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»Da wachsen keine Rosen,
Da wächst kein Rosmarein.«



Tief liegt das Dorf in seinem Frieden,
Türen und Tore siegelt der Mond,
Das Kirchlein, ein wenig abgeschieden,
Ist sein langes Alleinsein gewohnt.
Der greise Pfarrer und seine Gemeinde
Schlafen sanft; und Wächter und Hund
Denken im Traum selbst an keine Feinde,
Alles schweigt wie Grabesgrund.
Und es flüstert doch wie von irgendwoher.

Das Dorf kauert an der Westseeküste,
Weit oben im Norden, im Jütenland.
Sinds Ruderschläge? Wers nur wüßtet
Mit der Flut strebt schnell etwas an den Strand.
Gleichmäßiger Ruderschlag, wie auf Kommando;
Wohl zwanzig Barkassen enttauchen dem Meer.
Eine Stimme, vorn, ruft: »Avanti, Mirando!«
Und zwanzig Barkassen fliegen her.
Steigt denn ans Ufer ein ganzes Volk?

Plötzlich stehn an des Seelsorgers Lager
Zwei Menschen mit grasgrünen Masken vor:
»Heraus,« hebt an der eine Frager,
»Wir suchen dich, du bist der Pastor.«
Der andre spricht: »Sieh, tausend Zechinen,
Hier in der linken Hand halt ich sie fest.
Oder willst du den Dolch dir verdienen,
Dann gibt dir meine rechte den Rest!«
Und Dolch und Zechinen wiegen gleich.

Der erste spricht: »Laß die Heiligen walten.«
(Er radebrecht, sein Deutsch ist schlecht.)
»Du sollst jetzt eine Traurede halten,
Machs kurz und mach es schlicht und recht.
Und gleich eine Leichenpredigt dran knüpfen.
Heraus nun und rasch in deinen Talar.
Dann darfst du wieder ins Bettuch schlüpfen,
Doch erst komm mit an deinen Altar.«
Und bebend folgt ihnen der alte Mann.

Wie sie draußen sind, sieht er von zahllosen Kerzen
Inwendig glänzen sein Gotteshaus
Und hört die Musik aller Lebensschmerzen
Aus dem gewaltigen Orgelgebraus.
Er wankt, die beiden müssen ihn stützen,
Er betet laut in die Nacht hinein:
Der Himmel wird mich vor Satan schützen,
O Jesus, laß mich nicht allein.
Und dann betritt er die Schwelle.

Er prallt zurück. Auf Gängen und Sitzen
Wartet der Hof? Geschmückt wie zum Ball?
Uniformen und Orden blenden und blitzen
Wie sonnenbeglitzerter Schneekristall.
Viel Admirale und Generale
Und noch manch andrer Offizier
Füllen mit ihrem Galagestrahle
Des schmucklosen Kapellchens enges Revier.
Und der Priester tappt wie im Traum nach vorn.

Er findet vor dem heiligen Schreine
Einen finstern Herrn, verwelkt und grau,
Bei ihm die Braut, wie im Heiligenscheine,
Jung wie am frühen Tag der Tau.
Ihr stiert aus dem schwarzen Lockendunkel
Ein Diamant von wahnsinnigem Wert,
Über ihr bleich Gesicht irrt sein Gefunkel;
Ihre lieben Augen sind tränenverheert.
Der Prediger hält seinen Trausermon.

Und gleich darauf, wie ihm befohlen,
Hält er mit tiefster Ergriffenheit
Eine Leichenrede. Er schluchzt verstohlen;
Denkt er an Gottes Gerechtigkeit?
Der Myrtenzweig und die Gräberblume
Verschlingen sich zum herben Kranz;
Beide gepflückt aus der irdischen Krume,
Blühn sie empor in den himmlischen Glanz.
Der arme Geistliche tappt zurück.

Er taumelt, wie von Schwindel befangen,
Sein Geist ist verwirrt, kein Amen der Schluß.
Knapp ist er dreißig Schritte gegangen,
Hört er einen Pistolenschuß.
Da packt ihn die Angst, da packt ihn Entsetzen,
Kaum tragen die zitternden Füße ihn fort.
Wollen die Höllenwölfe ihn hetzen?
Er hört sie heulen, er stöhnt: Mord! Mord!
Ohnmächtig fällt er am Gartenzaun hin.

Und er erwacht und schleppt sich zum Küster,
Der, gleich hochbejahrt, kindisch lullt und lacht,
Und erzählt, wie ein Irrer, ihm mit Geflüster,
Was er erlebt hat diese Nacht.
Die beiden Greise trotteln versonnen
Einem Teich vorbei im Zwielichtgefild;
Der Teich steht still wie zu Stahl geronnen,
Nun regt ihn ihr schlotterndes Spiegelbild.
Dann treten sie ein durchs Kirchenportal:

Das Morgenrot spielt zum Erbarmen
Um die junge erschossene Frau,
Die mit weit ausgebreiteten Armen
Vorm Altar liegt im Dämmergrau.
Die Myrte ist ihr vom Haupt gerissen,
Um ihre Stirn knittert ein Kranz von Stroh.
Gibt es ein Großes Weltgewissen?
Gibt es ein Vöglein, heißt Nirgendwo?
Ein Dreimaster schaukelt auf hoher See.


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Tag der Veröffentlichung: 11.10.2011

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