Cover



Apokryphen nenne ich Dinge, aus denen man so eigentlich nicht recht weiß, was man zu machen hat. Es ist also alles in uns und um uns sehr apokryphisch, und man dürfte vielleicht sagen: die ganze Welt ist eine große Apokryphe. Mir ist es sehr lieb, wenn sie andern verständlicher ist als mir.



Historisch-Politisches



Die Vernunft ist immer republikanisch; aber die Menschen scheinen, wenn man die Synopse ihrer Geschichte nimmt, doch durchaus zum Despotismus geboren zu sein.

*

Solange man die Geduld zur ersten Tugend macht, werden wir nie viel tätige Tugend haben. An tätigen Tugenden scheint auch den Volksführern wenig zu liegen; sie brauchen nur leidende. Daher geht es denn, leider, kaum leidlich.

*

Gleichheit ist immer der Probestein der Gerechtigkeit, und beide machen das Wesen der Freiheit.

*

»Der neue Herkules stand am Scheidewege«, sagt ein neuer Prodikus; »da erschienen vor ihm zwei Gestalten, ihm zu Führerinnen: die Vernunft mit ihrem Gefolge, der Freiheit und Gerechtigkeit, der Freundlichkeit usw., und die Despotie mit ihrem Zug, der Unterdrückung, der Habsucht, der Furcht usw. Jede hielt ihre Rede aus der Seele der Sache, und der junge Heros war im voraus entschlossen, als kleinerer Mann das letzte zu wählen; die blinde Macht mit dem Ungrund, der Stahlherrschaft, dem Neffengeist, dem Todesschlafe der Liberalität.«

*

Die Geschichte scheint mir fast zu bürgen, daß die Menschen keine Vernunft haben.

*

Der Anfang der französischen Revolution rächte das Volk an der Regierung und das Ende die Regierung an dem Volke, und beide scheinen weder besser, noch klüger geworden zu sein. Der Ertrag ist wenig mehr als origineller Stoff zu dem großen zyklischen Gedicht unserer Geschichte.

*

Die ganze Synopse unserer Politik liegt in den zwei Versen von Bürger:

»Du hast uns lange genug geknufft;
Man wird dich wieder knuffen, Schuft.«

Weiter hat Vernunft und Gerechtigkeit nichts damit zu tun.

*

Die geheime Geschichte der sogenannten Großen ist leider meistens ein Gewebe von Niederträchtigkeiten und Schandtaten.

*

Warum ist Rousseaus Bürgervertrag so gut und seine politische Ökonomie so schlecht? Den ersten schrieb er, so gut er konnte; die zweite, so gut er durfte, und sehr gut darf man freilich selten öffentlich schreiben. Die letzte wurde zuerst in Paris gedruckt und wahrscheinlich für Frankreich geschrieben. Das erklärt schon alles.

*

So verstümmelt ist oft die menschliche Natur, daß Tyrannen ihre Wohltäter werden müssen.

*

Faulheit und Dummheit und die aus beiden gemischte Furcht sind die Quellen des meisten Unfugs, den Bosheit und Übermut anrichtet. Wo keine Sklaven sind, kann kein Tyrann entstehen.

*

Man glaube ja nicht, daß es je einer Regierung eingefallen ist, der Menschenvernunft vernünftig nachzuhelfen; das ist gar nicht ihre Sache. Was wir noch davon sehen, ist durch die Umstände emporgegoren und man tut alles Mögliche, neue Hefen hineinzubringen, damit sich ja nichts abläutere. Wenn wir nicht wieder einige Zeit in der Barbarei schlafen, wird das Ganze bald eine kecke, geckenhafte, despotische Unvernunft werden.

*

Wer jetzt Politik des Tages schreiben wollte, müßte Fausts Mantel zur Verbreitung haben: denn was heute neu ist, ist übermorgen schon sehr alt, und eine Katastrophe jagt die andere. Es wird mich gar nicht wundern, wenn ich heute höre, die Franzosen sind in Berlin, und übermorgen die Russen und die Schweden. Preußen und Brandenburger scheinen seit geraumer Zeit nicht mehr dort zu sein.

*

Der vernünftige Bürger muß sich erst als reinen Menschen denken. Es ist das Kriterion der Vollendung des Staats, daß der Civism durchaus kein Recht der Humanität beleidige.

*

Das Wort Faustrecht kommt mir vor, als ob man sagte: ein rundes Quadrat, oder ein viereckiger Zirkel. Das ist leider auch ein deutscher Unsinn, wie das Lehnrecht mit seinen Auswüchsen: dafür leidet denn unsere Nation jetzt eine blutige, fast letale Talio. Wenn im Großen das Faustrecht, das heißt der Unsinn, zu sehr herrscht, dann kommt er auch ins Kleine, und dann ist der jüngste Tag der Staaten nahe. Es scheint aber wohltätig in der Natur der Sache zu liegen, daß im Kleinen nie ganz so viel Unsinn herrschen kann als im Großen.

*

Wo das Volk keine Stimme hat, steht's auch um die Könige schlecht, und wo die Könige kein Ansehen haben, steht's schlecht um das Volk.

*

Es ist oft ein Glück für die Menschheit, daß die größern Verbrecher die kleineren in Furcht halten. Wie dabei Vernunft und moralische Weltregierung bestehen, weiß ich freilich nicht recht zu entziffern.

