Hamish ist gerade nicht bei mir. Meine Eltern haben ihn aufgenommen, solange ich weg bin, solange ich mich nicht um ihn kümmern kann. Manchmal, wenn ich mit ihr skype, dreht meine Mutter den Laptop ein wenig zur Seite, so dass ich ihn neben ihr auf dem Sofa liegen sehe. Die Verbindung ist meist sehr schlecht, und alles, was sichtbar wird, ist etwas, das wie ein implodiertes Sofakissen aussieht. Ich weiß, dass er meine Stimme nicht hören kann und dass er mich auf dem Monitor nicht erkennt. Ich habe ihn im Januar in Deutschland zurückgelassen und bin nach England gegangen, nach Berkshire. Jetzt, da sich mein Praktikum außerplanmäßig verlängert hat, werde ich ihn erst im November wiedersehen.
Hamish kommt aus Spanien. Als ich kurz vor Studienende aus meiner WG auszog, war klar, dass auch ich mich über kurz oder lang in die Reihen der Katzenbesitzer fügen würde – mittlerweile haben fast alle meine Freunde eine oder zwei Katzen daheim und es wurde Zeit. Ich hatte nie zuvor allein gewohnt und bekam Angst bei dem Gedanken an leere Räume. Ich mietete eine ehemalige Ladenwohnung, das einzige Zimmer, das eine Tür besaß, war das winzige rosa Badezimmer. Ich brachte meine Bücher und Bilder mit, unter anderem ein Bild, das schon seit Jahren in meinem WG-Zimmer hing. Es zeigt einen roten Kater. Die Katzenhaarallergie meiner Mitbewohnerin und die Tatsache, dass Haustiere nicht erlaubt gewesen waren, hatten bisher verhindert, dass dem Bild ein reales Tier hatte folgen können. Sobald die ersten Kisten in der neuen Wohnung standen, graste ich die Internetseiten der Tierheime ab. Schon immer mit einer Schwäche für rote Kater behaftet, war ich von vornherein eingenommen, doch schlussendlich bewarb ich mich für einen Siamkater. Weil er schon älter und dick war und den Namen ECHNATON trug, den Spitznamen meines Vaters aus Studienzeiten. Echnaton war schon vermittelt, aber ob es nicht auch was Langhaariges sein könnte? Das Tierheim hatte einen Kater aus Spanien, gleiche Altersgruppe, Persermix. Auf dem Bild, das man mir schickte, sah er eher gelb aus und schien nach außen zu schielen. Aber er war gesund und flauschig.
Als ich Hamish das erste Mal sah, habe ich ihn nicht erkannt. Er war nicht gelb, er war rot und auch die Augen sahen nicht in verschiedene Richtungen (nur, wenn man ihn mit Blitz fotografiert, das weiß ich jetzt). Die ersten zwei Tage war er wie vom Erdboden verschluckt. Er fraß im Dunkeln, ging auf Klo im Dunkeln, nachts hörte ich hin und wieder schauriges Geheul, er versteckte sich tagsüber zwischen den Umzugskartons. Wir haben uns langsam einander angenähert, behutsam, und haben uns schließlich gut kennen gelernt.
• Hamish schläft nicht gern mit mir in einem Zimmer. Er sucht sich seinen eigenen Platz, möglichst sein eigenes Zimmer.
• Er besteht auf prompte Fütterung. Ich stand schließlich jeden Morgen um fünf auf, um ihn zufrieden zu stellen. Jetzt gibt ihm mein Vater nachts um halb vier eine halbe Tüte, morgens um acht die andere Hälfte. Ich habe ihn nicht darum gebeten, aber auch meine Eltern haben ihren Rhythmus mit ihm gefunden.
• Er mag keine Männer, die nach Bier und Zigaretten riechen.
• Er frisst keine Pflanzen, auch kein Katzengras. Ich hatte trotzdem nie giftiges Grünzeug in der Wohnung, man kann ja nie wissen.
• Er ist eine Wohnungskatze (großstadtbedingt), aber er liebt es, im Schlafzimmer meiner Eltern bei geöffnetem Fenster hinter dem Fliegengitter zu liegen.
• Er fängt keine Zehen, aber Hände (inklusive Nackenbiss ins Handgelenk, wenn man nicht schnell genug ist).
• Er spielt rüpelig, aber nur mit Menschen, die er mag.
• Am liebsten schläft er auf den Hemden meines Vaters.
• Er ist ausgesprochen mitteilungsfreudig (siehe Geheul) und tut sein Unbehagen lauthals kund (anstehender Tierarztbesuch).
• Er hasst die Transportbox so sehr, dass er beim Tierarzt lieber auf den Behandlungstisch krabbelt, als drin zu bleiben.
• Lieblingskraulstellen sind: Bauch und Nasenrücken.
• Lieblingsspielzeug: grüne Oliven. Als mein Vater und ich eines Abend den Tisch schon gedeckt hatten und das Zimmer verließen, ohne daran zu denken, dass die Wurstplatte keineswegs katzensicher verpackt war, vergriff sich Hamish lieber an der Schale mit grünen Oliven. Wir hörten es hin und wieder komisch rumsen (wenn er eine der Oliven gegen eine Tür schleuderte) und als wir bestürzt hinzustürmten, hatte er weder den Schinken noch die Salami angerührt, aber die halbe Olivenschale ausgeräumt. Er frisst sie übrigens auch. Aber erst, nachdem er sie in Fetzen gespielt hat.
Manchmal war ich mir fast sicher, dass er im Geiste eine ebensolche Liste über mich erstellte:
• Guckt ständig in komische schwarze Kisten, die Geräusche von sich geben. Anstrengend.
• Scheint langsam zu verstehen, wie ich mir die Sache hier vorstelle. Futter war heute Morgen nur eine halbe Stunde zu spät, sehe immer noch Raum für Verbesserung.
• Isst nicht häufig genug Oliven. Umerziehungsprogramm in die Wege leiten.
So in etwa.
Hier in Berkshire gibt es gottseidank Hunde und Pferde, die mich davon ablenken, dass er nicht hier ist. Aber gerade am Wochenende, wenn das Wetter schlecht ist und ich in der Wohnung bleibe, die ich während meines Aufenthalts benutzen darf, fehlt er mir sehr. Im November darf ich ihn wiedersehen. Wir werden eine neue Wohnung finden, in einer neuen Stadt. Wir werden uns wieder einander nähern müssen, behutsam.
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2011
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Widmung:
Für Isa