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Drittes Buch
Das Tal der Könige




I



Er hatte sich angewöhnt, nach dem Abendessen einige Zeit durch die Gärten des Königlichen Tales zu laufen – irgendwann war ihm der Garten um sein Wohnhaus zu klein geworden. Mondon hatte nicht zuviel versprochen. Generationen Königlicher Gärtner hatten sich in diesem Tal ausgetobt. In einem langen, mit Pfingstrosen bestickten Mantel ging er über künstliche Brücken, duckte sich unter tief hängenden Zweigen – man hatte rund um den Palast kleine Täler geschaffen – den Pflaumengarten, den Kirschgarten, den Rosengarten. Er hatte gelernt, die zarten Gerüche zu deuten, die sich um ihn herum spannen, blieb hin und wieder stehen, um die violetten Karpfen zu beobachten, die in Miniaturkanälen neben den Wegen schwammen. Moospolster schmeichelten seinen Sohlen, gläserne Glöckchen schwebten in den Bäumen. Wenn er in sein Haus zurückkehrte, empfing Seçil ihn mit dem Abendtee. „Ihr habt Euch wirklich gut eingelebt“, sagte der Diener eines Tages. „Bewundernswert.“
Yanus wurde rot, nahm schnell die Teetasse entgegen. „Ich versuche, mich anzupassen.“
„Ihr seht sehr elegant aus“, sagte Seçil wohlwollend. „Aber wie ich sehe, habt Ihr Euch schon wieder die Nägel abgebissen.“
„Was soll ich denn machen? Sie kann eben nicht schneller schreiben.“
Seçil grinste. „Zufällig hatte ich heute Morgen Gelegenheit, mich mit ihrer privaten Dienerin zu unterhalten. Sie sagte, das von Euch so sehnsüchtig erwartete Machwerk sei schon vor einer Woche in Druck gegeben worden. Scheint, als müsstet Ihr nicht mehr lange auf ein persönliches Exemplar warten.“
Yanus hielt für einen Augenblick die Luft an. „Warum hat sie mir nicht Bescheid gegeben?“
„Sie ist krank, Herr – das Schreiben hat sie geschwächt.“
„Seçil – besorg mir den schönsten Strauß Blumen, den du auftreiben kannst.“
„Sie wird Euch wohl kaum empfangen, Herr!“
„Wir wollen doch mal sehen.“

Orelie saß an der mit Seide beklebten Fensteröffnung und starrte trübselig auf den Teetisch, auf dem Yanus’ Blumengebinde aussah, als sei ein Rosenbeet implodiert. „Wirklich – sehr aufmerksam. Aber Euch kann nicht entgehen, in welch erbärmlichen Zustand ich mich befinde.“
Yanus lächelte. „Krankenbesuche sind in den Kolonien durchaus üblich. Außerdem wollte ich einer der ersten Gratulanten sein. Und Euer schlechtes Gewissen einklagen: Ihr hattet mir versprochen, ich dürfe das Manuskript lesen und Eure Aussagen überprüfen.“
„Ich hatte Absprachen getroffen“, sagte sie kalt. „Drucker nehmen es sehr genau – vor allem, wenn der Text bereits angekündigt ist.“
„Ihr habt Euer Wort gebrochen, Orelie. Was geschieht, wenn ich mich öffentlich von Eurem Geschmier distanzieren muss?“
Unter ihren Augen lagen tiefe Ringe. Sie hielt die Arme um den Körper geklammert. „Ihr werdet nichts dergleichen tun. Es ist nicht sehr freundlich, eine kranke Dame unter Druck zu setzen, wisst Ihr?“
„Ich hatte gehofft, Euren geschwächten Zustand zu nutzen, um Euch von meiner Beharrlichkeit überzeugen zu können. Wenn mir Euer Opus nicht gerecht werden sollte, muss ich Schritte einleiten, Orelie.“
Sie erhob sich auf die Knie, schob die Tür zum Garten auf. „Im Frühling haben in diesem Tal die Kirschen geblüht“, sagte sie leise. „Jetzt reifen ihre Früchte. Aber in manchen Jahren werden die Bäume von Krankheiten befallen – dann sind die Wege des Tals übersät mit unreifen Kirschen, verwachsen und mit Grind bedeckt …“
Yanus sah irritiert auf Moospolster und Trittsteine hinaus. „Wenn Ihr irgendetwas damit andeuten wollt, bitte ich Euch: Sagt es gerade heraus. Die Situation ist unerfreulich genug ohne Bilder von verfaulten Früchten.“
„Es ist bedauerlich, dass Ihr nie Gelegenheit bekamt, Euch mit traditioneller wittländischer Dichtung auseinander zu setzen“, seufzte sie. „Ihr seid ein Barbar.“
„Traditionelle wittländische Metaphern waren nie Teil meiner Ausbildung, das ist richtig. Ich bin in dieses Land gekommen, um einem Vetter einen Gefallen zu tun. Da man mich freundlich aufnahm, fasste ich kurzzeitig den Entschluss zu bleiben. Wenn Ihr mich nun in einem erfolgreichen Gedicht verkitscht, muss ich mir überlegen, wie lange es mir noch möglich ist, in diesem Land zu weilen. Auch eine romantische Vorstellung von Teufeln ist eine falsche Vorstellung, Orelie.“
Sie deutete auf eine kleine Truhe in der Ecke des Raumes. „Ich habe nur eine der Reinschriften weggegeben, Yanus. Eine ließ ich für Euch anfertigen. Ich hatte vor, sie Euch bei einer Lesung zu schenken, sobald ich wieder gesund bin. Ihr könnt sie auch ohne großes Zeremoniell und ohne Dankesworte bekommen, wenn Ihr weiterhin so aufdringlich sein wollt.“
Yanus wurde rot. „Ich würde sie haben wollen, Orelie. Nur zur Sicherheit, wisst Ihr.“
„Ihr seid sehr misstrauisch.“ Sie erhob sich, öffnete die Truhe und förderte ein in Seide geschlagenes Päckchen zutage. Yanus nahm es zögernd an. „Ich habe Euch verärgert.“
„Enttäuscht trifft es eher.“
Yanus ächzte leise. „Das ist genau das, was ich befürchtete … ich bin eben keine Figur aus einem Eurer Gedichte.“
„Jetzt schon.“ Sie legte sich die Hand auf die Stirn, als wolle sie das Ansteigen des Fiebers überprüfen. „Ich habe noch nie über jemanden geschrieben, der noch lebt. Ich wusste nicht, dass man mit solchem Undank bestraft wird.“
„Es ist mein Leben!“, empörte sich der Halbling. „Aus meinem Leben strickt Ihr Euch eine Geschichte, die Euren Ruhm fördert! Ihr habt gut reden – Ihr werdet bewundert, wo immer Ihr erscheint. Man liegt Euch zu Füßen, seufzt Euch zu! Ich werde behandelt wie eine lebendige Kuriosität, wie ein Kalb mit zwei Köpfen!“
Sie wandte ihr Gesicht ab. „Ja, vielleicht.“
„Ist es da viel verlangt, von Euch Mitgefühl zu erwarten? Vielleicht habe ich mich mein Leben lang nach meiner Cousine verzehrt – aber wer muss davon wissen?“
Sie sah ihn ruckartig wieder an. „Habe ich Euch je meine eigene Geschichte erzählt? Was wisst Ihr von mir – abgesehen davon, dass ich mir einen bescheidenen Ruf erarbeitet habe?“
Yanus hielt kurz die Luft an. „Nun … eigentlich …“
„Eigentlich nichts, richtig! Einst war ich ein Mädchen von großer Schönheit, aber ich lebte unter der strengen Aufsicht meiner Familie. Ich wurde in die Ehe gegeben, als ich 14 Jahre alt war, aber Gott schenkte mir nicht die Fähigkeit, Kinder zu empfangen. Man hat mich fortgejagt. Meine Sippe nahm mich zähneknirschend zurück – und da erwiesen war, dass mein Körper niemals Zeuge von dem ablegen konnte, das mir widerfuhr, hatte ich bald allen meinen Vettern zu Willen zu sein. Dieses Leben ist das, was mir geblieben ist, nachdem meine Familie mich endgültig verstieß. Ich habe das Recht erworben, ohne Sippennamen zu sein, mich selbst zu ernähren. Ich habe mehr als ein paar Narben zu beklagen, mein Freund. Ihr, trotz Eurer faszinierenden Abstammung, seit immer noch ein Mann: ein Vorteil, den Euch niemand nehmen kann. Von mir werden sentimentale Gedichte erwartet. Für Euch habe ich mich sehr weit aus dem Fenster gelehnt – falls dem Jüngsten Prinz nicht zusagt, was ich schrieb, verliere ich alles. Denkt daran, bevor Ihr mich das nächste Mal anschreit, bitte.“
Yanus starrte auf das Päckchen in seinen Händen. „Und ich habe es noch nicht einmal gelesen.“
„Richtig.“
„Orelie, es tut mir Leid. Ich … ich war furchtbar zu Euch. Ich wollte sichergehen, dass Ihr ein Bild von mir habt, das der Wahrheit entspricht.“
„Ich muss sagen, das ist Euch gelungen.“
„Wollt Ihr mich heiraten, Orelie?“
Sie runzelte die Stirn. „Wie bitte?“
„Ich kann Euch einen neuen Namen geben. Und Freundschaft. Liebe.“
„Damit jeder auf uns zeigen kann: Da kommt der Teufel mit der Schlampe?“
„Orelie!“
„Ich bin alt und festgefahren. Mich wollt Ihr nicht haben.“
„Ich wünschte, Ihr ließet mich das selbst bestimmen.“
„Ich habe Euch deshalb gemocht, Yanus, weil Ihr behauptet habt, nur eine einzige Frau lieben zu können.“
„Das habe ich nie behauptet! Bislang war dieser Umstand vielmehr eine leidige Tatsache, über die ich mit aller Kraft hinwegzukommen versuchte!“
„Es ist nett, dass Ihr eine alte unfruchtbare Frau heiraten wollt. Ich muss trotzdem ablehnen.“

