Eine Nation sollte von Zeit zu Zeit hinter dem Gartenzaun nachschauen, ob es mit dem Ruhm, den sie als höchsten Preis ihren Auserlesenen zu spenden gedenkt, richtig steht. Denn so bequem wie man meint, geht es nicht, als ob der Ruhm ein natürliches, unzerstörbares Eigentum des Menschengeschlechtes wäre.
Im Gegenteil, es gehört sehr, sehr viel dazu, damit einer Nation der Ruhm gedeihe, und die mindeste schlechte Luft erstickt den Lorbeer. Barbarische, despotische, hyperloyale, militärische, scholastische Völker oder Zeitalter entbehren des Ruhmes, sie können ihre Helden bloß ehren, nicht rühmen. Ehre aber ist die feindliche Schwester oder, wenn man lieber will, die Schlingpflanze des Ruhmes. Ehe man sich's versieht, hat sie ihn verdrängt und erwürgt.
Zum Nachschauen aber dünkt mich gegenwärtig Anlaß vorhanden. Denn ich glaube zu bemerken, daß der deutsche literarische Ruhm der Gegenwart an häßlichen Übeln krankt.
Er ist zunächst treulos geworden, indem, wer vorgestern gerühmt wurde, heute in die Rumpelkammer geworfen wird. Sämtliche gepriesene Namen verbrauchen sich mit einer Schnelligkeit, als wäre die Unsterblichkeit ein Konsumartikel. Kaum in den Mund des Volkes genommen, schmilzt auch schon der Herr. Ja, es läßt sich geradezu logisch ausrechnen: Weil heute einer als Genie verkündet wird, wird er in zehn Jahren abgetan sein, mit verächtlichem Achselzucken. Wer ein feines Gehör hat, vermag sogar während des Jubels schon den Nebenton im Falsett zu vernehmen, der später die höhnische Dominante bilden wird.
Der Ruhm ist ferner frech geworden. Man flüstert einander nicht mehr ehrerbietig einen Namen zu, sondern man brüllt ihn den Leuten um die Ohren, den Hut auf dem Kopf, die Hände in den Hosen. Als handelte es sich um einen sozialdemokratischen Genossen. Ich kenne aber nichts Beleidigenderes als einen Ruhm ohne Ehrerbietung. Erst achtet einen Menschen, dann verbeugt euch, hierauf verbeugt euch noch einmal, hernach rühmt ihn.
Freilich, wenn man als Gründer auf Verabredung ergebene Leute gleich Interimsscheinen an den Börsen ausschreit, wenn man seinesgleichen auf sieben Schultern hebt, damit er groß aussehe, dann hält es allerdings schwer, Ehrerbietung für den allzu verwandten Klienten aufzubringen. Und siehe: Das Beispiel wirkt. Andere Gründer unternehmen andere Berühmtheiten. Dann entsteht unlauterer Wettbewerb. Es setzt Papst und Gegenpapst. Und keiner glaubt an seinen eigenen Papst, geschweige denn an den feindlichen.
Da gilt es nun beizeiten vorzubeugen. Sonst könnte es eines Tages widerfahren, daß der oder jener, dem man den Ruhm anbietet antworte: »Aber nicht wahr, ihr wascht ihn doch erst gründlich mit Karbolseife, ehe ich ihn in die Hand nehme, euren Ruhm?«
Tag der Veröffentlichung: 04.09.2012
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