Wir heben diese drei besonders heraus, nicht als wollten wir von ihnen etwas ganz Besonderes sagen, was von keinem andern gilt, oder gar ihre Lebensgeschichte erzählen, sondern vielmehr darum, weil sie gerade die ganze Gattung darstellen und wir der Meinung sind, in einem Buche über Wien dürfe der Wiener Student und sein akademisches wie auch häusliches Leben gar nicht fehlen.
Sie waren Landsleute und erst in die höheren Studien auf die Wiener Universität gekommen, nachdem sie die Welt-Weisheit (Philosophie) auf einem Landlyzeum des gründlichsten erlernt hatten. Wir wollen es versuchen, ihre Ankunft und ihr akademisches Leben zu schildern, weil der echte Student Wiens gerade nur durch solche Ankömmlinge repräsentiert wird, indem ein solcher in Wien, abgetrennt von Familie und Verwandtschaft, rein und allein Student sein muß, der abstrakte Student, sich durchschlagend durch alle Fährden und Abenteuerlichkeiten seines poetischen Standes, bis er endlich absolviert ist und dahin geht und Philister wird, schmählich entkleidet von aller Glorie und allem Schwunge seines vorigen Standes. Der Eingeborne hingegen, wie viel er auch Studentengenie besitze, vermag sich doch nie zur wahren Studentheit zu schwingen, weil ihm doch immer die Farbe seiner Familie, Verwandtschaft und Koterie anklebt und weil er außer dem Studenten auch noch ein Sohn ist, ein Cousin, ein Neffe, ein Wiener, ein charmanter Mensch – indes der echte Musensohn, gleich einem abstrakten Begriffe, nur er selber ist, ein Ding, das jenseits aller andern Menschheit liegt, die alle Unterschiedliches zu tun hat, er aber zehn ganze Monate nichts, als daß er Student ist und dann eine Prüfung macht, daß er Glied einer unsichtbaren Republik ist – er ist kein Bürger dieser Welt, außer wenn er Schulden hat; er ist kein Landsmann, kein Eingesessener, kein Stand, kein Familienglied, nicht einmal ein Liebhaber, weil er immer wechselt; sondern er ist nur ein Quartaner, ein Quintaner, Jurist, Philosoph und in den Ferien eine Zugschwalbe, ja manche treiben diesen Zynismus der Abstraktion so weit, daß sie auch keine Studenten sind, sondern gar nichts mehr, so daß ihnen alle Tage das Unglück begegnen kann wie einst einem lustigen Vetter von mir. Der Vetter zog nämlich eines Nachmittags Handschuhe an und ging auf die Universität. Unten in den kühlen Hallen derselben fragte er einen wildfremden, gesetzten, ältlichen Mann, wo denn der anatomische Saal sei. Der Mann aber fragte seinerseits wieder, was er in dem Saale wolle. «Meine anatomische Jahresprüfung machen.» Der gesetzte Mann lächelte seltsam und sagte: «Kommen Sie mit mir, ich will Ihnen den Saal zeigen, denn ich bin der Anatomieprofessor und prüfe eben dort.» Der lustige Vetter riß seinen Hut vom Haupte, und es wäre ihm in dem Saale schändlich ergangen, wenn er nicht zufällig vorher sehr viel Anatomie hineinstudiert hätte.
Glückselige Studentenzeit! Wenn du nur das ganze Leben dauern könntest – aber da vergeht sie wie der Rauch auf den Bergen, und der kahle Broterwerb steht da. Einige sind freilich so glücklich, daß das akademische Moos fingerdick auf ihnen wächst, aber auch diese müssen endlich vorüber, wenn es nicht etwa mit einem von ihnen das Schicksal so gut meint und so weit treibt, daß es ihm einmal mit eins einen Schlagbaum vor den Verstand wirft, was die Leute überschnappen nennen, so daß er von nun an nicht mehr hinauszugehen vermag ins Philistertum, dem wir andern doch unerbittlich entgegengereift sind, und daß er sofort das Schauspiel eines ewigen Studenten darbietet. So sehe ich noch immer ein Individuum in den Universitätshallen auf und nieder gehen, das ich schon in meiner Knabenzeit ebenso gesehen hatte, ein Individuum, emsig auf und abschreitend, mit braunem Rocke, wie damals, dünnen Leibes, vorgebeugten Rückens, voll Bartstoppeln, ein schwarzes, kleines, schmutziges Büchlein mit eingelegtem Finger tragend, einen Klassiker, den er zuweilen aufschlägt und dicht vor die Augen hält. Gealtert ist der bemooste Bursche seit meiner Zeit gar sehr, weil ich auch alt geworden bin, und sein Auge ist noch unsteter als damals, aber er geht noch immer herum unter den Pfeilern, gerade so wie seine blutjunge Mitschülerschaft um ihn, die da in den Jahren kommt und geht – nur er, wie ein ewiger Jude unter der Studentenwelt, besteht, ja er ist sogar der einzige Student, der auch während der Ferien in den Universitätshallen herumwandelt, mutterseelenallein, so daß seine Schritte unheimlich in den weiten Gewölben hallen müßten, wenn nicht seine Fußbekleidung immer in einem solchen Stande wäre, daß man seine Tritte nie hören kann. Vor fünf Jahren verkaufte er Federkiele, jetzt aber studiert er bloß wieder. Glückselige Studentenzeit, wie gut ist es, daß auch du vorübergehst, wie alles andere an dem flüchtigen Menschen.
Laßt uns nun von dieser Abschweifung und Sachdefinition wieder auf unsere drei Freunde zurückkommen und ihre akademische Biographie aufnehmen, wie folgt.
Auf jenem Landlyzeum aber gingen furchtbare Sagen über Wien und das Leben daselbst. Wenn man nicht mit unerhörten Geldern dahinkomme, so müsse man in einem dumpfen Loche wohnen und sich bei einem schmutzigen Traiteur, weil er wohlfeil ist, aushungern, und die Unschuld wird gleich am ersten Tage verführt.
Dieser Aussicht zum Trotze wagten es unsere drei Schälke dennoch, obwohl sie hinlänglich wenig Geld besaßen und von ihrer Unschuld auch nicht wussten, wie feuerfest sie sei, da sie bisher noch niemand in Versuchung geführt, außer älteren Kollegen zu einigem Trinken und verbotenem Tabakrauchen. Sie wagten es aus dem Grunde, weil es vor ihnen auch manche gewagt hatten und unversehens Herren und Staatsdiener geworden sind.
Ihr Plan aber war dieser: Anlangend das Geld, so hungert zwar niemanden so oft und so umfassend als junge Studenten; aber niemand auch erträgt Entbehrungen so lustig als die Jugend, und niemand ißt so sehr alles als der Student! – anlangend also das Geld, so beschlossen sie selbes sehr zu schonen, und anlangend die Unschuld, so war ihnen dafür nicht bange, weil sie riesenhaft gute Vorsätze hatten und überdies als Kaution den Vertrag eingingen, daß einer über den andern wachen sollte und ihm jedes Mißfällige sogleich in den Bart sagen, der allen Dreien zu wachsen anhob.