*

Hobbes sagt: »Das Volk hört auf Volk zu sein mit der Unterwerfungsakte.« Wäre dieses wahr, so wäre, eben dadurch die Akte null. Es bliebe bloß der Fürst, der dann nichts wäre als ein einzelner, gegen den sodann jeder einzelne wieder das Recht der Gleichheit hätte: der außergesetzliche Zustand träte wieder ein, wenn wir nicht sagen wollen, der Naturzustand. Das Urpaktum muß durchaus aus dem Zwecke der Gesellschaft und der menschlichen Natur genommen werden; auch da, wo es nicht ausgedrückt ist, und vorzüglich da. Denn wo die Freiheit etwas bestimmte, hat sie das Recht, minder weise zu sein. Aber wo nichts bestimmt ist, wird billig das Höchste angenommen. Wo nichts bestimmt ist, darf der Mensch mit seinen Forderungen in der ganzen Würde seines Wesens hin treten. Das Nämliche gilt in großen Kollisionen, wo das Schlechtgesetzte vernichtet ist.

*

Stolz ist das Gefühl seines bestimmten Werts und durchaus lobenswürdig. Wo man ihn tadelt, liegt der Fehler in dem Irrtum des Gefühls. Wenn alle nur vernünftig stolz wären, es würde in der Welt nicht so niederträchtig hergehen. Der Stolz eines Fürsten ist seine Gerechtigkeit und seine Humanität; leider sind also die wenigsten Fürsten stolz. Stolz mit der strengen Moral kann an Härte grenzen: nur Weggeworfene und Niederträchtige können sich über den Stolz anderer beschweren. Er wird nur zu oft und zu sehr mit ähnlich scheinenden Fehlern, Eitelkeit und Ehrgeiz, verwechselt.

*

Pompejus war eitel, Cäsar war ehrgeizig, und Cato war stolz. Wer wird diese drei Charaktere vermengen? ... ist Pompejus und Cäsar vereint; vom Cato hat er – wohl sehr wenig.

*

Man gibt in unsern Staaten meistens der Gerechtigkeit eine Form, die schrecklicher ist als die Ungerechtigkeit selbst.

*

Das bißchen Gerechtigkeit in unsern Staaten wird so entsetzlich teuer gekauft, daß wir uns oft weit besser aller ursprünglichen Ungerechtigkeit aussetzen würden.

*

Die Geschichte ist meistens die Schande des Menschengeschlechts.

*

Die Arbeit der philosophischen, theologischen, politisch-pathologischen Volksführer ist fast durchaus, Rauch zu machen und darin Gespenster und Schreckgestalten zu zeigen, damit man sich an ihre Heilande halten soll, von denen immer einer schlechter ist als der andere.

*

Man verkauft uns meistens Gesetze für Gerechtigkeit, und oft sind sie gerade das Gegenteil.

*

Wodurch die größte Nationalkraft zu dem wohltätigsten Nationalzweck gewonnen wird, das ist die einzig gute Konstitution. Dieses ist nur möglich durch Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit, diese drei sind eins.

*

Die ewige Grundlage alles Rechts ist die Gleichheit; sobald sie verletzt wird, entsteht Verwirrung, das Ende ist sinnlose Sklaverei. Isegorie und Isonomie sind das Palladium der Freiheit: Die Griechen waren auf einem schönen Wege; aber Pleonexie war ihnen, was bei uns die Privilegien sind. Verba mutantur, res manet. Die Ehrenlegion wird schon wieder die Reichsritterschaft werden.

*

Und wenn Freiheit und Gerechtigkeit in Ewigkeit nichts als eine schöne Morgenröte wäre, so will ich lieber mit der Morgenröte sterben, als den glühenden, ehernen Himmel der blinden Despotie über meinem Schädel brennen lassen.

*

Ein Volk, das zu Hause keine Ungerechtigkeiten duldet, wird keine öffentlichen begehen. Es ist immer ein Beweis schon vorhandener oder einbrechender Sklaverei, wo Völkerpleonexie der Beweggrund öffentlicher Verhandlungen wird. Durch Tötung der Privilegien würde ein vernünftiges, bürgerliches Recht entstehen, und dieses würde die beste Grundlage zu einem bessern allgemeinen Staatsrechte werden.

*

Nach der Vernunft gehören die Fürsten den Ländern; nach der Unvernunft gehören die Länder den Fürsten.

*

Glaubst du denn, die Fürsten werden je die besten Mittel einschlagen, die Völker vernünftig aufzuklären? Dazu sind sie selbst zu klug oder zu wenig weise.

*

Gleichheit und Gerechtigkeit ist eins; das zeigt das Nachdenken und der Gebrauch aller Sprachen. Die sukzessive Entfernung von der Urgleichheit bringt die Mißgeburt unserer Gerechtigkeiten hervor.

*

Wo man von Gerechtigkeiten und Freiheiten redet, soll man durchaus nicht von Gerechtigkeit und Freiheit sprechen.

*

Wo der Staat nicht Vorkehrung gegen Einführung von Intermediärlasten getroffen hat, ist der Sklaverei schon wieder das Tor geöffnet.

*

Daß die Menschen von Natur gleich sind, kann so deutlich erwiesen werden als nur irgend etwas: und wenn es nicht wäre, so. müssen sie zur endlichen Schlichtung ihrer Händel und Ansprüche als gleich angenommen werden. Selbst die Satelliten der Despotie mit der Feder (denn die mit der Spitze denken nicht, oder hüten sich wohl, das Gedachte auszusprechen) nehmen die ursprünglich natürliche Gleichheit. Der Beweis der Gleichheit kann am besten negativ geführt werden, so, daß selbst der eisernste Despot sich davon überzeugen wird. Es kann nämlich kein Mensch den andern unbedingt willkürlich zwingen, ihm zu gehorchen, sein Knecht zu werden. Sobald man mir die sichere, unfehlbare Möglichkeit des Despotenzwangs erwiesen hätte, wollte ich sogar das Recht einräumen, obgleich nicht mit Recht, sondern aus Notwendigkeit des unvernünftigen Schicksals.