Seçil fand seinen Herrn einige Stunden später in einer Laube aus langen Gräsern. Yanus saß auf der steinernen Bank, neben ihm lag ein in himmelgraue Seide gebundenes Manuskript. „Das war jetzt bereits der zweite Heiratsantrag, den niemand annimmt“, sagte der Halbling leise. „Vielleicht bin ich verflucht, Seçil.“
„Ihr macht es Euch entschieden zu einfach, Herr. Ihr könnt nicht ständig mit Anträgen herausplatzen, nur weil Ihr von Euren Gefühlen überwältigt werdet. So etwas will geplant sein.“
„Sie hätte mich auch nicht erhört, wenn ich in einem Meer aus Rosenblüten gekniet hätte. Sie glaubt, sie sei nicht heiratsfähig.“
Seçil sah ihn streng an. „Frauen haben schnell irgendwelche Gründe parat. Kommt jetzt zum Essen herein, Herr. Der Jüngste Prinz hat für diesen Abend sein Kommen angekündigt.“
Yanus hob das Manuskript auf. Er hatte bislang nur die Widmung gelesen: Für Y. − in Liebe und Dankbarkeit.


II



Nach drei Wochen im Sattel war selbst aus Qarl na Qes ein annehmbarer Reiter geworden. Sie hatten sich an den Flüssen der Umgebung orientiert. Einer der Pferdehirten, die sie unterwegs getroffen hatten, erklärte sich dazu bereit, Morrie bei der Anfertigung einer groben Karte behilflich zu sein. Morrie, der Qarls Zurechnungsfähigkeit immer noch nicht ganz traute, behielt das Stück Pferdeleder, auf dem die wichtigsten Landmarken verzeichnet waren, stets bei sich. Westland beeindruckte sie beide. Erst jetzt lernten sie zu begreifen, was Griça empfunden haben musste, als er sich so plötzlich auf Seestadts Blauer Brücke fand. Morrie, Spross einer Seefahrerfamilie, kam sich vor, als triebe er sein Pferd in ein Meer aus Gras. Qarl, ausgewiesenes Stadtkind, fühlte sich unter dem Himmel allein gelassen. Es war, als könne Gott ihn in Westland deutlicher sehen. Morrie hörte ihn oft im Schlaf mit den Zähnen knirschen. Jede größere Ansammlung von Zelten erhielt von Qarl eine erschreckend enthusiastische Reaktion – und das Lager, auf das sie nun zusteuerten, war eines der größten, das sie auf ihrer Reise zu Gesicht bekommen hatten. Die Filzzelte waren mit großen Applikationen geschmückt – Pferde, Bogenschützen, wilde Rinder. Kinder liefen ihnen entgegen – manche der Jünglinge waren bereits tätowiert worden. Man konnte mit viel Mühe das Symbol des Hirsches erkennen. Die na Oth nahmen die Gäste erfreut auf, stopften sie mit Fleisch und Wurzelbrand voll, hielten sie bis tief in die Nacht hinein wach. Als Qarl schließlich an seine Schulter gelehnt einschlief, ließ sich auch Morrie entschuldigen. Man gab ihnen ein Lager in einem der kleineren Zelte.
Beim Frühstück lauschten sie den Gesprächen der na Oth, die sich, abgesehen vom ewigen Thema Pferdezucht, um etwas drehten, das einer anderen Sippe widerfahren war. Morrie beugte sich neugierig vor. „Ich fürchte, ich verstehe nicht recht“, bedauerte er.
Einer der anderen jungen Männer schenkte dem Gast eine neue Tasse Tee mit Stutenmilch ein. „Das ist so: Eines unserer Mädchen war mit einem na Borr verlobt. Aber er kehrte nie ins Lager zurück. Es gibt hier einen Brauch, mit dem man junge Männer auf ihr Leben als Jäger und Krieger vorbereitet. Sie werden allein draußen zurück gelassen und wenige Tage später wieder ins Lager geholt. Man nennt das ‚Für die Teufel dalassen’. Es ist ein sehr altes Ritual.“
Ein zweiter Mann, etwas älter, tippte sich an die Nase. „Neuerdings gehen seltsame Dinge vor. Man könnte meinen, es gäbe wieder Teufel in der Steppe.“
„Oh, einen gibt es mit Sicherheit“, sagte Qarl.
Die gesamte Frühstücksgesellschaft verstummte und starrte ihn an.
Morrie wand sich unbehaglich. „Wir suchen zufällig einen guten Freund von uns. Er … stammt aus den Kolonien und … und er ist wohl das, was man einen Teufel nennt. Technisch gesehen ein Halbteufel, aber das scheint die meisten Menschen nicht zu interessieren. Soweit wir wissen, muss er sich augenblicklich irgendwo in Westland aufhalten.“
„Dann solltet Ihr zu den na Borr reiten“, sagte der erste Mann leise. „Und ihnen Einiges erklären.“