Zu diesem Ziel und Ende wollten sie auch zusammen wohnen, sich den wohlfeilsten Traiteur suchen oder gar selbst kochen, in der Zeit aber sich um Gelegenheit zum Unterrichtgeben umtun, daß sie sich eine glänzende Studentenlage gründen möchten.
Freilich ging auf jenem Landlyzeum auch die Sage von der traurigen Ungesundheit der zusammengepfropften Residenzstadt – aber mit der riesenfesten Gesundheit der Jugend und mit einem Magen im Leibe, daß er Sohlenleder und Korkstöpsel verdauen könnte, glaubt man an derlei Warnungen nicht; für die Jugend gibt es keinen ungesunden Ort, und im Gefühle des innigsten Lebens sind ihr Krankheit und Tod platte Unmöglichkeiten – und es ist auch so –, wenn nicht ein Leviathan von einem Miasma kommt, so verwindet es der Klotz von einem Körper, und es gedeiht ihm, während die andern daran mühselig hinsterben. Überdem hatten sie gegen alle Warnungen und Schreckensbilder noch einen heimlichen Grund und Trost im Herzen, nämlich den, der der Menschheit so oft beispringt: «Wer weiß, ob es wahr ist.»
Sie hatten es also gewagt.
An einem sehr schönen Oktobernachmittage (damals, als unsere drei Freunde gen Wien fuhren, waren die großen Ferien noch im September und Oktober – an diesem sehr schönen Oktobertage also stiegen sie in Nussdorf aus und sahen sich sogleich nach dem dicken Luftbrodem um, der immer über der Stadt brüte und Krankheiten aushecke – allein sie fanden ihn nicht, sondern rechts waren schöne grüne Berge und links schöne grüne Auen, und aus diesen ragte ein sonnenbeglänzter, grauer, feinzackiger Turm empor – der Turm von St. Stephan; schmucke Spaziergänger gingen an ihnen vorüber; Wägen fuhren die Kreuz und Quer mit schönen weißen Nummern auf dem Kasten, schöne Herren und Damen saßen darinnen, und an den Gesichtern der Kutscher schien nicht das geringste Anzeichen von hiesiger ungesunder Luft bemerkbar, so ganz besonders gut sahen sie aus.
Allen Dreien war es so gewiß unselig und seltsam, so wie es uns allen ist, wenn wir uns einem merkwürdigen und einflußreichen Flecke der guten alten Muttererde nähern und dort die Entscheidung unserer ganzen Zukunft erwarten. Nur das, was gerade das Natürlichste war, schien ihnen das Unbegreiflichste, nämlich daß es hier gar nicht anders aussehe als auf jedem andern Platze der Erde. Dass sie an der großen, merkwürdigen, weltberühmten Hauptstadt Wien standen, schien ihnen gar nicht glaublich, denn da rinnt ja das bekannte Donauwasser wie in Linz, und Bäume und Auen stehen dabei, wie sie sie schon tausendmal sahen, und auch die Leute schauen so aus, als hätten sie mit jedem von ihnen schon geredet. Auf Unerwartetes war jeder gefaßt, das Bekannte brachte sie nun außer Fassung. Das Seltsamste aber war noch, daß man von der ganzen Stadt nichts als den grauen Turm sah und ein paar Häuser, so unscheinbar, als wäre es eben nur ein Meierhof. «Den Koffer, meine Herren», tönte des Nauführers Stimme neben ihnen, «können Sie sich morgen am Schanzel abholen, jetzt aber mit dem Gesellschaftswagen in die Stadt fahren oder auch zu Fuße gehen, wenn es beliebt; denn es ist kaum eine halbe Stunde bis zur Linie.»
Freilich wußte keiner das Schanzel, aber deswegen hatten sie keine Sorge, sondern begaben sich auf die Straße, welche nach dem grauen Turme zuzuführen schien.
Aber der Leser weiß ja noch gar keinen Namen. Der Kandidat der Rechtsgelehrsamkeit, Franz Xaver Pfeiffer, schritt voran und hinter ihm, starke Studentenstöcke in der Faust tragend, die angehenden Heilkünstler Urban Schmidt und Heinrich Quirin. Sie gehörten alle drei jener storchichten Sorte an, die lauter Füße hat, ausgenommen noch zwei lappige Hände, mit denen sie stets ungeschickt agierten – man verüble es ihnen nicht, wir waren ja alle so in unserm gesegneten siebzehnten und achtzehnten Jahre. Nur der Pfeiffer trug bereits breite Schultern und einen Ansatz zu einem felsenmächtigen Brustkasten, den er keck der Luft entgegen und bei der Nussdorfer Linie hineinschob – die zwei andern folgten – und nun waren sie wirklich und leibhaftig in der großen Kaiserstadt, von der sie ihr Leben lang so viel gehört und in der Geographie eine ganz klein gedruckte Seite auswendig gelernt hatten – sie waren nun wirklich da. Die einigen unansehnlichen Häuser, die sie bei ihrem Herannahen gesehen hatten, entwickelten sich nun zu einer langen Gasse, in die sie immer tiefer hineingerieten, aber auch hier war es ja nicht anders, als seien sie in Wels oder Braunau oder sonst in einer bekannten Stadt, ordentlich heimisch, nur die Häuser etwas größer, und statt dessen, daß man in Wels durch jegliche Gasse schnell auf den Marktplatz gelangt, setzte sich hier die Gasse immer fort, gleichsam als setze sich die Stadt immer an sich selber an wie jenes närrische Teppichpaar in der Stadt Hirschau, das man dem römischen Kaiser, als er einmal das Rathaus besuchte, dergestalt unterbreitete, daß, als er auf dem vorderen schritt, man den hintern wegnahm und wieder flugs vorne anlegte, wobei sie sich sehr sputen mußten, was denn freilich zur Folge hatte, daß sie einmal zu früh anrissen und den Kaiser ganz und gar niederwarfen. Es soll Friedrich der Rotbart gewesen sein. – Als aber unsere drei Freunde immer weiter fortschritten, dehnten sich freilich die Häuser zu immer ansehnlicherer Größe empor und gewannen an Glanz, daß die Ähnlichkeit mit Wels und mit Braunau stets geringer wurde, auch das Gedränge und Getriebe wuchs überraschend, allein auch ihr Mut; so daß Urban (seines zärtlichen Wesens halber nannten sie ihn stets bei dem Taufnamen), so daß Urban beinahe so keck gewesen wäre, vor einem Generale den Hut zu ziehen, wenn er nur gewußt hätte, warum denn derselbe hinten auf dem Wagen stehe. Der Pfeiffer las alle Inschriften und machte bereits Späße darüber. Quirin war eigentlich seines Herzens der größte Schelm und Schalk unter ihnen, allein er hatte so eine Art und gesetztes Wesen, daß man ihm den Spitzbuben nicht ansah, daher er auch heute so gesittet und mit städtischen Manieren einherging. Der ehrliche Pfeiffer, obwohl der tüchtigste unter ihnen und daher auch bei allen Unternehmungen der Führer, wurde doch am öftesten von ihm gehänselt, während der stille Urban immer Verschlagenheit genug besaß, auf seine Lockungen nicht einzugehen, indes Pfeiffer alsogleich biederherzig aufsaß, sooft es der andere wollte, aber er lachte immer selbst mit oder puffte den Quirin ein klein wenig ab, während Urban sich immer entsetzlich in seinem Innern abzürnte, sooft er in eine Falle gegangen; denn er fühlte eben seine Inferiorität, während Pfeiffer gar wohl wußte, daß er selber es eigentlich sei, der die Firma des Hauses aufrechterhalte.