Aber wie will sich ein Mensch unbedingt gegen den andern sicherstellen in seiner Willkür? Gegen physische Stärke braucht der Feind List mit Recht. Alles ist erlaubt, den unbefugten Beeinträchtiger zu zerstören. Ein Knüttel, ein Stein, ein Gifthauch kann den Anmaßer in einem Augenblick töten. Wer sich nun dem andern nicht rein unbedingt auf immer unterwerfen kann, ist mit von einerlei, von gleicher, wenigstens nicht von größerer Natur. Selbst die Mittel der Despoten gestehen diese Gleichheit ein. Sie mieten Trabanten; aber dieses Mieten zeigt die Gleichheit mit diesen Trabanten, von denen sie sich oft abhängig genug machen müssen. Ein Despot scheint an dem Experiment zu arbeiten, wieviel die Menschen in ihrer Wegwerfung Narrheit und Unsinn vertragen können, wodurch er freilich nicht seine Weisheit zeigt.

*

Der Unsinn hat die natürliche Gleichheit nie so ganz verbannen können, daß sie nicht überall hervorleuchten sollte. Jeder Rechtsgang beruht darauf; jeder Vertrag hat sie zum Grunde. Mit einem Wesen, das nicht mit mir durchaus gleicher Natur ist, findet kein Vertrag statt. Auch die Mystiker haben die Gleichheit in ihrem heiligen Dunkel. »In seinem ganzen Königreich ist alles recht und alles gleich« ist vielleicht einer der göttlichsten Sprüche der Begeisterten.

*

Wenn man nur erst die Gnade vertilgt hat, wird schon die Gerechtigkeit kommen, und mit der Gerechtigkeit haben wir alles. Der Zweck der Staaten sollte sein: Steuerung der Pleonexie, und faktisch ist er ihre Beförderung.

*

Tragt Mathematik ins Staatsrecht, und alle Schäden werden geheilt.

*

Die Gerechtigkeit bringt reine Ordnung; aber man möchte uns gar zu gern jede dumme Ordnung für Gerechtigkeit verkaufen.

*

Reiner Verkauf und reiner Besitz im Staate ist das ganze Geheimnis der besten Konstitution. Gleiche Besteuerung ist die Folge. Sobald man sich eine Linie davon entfernt, schließt man der politischen Gaunerei die Tore auf.

*

Philosophisch bringt man die Menschen in die erbärmlichste Mystik und politisch in eiserne Despotie oder anarchischen Fanatism, wenn man sich über den gesunden Menschenverstand hinauswagt.

*

Man lärmt so viel über die französische Revolution und ihre Greuel. Sulla hat bei seinem Einzuge in Rom in einem Tage mehr gewütet, als in der ganzen Revolution geschehen ist.

*

Von allen, die in der französischen Revolution umgekommen sind, zähle ich achtzig Teile Narren, neunzehn Teile Schurken und ungefähr den hundertsten Teil ehrliche verständige Leute. Die Proportion ist sehr liberal. Die Narren haben oft ein sehr heroisches und weises Ansehen.

*

Die französische Revolution wird in der Weltgeschichte das Verdienst haben, zuerst Grundsätze der Vernunft in das öffentliche Staatsrecht getragen zu haben.

*

So wie alle unsere Gesetze sehr kränklicher Vernunft sind, sind es vorzüglich die Strafgesetze. Die Strafe soll psychologisch zur Besserung berechnet sein und den Beleidiger am empfindlichsten Teile treffen. Aber hier sind, die Gesetze fast überall und durchaus zum Vorteil der schlechten Reichen. Eine tätliche Beleidigung kostet zum Beispiel 5 Taler für jedermann. Darin liegt aber die ungerechteste Ungleichheit in dem Anschein der Gleichheit. Warum soll sie nicht einen bestimmten Teil, z.B. den 50. Teil des Vermögens kosten? Der geringste Beleidiger könnte dann nach einer niedrigsten Norm taxiert werden. Ein Millionär zahlt für eine Ohrfeige 5 Taler und ein Handwerksbursche 5 Taler. Da hat denn gleich das Gesetz dem Geringsten eine Ohrfeige gegeben. Der Reiche hat dadurch in eben dem Maße die Freiheit, Ohrfeigen zu geben, als er steuerfrei ist. Quae qualis quanta – insania! Die anscheinende Gleichheit ist hier die drückendste Iniquität. Ich habe 200 000 Taler: mich muß also nach der Kriminalrechnung eine Beleidigung 50 000 Taler kosten, die einen armen Handwerker von 400 Talern 100 Taler kostet. Das wäre Gerechtigkeit; das andere ist Malversation. Der Arme leidet seine Strafe am Körper, der Reiche bezahlt sie: eine Inkonsequenz, die an Dummheit grenzt, als ob man die Verbrechen absichtlich vermehren wollte! Den Armen lasse man bezahlen, wenn er kann und will; den Reichen und Vornehmen strafe man am Körper! das ist psychologisch und gut und gerecht. »Qui non habet in aere, luat in copore«, schnarren die Kriminalisten in einer Stunde fünfzigmal unsinnig vom Katheder. »Qui habet in aere, luat in corpore«, sollte es vernünftigerweise heißen. Und alle Geldstrafen sollten nach den Vermögensumständen der Beleidiger eingerichtet werden. Keine bestimmte Summe, sondern eine bestimmte Proportion; für die capite censos könnte ein Minimum gesetzt werden. Eine anscheinend gleiche Strafe für alle ist eine solche Ungleichheit, daß die Gesetze nur in praevaricationem et contumeliam justitiae et sanae rationis gemacht zu sein scheinen. In diesem Artikel ist auch Grotius konsequent und gesteht die Prosopolepsie der römischen und unserer Gesetze.

