangen genommen und hingerichtet. Die Rebellion war damit niedergeschlagen. Die Spanier reagierten in einem ersten Schritt mit einer massiven Bestrafung und Verbannung aller Beteiligten des Aufstandes. Traditionelle Feste und Kleider sowie die Benutzung des Wortes Inka wurden verboten. Ferner zerstörten sie viele Bilder und Malereien mit Inkamotiven. Für viele Spanier war die misslungene Revolution ein weiteres Zeichen für die Unfähigkeit der Urbevölkerung unabhängig zu handeln oder sich gar eigenständig zu führen.

 

 

 

Kapitel 2

 

Venedig, ca.1783

 

 

Signore di Pedro schaute den Fremden ungläubig an. Er betrieb einen Juwelier- und Kunsthandel und hatte selten eine so feine Goldschmiedearbeit in den Händen gehalten.

„Un momento per favore“, murmelte der Alte und begab sich in das kleine Hinterzimmer, welches mittels eines roten Vorhanges von dem eigentlichen Verkaufsraum des Geschäftes abgetrennt war. Hastig griff der Signore nach seinem Vergrößerungsglas und betrachtete sorgfältig das ihm angebotene Objekt von allen Seiten. Wie er bereits an der Färbung erkannt hatte, besaß der Kelch eine Goldqualität von mindestens 21 Karat (14). Eine Solche Güte des begehrten Edelmetalls war in Europa nur sehr schwer zu finden. Die Götterabbildungen, Kreuze und religiöse Objekte, die ihm sonst angeboten wurden, wiesen größten Teils nur eine dünne Vergoldung auf. Dieser Becher aber bestand durch und durch aus purem Gold. Das Abbild eines Kriegers und fremdartige Symbole waren in das Metall eingraviert. Ein ähnliches Motiv hatte er einmal auf einem Gemälde aus dem fernen Südamerika gesehen. Der Wert dieses Kelches war mit Sicherheit unbeschreiblich. Aber, würde er ihn erwerben können?

Er hörte Schritte. Der Fremde ging nervös in seinem Ladenlokal auf und ab. Dabei schaute er immer wieder aus dem Schaufenster. War es richtig, dass er dieses Geschäft aufgesucht hatte? Glücklicherweise war gerade Karnevalszeit in Venedig und dementsprechend hatte sich Andrés verkleiden können. Er trug einen Tabarro, den typischen Maskenmantel der Venezianer aus schwarzer Seide, dazu eine Bauta, eine Kappe, welche seinen Kopf bis an das Kinn verdeckte und bis über seine Schultern hinabreichte. Sein Gesicht konnte er zusätzlich vorteilhaft hinter einer weißen Volto, einer Wachsmaske, verstecken. Nur so, praktisch vollkommen verschleiert, hatte er sich mit dem wertvollen Objekt aus seinem Versteck gewagt. Seine Leute benötigten dringend Geld und daher hatten sie entschieden, eines ihrer heiligen Objekte zu verkaufen. Gegebenenfalls konnte man den Kelch zu einem späteren Zeitpunkt zurückholen. Im Moment zählte für Andrés, Umina, Sebastian und die kleine Schar von Angehörigen der Inkas nur das nackte Überleben.