Deswegen fragte ihn auch keiner von den zwei andern, was er denn im Schilde führe, als sie ihn wie einen Goliath immer rüstiger in die Wildnis der Stadt hineinschreiten sahen, sondern sie folgten ihm und dachten, er werde es schon wissen – aber im Grunde wußte er es doch nicht, sondern es schwebte ihm dunkel der Gedanke vor, man müsse vorerst das Terrain rekognoszieren, dann werde sich schon ein Plan ergeben. Ohne zu fragen, gingen sie daher durch allerlei Gassen in der Richtung, in der sie gekommen waren, immer fort. Häuser rechts und links, schön und mächtig, und immer schöner und mächtiger, je weiter sie kamen – Menschen in Hülle und Fülle, alle vornehmer gekleidet, so daß sich Urban schon seines Rockschnittes zu schämen anhob, und Wagen rollten hin und her, glänzend poliert und mehr an Zahl in dieser einzigen Gasse, als sie sonst ihr ganzes Leben lang gesehen hatten. Hin und wieder an den Haustüren hingen Zettel, «Wohnungen zu verlassen» stand immer darauf, statt zu vermieten, was Pfeiffer zuerst nicht begreifen wollte, aber als es ihm endlich einging, so dachte er in seinem Herzen: Wo wird nun in diesem Ozean von Häusern der Zettel sein, der, wie eine Taube mit dem Ölblatt im Schnabel, uns die Arche anzeigen wird, in die uns einzufahren bestimmt ist – wo wird er sein? – Siehe, da ist ja nun mit einem Male der Plan, auf dessen Eingebung er ja gehofft hatte. – Sofort wandte er sich nun zu den zweien, die nachschlenderten und an den Häusern hinangafften, und sagte zu ihnen, daß er vor schlage, sich durch alle diese Gassen bis zur eigentlichen Stadt durchzuhauen, dort die Universität zu erfragen und von da aus gerade der zunächst gelegenen Vorstadt zuzugehen, um dort, womöglich heute noch, eine Stube zu mieten, in der sie sich dann morgen sogleich einrichten könnten. Die Bill ging durch, und nach Verlauf von einer halben Stunde und nach vielfältigen Fragen standen die drei seltsamen Gesellen auf dem Universitätsplatze und starrten das massive Gebäude an, von dem ihnen Heil und Segen ausgehen sollte und das mit seinen Frontsäulen und dem ruhigen Plätschern der zwei Brunnen ernst herniedersah auf die drei neuen exotischen, bestaubten und abenteuerlichen Burschen. Das sah Urbanus gleich ein, wie er sich und die zwei andern hier stehen sah, daß eine gänzliche Reform mit ihnen vorgehen müsse, wenn sie sich nur einigermaßen der Kultur und Zivilisation annähern wollen, die in dieser Stadt herrschen; denn wie elend standen sie da in ihren schleppenden, hängenden, überlangen Röcken gegen die Eleganz und Pfiffigkeit, mit welcher jedem der Vorübergehenden seine Kleider saßen, als wäre er ein Genie. Auch in Quirins Herzen mochte etwas Ähnliches vorgehen, denn sein Angesicht sprach sichtlich Verlegenheit aus, wenn er merkte, wie sie alle drei von den gelegentlich Vorübergehenden neugierig angeschaut und gemustert wurden – aber mit Pfeiffer wird da wohl schwer etwas anzufangen sein, denn er stand da, ohne die geringste Ahnung der Gefühle seiner Freunde, und sein unendlich grüner Rock hing ihm am Körper wie eine Standarte hernieder – und dieser war sein schönster; denn im Koffer hatte er nur mehr einen von Loden, der zwar nicht lang, aber so zottig war wie das Goldne Vließ.
Noch ein anderer Gedanke drückte dem Urban ängstlich auf die Seele: ob ihm dieses mächtige Gebäude ein Tabor oder eine Schädelstätte werden würde; denn er dachte beklemmt an die vielen dünnen ersten Klassen, die er im Ränzlein trug und die er sich doch oft mühsam auf dem Lyzeum erworben hatte, aber auch hierin war Pfeiffer unangreifbar, denn er vermaß sich, ganze Heuwägen hineinzustudieren, wenn er sich nur einmal recht niedersetze, und das rechte Niedersitzen nahm er sich sehr ernstlich vor, also war keine Furcht. Nach gebührlich langem Anschauen des Äußern des Gebäudes gingen sie auch beim Haupttor hinein und gelangten in eine geräumige Halle, mit Pfeilern versehen, welche als Sammel- und Spazierplatz dient, aber da die langen Ferien noch nicht zu Ende gegangen, so waren die Hallen leer und verödet, nur eine einzige heterogene Erscheinung war da, ein alter Mann, der auf einer der hölzernen Wandbänke saß und in der Kühle ausruhte. Mit Vorahnungen gingen sie deshalb schüchtern, halb linkisch herum und betrachteten verdutzt die hohen, dunkelbraunen, verschlossenen Türflügel, die zu verschiedenen Sälen führen mochten, und die zwei Treppen, die breit und vornehm einander gegenüber in die höheren Stockwerke emporleiteten, allein sie stiegen nicht hinauf, sondern traten wieder auf den lichten Platz hinaus, um an das Geschäft der Wohnungsschau zu gehen. Die Sonne stand schon ziemlich tief, denn die Universitätskirche und die zwei Türme warfen bereits ganze Massen von Schatten auf die Gebäude, und durch die zwei Gassen zu beiden Seiten der Universität gingen schon abendlich rote Lichtströme nieder; deshalb schritten sie ungesäumt von dannen, und zwar, ohne zu fragen, geradeaus.
Ihr Stern führte sie zum Stubentore und da über zwei Brücken durch eine Allee hoher Pappeln in eine freundliche Vorstadt, auf deren ersten Hause der Name Landstraße stand, und sie beschlossen, sogleich in dieser heitern Stadt eine Wohnung zu suchen.