*

Wenn ich die Menschen betrachte, möchte ich der Despotie verzeihen, und wenn ich die Despotie sehe, muß ich die Menschen beklagen. Es wäre eine schwere Frage, ob die Schlechtheit der Menschheit die Despotie notwendig oder die Despotie die Menschen so schlecht macht.

*

Gewisse Despoten nennen strengere rechtliche, moralische Leute nur spöttisch Philanthropen. Die Bezeichnung ist für beide sehr passend.

*

Gelegenheit machen und sie benützen, mit Rodomontade von Rechtlichkeit, das führt zur Römerei, wenn man Arme zu Bajonetten hat. Die meisten Politiker sind also Kuppler des Völkerrechts, Hurenwirte, die unbefangene Unschuld in die Arme der Machthaber liefern. Die Belege kann ein Blinder auf zehn Schritte sehen, wenn man ihm die Geschichte vorhält.

*

Wer aus der Geschichte Völkerrecht und Staatsrecht studieren will, wird allerdings wohl ein guter Minister werden können; aber mit der Vernunft wird er wohl nicht beträchtlich weiterkommen.

*

Wenn Grotius etwas beweisen will, bringt er gewöhnlich sogleich einige Beispiele aus der Geschichte, die für ihn sprechen. Das sind oft seine einzigen Gründe. Die Geschichte kann nichts geben als die Tatsache, nicht einmal die Präsumtion der Gerechtigkeit: denn sie liefert ebensoviel Schurkereien als lobenswürdige Dinge. Im Recht müssen wir ganz von vorn anfangen und aus uns herausgehen; denn darin ist die Geschichte eine traurige Lehrerin; zumal wenn man die Gesetzbücher selbst nimmt. Daß der Überwundene Sklave werde, geht durchaus aus keinem Rechtsbegriffe hervor. Er kann getötet werden, aber er wird kein Sklave. Der Völkergebrauch ist kein Völkerrecht. Das scheint man auch nach und nach wenigstens zu fühlen. Wer ein Schurke sein will, hat hundert Autoritäten, die alle unter die glänzenden in der Geschichte gehören.

*

Wenn etwas hart bestraft wird, so beweist das gar nicht, daß es unrecht ist; es beweist bloß, daß es dem Vorteil der Machthaber nachteilig ist. Oft ist gerade die Strafe der Stempel der schönen Tat.

*

Predigt nur immer brav Geduld, so ist die Sklaverei fertig. Denn von der Geduld zum Beweise, daß ihr alles dulden müßt, hat die Gaunerei einen leichten Übergang.

*

Wenn ich die Welt ansehe, freue ich mich, daß ich keine Kinder habe. Denn was würden sie anders werden als Sklaven und Handlanger der Despoten? Freiheit und Vernunft gehören noch nicht in unsere Zeit.

*

Wer das Wort Gnade zuerst gesprochen hat, hat gewiß die Verdammnis im Herzen gefühlt. Solange dieser Begriff im öffentlichen Recht waltet, ist weder an Vernunft, noch Freiheit, noch Gerechtigkeit zu denken.

*

Ich habe mich oft angestrengt, den Gedanken der Knechtschaft zu begreifen; bis jetzt ist es mir, Gott sei Dank, nicht gelungen. Ohne Vertrag ist nichts; und ein Vertrag, der die Personalität und die ganze bessere Menschennatur zerstört, ist aus vielen Rechtsgründen ewig null. Es ist also ein heiliger Beschluß der ehemaligen französischen Nation: »Die Rechte des Menschen sind unveräußerlich und unverjährbar.«

*

Wenn die Fürsten nur keine Edelleute wären, so möchten sie der Vernunft wegen immer Fürsten sein.

*

Was ist bei uns Gerechtigkeit? Antwort: Daß der Bauer alle Steuern bezahle, alle Fuhren tue, alle Einquartierung habe, alle Fröne verrichte, allen Zwangdienst leiste, mitunter Garn spinne und Boten laufe. – Und weiter? Antwort: Ist das nicht genug? Mitunter bekommt er Prügel, und das jus primae noctis soll wieder eingeführt werden, wie ich höre.

*

Die Dankbarkeit hat viele Staaten zugrunde gerichtet. Der erste Enthusiasmus ging bis zur Unbesonnenheit, und als man sich besann, war die Freiheit schon der Pleonexie verkauft.

*

Die gefährlichsten Feinde des Staats sind fast immer im Staate selbst: die Pleonexie der einzelnen und der Kasten.

*

Wenn man sagt, eine Nation kann die Freiheit nicht vertragen, so heißt das: der weit größere Teil derselben besteht aus Schurken, Narren und Dummköpfen; oder ein einziger versteht es, sie dazu zu machen.

*

Wer in sich nicht Licht und Kraft genug hat, kommt bei dem Studium der Geschichte in Gefahr, sich unbedingt dem Unsinn zu ergeben.

*

Das erste Requisit des Lebens ist Gleichgültigkeit gegen Lob und Tadel von Heiligen und Profanen und kaltblütige Bekanntschaft mit dem Tode.

*

In jedem guten Staate muß jeder die Freiheit haben, ein Narr zu sein; nur darf der Narr mit seiner Narrheit niemand auf den Fuß treten, weil das zu viele Störungen und Zänkereien geben würde. Wo die Narrheit an Schurkerei und Ausdruck von Malevolenz grenzt, hat der Staat das Recht, ihr Grenzen zu setzen, und eher nicht: nicht weil es Narrheit ist, sondern weil es allgemein schädlich ist.