Vor nicht allzu langer Zeit waren sie unter abenteuerlichen Umständen aus Peru geflohen. Die Lage nach dem fehlgeschlagenen Aufstand Túpac Amarus hatte sich für die letzten der Inkadynastie täglich verschlechtert. Nach Andrés’ war bereits gefahndet worden. Auf seinen Kopf hatte man eine hohe Belohnung ausgesetzt. Der Grund dafür war seine direkte Beteiligung an der Rebellion. Umina und Sebastian durften ihr Haus nicht mehr verlassen und wurden ständig kontrolliert. Uminas Familienbesitz war teilweise beschlagnahmt und vor ihren Augen zerstört worden. Viele Freunde und Bekannte waren bei dem Krieg mit den Spaniern ums Leben gekommen. Sympathisanten rieten ihnen eindringlich zur Flucht. Mit Sicherheit würde man bald auch ihnen nach dem Leben trachten. Die Häscher der Spanier waren überall. Nach Einigung mit dem Ältestenrat, der verbliebenen Inkaelite, beschlossen Umina und Sebastian die Flucht nach Europa anzutreten. Durch eine an sie weitergeleitete geheime Botschaft, erfuhr Umina von dem Aufenthaltsort ihres Ehemanns Andrés. Der hatte sich sofort nach der Niederlage von Cusco in ein abgelegenes Indiodorf zurückgezogen. Das größte Problem stellte für sie jetzt das Vermächtnis ihrer untergehenden Kultur dar. Zwar lagerten die gewaltigen Schätze ihrer Vorfahren weiterhin in dem weitvernetzten Tunnelsystem, wo sie schon Atahualpa versteckt hatte. Aber waren sie dort auch auf ewig sicher? Umina und Andrés beabsichtigten wenigstens die Verstecke anhand eines Quipu verschlüsselt aufzuzeichnen, um sie so der Nachwelt und einem eventuellen neuen, zukünftigen Herrscher zugängig machen zu können. Einige wenige Objekte wollten sie auf die lange Reise nach Europa mitnehmen, auch wenn sich dort die adlige Familie der Berzeviczys um sie kümmern würde. Im Notfall konnten sie auf die Wertsachen zurückgreifen und befänden sich so nicht völlig mittellos in der ‚Alten Welt’. Der Druck auf Umina und ihre Familie wuchs ständig, sodass sie ihre Flucht nicht mehr hinauszögern konnten. Das perfekt ausgebaute Tunnelsystem der Inkas, unterhalb Cuscos, verhalf ihnen zunächst der spanischen Belagerung zu entkommen. Bei Ayacucho wollten sie dann auf halbem Weg zu Andrés und seinen Gefolgsleuten stoßen. Jedoch misslang ihr Vorhaben zunächst. Andrés wäre fast in seinem Versteck aufgespürt worden, schlug dann aber einen gekonnten Bogen um das Indiodorf Surimana und traf einige Tage später von der gegenüberliegenden Seite her in Ayacucho ein. Berzeviczy wusste von einem italienischen Handelsschiff, welches im Hafen von Callao vor Anker lag. Mit ein wenig Glück würden sie es schaffen unbemerkt an Bord zu gelangen. Immerhin besaß die adelige Inkafamilie noch genügend Kontakte, um ein solches Unternehmen durchzuführen. Sie trennten sich und reisten auf verschiedenen Wegen nach Lima. Umina und Sebastian hatten sich einer Gruppe von Bauern angeschlossen, die in der Hafenstadt ihre Produkte verkaufen wollten. So gelang es ihnen, die wertvollen Gegenstände vor dem Zugriff der Spanier in Sicherheit bringen.

Lima war zu jenem Zeitpunkt nicht so streng bewacht wie Cusco, wo die Spanier noch die Schrecken des Aufstandes im Hinterkopf hatten. Die große Anzahl der ankommenden Soldaten wurde meist zügig auf Provinzdistrikte verteilt. In Lima wurden keine Abgesandten der Inkas erwartet. Das italienische Handelsschiff sollte schon zwei Tage später auslaufen. Der Kapitän erklärte sich, nach entsprechender Vergütung, gerne bereit die kleine Gruppe mit an Bord der Karavelle zu nehmen. Die Angelegenheiten der Spanier waren ihm ziemlich gleichgültig. Allerdings fehlte von Uminas Ehemann noch immer jegliche Spur. Er war bei einer allgemeinen Kontrolle durch spanische Wachleute aufgehalten worden. Da er keine Ausweispapiere vorweisen konnte, hielt man ihn zunächst in der Garnison fest. Andrés spielte einen betrunkenen Händler, der sich in Lima vergnügen wollte und erzählte den spanischen Wächtern von den käuflichen Damen im Hafenviertel. Ohne weiter seine genaue Identität zu überprüfen, ließ man ihn schließlich gehen und der letzte Nachfahre Túpac Amarus erreichte das italienische Handelsschiff noch gerade unmittelbar vor dessen Auslaufen.

Was dann folgte, war eine lange und beschwerliche Reise, die die kleine Gruppe zunächst bis nach Panama führte. Dort saßen sie eine ganze Woche fest, während das Schiff entladen wurde. Umina traute sich kaum auf die Straße, denn überall lauerten die Spanier und ihr war die indianische Abstammung eindeutig anzusehen. Allerdings vermutete keiner der spanischen Soldaten zu diesem Zeitpunkt eine Inkaprinzessin in ihrer Nähe. Dann ging es mit Sack und Pack per Maultier weiter auf dem ‚Camino Real’ (15) bis nach Portobello, auf die Karibische Seite Panamas, von wo aus ein weiteren Frachtschiff die Kapverdischen Inseln anlaufen sollte. Es folgten lange Wochen auf dem wogenden Atlantik, bis sie das Ziel erreichten, nur um dann einer weiteren Verzögerung entgegensehen zu müssen. Auf den Kapverden wurden Waren aus ganz Afrika beigeladen. Dann endlich nahm der Dreimaster wieder Fahrt auf und fuhr nun endlich nach Venedig in Italien. Zunächst war man der spanischen Bedrohung entkommen.