«Eilf Zimmer mit Vorzimmer, Küche, Boden und Keller» – «Zimmer und Kabinett» – «Vier Zimmer mit der Aussicht auf die Gasse nebst Zugehör auf Georgi zu verlassen» – «Wohnung mit neun Stuck» – «ein Keller auf hundert Eimer Wein» – «möbliertes Monatzimmer» – «drei Herren werden nicht genommen» – also weiter – Wohnungen, Magazin, Gewölbe, Keller, möblierte und unmöblierte Monatzimmer – alles genug, rechts und links in der Gasse, nur keine Stube für sie, außer sie hätten recht viel Geld, und obwohl sie die lange Straße fast bis zur St. Markuslinie, die gegen Ungarn führt, abgegangen, so fanden sie doch nichts und schlugen, da es bereits Nacht zu werden begann und kein Zettel mehr lesbar war, den Rückweg ein. Ermüdet bis zum Tode, melancholisch und betrübt durch das fortbrausende Getöse, an allen Gliedern zerschlagen wie die Knappen Rolands, langten sie endlich, von ihren Kreuzzügen rückkehrend, im Gasthofe zum Roten Hahn an und verlangten ein Nachtquartier. «Nro. 43 auf die Gasse», und als nach langem Warten Nro. 43 aufgesperrt wurde, eine große, stattliche Stube, und sie sich dort ein wenig von allerlei Reiseanhängseln befreit hatten, ihre Röcke gebürstet, ihr Haar geordnet, so gingen sie hinunter in die Gastzimmer, wo es wieder unerhört elegant und schön war, so daß sie sich an den bescheidensten Platz setzen wollten, wenn nicht schon Pfeiffer, der früher als die zwei andern mit seiner Toilette fertig geworden war, in seinem grünen Flausrock am lichtesten und schönsten Tische vor einem großen Glase Bier gesessen wäre; auch brachte man ihm, bevor die andern ebensolche Biere bestellt hatten, einen Rostbraten, so mächtig, daß er fast allseitig zum Teller hinabhing. Urbanus und Quirin sahen kaum diese heutige tatsächliche Aufhebung des erst vor kurzem so feierlich gegebenen Armengesetzes, als sie, von dem Dufte des Bratens gänzlich verblendet und abtrünnig gemacht, alsogleich ihre Einwilligung dadurch nachtrugen, daß sie auch ebenso duftende und ebenso große Rostbraten bestellten und sich an des essenden Pfeiffers Seite niederließen. Wie viel Semmeln sie schon vor Erscheinen des Bratens gegessen haben, weiß man nicht mehr, aber das ist gewiß, daß sie endlich dachten: «Ei, was soll denn schon der erste Abend in Wien ein muffiger, elender Knausebart sein», und daß sie sich mit diesem Grunde den Gewissensvorwürfen zu entwinden suchten, während Pfeiffer schon rasch im Essen vorwärtsschritt und keine Spur von Gram in seinem Angesicht zeigte – was er aus Kraft tat, taten die andern aus Schwäche – ist doch auf der ganzen Gotteserde nichts so süß für ermüdete, todhungrige Jugend als ein tüchtiges Abendessen und dann ein Spaß – aber so ist die Hinfälligkeit menschlicher Dinge und Reiche – das Armengesetz geriet endlich in solchen Verfall, daß sie sämtlich Wein zu trinken anhoben und schon mutig und gesprächig dasaßen, als sich die Zimmer mit den schönsten, glänzendsten Gästen zu füllen begannen, die da ihren täglichen Wein und ihr tägliches Gespräch zu sich zu nehmen gewohnt waren, und daß sich Quirin bereits das Herz nahm, einen dicken Herrn mit schimmerndem Gesichte und feinem Rocke anzureden, während Pfeiffer längst schon mit seinem Nachbar im eifrigen Gespräch war und ihm offen erzählte, was es mit ihnen sei und daß sie eigentlich im Grunde drei lustige arme Teufel seien, die nur heute den ersten Abend in Wien zelebrierten; worüber sich Urbanus in der tiefsten Seele schämte, weil er eben nachrechnete, wie lange es noch dauern möge, bis er auch so schön gekleidet und so angesehen wie alle diese Herren werde dasitzen können und in Ehren sein Gläschen Wein trinken – ja, damit ich alles sage, so weit war es mit ihnen an jenem Abende gekommen, daß sie noch am Tische saßen, Gesundheit tranken, mit den Gläsern anstießen und kein Lächeln und Gähnen der Kellner achteten, da bereits kein einziger Gast mehr in den Zimmern war. So wie sie die ersten gewesen, so waren sie nun auch die letzten. Endlich gingen sie auch schlafen, und auf dem Wege nach Nro. 43 mochte es schon manchem von ihnen dunkel aufdämmern, wie sehr es ihn morgen reuen werde, daß er heute die Stadt Wien und sämtliche zukünftige Professoren so oft habe leben lassen – aber zur Reife konnte ein solcher Philistergedanke doch heute nicht gelangen, und so verplauderten und scherzten und lachten sie noch eines, bis sie einer nach dem andern entschliefen und eine selige, ruhige erste Nacht in den Mauern Wiens hatten.
Als sie am andern Tage erwachten und Quirin den dichten Lockenkopf aus den Kissen hob, wollte es ihm freilich in Kopf und Stube wüst dünken, und da Pfeiffer das Fenster öffnete, um auf den Platz vor dem Hause hinabzusehen, so sah er unten nichts als Nebel und Weintrauben und Marktweiber – er tat ein paar Züge der frischen feuchten Herbstmorgenluft und schloß den Fensterflügel wieder zu.
Da sah er nun, wie die Stube im grauen Morgenlichte all den wüsten Anblick der Unordnung und Verwirrung darbot, den nur immer drei übernachtende reisende Junggesellen zu machen imstande sind. Die zwei andern waren in der vollen Arbeit des Anziehens begriffen. Urban stand vor dem Spiegel und wühlte in den Haaren, um ihnen doch einigen Schwung und Anstand zu geben, wie er es gestern fast bei allen gesehen, die ihm begegnet hatten – Quirin blies den gestrigen Staub von seinen Stiefeln und fuhr pfeifend in dieselben hinein, während Pfeiffer folgenden Vorschlag tat: er selber wolle ausgehen und nicht eher rasten, bis er eine Wohnung für alle drei gefunden hätte; Quirin solle das sogenannte Schanzel auskundschaften und für ihre gemeinschaftliche fahrende Habe Obsorge tragen; Urbanus aber müsse sich auf die Universität begeben und dort Zeit und Ort erforschen, wo jeder von ihnen sich in seine betreffenden Fächer könne einschreiben lassen, und wenn sich jeder seines Amtes entlediget, so wollen sie wieder beim Hahn zusammenkommen und das Weitere besorgen. Man nahm den Vorschlag einhellig an, und da sie endlich mit der Toilette fertig waren (freilich trugen sie dem Wirte einige Bettfedern auf ihren Röcken davon) und als sie mit Schmerzen ihr gestriges Abendmahl bezahlt hatten, so standen sie trübselig im feuchten Morgennebel unter dem Torwege und trennten sich, damit jeder seinem Geschäfte nachkäme. Urban und Quirin gingen miteinander der Stadt zu, Pfeiffer aber blieb ganz allein auf der Gasse stehen und sah ihnen so lange nach, bis ihre Gestalten im Nebel und Getriebe der andern Menschen verschwanden, dann aber schüttelte er sich die Haare aus dem Gesichte, schlug mit dem Stocke auf das Pflaster und schoß in die erste Seitengasse hinein.
