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In irgendeinem Unterhaltungsblatte lese ich folgende humoristische Grabschrift:


Es war ein Schneider
Leider!
Hat nie das Maß getroffen,
War oft bes—



Es soll natürlich lauten »besoffen«. Dem Generalmajor der Setzer hat es indessen nicht gefallen, daß seine schwarzen Lettern über diesem abscheulichen Worte erröten müßten, und er hat dafür einen schamhaften Gedankenstrich angebracht. Als ob das nun besser wäre! Als ob nicht der Reim mit Naturgewalt das Wort ergänzte! Und wenn man jetzt das Verschen vorliest, soll man dann aussprechen »bes« und das übrige dem Verständnisses Hörers überlassen?

Ich gehöre wahrlich nicht zu denjenigen, welche in der Derbheit und Unflätigkeit des Stils Kraft und Urwüchsigkeit oder gar Genialität erblicken; im Gegenteil, die Verfeinerung des Ausdrucks von seiten des Autors und der Gefühlszensur, von seiten der Genießenden gilt mir für einen unbedingten Gewinn. Allein hierbei unterscheide ich zwei Dinge. Der Schall unziemlicher oder grober Worte wirkt im höchsten Grade beleidigend, weil aufdringlich. Im Buch dagegen verhält es sich anders. Da steht es jedem frei, über Mißfälliges rasch wegzugleiten, ohne es nur ins Bewußtsein aufzunehmen. Man kann Zeilen und Seiten überschlagen und nötigenfalls das Buch wegwerfen. Der gedruckte Text zwingt sich eben nicht auf. Dazu kommt noch der überaus wichtige Umstand, daß wir beim Lesen keine Zeugen haben; mag es der Moralist tadeln, das bildet nun einmal einen gewaltigen Unterschied. Darum nimmt sich auch im Buch die ängstliche Scheu vor dem gesunden geraden Wort kleinlich aus und heißt Zimperlichkeit. Überträgt sich vollends diese Scheu auf ganz unverfängliche Ausdrücke, so wird die Zimperlichkeit zur Lächerlichkeit, welche Spott und Hohn verdient. Eine Lächerlichkeit nun nenne ich es, das Wort »besoffen« als unanständig aus dem Druck zu verbannen. Gewiß ist dasselbe nichts weniger als elegant, und »betrunken« dürfte denselben Dienst tun; allein zwischen einem ordinären und einem unflätigen Wort besteht denn doch eine gewaltige Kluft. Dieses muß unbedingt von jedem Gebildeten in Rede und Schrift gemieden werden, jenes ist Sache des Stils und sehr häufig sogar Sache des Wohnorts. In der Schweiz wird bekanntlich statt Mund »Maul« gesagt, was auch nicht elegant, aber darum doch nicht unflätig ist; mit demselben Recht nun, wie bes— statt »besoffen«, müßte der Setzer M— statt »Maul« drucken. Überdies ist das Wort »betrunken« in gewissen Gegenden des deutschen Sprachgebietes, z. B. in den Ostseeprovinzen, gerade so ungebräuchlich wie das Wort »Mund« in der Schweiz. Die vornehmste Dame in Reval oder Petersburg sagt: »unser Kutscher war besoffen.« Was aber eine gebildete Dame zu sagen wagt, darüber braucht ein Setzer nicht zu erröten.

Handelte es sich hierbei um eine vereinzelte Erscheinung, ich hielte es nicht der Mühe wert, davon zu sprechen. Allein die Gedankenstrichseuche wird nachgerade im deutschen Druck epidemisch. So wagt beinahe kein Redakteur mehr den Namen »Teufel« buchstäblich hinzustellen; wir lesen immer T—l. Auch das nenne ich lächerlich, und zwar über die Maßen lächerlich. Ja, wenn wir noch den hörner- und klauenfesten Glauben des Mittelalters besäßen, wo die Leute bei der bloßen Vorstellung des schwarzen Ungeheuers die Gänsehaut bekamen, da ließe sich diese Vorsichtsmaßregel rechtfertigen. Doch heute, da wir über die Juden spotten, welche den Namen Gottes nicht zu schreiben wagten, da ferner neun Zehntel der Menschheit nicht einmal mehr an die Existenz des T—ls glaubt, da endlich selbst das letzte Zehntel den T—l als das b—e Pr—p auffaßt, heute ist die metaphysische Scheu ganz einfach eine D—t. Und wie steht es dann mit den Zusammensetzungen? Wenn wir jenen entsetzlichen Namen, der kaum noch die Kinder schreckt, nicht mehr andere als T—l zu drucken wagen, so werden zahlreiche Familien- und Ortsbezeichnungen hemisonym; es gibt fortan keine Manteuffel, sondern Man—l, und niemand wird in Zukunft über die Teufelsbrücke, sondern über die T—lsbrücke fahren. Im Druck nimmt sich das sehr schön aus; aber wenn ich nun mündlich erzählen will, ich sei auf der T—lsbrücke gewesen, wie in aller Welt soll ich das aussprechen? Soll ich sagen: ich war auf der Z-brücke oder auf der Gottseibeiunsbrücke? Abergläubischer und kindischer konnten selbst die alten Römer nicht verfahren.