 

„Tut mir leid mein Herr, aber soviel kann ich Ihnen nicht für den Becher bezahlen“, meinte Signore di Pedro kopfschüttelnd, als er die Preisvorstellung des Fremden hörte.

„Das liegt leider weit über meinen Möglichkeiten, auch wenn ich Ihnen zustimme, dass es sich hierbei um eine ganz außergewöhnliche Arbeit handelt, von dem materiellen Wert einmal abgesehen. Ist Ihnen Näheres über die Herkunft des Kelches bekannt?“

Ohne näher auf dessen Frage einzugehen, erkundigte sich Andrés nach weiteren Kunsthandwerk- und Juweliergeschäften in der Nähe der ‚Rialtobrücke’, welche über den ‚Canal Grande’ in das ehemalige kommerzielle Zentrum von Venedig führte. Hier befand sich bis heute der größte Markt der Stadt.

„Ich fürchte man wird Ihnen überall das Gleiche sagen“, bedauerte Signore di Pedro. „Die Zeiten sind nicht mehr so rosig wie einst. Zwar prägen fürstliche Prachtentfaltung, sinnenfrohe Kirchlichkeit, adelige und bürgerliche Kultur, Dichtkunst und Malerei sowie Musik und Philosophie nach wie vor das Straßenbild unserer Stadt, aber nur allzu leicht wird dabei vergessen, dass der Großteil der Bevölkerung bereits in bitterer Armut lebt. Ich kenne allerdings einige namhafte Kunstsammler, denen ich den einzigartigen Kelch direkt zum Kauf anbieten könnte. Das heißt, wenn Sie mir Ihr Objekt für ein paar Tage anvertrauen würden…?“

Davon wollte Andrés überhaupt nichts wissen. Er war sichtlich erstaunt. So schwierig hatte er sich den Verkauf des Inkabechers nicht vorgestellt. Ein Einschmelzen der kostbaren Reliquie seiner Vorfahren und ein Verkauf des rohen Goldes stand für ihn nicht zur Diskussion. Es war für ihn schon schwierig genug sich überhaupt von einem Teil der mitgebrachten Objekte zu trennen. Höflich verabschiedete er sich von Signore di Pedro und ging hinaus auf die ‚Piazza San Marco’. Vielleicht gab es ja noch andere Möglichkeiten...

 

Der Nachkömmling des letzten Inkakönigs besaß ein Steckenpferd. Er liebte Kaffeehäuser.

Bereits um 1800 zählte man vierundzwanzig Kaffeehäuser an der Piazza. Am Markusplatz befand sich das ‚Café Quadri’ mit den typischen kleinen Tischen. Hier wurde bereits seit 1725 türkischer Kaffee serviert und auf der gegenüberliegenden Seite stand das weltberühmte ‚Café Florian’, worüber Künstler aller Länder in ihren Werken berichtet haben.

Andrés konnte sich nicht satt sehen, an den großartigen Gebäuden, welche auf Holzpfählen erbaut und in verschiedene Schichten von Ton und Sand eingerammt worden waren. Oftmals saß er stundenlang in einer der besagten Örtlichkeiten bei einem kleinen Espresso und beobachtete die vornehme Gesellschaft. Alles war so anders, als er es aus Peru kannte. Das Leben hier schien so friedvoll und ruhig zu sein. In Gedanken jedoch befand er sich bei seinem leidenden Volk, welches nach wie vor große Hoffnungen in ihn setzte. Traf er sich mit seinen Leidesgenossen, so war oft die Rede von Waffenkäufen in Europa, um den Unabhängigkeitskampf in Peru wieder aufzunehmen. Dafür hätte schon ein Bruchteil des immensen Inkaschatzes ausgereicht.