*

Aus der freien Narrheit der Individuen kann für den Staat große Weisheit gedeihen.

*

Man irrt sich oft jämmerlich, wenn man den Ministern in ihren öffentlichen Verhandlungen vernünftige Konsequenz unterlegt. Die Folge zeigt bald, daß es Schwachheit war, was wir für ordentlichen Plan zu halten geneigt waren. Die Schwachheit wird dann Feigheit, die Feigheit Schurkerei, die Schurkerei Elend, das Elend Verderben. Mit der Furcht fängt die Sklaverei an; aber auch mit Zutrauen und Sorglosigkeit.

*

Ein Braver heißt bei den Italienern ein Räuber; ein herrlicher Zug zu der Geschichte der Entstehung der Staaten!

*

Über einen Regenten muß man kein Urteil haben, als bis er zwanzig Jahre regiert hat.

*

Bürgerlich, war in der griechischen Natur etwas Göttliches; auch die Römer hatten viel davon, und hier und da noch eine Nation. Bei uns ist es fast ganz ausgerottet, und man fürchtet sich schon vor dem Wort.

*

Unsere Religion tut auf Vernunft Verzicht, unsere Rechtslehre, unsere Politik; bald wird es auch unsere Philosophie. Alles beruht auf blindem Glauben und despotischer Willkür.

*

Die Nation, welche nur durch einen einzigen Mann gerettet werden kann und soll, verdient Peitschenschläge.

*

Wo von innen Sklaverei ist, wird sie von außen bald kommen.

*

Wer den ersten Sklaven machte, war der erste Hochverräter an der Menschheit. Die Griechen und Römer brauchten für den Unsinn doch freundliche, schmeichelnde Namen; aber wir haben die Tollheit gehabt, das Ungeheuer recht grell als einen Begriff in das öffentliche Recht zu flechten.

*

Wer Gerechtigkeit, Liberalität und Geschichte sehen will, darf nur die Zeitungen und Verordnungen der Fürsten nehmen; da findet er von allen das Gegenteil.

*

Ich bin fest überzeugt, wo zehntausend rein aufgeklärte, fest ehrliche, nichts fürchtende, entschlossene Männer wären, würde die Wiege des Universalreichs der Vernunft sein. Aber wo sind zehn? Und welche Stufe zu zehntausend?

*

Wenn wir in unsern öffentlichen Verhältnissen sagen, man müsse das Beste wählen, so heißt das bloß: man muß tun, was weniger schlecht ist; denn das Gute wird man uns schon zu verwehren wissen.

*

Wenn die Staaten ursprünglich mit mehr Vernunft und Gerechtigkeit eingerichtet würden, würden wenig gewaltsame Empörungen zu fürchten sein.

*

Die ganze griechische Geschichte hat wenig Republikaner, die römische keinen einzigen: es müßten denn die Gracchen sein. Die französische Revolution hat den Vorteil, die ersten Republikaner gestellt zu haben. Ihre Pflanzung wird wachsen, wenn sie auch jetzt vom Unkraut erstickt wird.

*

Wenn man sich über die schurkische Narrheit oder die närrische Schurkerei der Zeitgenossen ärgert, darf man nur in die Geschichte blicken, um sich zu beruhigen und leidlich zu trösten.

*

Wenn unser Adel nur seine Steuerfreiheit, seine Frone und seinen Dienstzwang rettet, ist er jedermanns Sklave, der ihm seinen Unsinn behaupten hilft.

*

Die Wörter Herr und herrschen geben keinen vernünftigen Begriff unter vernünftigen Wesen. Man ist nur Herr und herrscht über Sachen und nie über Personen. Nur wer nicht gesetzlich gerecht regieren kann, maßt sich der Herrschaft an und begeht den Hochverrat an der Vernunft.

*

Iß deinen Pudding, Sklav, und halt das Maul! war die Ordonnanz der alten Tyrannei. Die neue rückt etwas weiter und sagt: Gib deinen Pudding, Sklav, und halt – – –

*

Solon hatte bekanntlich seinen Atheniensern ein Gesetz gegeben, daß bei Bürgerzwisten jeder Bürger eine Partei ergreifen mußte: das liegt in der Menschennatur, und dadurch wird Vernunft und Freiheitssinn lebendig erhalten. Bei uns ist überall das Gegenteil verordnet und dadurch wird Indolenz und sklavische Verdumpfung geschaffen. Sehr klug; fast hätte ich gesagt sehr weise!

*

Man muß immer annehmen: was ein Mann in öffentlichen Verhältnissen Böses tun kann, das wird er tun, und die Geschichte hat immer zehn Beispiele gegen eins, daß er es tut. Eine Staatsverfassung, die dieser Furcht nicht abhilft, ist also schlecht. Ehe wir Bürger sind, müssen wir die Menschen als schlimm annehmen; denn eben deswegen werden wir Bürger, um uns gegen fremde Bosheit zu sichern. Die Erfahrung zeigt oft nur zu deutlich, daß der Gewinn das Opfer nicht wert ist. Denn wo die Ungerechtigkeit aufhören sollte, fängt sie durch Pleonexie und Privilegien und Bedrückung aller Art erst recht an. Man schlägt die Menschen nicht tot, um sie gesetzlich, fast hätte ich gesagt rechtlich, zu peinigen. Zuweilen peinigt man sie erst und schlägt sie dann tot.