„Ganz toll, Qarl.“ Morrie drehte die Karte, die nun mit zusätzlichen Informationen versehen war, in den Händen. „Du hättest mich das machen lassen sollen.“
„Wir suchen jemanden, oder etwa nicht? Wir irren hier schon seit Wochen rum. Ich fand, es war endlich Zeit für nützliche Hinweise.“
„Informationen zu welchem Preis! Jetzt sind wir überall die ‚Freunde des Teufels’!“
„Na und? In Seestadt hat dir das doch auch nichts ausgemacht“, sagte Qarl.
„Falls du es immer noch nicht bemerkt hast: die Westländer sind ein traditioneller Menschenschlag – sie lassen junge Männer für die Teufel draußen, Herr Gott! In Seestadt hatten wir durch Firusz den Exotik-Vorteil, hier kann uns die Freundschaft mit ihm ernsthaft gefährlich werden! Bitte überlass bei den na Borr alles mir! Ich sehe uns schon von wilden Pferden gevierteilt.“
Qarl wandte sich eingeschnappt ab. „Ganz wie du meinst. Ich finde, wir sollten zu unseren Freunden stehen.“

Das Lager der na Borr lag nur eine Tagesreise entfernt und offenbar wusste man von ihrer bevorstehenden Ankunft – diesmal wurden sie nicht von Kindern begrüßt. Eine Gruppe bis an die Zähne bewaffneter Krieger fing sie ab.
Morrie schluckte nervös. „Ich glaube, dafür bin ich nicht geeignet“, sagte der na Carran.
Qarl warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Also gut. Sieh zu und lerne.“
Die fünf Männer hielten ihre mit Bändern und Schmucktrensen bestückten Pferde in einer Reihe – die vier äußeren Pferde trugen einen Kopfputz, der sie wie Hirsche aussehen ließ, das mittlere war von strahlend goldener Farbe und sein Reiter sah ihnen aus schmalen Augen entgegen. „Ihr seid gekommen, um einen Teufel zu finden“, sagte der Mann leise.
Qarl nickte. „Einen Freund von uns. Er machte sich von Seestadt auf den Weg in die Steppen. Er kam, um eine Schuld zu begleichen.“
Der größte der Reiter, der zweite von links, nahm seinen spitzen Helm ab. „Wir haben einen wertvollen Mann an Euren Freund verloren. Viel wurde von ihm erwartet.“
Qarl musterte den dunkelhaarigen Krieger. „Ich glaube kaum, dass Firusz ihn auf dem Gewissen hat. Firusz de Liarette ist nicht diese Art von Mann.“
„Wir wissen, dass Beq na Borr noch am Leben ist“, sagte der Krieger kalt. „Aber da, wo er jetzt ist, nützt er uns nichts. Euer Freund hat ihn nach Art der Teufel mit sich genommen.“ Er wechselte einen Blick mit dem Mann auf dem goldenen Pferd. „Beq war ausersehen, die Familien der na Oth und der na Borr enger zusammenzuführen. Seine Hochzeit war bereits vorbereitet.“
„Das tut mir Leid“, sagte Qarl. „Aber eine Sippe, die junge Männer für die Teufel draußen lässt, muss mit den Konsequenzen rechnen. Wir wüssten gern, wo sich unser Freund befindet. Der Erste der Handelsgesellschaft des Einhorns macht sich Sorgen um ihn. Es wurde schon lange Zeit eine Nachricht von ihm erwartet.“
Der Mann auf dem goldenen Pferd bewegte die Schultern als wolle er sich jemandem entziehen. „Er tut gut daran, sich zu sorgen. Euer Freund versteht es, sich die mächtigsten Sippen in Westland zu Feinden zu machen. Er hat eine Frau entführt.“
„Was?!“ Morrie trieb seinen Wallach so heftig nach vorn, dass sich dieser für einen Augenblick auf die Hinterbeine erhob. „Firusz de Liarette entführt keine Frauen. Er ist ein schüchterner junger Teufel.“
Dem Mann auf dem goldenen Pferd schoss das Blut ins Gesicht. „Er hat sie sich nicht mit Gewalt zu Willen gemacht, das ist wahr. Teufel haben andere Mittel und Wege.“
„Sie ist also freiwillig mit ihm gegangen?“ Morrie schnaufte durch die Nase. „Das ist ja wirklich ein schweres Verbrechen.“
Qarl grinste. „Ihr seid der ehemalige Verlobte, richtig?“
Betretenes Schweigen folgte. Keiner der Männer schien zu wissen, wohin er blicken sollte.
„Es tut mir Leid, dass Firusz das Herz einer Frau gefangen nahm, die nicht für ihn bestimmt war“, sagte Morrie. „Ehrlich. Ihr habt keine Ahnung, wohin er sie gebracht hat?“
Der größte Krieger räusperte sich. „Wohl eher, wohin sie ihn gebracht hat. Es handelt sich um eine Dame mit eigenem Kopf.“
Qarl zog die Brauen hoch, sah den Mann auf dem goldenen Pferd schadenfroh an. „Was wolltet Ihr dann von Ihr? Solltet Ihr Euch nicht vielmehr glücklich schätzen?“
„Ihr Leute aus Seestadt habt nur Unglück über uns gebracht“, beschwerte sich sein Gegenüber. „Ihr habt meinen Bruder getötet. Ihr habt mir die Frau genommen.“
Qarl fasste die Zügel fester. „Euren Bruder? Seit Ihr Griça na Sians Bruder?“
„Ich bin Zaēl na Sian. Mir wurde Unrecht getan.“
„Um Euren Bruder tut es mir mehr Leid, als ich sagen kann“, sagte Qarl leise. „Und wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann …“
Zaēl atmete tief durch. „Das ist wohl keine so gute Idee.“
Der große Krieger kratzte sich im Nacken. „Sollten wir uns vielleicht in ein Zelt setzen? Tee trinken? Die traditionelle Gastfreundschaft der Steppenvölker demonstrieren?“