 

Inzwischen war Signore di Pedro nicht untätig geblieben. Der prachtvolle Kelch des Fremden ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Noch am Abend bestieg er eine der buntbemalten und mit prunkvollem Eisen beschlagenen Gondeln, die ihn in Richtung ‚Campo di Ghetto’, dem Judenviertel bringen sollte. Nur dort, glaubte er einen potenten Käufer für ein derart außergewöhnliches Objekt finden zu können. Mit großer Sicherheit würde er dabei auch auf seine eigenen Kosten kommen. In kurzer Zeit erreichte er das Viertel der jüdischen Einwohner Venedigs. Die Familie des Bankiers Anselmi war stadtbekannt für ihre außergewöhnliche Kunstsammlung. Jedoch niemals zuvor hatte Signore di Pedro ihnen etwas verkaufen können. Immer hieß es die Antiquitäten seien nicht gut genug für ihre Sammlung. Diesmal jedoch horchte der Patrone auf, als er von dem Kelch hörte. Diese Geschichte konnte di Pedro kaum erfunden haben.

„Was sagst du da?“, fragte er nachdenklich. „Ein goldener Kelch mit indianischen Symbolen?“

Dabei holte er ein dickes, vergilbtes Buch aus seiner Bibliothek. Auf dem Pergament erschienen Berichte und Schilderungen von Priestern, die den Untergang des Inkareiches betrafen. Skizzen und Zeichnungen zeigten Motive aus dem Alltag der Inkas. Plötzlich rief Signore di Pedro aufgeregt: „Da…, das ist er…“. Dabei deutete er auf das Abbild eines Inkakriegers, der einen großen Kelch in der Hand hielt. „Genauso hat der Becher des Fremden ausgesehen.“

In Folge beriet man sich, was nun am besten zu tun sei. Die Familie Anselmi war mehr als nur interessiert, den wertvollen Inkakelch für ihre Sammlung zu erwerben. Aber würden sie den geheimnisvollen Fremden wieder finden? Außer, dass er groß und breitschultrig war, hatte Signore di Pedro keine weiteren Angaben machen können. Das wahre Antlitz des Fremden war durch eine Maske verdeckt geblieben.

Die Familie Anselmi wiederum besaß hervorragende Kontakte nach Spanien. Schnell sandten sie einen Boten zu einem befreundeten Bankier in Barcelona, fügten eine Beschreibung des goldenen Kelches hinzu und baten um Auskunft über das Vorhandensein eventueller Inkaschätze in Italien. Von dem großen Interesse, welches ihr zeremonielles Trinkgefäß ausgelöst hatte, ahnte die kleine Inkaschar im Zentrum Venedigs zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Andrés hatte das Geschäft von Signore di Pedro nicht wieder aufgesucht. Unterstützungsgelder der adeligen Familie Berzeviczy hatten die Notwendigkeit eines Verkaufes ihrer wertvollen Reliquie zunächst unnötig gemacht. Von den Tätigkeiten im Hintergrund hatten sie keine Ahnung, statt dessen genossen sie die fröhliche Atmosphäre von Venedig. In der Zwischenzeit erwartete Umina ein Kind von Andrés.

Dann, nach gut einem Jahr hatte man sie aufgespürt. Spanische Schergen waren bereits in der Stadt und arbeiteten mit dem Geheimdienst der Venezianer zusammen. Dahinter stand die Familie Anselmi, die sich den kostbaren Inkaschatz einverleiben wollte.

Umina und Sebastian liebten die berühmten Theater Venedigs. Keine Stadt hatte mehr zu bieten. Dazu kamen die Privattheater des Adels, die Marionettentheater und Puppenspiele auf den Straßen. Überall gab es Unterhaltung, so viel man nur wollte. In Krakau, wo Sebastian aufgewachsen war, hatte es nur eine kleine Volksbühne gegeben. Umina waren Vorstellungen in geschlossenen, prunkvollen Räumen gänzlich unbekannt.

An einem Abend besuchten Vater und Tochter wieder einmal eine der laufenden Vorstellungen. Umina war seit der Geburt ihres Sohnes Antonio nicht mehr ausgegangen und hatte sich sehr auf die fröhliche Abwechslung gefreut. Andrés beabsichtigte die Abwesenheit seiner Frau zu einem Gespräch mit der verbliebenen Inkaelite zu nutzen, welche mit ihm aus Peru geflüchtet war. Von Zeit zu Zeit trafen sie sich an den unterschiedlichsten Orten, um dann über Angelegenheiten ihrer alten Kultur zu sprechen. Als Andrés

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 30.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7634-7

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