Da die Chronik, aus der wir diese Geschichte nehmen, nichts über die Irrfahrten meldet, die jeder von ihnen an diesem Vormittage tat, so können wir den Faden unserer Erzählung erst wieder da aufnehmen, wo sie zusammenkommen, nämlich ungefähr um ein Uhr nachmittags in der Gaststube des Gasthauses zum Roten Hahn. Aber auch da können wir nichts weiter berichten, als daß Quirin und Urban schon längst dasaßen und warteten, bis Pfeiffer mit erleuchtetem Antlitze daherrannte und erklärte, er habe für sie einen wahren Palast um ein Spottgeld gemietet, und daß sie dann aßen und daß fast wieder das Armengesetz in Verfall geraten ist, daß auch die andern in ihren Forschungen glücklich gewesen und daß sie beschlossen, alsogleich in ihr neues Tuskulum einzufahren. Es lag dasselbe und liegt heutzutage noch in einer Seitengasse der Vorstadt Landstraße, jetzt ist es sehr verbaut, damals aber lag es einer Masse von Gärten im Schoße und war vom Schicksale prädestiniert zu einer Studenten-Wirtschaft; denn seinem früheren Charakter nach war es eigentlich ein Fürstenpalais gewesen; es hatte aber seinen Herrn gewechselt und stand nun wie eine verwitwete Ritterburg da; die Säle des ersten Stockes waren groß und unheimlich; in den vielen einzelnen Gast- und Bedientenzimmern des zweiten Stockes war längst das Lachen und Scherzen verstummet, und in den Remisen und Stauungen der Seitenflügel begannen mantelgroße Spinnweben zu wachsen – bis wieder, wie auf einem umgewandelten Planeten, neue Bewohner kamen, und zwar in die Prachtzimmer dieser oder jener vornehme Reisende oder einer, der den Sommer in reiner Gartenluft zubringen wollte, in die Einzelzimmer des zweiten Stockes aber ein ganzes Volk von Studenten und Junggesellen, worunter auch unsere drei abenteuernden Freunde waren – auch die Stallungen und Remisen wurden wieder lebendig, ja blühender, unruhiger und mannigfaltiger als je; denn außerdem, daß wieder Pferde und Wagen kamen, die da untergebracht wurden, erschienen auch noch Kühe, die da residierten und ihre Milch in die Nachbarbezirke spendeten; dann eine Reitschule – eine Ziegenfamilie und mehrere Hühner, selbst die niedern Vetter der Kutschen fanden sich ein und besetzten die geeigneten Plätze vom schweren Leiterwagen an bis zu dem zweirädrigen Karren und dem einrädrigen Schubkarren. Hinten an das Haus stieß ein großer Garten, aber in welchem Zustande war er! Die ehemaligen Sandwege hatten große Spalten und Risse; hölzerne Stifte mit Blechtäfelchen und den schönsten Namen exotischer Pflanzen standen da, aber mitten im Grase; auch geschah es, daß wohl im Sommer oft mitten unter dem wuchernden Löwenzahn mit der rotgelben Farbe eine edle Tulpe der vergangenen Zeit empor sproßte oder eine verkommene Hyazinthe – die Platane war noch da, die Fraxinus pendula, der Schneeballenstrauch, dann jene mit den großen, schlanken, weißen Glockenblüten nebst allen Gattungen lustig treibenden Holunders und allen deutschen, in dieser wilden Freiheit köstlich treibenden Bäumen. – Dass das alles ohne Gärtner wachsen mußte, begreift sich. Gegen rückwärts dieses Gartenwaldes stieß ein zweiter Garten, jetzt von einer Doppelzeile schöner Häuser besetzt, damals ein wahres Wirrsal von Gesträuchen und Unkraut, und mitten daraus stieg ein Tempel empor, dessen Marmorsäulen schon so gewaschen und verschunden waren, daß hier und da bereits das Holz heraussah; der Fußboden bestand aus Marmor, Ziegeln und Brennesseln. Alle Käfer und Faltern summten und flatterten in diesem Eldorado, und alles, was Federn und eine Kehle hat, sang und pfiff in den Wipfeln; denn jenseits der Gartenmauer lagen weithin wieder weitere Gärten. Die Benützung dieses Gartens, das heißt das Spazierengehen und Studieren in demselben (wohl auch das Herumtummeln und Liegen im Grase) hatte Pfeiffer nebst der dreifenstrigen Stube von der Besitzerin dieses Zauberschlosses erhandelt – und um vier Uhr desselben Nachmittags fuhr ein Schubkarren mit einem Koffer, zwei Hutschachteln und einem leinernen Packe, in dem allerlei verschlossenes Studierzeug war, den schlecht gepflasterten Hofraum des Palastes einher, und die drei Landstudenten schritten hoffnungsvoll daneben.
Freilich wäre es jetzt unsere Pflicht, zu sagen, wie sie sich auf ihrer Stube eingerichtet haben, aber sie richteten sich gar nicht ein; denn sie bewunderten die Aussicht und die Schönheit der andern Häuser und vergaßen ihre Stube, so daß sie selbst ohne Licht schlafen gehen mußten. Pfeiffer legte seinen Rock auf den langen gepolsterten Sessel, Urban den seinen auf den Rohrsessel und Quirin den seinigen auf den eichenen; Tabak geraucht haben sie aber diese Nacht noch sehr. Als sie die folgenden Tage etwas bekannter in der Umgegend geworden, wurde es freilich anders, und sie trugen so zu Neste, daß selbes wohnlicher wurde. Es darf frei gesagt werden, daß Pfeiffer den Quirin zwang, zwei blecherne Leuchter, eine Papierschere und einen blinden Spiegel von dem ausgekundschafteten Tandelmarkte bei hellem Tage nach Hause zu tragen; aber fast schäme ich mich, zu bekennen, daß er selber schon am zweiten Tage in der Abenddämmerung unter seinem grünen Rocke einen unerhört großen Nachttopf nach Hause trug, der dann nachts (echt republikanisch, daß keiner zu weit habe) mitten ins Zimmer gestellt und mit einer steif gebundenen Flötenschule zugedeckt wurde. Den Besen bestritt Urban, aber er gab einem Jungen neun Kreuzer, daß er ihn in die Wohnung brachte, und fastete dafür abends. Da die Hausfrau bloß ihre Zimmer vermietete, ohne sich weiter zu kümmern, und da im ganzen Palaste kein dienendes Wesen existierte (der damals noch vegetierende, aus andern Zeiten übrig gebliebene, rotnasige, hagere Portier war unverheiratet), so beschloß unser Triumvirat, sein eigener Diener zu werden, und zwar so: die Geschäfte wurden eingeteilt in die staubigen und flüssigen. Letztere zerfielen wieder in die reinen und stinkenden. Die staubigen bestanden bloß im Auskehren und im Bergen des Kehrichts in irgendeinem unverfänglichen Winkel der Stiegen oder Gänge. Die reinen flüssigen betrafen das Holen des Wassers von dem Pumpbrunnen des Hofes. Es stand dem Beteiligten frei, abends kein Wasser zu holen, wenn auch nicht ein Tropfen zu Hause war, aber des andern Tags früh mußte es zum Waschen da sein, und wenn einer bei der Nacht Durst hatte, so waren die Rechte so streng, daß der Verpflichtete bei ärgstem Sturm in Finsternis, unter Frost und Zähneklappern unten zu stehen und zu schöpfen hatte. Die stinkenden flüssigen Geschäfte – sie wurden sehr gefürchtet, weil man so leicht gesehen werden konnte – bestanden im Wegtragen eines gewissen Gefäßes. Diese drei Geschäfte als solche, die das Allgemeine betrafen, wurden zum ersten Male verlost, dann gingen sie der Reihe nach herum. Die