*

In Frankreich sind durch die Revolution die Hefen der Nation abgegoren, und es ist durch die Rührung wenigstens viel Totes und Faules fortgeschafft worden. Der Himmel behüte uns vor solchen Experimenten! Wir würden, fürchte ich, noch kaum zu solchen leidlichen Resultaten kommen.

*

Sobald ich von Frone und Dienstzwang, Immunitäten und Freiheiten, Gerechtigkeiten und Intermediärlasten, überhaupt von Privilegien höre, mag ich mich weiter nicht um das Staatsrecht eines solchen Staates bekümmern. Der Wurm sitzt im Marke.

*

Es ist nur ein Despotismus erträglich: der Despotismus der Vernunft – wenn wir nur erst über die Vernunft einig wären.

*

Rebellion heißt Widerstand, und Empörung heißt Kraft und Mut, gerade zu gehen; beides können also schöne, männliche Tugenden sein. Nur die Umstände stempeln sie mit Schande.

*

Es ist nur noch ein Ungeheuer, welches gräßlicher ist als Tyrannenunvernunft: die Volkswut; und nur die Furcht vor der letzten macht die erste erträglich: auch weiß die erste sehr künstlich mit der letzten zu schrecken und in Schranken zu halten.

*

Es ist kein besseres Kunstkniffchen der Despotie als die Sprachverwirrung und die Halbbegriffe. Ich halte also den Turmbau zu Babel für ein Gaunerstückchen irgend eines Nimrod oder Samuel.

*

Je mehr die Menschen, in Staaten von ihrer ursprünglichen Gleichheit behalten, desto mehr behalten sie von ihrer eigentümlichen Kraft für den Staat selbst, desto größer ist die Summe des Ganzen für das Gemeine. Jeder Eingriff in die Gerechtigkeit ist eine Schwächung der Nationalkraft. Das Eigentum im Staate ist immer durch den Staat bedingt, und es gilt kein Besitz, durch den nicht für den Staat, ohne Beeinträchtigung einzelner, der größte Vorteil entstände; also gilt endlich nur reiner und gleichbedingter Besitz für alle, Also ist jede Realimmunität eine Torheit und nur insofern rechtlich, als man den Staatsverwesern das Recht zugestehen will, töricht zu handeln. Man macht es aber kürzer, indem man jede quaestio juris mit einer res facti entscheidet und das Bajonett zu Hilfe nimmt.

*

Wo ich in einem Staate gesetzlich von Einem Sklaven höre, nehme ich sogleich die Möglichkeit von zehn Millionen an; der Keim dazu ist gelegt. Und wo sich einer vor dem andern mit Freiheiten und Rechtsvorzügen brüsten kann, wird Freiheit und Gerechtigkeit noch lange nicht wohnen.

*

Wer von Freiheit und Gerechtigkeit kein besseres Ideal kennt, als ihm die Geschichte zeigt, ist sehr arm an Trost für die Menschheit.

*

Die meisten Regenten fürchten sich mehr vor den Bürgern als vor den äußern Feinden: ein Beweis, daß die meisten Staaten schlecht eingerichtet sind!

*

Der Krieg ist furchtbar und gräßlich; aber noch gräßlicher ist oft, was man Friede nennt, wo Pleonexie und Kastenwesen das Volk in Sklaverei und zur gänzlichen Verdumpfung und Entäußerung alles Menschenwertes herabstößt. Und es wäre schwer zu bestimmen, ob der Krieg oder dieser Friede mehr Greuel habe.

*

Es ist sehr gut, daß die Regierungen Rebellion und Empörung zu Verbrechen machen: aber es ist sehr schlecht, daß ihre meisten Maßregeln geeignet sind, diese Verbrechen zu Tugenden zu stempeln.

*

Dem gewöhnlichen Menschen ist das «Vaterland, wo ihn sein Vater gezeugt, seine Mutter gesäugt und sein Pastor gefirmelt hat; dem Kaufmann, wo er die höchsten Prozente ergaunern kann, ohne von dem Staat gepflückt zu werden; dem Soldaten, wo der Imperator den besten Sold zahlt und die größte Insolenz erlaubt; dem Gelehrten, wo er für seine Schmeicheleien am meisten Weihrauch oder Gold erntet; dem ehrlichen, vernünftigen Manne, wo am meisten Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität ist. Also findet der letzte nur selten sein Vaterland.

*

Ein Glück für die Despoten, daß die eine Hälfte der Menschen nicht denkt und die andere nicht fühlt!

*

Eine Nation, die nicht mehr den Mut und die Kraft hat, sich zur allgemeinen Gerechtigkeit und Freiheit zu erheben, ist der Raub der Nachbarn, die das, wenngleich nicht ursprünglich rein, doch in einem höhern Grade vermögen.

*

Herrschen ist Unsinn, aber Regieren ist Weisheit. Man herrscht also, weil man nicht regieren kann.

*

Nicht wo Einer regiert, ist Despotie, sondern wo Einer herrscht, das heißt, nach eigener Willkür schaltet und die Übrigen unbedingt als Instrument zu seinem Zwecke braucht.

*

Dem Eroberer sind die Menschen Schachfiguren und eine verwüstete Provinz ein Kohlenmeiler. Mit wenig Ausnahmen sind die großen Helden die großen Schandflecken des Menschengeschlechts. Selbst Miltiades hat seinen Charakter problematisch gelassen.

*

Vernünftigerweise sollten alle Staatsbeförderungen von unten aufgehen, das heißt, die Bürger sollten die Magistraturen und die Krieger die Befehlshaber gesetzlich ernennen. Das wäre rechtlich und psychologisch gut. Wo es umgekehrt ist, muß man von Freiheit nicht sprechen. Von oben herab ist man, nach gewöhnlicher Menschlichkeit, nie weise genug, den Vorteil des ganzen ohne Pleonexie zu wollen. Von oben herab kommen alle guten Gaben: christlich-moralisch, von oben herab kommen alle schlechten Verordnungen: pfäffisch-despotisch.