Zaēl na Sian saß in einer Ecke des Zeltes und sah wütend aus. Morrie und Qarl bekamen auch von den na Borr genug zu essen, um einen halben Nomadenstamm satt zu bekommen. Der große Krieger hatte sich inzwischen als Bhenn na Borr vorgestellt und lagerte auf zwei dicken Seidenkissen. „Habe ich das jetzt richtig verstanden? Du hast den Mörder deines Bruders in deine Sippe aufgenommen? Das nenne ich mutig, Zaēl.“
„Was hätte ich tun sollen? Mian na Sian macht sich gut. Im Gegensatz zu Firusz hat er mich nicht enttäuscht.“
Qarl, nicht länger in der Lage, sich durch Zaēl irritieren zu lassen, stellte die Tasse ab. „Griça hätte sich der Situation angepasst und das Beste daraus gemacht.“
„Mein Bruder war mir nicht sehr ähnlich.“ Zaēl atmete tief durch. „Ich bin eher der rachsüchtige Typ.“
Bhenn na Borr lachte leise. „Griça war eine Ausnahmeerscheinung unter den na Sian. Zaēl entspricht da mehr der Norm.“
„Eine Erklärung für die vielen Fehden“, sagte Morrie.
Sofort sahen alle im Zelt den na Carran an. Qarl versuchte, abzulenken: „Wie dem auch sei – wir sollten Firusz finden.“
„Firusz kommt gut in den Steppen zurecht, da macht Euch mal keine Sorgen.“ Zaēl zupfte sich an der Nase.
Bhenns Brauen rutschten in die Höhe. „Du meinst, Lup na Sian kommt gut zurecht. Ohne sie hätte ein Teufel in Westland wohl kaum eine Chance.“
Zaēl knirschte mit den Zähnen. „Wir alle sind erwachsene Männer. Wir sollten uns nichts vormachen. Firusz de Liarette ist in Westland nicht länger willkommen.“
Bhenn na Borr wehrte ab. „Sprich für dich selbst, Zaēl. Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich ziehe es vor, die Männer persönlich kennen zu lernen, die ich verabscheuen soll. Die Tatsache, dass Firusz de Liarettes Freunde den langen Weg hinter sich brachten, um sich seines Wohlergehens zu versichern, spricht eigentlich für sich.“
Zaēl zog es vor, nichts weiter zu sagen.
Bhenn prostete seinen illustren Gästen zu. „Auf die Schönheit dieses Landes“, grinste er. „Auf seine Sitten und die Verführungskünste unserer Frauen.“

„Ich habe mich lächerlich gemacht.“ Yanus lehnte an der Wand seines kleinen Hauses, draußen rauschte warmer Regen in den Garten, stieß die Windklappern an. Der Jüngste Prinz nippte an seiner Teeschale. „Es ist tatsächlich ein ungewöhnliches Gedicht. Es wird viel Aufsehen erregen in diesem Land, das sich so sehr an seine Traditionen klammert.“
„Ich kann es ihr nicht übel nehmen, wenn sie nie wieder mit mir spricht.“
„Frauen erholen sich schneller von Beleidigungen als uns lieb ist“, beruhigte ihn der Jüngste Prinz. „Du wirst sehen: Sie ist sicher schon bald bereit, sich in deine Arme zu werfen. Sie ist eben temperamentvoll. Da muss man Abstriche machen.“
Yanus sah ihn entsetzt an. „Sie hat allen Grund, mich zu verabscheuen … ich habe Dinge gesagt …“
„Frauen verzeihen alles. Man kommt mit Blumen und einem teuren Schmuckstück und schon läuft der Wagen.“
„Mondon – Ihr befindet Euch in einer anderen Situation. Ihr habt den Vorteil, dass Euch nichts an den Frauen liegt, die Ihr bestecht. Ich bin auf der Suche nach Höherem, Reinerem. Und jetzt habe ich es verbockt.“
„Yanus – nimm es mir nicht übel, aber man merkt dir deine Unerfahrenheit an. Du wirst lernen, mit ihnen zu spielen.“
„Ist das in Wittland so üblich?“ Yanus zog eine verzweifelte Schnute. „Mir hat man beigebracht, dass man Frauen mit Respekt behandelt.“
„Wer hat dir das beigebracht?“
„Hmm. Meine Mutter. Und meine Großmutter.“
„Siehst du? Frauen haben es dir beigebracht. Natürlich fordern sie deinen Respekt. Aber du selbst kannst entscheiden, ob du dich ihrem Willen beugst, oder nicht.“
Yanus zog die Nase hoch. Tatsächlich war er in einer Umgebung aufgewachsen, in der die Frauen der Familie die Welt im Griff gehabt hatten. Im Fall seiner Großmutter wohl eher Würgegriff. Auch Elisa hatte diese Atmosphäre geprägt. Deutlich. „Tut mir Leid, Mondon. Ich halte mich genau an diesen Werten aufrecht. Orelie wird mich nicht freundlicher behandeln, wenn ich beginne, mit Blumen und Schmuck um mich zu werfen.“
Mondon zuckte die Achseln. „Ganz wie du meinst.“
„Ich werde mit ihr reden.“
„Aber wundere dich nicht, wenn sie dir das Tintenhorn an den Kopf schmeißt.“