einzelnen, als da sind: Aufbetten, die Kleider bürsten usw., besorgte jeder für sich, und da stand es ihm wieder echt republikanisch frei, so viel Staub auf dem Rocke und den Stiefeln zu lassen, als er wollte, und das Bett so weit zu vernachlässigen, als er nur noch zu seinem Gebrauche tauglich finden mochte, was freilich nicht viel sagen will, da es in späterer Zeit, als einmal wackere Kameradschaft und Kommerz in Aufnahme kam, oft geschah, daß, wenn schon zwei auf jedem Sessel saßen oder ritten, der Koffer von Dreien besetzt war, und die auf der roten Steinplatte des gemeinsamen Schubladenkastens keinen mehr zu sich hinauf ließen, die andern sechs oder zehn in den Betten saßen oder lagen, derer gar nicht zu gedenken, die auf dem Fensterbrette hingen und mit den Stiefelabsätzen die Mauer zerstampften und färbten. Von dem Tabakrauchen, dem Lachen, dem Witze und dem Singen bei solcher Gelegenheit will ich gar nicht einmal reden. Die Ämter konnten übertragen werden, wenn sich einer dazu verstand, ein dem andern lästiges gegen ein Äquivalent zu übernehmen. Schön war die erste Zeit; denn wie es einst in der alten römischen Zeit war, daß ein Diktator jetzt hinter dem Pfluge ging, jetzt aber die Feinde schlug, so geschah es auch hier, daß Pfeiffer auskehrte und dann hinging und ein glänzendes Examen bestand; aber da, wie ebenfalls in den alten heidnischen Republiken, die Ämter nicht besoldet waren, so ging es endlich wie damals, als nämlich die Einfachheit der Sitten nach und nach verloren ging, ja schon einiger Wohlstand und Luxus einriß, so fing Urban an, die unreinflüssigen Geschäfte immer zu verhandeln und beim Auskehren eine Schürze umzunehmen, ja später gar die Fenster zu verhängen, während Pfeiffer alles noch in der alten Einfalt und in der klassischen Naivität der Vorzeit verrichtete – ja endlich setzte es die Faktion Quirin und Urban durch, daß eine rüstige Hausmeisterin der Nachbarschaft gedungen wurde, den Staat zu reinigen, wie einst ein Pisistratos und Cäsar kam – und die schöne Zeit war dahin, selbst feines Tuch kam ins Haus, selbst Fracke – ja so weit kam es, daß selber Pfeiffer so tief sank und so schwach war, daß, als es immer mehr und mehr Sommer wurde und die Hitze zunahm und Sommermode erschien und einmal ein Freund auf Besuch kam, ihn derselbe dabei überraschte, wie er eben seinen guten, treuen, alten lodenen Rock abschor und abschnitt, wobei er ihn kläglich wie einen Pudel zerschund, und daß er, da er beim Abschneiden das Lineal zu Rate zog statt des Zirkels, das Elend erzielte, daß er vorne mit den Zipfeln trübselig herabhing, hinten aber mit einem Kreisausschnitt lächerlich emporgaffte. – Selbst Liebe grassierte endlich in dem zerrütteten – Gemeinwesen. –
Doch wohin gerate ich? Diese Zeiten liegen eigentlich ferne, während mir doch obliegt, den Beginn ihrer Wirtschaft und ihres Akademielebens zu schildern.
Also, da sie in dem alten Palast eingezogen waren und die weite Stube mit ihren Gerätschaften bevölkerten, aber freilich nicht ausfüllten, da bereits das Heimweh sich zu mildern begann, schlug endlich die Stunde des ersten Kollegiums. Man war förmlich und richtig eingeschrieben worden und begab sich nun zusammen auf die Universität – aber wie war das stille, ernste Gebäude, welches sie vor ein paar Wochen, als noch Ferien waren, mit beklemmenden Vorgefühlen betreten hatten – wie war es verwandelt! Einen wimmelnden Ameisenhaufen trafen sie heute an: Schon unter dem Schwibbogen, der von der Wollzeil auf den Universitätsplatz führt, standen Gruppen bärtiger und unbärtiger Leute, sämtlich als Musensöhne erkennbar, und lasen die ungeheuren angeklebten Zettel, auf denen Kost, Wohnung, Unterricht, Theater, Meerschaum, verlorne Gelder, Lehrbücher, verlaufene Hunde, Bälle und Konzerte angeschlagen waren; die nicht lasen, neckten sich oder rauchten gar Zigarren. Der Gang rechts an dem Schwibbogen wimmelte schwarz und grau von denen, die die Philosophie bezogen und sich eben Pfeifen und Röcke und die wichtige Miene angeschafft hatten – weiter hin auf dem Platze standen oder wandelten ganze Partien solcher, die in die höhern Fächer rückten, und da unsre Freunde die Hallen betraten, schlug erst das rechte Brausen über ihnen zusammen, als wären sie in den Bauch eines ungeheuren Resonanzkastens gekommen; dicht und schwarz drängte sich die Menge durcheinander, das Schallen von tausend Fußtritten, das Gewirre der Stimmen, das Klappern der Stöcke, das Rufen, das Lachen, alles wie ein Chaos, wälzte sich durch die Räume, die Saaltüren standen offen, es strömte aus ihnen aus und ein und trieb sich auf den Stiegen auf und nieder, der alte Studiosus bewegte sich leicht in seinem Elemente und ließ es dem Neuling fühlen, daß er hier zu Hause sei und poltern dürfe, während der andere verdutzt und schüchtern auftrat und glotzte; ein Professor schreitet hie und da durch die Menge, und die Hüte flogen von den Häuptern in der Gegend, wo er ging – die fröhlichen Gesichter, die zuversichtlichen Mienen, die leichte Haltung, die dem Großstädter eigen ist, die prächtigen Kleider, die grimmigen Barte – das alles imponierte unsern Freunden so sehr, daß selbst Pfeiffer kleinlaut zu werden anfing, und er wollte sich in der Tat recht dumm vorkommen unter all diesen, die da so rasch auftraten und gewiß das Glänzendste leisten werden. Nur durch den festen Vorsatz, ungeheuer studieren zu wollen, um nicht zurückzubleiben, konnte er seiner gedrückten Stimmung ein wenig aufhelfen – wie hätte es ihm auch ahnen können, daß er nach kaum anderthalb Jahren auch so dastehen werde, eine Zigarre im Munde und selber den ungeheuersten Bart, und daß er aus den Pandekten disputieren werde, ja daß er sogar keck aus dem Barte heraussagen werde, es sei gar nicht so außerordentlich viel mit Justinians Sachen und sie seien eitle Kasuistik – jetzt stand er einstweilen im grünen Flame da, wie ein Specht, und schaute verwundert unter der Stirne hervor. Endlich leerten sich gemach die Hallen, und die Säle füllten sich. Da gab es nun darinnen ein Rufen, ein Grüßen, ein Steigen über die Bänke, ein Zusammenschlagen der Stöcke, ein Suchen der Plätze, daß jeder den ihm tauglichsten erhalte, welcher freilich nicht immer der vorderste war – ja es gibt eine Art Weltbürger, die sich aus freier Wahl um die hintersten umtun, weil sie dort am besten ihren kosmopolitischen Ideen und Taten nachhängen können, als da sind: Tarock spielen, schlafen, Romane lesen, gar nicht da sein etc. Alle unsere drei Freunde gerieten unter diese kosmopolitischen Klubs, nicht aus Faktionsgeist, sondern aus purer Bescheidenheit – leider müssen wir aber berichten, daß sie sich nicht ganz rein von diesem Geiste erhalten konnten und sich nachgerade recht wohl auf jenen Grenzgebieten fühlten.