*

Die Kriege sind meistens Völkerinfamien, die erst durch die Friedensschlüsse recht liquid werden: oft auf einer Seite, oft auch auf beiden.

*

Der ganze Unterschied zwischen einem reinen Republikaner und einem reinen Despoten ist, daß der erste die Menschen als weise und gut, der andere aber sie als schlecht und dumm annimmt. Die Erfahrung gibt dem letzten öfter recht als dem ersten. Was nicht ist, sucht jeder in seinem Sinne zu machen, und es glückt wieder dem letzten besser.

*

Die meisten Leidenschaften scheuen den Tag und sind schon gefährlich genug: aber furchtbar verheerend sind die, die in der Finsternis geboren werden und sich vom Sonnenlicht nähren: Ruhmsucht und Herrschsucht.

*

Es ist eine gewöhnliche Narrheit der sogenannten bessern Gesellschaft, das Gemeine für schlecht zu halten. Wo das Gemeine verachtet wird, wird das Gute nie gemein werden, welches doch der Endzweck jeder bessern Kultur ist. Bei dieser Gesinnung findet kein Gemeingut statt; die Folge davon fühlen wir bis zur gemeinen Schändlichkeit der Nation. Bloß der gemeine Mann hat noch etwas Takt der Sache. Wenn er einen wackern Patrioten bezeichnen will, sagt er wohl: der Herr ist sehr gemein.

*

Der Staat sollte vorzüglich nur für die Ärmeren sorgen: die Reichen sorgen leider nur zu sehr für sich selbst.

*

Man sehe nur das Gros der Soldaten an, vorzüglich den kleinen Stab; ihr Ganzes sagt sogleich: »Wir sind die Repräsentanten der Willkür; bei uns hört das Denken auf.« Daher ist auch ihr Lieblingswort: »Will der Kerl noch räsonnieren?« Im Soldatenwesen, welches ganz etwas anders ist als Militär, ist freilich wenig Vernunft mehr.

*

Es kann in seinem Ursprung nicht leicht ein schlimmeres Wort sein als Soldat, Söldner, Käufling, feile Seele; Solidarius, glimpflich: Dukatenkerl. Die Sache macht die Ehre des Kriegers; aber ein Soldat kann als Soldat durchaus auf keine Ehre Anspruch machen. Es ist ein unbegreiflicher Wahnsinn des menschlichen Geistes, wie der Name Soldat ein Ehrentitel werden konnte.

*

Als ich hinter jedem preußischen Bataillon fünf oder sechs Hühnerwagen herziehen und den unbärtigen Fähnrich einen Graubart mit Stockprügeln behandeln sah, ward mir für das deutsche Wesen nicht wohl zumute.

*

Wo man anfängt den Krieger von dem Bürger zu trennen, ist die Sache der Freiheit und Gerechtigkeit schon halb verloren.

*

In Dresden im Engel waren ein Dutzend preußische Offiziere, die eines Abends, wie uns der Markör erzählte, ihre Bacchanalien feierten. Sie vergeudeten den Champagner und Burgunder bei Dutzenden, als ob sie das Land, wo er wächst, schon erobert hätten oder doch gewiß übermorgen erobern würden, und blieben dann tapfer unter dem Tische liegen. Nur einige machten noch einen spätern martialischen Ausfall auf ein Haus, wo sie Nymphen witterten, setzten die Nachbarschaft in Lärm und prügelten die Nachtwächter. Da ward mir wieder nicht wohl zumute, und etwas mehr von der Folge schwebte mir vor.

*

»Ihr müßt Euch mit den Bürgern hier nicht gemein machen«, sagte ein Y'scher Offizier zu seinen Leuten beim Verlesen; »müßt Euch nicht mit ihnen Du nennen; denn Ihr seid mehr als sie!« – – Das nenne ich Deutsch und Altpreußisch räsonniert! Dieser Geist hat gemacht, was wir gesehen haben, bei Jena und Halle und Magdeburg und Prenzlow.

*

»Gott straf' mich, Herr Bruder«, sagte ein Y. Offizier zu seinem Kameraden, indem er die Worte echt militärisch durch die Nase schnarrte; »Gott soll mich strafen, Herr Bruder, wenn ich meinem Wirt nicht täglich zehn Taler koste!« Das nenne ich Ehre! Der dumme Wirt und der schlechte Offizier!

*

Wer das erste Privilegium erfunden hat, verdient vorzugsweise so lange im Fegefeuer in Öl gesotten oder mit Nesseln gepeitscht zu werden, bis das letzte Privilegium vertilgt ist.

*

Rousseau spricht in seinem Bürgervertrage von Privilegien; das klingt sonderbar. Aber R. irrte sich. Er versteht unter Privilegien nur notwendige, persönliche Prädikate der Magistraturen. Diese Vorzüge sind keine Privilegien. Ein Vorzug ist notwendig im Gesetze und zum Gesetze; ein Privilegium ist außergesetzlich. Soviel ich weiß, hat die alte echte Latinität und Gräcität kein Wort für diese ehrlose Sache; denn jedes Privilegium ist ehrlos.

*

Das erste Privilegium ist der erste Ansatz zum Krebs des Staatskörpers.

*

Mit dem ersten Privilegium geht der strengere Bürgersinn ab.

*

Die Privilegien heben sogleich auch die Philanthropie auf. Denn wenn die Freundschaft auch ein Vorrecht zugestehen wollte, so kann die Freundschaft keins annehmen.