Yanus schlich ein paar Tage um Orelies Quartier herum, dann traute er sich schließlich doch. Orelie war so blass, dass er glaubte, sie geweckt zu haben. „Komme ich ungelegen?“
„Ihr könntet nicht gelegen kommen.“ Sie saß mit unterschlagenen Beinen neben der obligatorischen Vase mit blühenden Zweigen, hielt den Blick abgewandt.
Yanus ließ sich auf Knien nieder. „Ich habe Euer Buch inzwischen gelesen. Ich habe mich in all meinen Anschuldigungen getäuscht. Ich müsst verstehen: Ich habe nur versucht, mich zu schützen.“
„Oh, das habe ich sofort verstanden. Euch müssen sehr schlimme Dinge widerfahren sein, wenn Ihr gleich in Abwehrhaltung springt. Ich habe Blumen und Edelsteine erwartet, wenn ich ehrlich bin.“
„In den Kolonien … macht man das etwas anders. Oder vielleicht liegt es auch nur an meiner seltsamen Familie. Ich hoffe, meine Ehrlichkeit wird mich empfehlen, Orelie, nicht mein Versuch, Beschwichtigung durch Tand zu erkaufen. Vielleicht ist das Portrait, das Ihr von mir gezeichnet habt, nicht immer dicht am Original – aber ich kann mit allem zufrieden sein. Ihr habt mich weder zum Monster, noch zum Heiligen gemacht. Ich wünschte, man hätte mich in Seestadt so menschlich behandelt. Ich muss Euch für Euer Verständnis und Euer Einfühlungsvermögen danken. Elisa ist nicht so schön, wie Ihr sie dargestellt habt, und mein Vater ist wirklich kein sehr edler Charakter – aber all das ist wahr genug. Als ich Elisa um ihre Hand bat, war ich entsetzlich betrunken und stank hundert Fuß gegen den Wind nach Wein. Sie war nicht so behutsam mit mir, wie Ihr es beschrieben habt. Weshalb habt Ihr Euch ausgerechnet dieses Thema gesucht? Habt Ihr Euch etwas davon versprochen?“
Orelie sah ihn an. „Bedenkt, dass ich Eure Geschichte verkaufen muss. Wittländische Damen brauchen eine Frau, die an edlem Gebaren nicht zu überbieten ist. Elisa muss ein wenig Sympathie einfahren, Yanus.“ Orelie stand auf. Sie trug einen Seidenmantel, dessen Ärmel zu kurz waren. Ihre Handgelenke wirkten verhärmt. Orelie sah aus, als sei ihr hier, in diesem von Sonnenlicht durchstrahlten Haus, entsetzlich kalt. „Euer Bemühen um Schadensbegrenzung in Ehren: Ich habe schon verstanden. Ihr wollt Euch ein reines Gewissen machen. Sehr lobenswert. Aber ich habe bereits ein neues Projekt, das meine Zeit in Anspruch nimmt. Ich kann es mir nicht leisten, mein Pensum für einen Tag nicht zu erfüllen.“
„Es war mir ernst, Orelie: Wenn Ihr meine Frau werden wolltet – ich könnte mir nichts vorstellen, was mich glücklicher machen könnte.“
„Um Euren eigenen Stolz zu befriedigen, mein Herr. Um Euch zu vergewissern, dass wenigstens die zweite Frau, der Ihr einen Antrag machtet, nicht den Mut aufbringt, Euch abzuweisen.“
Yanus schloss sein Auge. Er spürte ein seltsames Ziehen in den Lippen. „Das ist ein ‚Nein’, nicht wahr?“
Orelie lächelte plötzlich. Es war kein freundliches Lächeln – eher unheilsverheißend. „Man muss seine Liebhaber nicht heiraten. Ich nehme Euch mit in mein Bett, wenn Euch das so viel bedeutet. Aber ich werde mich nicht mit dem Versprechen auf einen Nachnamen blenden lassen, Yanus von Tredorn.“
Yanus schluckte. „Euer Bett?“
„Das ist es, was Ihr eigentlich wollt, nicht wahr? Ihr seid alt genug, um die Ehre beiseite zu lassen.“
Yanus’ Herz drohte zu platzen. „Was ist mit Eurer Ehre?“
„Ich habe sie nun schon vor so langer Zeit verloren. All das Gerede von Heirat und Familie – Ihr habt bisher nur wenig Erfahrung sammeln dürfen. Ihr wart zu sehr mit der wahren Liebe beschäftigt.“
„Müssen Literatur und Wahrheit sich stets widersprechen? Orelie, bitte glaubt nicht, dass ich nur zu Euch kam, um meinen Erfahrungsschatz aufzustocken. Meine Absichten sind ehrenhaft.“
„Ja ja. Was ist mit Euch los? Legt Ihr es darauf an, abgewiesen zu werden?“
„Ich lege es darauf an, erhört zu werden. Warum würdet Ihr mir so viel gestatten und doch so wenig? Wenn ich gut genug bin, um in Euer Bett zu kriechen, weshalb wollt Ihr mich nicht zum Mann nehmen?“
„Offenbar versteht Ihr nichts von Liebschaften.“
„Ich will nicht das Gefühl haben, mich Eurer zu bedienen.“
„Ihr würdet wohl eher mich bedienen, Yanus. Und das Schöne an einer Liebschaft ist: Sie ist schnell beendet. Eine Ehe dagegen … Ihr würdet mich nicht wollen. Man heiratet keine Frau, die bereits einen Mann verloren hat – und das aus nachvollziehbaren Gründen.“
„Man lässt sich aber auch nicht von einer Frau, die man liebt, ohne Weiteres ins Bett ziehen“, sagte Yanus stur. „Ich möchte, dass aus dieser Bindung Verpflichtungen entstehen.“
Sie kniff die Augen zusammen. „Du bist der seltsamste Kerl, der mir je untergekommen ist“, sagte sie, plötzlich alle Förmlichkeit vergessend. „Ist das die Erziehung in den Kolonien oder die Tatsache, dass du ein Teufel bist?“
„Ich glaube kaum, dass Wittlands alte Legenden von der moralischen Integrität der Teufel schwärmen“, sagte Yanus. „Vielleicht bin ich nur ich selbst und die ganze Welt kommt nicht damit zurecht.“
„Ich würde gern mit dir zurecht kommen“, sagte Orelie leise. „Auf dem Papier habe ich dich geformt und beherrscht. Es ist schwer, sich jetzt mit deinem eigenen Willen abzufinden.“
„Welche Nachteile würden dir aus einer Heirat mit mir entstehen?“
„Sie alle würden sagen: Ah, das ist es doch, was jede Frau will, selbst eine Dichterin. Sie will heiraten und über sich und ihr Geld bestimmen lassen. Und ich habe Elisa im Hinterkopf.“
Yanus presste für einen Moment die Lippen zusammen. „Elisa wird immer zu mir gehören. Frage ich nach den Männern, die du geliebt hast? Du hast den Vorteil, meine Vergangenheit zu kennen. Von deiner hast du mir nur Brocken zugeworfen. Orelie – bitte nimm mich zum Mann.“
Sie kam zu ihm, setzte sich so dicht vor ihn hin, dass sich ihre Knie berührten. „Die Dichterin und der Teufel“, sagte sie tonlos. „Die Dichterin und die Figur, die sie berühmt machen wird.“
Yanus schluckte. „Gäbe es einen besseren Skandal, um dein Buch bekannt zu machen? Wenn du mich erhörst, wird jeder das Gedicht kaufen wollen.“
„Es würde Vieles zerstören.“ Orelie strich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr. Yanus spürte sein Gesicht in Flammen aufgehen. Hatte ihn je eine Frau in dieser Art berührt? Noch nicht einmal seine Mutter. „Du würdest meine Aufmerksamkeit von meinen Projekten ablenken, Yanus. Du würdest mir diktieren, wie ich meine Zeit zu verbringen habe. Ich kenne die Pflichten einer Ehefrau.“
„Orelie …“ Yanus verschluckte sich fast vor Aufregung. „Ich habe da ein kleines Haus in Seestadt. Ich würde dir Zimmer zur Verfügung stellen, in denen du dein eigenes Leben führen kannst. Seestadt ist nicht das Tal der Könige – es ist laut, dreckig und sehr dicht am echten Leben. Aber ich könnte einen Garten anlegen lassen, der denen des Palastes gleichkommt. Ich könnte all das für dich tun, du musst es nur sagen.“
Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die Stirn. „Es ist ein gutes Angebot, Yanus. Aber du wirst es auf lange Zeit bereuen.“
Yanus streckte die Hände aus, wollte sie an den Schultern fassen, ließ aber doch die Arme sinken. „Gibt es irgendetwas, das man nicht in einer Minute, einer Sekunde seines Lebens bereuen muss? Ich würde dieses Risiko gern auf mich nehmen.“
„Du willst immer alles richtig machen, nicht wahr? Du willst mir nicht zunahe treten, aber doch so tief in mein Leben eingreifen?“
Er sah sie vorwurfsvoll an. „Du hast doch auch nur Angst“, sagte er. „Angst davor, was die Leute sagen, die dir angeblich nicht wichtig sind. Du kannst dich auch als Mondons Protegée nicht ständig bei Hofe aufhalten. Wo lebst du sonst?“
„Ich habe ein Haus gekauft. Im Hinterland.“
„So weit weg?“
Sie lachte. „Das ‚Hinterland’ ist ein wittländischer Landstrich, Yanus.“
„Gibt es dort Weiden? Könnte man Ställe bauen?“
„Du willst es dir ansehen?“
„Orelie – ich bin der Graf von Tredorn. In den Kolonien war ich Mitglied des Neuen Regierungsrates. Ich habe eine einflussreiche Familie, die sich an Merkwürdigkeit kaum überbieten lässt, die mir aber in jeglicher Situation den Rücken stärken wird. Sie werden auch dich unterstützen, wenn ich mir in Wittland ein Leben mit dir aufbauen will. Vielleicht hätten wir oft ein paar junge Verwandte zu Besuch, das könnte sein. Aber ein Stadthaus in Seestadt, unter der Protektion der Familie na Anbar und dein Anwesen im Hinterland – warum nicht?“
Orelie kniff sich in den Nasenrücken, als müsse sie sich wach halten. „Es wird mein Haus bleiben, verstanden? Wenn ich Ruhe zum Arbeiten brauche, schicke ich dich in die Stadt. Und ich werde mir Umbauten vorbehalten.“
Yanus nickte mit trockenem Hals. „Du nimmst mich unter diesen Bedingungen?“
„Ein paar von ihnen werde ich schriftlich aufsetzen lassen“, drohte sie. „Keine bösen Überraschungen mehr.“
„Wir sind jetzt verlobt?“, fragte Yanus.
Orelie stand auf, strich sich das Seidengewand glatt. „Ich bin zu alt, um mich Illusionen hinzugeben. Ich werde dir keine Söhne gebären, das ist dir klar. Einen Erben musst du dir auf andere Weise beschaffen.“
Yanus strahlte. „Jetzt darf ich dir offiziell Schmuck schenken?“
Sie lächelte. „In Wittland schenkt man zur Verlobung traditionell zwei identische Armreifen. Ein Symbol für die Fesseln, nehme ich an.“