Endlich legte sich der Tumult nach und nach; ein bedeutend großer Saal saß voll Menschen, die Türflügel taten sich auf und – Stille überall – denn der Professor war hereingetreten. Da wir jedoch nicht des Professors Biographie, sondern die der Studenten schreiben, ein ruhiger, horchender Mensch aber ein schlechter Gegenstand für einen Schriftsteller ist, so werden wir nicht nur diese, sondern alle künftigen Vorlesungen unbeschrieben vorübergehen lassen, nur das erwähnen wir, daß unsre drei Freunde wacker aufhorchten und gewissenhaft nachschrieben.
Die erste Vorlesung war vorüber, Pfeiffer ging durch den großen Universitätssaal des ersten Stockes, dessen mächtig große Türflügel zur freien Passage geöffnet worden waren, um das allzugroße Gedränge auf den Treppen zu lichten, und nachdem er die Großartigkeit des Baues und die schwere altertümliche Malerei bewundert hatte, trat er die breite Mitteltreppe hinab, wieder in die untern Hallen und staunte, sie ebenso belebt zu finden wie zu Anfang der Vorlesungen, aber er wußte damals nicht, daß, da zu allen Stunden aus allen Fächern Vorlesungen sind, die Atria der Gelehrsamkeit stets von Kommenden und Gehenden bevölkert sind, derer gar nicht zu gedenken, die sich lieber in den Hallen herumtreiben, als dasitzen und horchen – ja, daß jenes Fluten von Menschen sich trotz der so großen Bevölkerung der Stadt sogar in die ferneren Umgebungen der Universität ergieße und dort merkbar werde. Aber wie beim ersten Anblick dieses Gewirre niederdrückend und melancholisch auf ihn gewirkt hatte, so fing es allgemach an, einen belebenden und erhebenden Eindruck auf ihn zu machen, namentlich, da es so kräftigend auf jedes Herz wirkt, lauter junge, frische, strebende und meistens schöne Männer zu sehen, lauter heitere Gesichter, glänzende Augen und all das lustige Funkeln und Flackern des eigentlich beginnenden Lebens, und das Ganze noch gehoben durch die Tatsache, daß, obwohl Wien ordentlich wimmelt von schönen Mädchen, es im Durchschnitte doch noch viel mehr schöne Männer als Damen gibt.
Mitten im Schwarme stand Quirin, und da ein sonniger, seltsam warmer Herbsttag war, so gingen sie miteinander zum ersten Male in den Prater.
Und immer mehr und immer mehr streifte die Stadt und die Akademie ihr anfangs befremdliches und imponierendes Wesen ab, und ehe noch der lustige weiße Winter über die Dächer wirbelte, war schon in Haus- und Akademiewesen unserer Freunde ein gut Teil jenes Studentenwitzes und Leichtsinnes eingekehrt, der dieses Leben so köstlich macht und so unvergeßlich. Der schnöde schmale Gesichtskreis ihres Landlebens erweiterte sich; ungekannte reizende Genüsse stellten sich ein – jenes bezaubernde grüne Tuch, dem kein Studentenherz widerstehen kann, das Billard – durch Kot und Sturm wurde in ein fernes Vorstadtkaffeehaus gewatet, weil sie dort die Honoratioren waren, was ihnen sonst nirgends gelang – das Anschaffen eines schönen Meerschaumkopfes – Besuchen und Erwerben von Freunden – und leider auch Unruhe und Lachen im Kollegio und die unwiderstehliche Sucht (eine Krankheit, die nie ausgerottet werden wird, solang es Professoren und Studenten gibt), die Sucht, diesem oder jenem ihrer Herren Professoren und oft dem geliebtesten und geehrtesten hier und dort eines anzuhängen, wodurch er lächerlich wird, der arme. Um von vielen nur eines anzuführen, so war es den ganzen Winter hindurch ein stehender Witz, daß ein der Türe zunächst Sitzender täglich den obern Riegel des einen, immer geschlossenen Türflügels lüftete, wodurch es geschah, daß, wenn der gute alte Herr herein ging und die Tür zumachte, dieselbe mit dem losen Flügel klapperte, worauf er ruhig und ernst den obern Riegel zuschob, aber regelmäßig den Mantel hierbei von der Schulter zu gleiten bekam, welchen dann der Spaßvogel ehrerbietig auffing, worauf ebenso regelmäßig von Seite des Professors ein tiefes, sonores: «Ich danke Ihnen, mein Freund», und von Seite des Auditoriums ein unterdrücktes Kichern erfolgte. Leider ist auch das menschliche Geschlecht so schwach und der Bosheit verfallen, daß es gerade da am liebsten und über Lappalien lacht, wo es am wenigsten lachen sollte, wegen Ernst und Heiligkeit des Ortes. Es gehe das geringste Komische, was im Wirtshause keinen Menschen affiziert, zum Beispiel in der Kirche vor, sogleich ringt die ganze Gemeinde mit dem Teufel der Lachlust, und so ist es gerade in den ernstesten Kollegien. Freilich geschah dem Pfeiffer etwas dieser Art, was ihm selbst ein schlechtes Zeugnis, jedenfalls aber eine große Fatalität zugezogen hat. Weiß Gott, welcher Dämon gerade den übermütigen Grafen Braun neben und den langen, dünnen, fadenscheinigen Studiosus Springer vor Pfeiffer zu sitzen gebracht hat, aber gewiß ist es, daß der Graf eines Tages im Kollegio Weichseln aß und daß er, während er durch eine Papierdüte die Kerne in Springers Rocktasche gleiten ließ, die Stengel künstlich und mühsam in die lange, lockere Rückennaht des Springerschen Rockes einsteckte, wodurch der Besitzer dann leider wie ein schmächtiger, herabgekommener Eber voransaß, mit der dünnen, palisadenartigen Reihe der Rückenborsten, die sich wie ein Fächer ernsthaft sträubten, sobald er sich niederbückte, um einen bedeutungsvollen Satz nachzuschreiben (denn er war ein sehr fleißiger Student), und die sich aber sogleich wieder ruhig neigten und waagrecht wegstanden, wenn er sich der Länge nach aufrichtete und horchte – da schoß nun jener Teufel in das Pfeifferische Nervensystem und zwang ihn, ungebändigt zu lachen – freilich knebelte er mit Riesenanstrengung seine Stimme im Schlunde, daß sie nicht losplatzte, aber in seinem Gesichte wurde desto mehr alles in tausend Lineamenten sichtbar und veranlasste den dozierenden Professor zur ruhigen Frage, was denn ihm, dem Fünften in der achten Bank, so lachenswert erscheine – aber Pfeiffer, weil er weder den Grafen Braun ins Unglück stürzen noch auch den redlichen Springer lächerlich machen wollte (welches ehrenwerte Gefühl alle Gentlemen der Umgebung teilten), schwieg hartnäckig, was die Drohung zur Folge hatte, daß, falls er sich wieder solche Lachkonvulsionen zuschulden kommen lasse, er sofort auswandern und entfernt dem menschlichen Verkehre sich in der letzten Bank niederlassen müsse. Ins Auge aber war er seit der Braun-Springerischen Frage schon einmal gefaßt und wurde alle Augenblicke um seine Ansicht gefragt und sonst angelassen, und bei der Semestralprüfung wäre er fast gehunzt worden, hätte er sich nicht durch die schönsten Antworten das glorreichste Lächeln und Wohlwollen des alten Herrn erworben, der die Hand schwenkte und ihn mit der Vorzugsklasse entließ.