Weil dann ein Gesetz der menschlichen Entwickelung verlangt, daß eine D—t stets eine größere D—t hervorruft, sucht einer den andern an Skrupelhaftigkeit zu überbieten. So habe ich in einem berühmten Werk über Afrika gelesen, daß der Autor irgendwo Menschenfr—r antraf. Das fehlte eben noch. Gewiß ist es ja im höchsten Grade sträflich, Menschen zu fr—n, auch will ich zugeben, daß dieses Wortbild nicht eben eine liebliche Vorstellung erweckt. Allein wenn wir einmal anfangen wollten, neben sämtlichen unedeln oder metaphysisch unheimlichen Begriffen obendrein noch alle unangenehmen oder sträflichen Handlungen mit Gedankenstrichen auszudrücken, so würde ich vorschlagen, statt römischer oder gotischer Lettern lieber gleich das Telegraphenalphabet anzuwenden. Denn wenn ich Menschenfr—r schreibe, weil das Menschenfr—n etwas Absch—es ist, so muß ich auch M—r und R—r schreiben, weil ja das Morden und Rauben ebenfalls das Gewissen und die Vorstellung empört. Und wo soll das enden? Ein zartfühlender Schriftsteller wird uns mitteilen, daß man ihm einen Zahn ausgez—n oder die Uhr gest—n habe. Und die Zeitungen werden unter der Rubrik: »Verschiedenes« folgenderlei Nachrichten bringen:

Schw—nfurt den 10. F—r. Unsere sonst so friedliche Stadt ist durch ein ents—s Verbr—n in Aufr—g versetzt worden. In der Wirtschaft zum goldenen O—n gerieten einige betr—e Burschen in Str—t, der sich zuerst in Sch—pfwörtern äußerte, bald jedoch in eine bl—e Schl—ei ausartete. Leider wurden auch M—r gez—n; wobei mehrere Personen, zum Teil lebensgef—ch, verw—t wurden. Ein Tierarzt aus dem H—srück geb—g, Vater von drei unerzogenen Kindern, erhielt einen St—ch in den Sch—l, welcher die Pulsader durchsch—tt. Ein M—r aus der Umgegend er—tt einen St—ch in den U—b, so daß die E—e herausqu—n. Der Wirt, welcher Frieden stiften wollte, wurde von den r—n Gesellen so sch—ch m—t, daß er schr—d und bl—tüberstr—t zu Boden st—e; seine Frau, die sich in ges—n U—n befindet und bald ihre N—t erwartet, wurde von einem Bierkrug an die Br—st getr—n und f—l in O—t. Die T—r sind verhaftet; an dem Aufkommen der u—n O—r wird gezweifelt. Dem Tierarzt ist heute das B—n an der H—e abgen—n worden. Schl—r noch ist der Zustand des M—rs; das h—e F—r und die unertr—n Schm—n, welche von der Diagnose als Symptome einer sch—en P—s (Entz—g der B—e) aufgefaßt werden, lassen einen t—n Ausgang bef—n. Der Wirt dagegen wird mit dem bl—n Schr—n davonkommen: außer verschiedenen Q—n, Sch—n, E—n und leichtern W—n (darunter ein Armbr—ch), hat er nämlich keine Verl—n erl—n. Auch seine Frau wird vermutlich, wenn keine weiteren C—n eintreten, bald von ihrer Br—w—e hergestellt sein; doch muß sie das B—tt hüten. Es liegt im Interesse der öffentlichen Sicherheit, daß die E—n, welche schon wiederholt durch ähnliche R—en A—ß gegeben, vor dem Richter die st—e, wohlverdiente St—e tr—e, damit unsere friedliche Stadt endlich aufhöre, als Schauplatz für Ver—n, R—n, G—n und U—n jeder Art, und als Herberge für D—e, M—r, R—r, Br—r, L—r, D—n und allerlei Ge—l zu dienen.

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Tag der Veröffentlichung: 05.09.2012

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