„Du hast sie geküsst“, sagte Mondon, als Yanus ihm noch am selben Abend einen Besuch abstattete.
„Nein“, gestand der Graf von Tredorn. „Besser: Sie hat meinen Antrag angenommen.“
Mondons Kinnlade sank herab. „Das gibt einen Skandal! So kurz nach der Veröffentlichung des Buches!“
Yanus hüpfte um den Teetisch. „Sie will mich haben!“
„Wie viele Bedingungen hat sie gestellt?“
„Ich werde jede einzelne mit Freuden unterzeichnen!“
Mondon seufzte, griff nach der Weinkaraffe. „Also dann: Auf das glückliche Paar.“


III



„Du siehst gut aus“, sagt Morrie. „Die Ehe bekommt dir.“
Mian na Sian wurde rot. „Ich habe mehr Glück als mir zusteht. Meine ist die beste aller Frauen.“
„Ich bin ziemlich neidisch“, gestand der na Carran. Tatsächlich: In Seestadt war der Löwe blass, schlank und schön gewesen – in Westland wirkte er gesund, vom Wind gebräunt und noch schöner. Unter seiner offen stehenden Weste sah man die Nachtfaltertätowierung. Aber er schielte nervös zur anderen Ecke des Zeltes, wo Qarl saß und sich an einer Schale Grasschnaps festhielt. „Er will mich immer noch töten, kann das sein?“
Morrie drehte sich für einen Moment zu Qarl um. „Qarl ist eben nachtragend, wie alle na Qes. Und er hatte Griça gern. Wirklich, wirklich gern.“
Mian schluckte. „Vielleicht sollte ich Qarl anbieten, mich zu töten, nicht Zaēl.“
„Keine gute Idee.“ Morrie stopfte sich noch ein Stück Fleisch in den Hals. „Ich sollte Qarl nach Seestadt zurückbringen, aber erst müssen wir Firusz finden. Bhenn na Borr hat seine Hilfe angeboten, wirklich sehr freundlich.“
„Firusz wird erleichtert sein, wenn Beq zu seiner Familie zurückkehrt“, prophezeite Mian.