Das häusliche Leben dehnte sich wie das öffentliche aus. Kaum waren die Erdäpfel zu Hause, die Quirin auf dem Schanzel entdeckt hatte, als er nach dem Koffer geforscht, und die er als sehr taugliches Winternahrungsmittel angeschlagen hatte, kaum war der alte Taubenschlag vom Boden herabtransportiert, um für den Winter das trefflichste Heizmittel abzugeben, und kaum hatten sie sich recht in ihrer Stube eingepuppt, um das zurückgezogenste Leben zu führen, so begannen sie auch schon, ein sehr nicht zurück gezogenes zu führen. Der zweite Stock ihres alten Palais nämlich verwandelte sich in einen Wespenstock von Studenten, die wie Adler von allen Weltgegenden herbeigeflogen kamen, um in der alten Burg zu horsten; in wenig Tagen entspann sich unwillkürlich ein Bekanntwerden, Gespräch und Umgang, und bald entdeckte es sich, daß die Stube unsrer Freunde die größte der alten Burg und mithin die tauglichste zu einem Versammlungssaale und Gesellschaftszimmer (Salon) sei, und obwohl jeden Abend mit einem hölzernen Kruge und einem Klöppel im Gange geläutet wurde, daß jeder sich rüsten könne, wer heute Lust und Neigung hätte, ins Brauhaus zum Neuling zu gehen, so geschah es doch öfters, daß man an regnerischen und sonstigen Tagen abends sich bei Pfeiffer versammelte, die schönsten Lieder heulte und von dem Gasthause gegenüber Bier kommen und auf den Tisch stellen ließ – ja, da sich die Zivilliste des Triumvirats bedeutend besserte, erfand man die niedlichsten Flaggen, die, zum Fenster hinausgehängt, vom Kellner gegenüber verstanden wurden, der dann das vertragsmäßige Bier, Würste und solche Utensilien brachte und dafür zu Anfang jeden Monats eine zu große Rechnung vorwies. Jeder trieb eine Kunst. Pfeiffer malte in Öl, aber man wußte nicht, zu welcher Race seine Menschenfiguren gehörten – Quirin raufte abends mit einem Bassettel oder schnob Flöte, und Urban war kunstreich in Pappe. Dazu wurden Knochen und Totenköpfe jeder Gattung ins Haus geschleppt, um daran zu studieren, und Pfeiffer bedeckte Kasten und Tisch mit Landkarten und statistischen Tabellen. Ein Pudel war im Stocke, aber man wußte endlich nicht mehr, wem er gehöre, weil er allen aufwartete und apportierte und wie ein mißtrauischer Tyrann jede Nacht in einem andern Zimmer schlief. Tarockkarten, Schachbrette wurden angeschafft, gegen Frühling auch von dem Stocke ein Piano in gemeinschaftliche Miete genommen und in den Salon gestellt. Ein schlanker Techniker sang Schubertsche Lieder, die eben damals herauskamen; ein Mediziner hieb die Begleitung, die andern trommelten auf Tisch und Kasten und streuten Tabakasche auf den Fußboden. Im Sommer wurde im Garten studiert, gebalgt, gefochten, gerungen, im Schatten geschlafen, geboxt – ja Pfeiffer und sein Zimmernachbar beschworen einmal im Übermute in dem verfallenden Tempel nachts den Teufel, aber er kam nicht. An allen Enden und Orten standen die Flegeljahre in Blüte – Glück und Freude keimten allerwärts, Enthusiasmus riß ein – ewige Freundschaften wurden geschlossen, ja Liebesahnung schaute bereits herein; denn man wußte eine Zeit, wo sich Quirin den unsichtbaren Bart immer wichste und wo Pfeiffer sich die Haare mit einer Papierschere brennen ließ; – man weiß gar nicht, wie weit sich noch alles gesteigert hätte, wenn nicht zwei Dinge gewesen wären, die dem Dithyrambus ein Ende gemacht haben. – Erstens wurde man leider von Tag zu Tag vernünftiger und kälter – Urban ließ sich zuerst einen sehr schönen blauen Frack machen und verbrannte drei Bände der herrlichsten Vaterlands- und Liebeslieder, die er in Geister- und Weihestunden verfertigt hatte – zweitens vergingen ja die Studentenjahre von selber, und man ward leider etwas im Reiche der Menschheit, aber schon früher hatte das Geschick den Bund getrennt. Es trat nämlich eines kalten Wintertages, da Pfeiffer im dritten Jahre war, ein reicher Graf mit seiner Gemahlin in den Salon, da Pfeiffer eben Knödel kochte, und trugen ihm die Erziehung ihres Söhnleins auf, weil er ihnen empfohlen worden sei – Pfeiffer stand hochrot in der Schürze vor ihnen und sagte stammelnd zu – und des dritten Tages war er schon auf seinem parkettierten Zimmer des gräflichen Hauses und gedachte schmerzlich des Salons der verwitterten Burg.
Aber auch die Zeit der andern ging endlich vorüber, und alles wurde zerstreut. Viele von ihnen haben jetzt Kinder und Kahlköpfe, einige Geld, einige keines, und Pfeiffer ist Verwalter auf einer großen Herrschaft seines Grafen und hat bereits fünf Buben, mit bester Aussicht auf deren noch einige – er korrespondiert mit Quirin, dem geehrten Arzte zu ***, und sie besuchen sich öfter und lieben sich noch immer. Ihre Frauen wurden Freundinnen und teilen sich Kochrezepte und Romane mit. Urban ist ein Stutzer geworden.
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2012
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