„Wie kannst du so ruhig neben ihm sitzen?“, beschwerte sich Qarl, als sie sich am Abend in ihr Zelt zurückzogen. „Er hat Griça getötet!“
„Und er ist dafür ins Exil gegangen.“ Morrie gähnte und zog die Decke über sich. „Er hat seine Strafe erhalten. Er hätte sich von Zaēl töten lassen, aber man hatte eben andere Pläne für ihn.“
Qarl saß zusammengesunken auf seinem Schlaflager. „Aber das heißt nicht, dass du dich jetzt lieb Freund mit ihm machen darfst, Morrie.“
„Qarl na Qes: Du bist selbst wegen mir eifersüchtig?“
„Du bist das, was mir geblieben ist.“
„Schmeichelhaft. Doch wirklich – besser das, als völlig unbeliebt.“
„Morrie …“
„Ich habe mich auf dir zuliebe auf diese Reise eingelassen, ich hoffe, dessen bist du dir bewusst. Ich hätte es prima in Seestadt ausgehalten. Du wolltest weg.“
„Du hast mich überredet!“
„Das ist gar nicht wahr!“, rief Morrie.
„Jedenfalls hocken wir jetzt hier. Mitten in der Steppe. Firusz ist mit einer Frau abgezogen, Mian ist verheiratet. Wir werden beide immer übrig bleiben.“ Qarl legte die Stirn auf die Knie. „Wir folgen dem Weg, der für uns bestimmt ist. Wir werden unsere Lehrzeit in der Gesellschaft des Einhorns zu Ende bringen und versuchen, zu Geld zu kommen. Wir haben es wunderschön einfach. Und trotzdem sind wir hier.“ Qarl seufzte. „Ich hasse Westland. Ich will nach Hause. Dahin, wo ich alles verstehe.“
Zwei Tage später brachen sie in Richtung Wittland auf, begleitet von Bhenn na Borr. Sie führten fünf schwer beladene Packpferde mit sich.


Epilog



Nasse Blätter bedeckten die Straßen der Hafenstadt, dämpften den Hufschlag der Pferde. Auf der Blauen Brücke hatten nur wenige Menschen ihre Stände aufgebaut, aber jeder Händler erstarrte, als er der zottigen Tiere und ihrer Reiter ansichtig wurde. Der Anführer der kleinen Gruppe hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, seine Fersen hingen bis weit unter den Pferdebauch. Seine Kleidung war von oben bis unten mit Schlamm verklebt, seine Finger steckten in speckigen Handschuhen. Er schwang entspannt mit den Bewegungen seines Reittieres mit, hatte in den letzten Monaten sein weiches Gesicht verloren, war schmaler geworden. Aus seiner Kapuze fiel tropfnasses rostbraunes Haar auf die Brust. Er verhielt sein Pferd von dem Haus der Einhörner, bedeutete seiner Gesellschaft, abzusteigen. Lup und Beq ließen sich aus den Sätteln gleiten. „Wir sind da.“ Firusz klopfte an.
Er war lange fort gewesen. Der Mann, der ihm öffnete, war nicht mehr derselbe, der ihm und seinem Cousin das Tor aufgeschoben hatte – als er damals, vor fast zwei Jahren, das erste Mal nach Seestadt gekommen war, per Schiff und völlig unvorbereitet auf das, was ihn am anderem Ufer erwarten mochte. „Hier hat alles angefangen“, sagte er leise, dann wandte er sich dem alten Einhorn zu, das ihn fragend begutachtete. „Ich bin zurück. Wenn es möglich ist, möchte ich gleich bei Qasimir na Qes vorsprechen.“
„Euer Name?“
„Firusz de Liarette. Ehemaliger Kontorsschüler dieses Hauses.“

Es hatte sich nichts verändert, aber vermutlich war es falsch gewesen, das zu erwarten. Das Haus roch nach Kreide, war immer noch dunkel und verwinkelt. Er hätte den Weg zu Qasimirs Schreibzimmer allein gefunden, ganz sicher. In Gedanken hörte er die Schulglocke, das Geraschel von Papier, das Klicken von Schreibfedern an Tintenhörner. Er bat Lup und Beq, einen Augenblick zu warten und trat in die Höhle des Ersten Einhorns.
Qasimir saß an seinem Tisch und schrieb. „Setz dich, Firusz. Gleich habe ich Zeit für dich.“ Er blickt nicht einmal auf, aber er muss mich riechen, dachte Firusz. Ich rieche nach einer langen Zeit im Sattel.
Nach fünf Minuten legte Qasimir die Feder beiseite. „Du hättest nicht zurückkommen brauchen“, sagte er unfreundlich. „Alle wichtigen Informationen habe ich von Qarl und Calmorran erhalten. Sie waren fast ein Jahr schneller als du.“
„Ich habe ganz Westland bereist“, sagte Firusz leise. „Ich habe versucht, einen Platz für mich und meine Familie zu finden. Die na Sian haben ganze Arbeit geleistet. Niemand will uns bei sich haben.“
„Ich kann nicht behaupten, dass es mir Leid tut. Dein Platz war nie in den Steppen. Deine Familie hat dich zu mir geschickt, nicht nach Westland.“
Firusz begann, an seinem rechten Handschuh herumzunagen. „Meine Frau erwartet ein Kind, Qasimir. Ich brauche einen Platz zum Bleiben.“
„Meinen Glückwunsch“, sagte Qasimir kalt. „Träumen wir nicht alle vom privaten Glück?“
„Nimm mich wieder auf“, bat der Halbling. „Ich werde dich nicht noch einmal enttäuschen.“
„Aber du wirst uns wohl kaum gute Handelsbeziehungen mit Westland bieten. Was im Übrigen bereits Schnee von gestern ist. Wir haben im letzten Jahr ausgezeichnete Gewinne schreiben können. Qarl und Calmorran haben Kontakte zur Sippe der na Borr aufgebaut. Eine große, wohlhabende Familie, wie du weißt. Bhenn na Borr gibt einen begabten Handelsvertreter ab. Wir haben dieses Jahr zehn neue Schüler aufnehmen können, dank des Verdienstes, den Qarl und Calmorran uns einbrachten. Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, du würdest dich eines Tages als ebenso nützlich erweisen und nicht vor mir stehen und um Zuflucht betteln.“
„Es ist ernst, Qasimir. Ich weiß nicht, wo ich hin soll.“
„Das ist mir schon klar. Du hast mich und ganz Westland enttäuscht. Du solltest so etwas wie eine Karriere in Wittland haben und nicht eines Tages stinkend in meinem Zimmer sitzen. Deine Familie wird im Hungrigen Einhorn unterkommen. Und ich möchte dich jeden Morgen pünktlich um acht Uhr auf meiner Türschwelle sehen, ist das klar?“
„Danke, Qasimir. Vielen Dank.“
„Du hältst mich von der Arbeit ab, Firusz. Geh jetzt.“

Das Hungrige Einhorn hatte einen frischen Anstrich bekommen. Alles bis auf die Möbel war in ein verstörend helles Taubenblau getaucht – Qasimir hatte den neu erworbenen Reichtum der Gesellschaft wohl gleich in Farbe und neue Bettwäsche angelegt.
Lup ließ sich aufatmend auf das Schlaflager fallen. „Du siehst unglücklich aus.“ Sie streifte ihren nassen Mantel ab. Ihr vorgewölbter Bauch war unter dem gesteppten Seidenkleid gut getarnt, dennoch überkam Firusz bei ihrem Anblick Besorgnis.
„Ich habe all dies der Freundlichkeit des Ersten Einhorns zu verdanken. Er ist sehr wütend auf mich. Vielleicht hätte ich schreiben und meine Ankunft ankündigen sollen.“ Er zog sich die Stiefel aus, lief auf blassen Füßen zum Fenster. Er hinterließ feuchte Abdrücke auf dem hellblauen Boden, pellte sich Mantel, Tunika und Weste vom Leib. „Ich habe so viele Fehler gemacht. Und meiner Familie Schande bereitet.“
„Unsere Familien sind sehr weit weg. Und niemand außer Beq na Borr weiß, dass du mir bisher eine Heirat schuldig geblieben bist. Wir sind auf mein eigenes Drängen in Seestadt, du brauchst dich also nicht zu entschuldigen. Ich habe mich entschieden, bei dir zu bleiben, Firusz. Ich werde das Kind aufziehen und du wirst genug Geld bei den Einhörnern verdienen.“
„Qasimir hat mich nicht als Schüler aufgenommen, Lup, sondern als Sekretär. Ich werde kaum unsere Ausgaben decken können.“
„Aber es ist immerhin ein anderes Land.“
„Und ich muss Beqs Aufenthalt finanzieren, vergiss das nicht.“
„Wir werden schon eine Lösung finden. Leg dich hin. Schlaf dich aus.“
„Ich kann nicht. Bleib du hier – ich gehe noch mal nach unten.“

Die Wirtsfrau reichte ihm den ersten Humpen mit vorwurfsvoller Miene. „Ihr habt Euch so schnell ein Kind anhängen lassen?“
„Ich hatte keine große Wahl.“
„Dann lasst es Euch schmecken.“
„Bringt meiner Frau etwas zu Essen aufs Zimmer. Etwas Süßes, Klebriges, das mag sich im Augenblick besonders gern.“ Er nahm an einem der Tische Platz, legte die Füße hoch. Es roch nach gerösteten Kastanien und gekochter Sahne, Regen trippelte an die Fensterscheiben. Er war müde. Unsagbar müde. Qasimir hatte ihn in der Hand, Lup hatte ihn in der Hand und selbst Beq würde über kurz oder lang zur Belastung werden. Er leerte gerade den ersten Humpen, als ein Mann zur Tür hereinkam, in kostbaren Pelz gewandet und mit einer Frisur, wie Griça sie gehabt hatte: viele kleine Zöpfe.
Firusz starrte ihn an.
Der Mann starrte ihn an. „Firusz?“
„Qarl!“ Firusz sprang auf, warf die Arme um seinen Freund. „Gott, du hast dich verändert! Qarl …“ Firusz spürte, wie ihm die Tränen kamen. Qarl drückte ihn an sich, auch er war schlanker geworden; die Pelze, die er am Leib trug, dufteten nach Gewürzen und Weihrauch. Firusz vergrub für einige Sekunden seinen Kopf darin.
„Seit wann bist du hier?“, fragte der na Qes mit belegter Stimme.
„Wir sind erst seit wenigen Stunden in Seestadt.“
„Hast du bei meinem Bruder vorgesprochen?“
„Ja. Er nimmt mich wieder an.“
„Er hat mir nichts erzählt, der blöde Sack.“ Qarls Lächeln wirkte fremd in diesem neuen Gesicht, in dem auch die Stupsnase nicht länger auffiel. Qarl küsste ihn auf beide Wangen. „Hast du deine Frau mitgebracht?“
„Ja, sie ist oben. Sie … sie ist guter Hoffnung.“
„Noch ein de Liarette für Seestadt? Ich weiß nicht, ob die Stadt das verkraften kann. Setzen wir uns, trinken wir was. Ich lade dich ein, keine Sorge.“
„Wo ist Morrie? Ich habe gehört, dass ihr beide sehr erfolgreich seid.“
Qarl legte den Mantel ab. Er trug Kleider, die ganz klar vom westländischen Stil geprägt waren: seitlich geschlossen, mit Borten benäht. „Ja, das ist wahr. Wir handeln mit Stoffen, Graswurzelschnaps, Fellen, Käse – alles, was die Steppen hergeben. Die na Borrs haben gut verdient in letzter Zeit – und Morrie ist gerade wieder unterwegs.“
Firusz wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Tut mir Leid, ich … ich kann immer noch nicht glauben, wie sehr du dich verändert hast. Du … du siehst ein bisschen aus wie Griça.“
„Das hält Morrie mir auch ständig vor.“
„Habt ihr beide … seid ihr … seid ihr noch Schüler?“
„Nein, wir wurden vor wenigen Monaten offiziell als Gesellen aufgenommen.“
„Vollwertige Einhörner. Herzlichen Glückwunsch, Qarl. Du hast viel erreicht.“
„Du auch. Zaēl na Sian spuckt immer noch Gift und Galle.“
„Ich hatte nicht vor, seine Freundschaft zu verlieren. Wie sieht es bei dir aus, Qarl: Hast du eine Frau gefunden?“
„Nein. Nein, wohl eher nicht. Aber Morrie ist mit einer seiner Cousinen verlobt. Glückspilz. Und hast du das von deinem Vetter gehört?“
„Was denn?“
„Er hat geheiratet, das ist schon fast ein Jahr her. Eine Dichterin, sie haben sich bei Hofe kennen gelernt. Ganz Seestadt hat Monate lang von nichts anderem mehr geredet. Der König war persönlich anwesend und der Jüngste Prinz hat der Zeremonie vorgestanden. Sie wohnen jetzt auf dem Land, aber hin und wieder kommt Yanus noch in die Stadt, um die Gerüchteküche aufzumischen und Pferde zu kaufen. Auch ein Glückspilz. Morrie hatte Unrecht. Jetzt bleibe nur noch ich übrig.“
„Was ist mit der Gelben Gasse? Warst du oft im Dummen Hirsch?“
„Das hätte wohl kaum einen Zweck.“
Firusz legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du siehst erschöpft aus. Wir sind beide erschöpft. Wir werden einander haben, Qarl, das verspreche ich dir. So schnell lässt Qasimir mich nicht wieder fort. Lup wird in wenigen Monaten mein Kind zur Welt bringen. Du könntest mir helfen, es gründlich zu verziehen.“
Qarl lachte, nahm einen tiefen Zug aus dem Bierkrug. „Ich habe Hunger. Was hältst du von noch mehr Bier und Honigfleisch im Faulen Kater?“



ENDE


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Texte: Copyright by C.G. Eicke 2011 Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2011

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