*

Wenn alle Knechtschaft und alle Vorrechte aller Art verbrannt sind, dann will ich auch an die heilige Vernunft glauben. Jetzt bin ich mit dem Glauben an ihre Möglichkeit zufrieden.

*

Wo ein Privilegium gilt, kann selbst der Allmächtigste keinen Himmel schaffen, und die Menschen wollen damit einen vernünftigen Staat bilden?

*

Wenn ich den Leuten auf die Nasen sehe, vergeht mir die Hoffnung, da ich darunter verdammt viele vornehme finde, und nicht wenige davon stehen auf eigentlichen Pöbelgesichtern. Mir ist immer, als ob eine solche Nase sagen wollte: Seht her, ihr Halunken, ich habe ein Privilegium.

*

Wir Deutschen sind vorzugsweise das Volk der Privilegien: ein Dokument unserer Unweisheit! Darum ist es denn auch gegangen – wie wir gesehen haben und sehen. Solange wir die Privilegien nicht vernichten, können wir die Franzosen vielleicht schlagen, werden sie aber nie besiegen.

*

Viele eifern nur deswegen so heftig gegen die Vorrechte, um die ganze Summe derselben für sich in Beschlag zu nehmen. Das sind die gräßlichsten aller Privilegierten und immer Tyrannen, sie mögen stehen, in welcher Kaste sie wollen.

*

Privilegium heißt eine Ausnahme vom Gesetz: und wo man sie macht, taugt das Gesetz nichts, oder die Ausnahme ist schlecht. Man erdichtet so gern Kollisionen, um ihre Notwendigkeit oder Wohltätigkeit zu beweisen. Je mehr ich denke und denke, desto gewisser werde ich, daß das Privilegium und die Immunität das leibhafte Krebsgeschwür der Staaten ist. Hat man nur erst dieses Radikalübel geheilt, die übrigen sind leicht zu heben. Es ist mir lieb, daß man in den alten Griechen und Römern kein ganz bezeichnendes Wort für diese Schändlichkeit findet; Sache und Name sind Ausgeburt der neuen Vernunft.

*

Der erste Fußbreit Landes, der nicht gleich verhältnismäßig mit den übrigen zu den öffentlichen Lasten beiträgt, ist der erste Schritt zum Privilegium, zur Pleonexie, zur Habsucht, zur Ungleichheit, zur Unterdrückung, zur Despotie, zur Tyrannei, zur Sklaverei.

*

Die Bedingung der Vaterlandsliebe ist Freiheit und Gerechtigkeit. Von beiden ist in unsern europäischen Staaten nur das Minimum. Die Vaterlandsliebe kann also leicht berechnet werden. Die Vaterlandsliebe der Privilegien ist der kochende Grimm wilder Tiere, mit welchem sie über ihren Raum wachen.

*



Über die Deutschen



Es ist nicht angenehm, oder vielmehr es ist oft angenehm, aus der Sprache eines Volks seinen Charakter zu sehen. »He is possessed of great riches«, sagt der Engländer gewöhnlich, ohne etwas Schlimmes zu denken, und drückt dadurch das Verhältnis des Mannes zum Gelde aus. Das letzte ist Herr. Desgleichen sagen die Briten: »He is worth ten thousand pounds«, und es heißt bei ihnen, er hat so und so viel. Subtrahiere die Summe, so bleibt nichts; also ist der Kerl nichts wert. He is not worth a groat heißt nicht, wie ungefähr bei uns moralisch: der Kerl ist keinen Heller wert, sondern: der Lump hat keinen Heller in der Tasche. Unsere deutschen Büttel aller Art sagen gewöhnlich sogleich: »Will der Kerl räsonnieren? Nur nicht räsonniert!« Man kann nicht besser bezeichnen. Der Gedanke ist verbannt. Das hat sich seit langer Zeit auch deutlich in Nationalsachen gezeigt. Rex, roi, imperator etc.: alles sind noch Benennungen, die humanen philosophischen Sinn haben; bei uns ist König, wer kann; die Knechtschaft bruta vis. Und wo sie oben versiegt, geht sie in die Unterköniglinge, die Satelliten über. Das Wort Vornehm ist eine eigene Unvernunft der Deutschen: »was voraus nimmt«. Keine andere Sprache hat, soviel ich weiß, ein Ähnliches in diesem Sinne. Es zerstört sogleich alle ersten Begriffe von Gerechtigkeit. Zum Glück hat die Dummheit den Menschensinn noch nie so herabwürdigen können, daß ein vornehmer Mann für ein reines Lob gälte. Darum bekümmert sich aber der vornehme Mann nicht, eben weil er vornehm ist.

*

Bei Roßbach hat man das letztemal mit den Ausländern Deutsch gesprochen: seitdem haben sie uns ihre Sprache gelehrt. Das ist sehr begreiflich: sie sind klüger geworden, und wir beträchtlich dümmer.

*

Unser deutsches Wort Höflichkeit ist ebenso zweideutig als das französische politesse. Ob uns von den Höfen viel Gutes kommt, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß uns von ihnen viel Schlechtes kommt.

*

Bei der allgemeinen Schande und Verwirrung des deutschen Vaterlandes tröstet mich, daß es nicht leicht schlechter und unvernünftiger werden kann, als es bisher war.

*

Seitdem wir alle Herren sind, gibt es immer weniger und weniger Männer. Wenn die Franzosen den Ursprung des Wortes Allemands bedächten, würden sie noch bitterer spotten, daß wir mit unserm Namen so sehr im Gegensatz stehen.

*

Wenn man so echtdeutsch apathisch faul ist, darf man nur hinaus in die freie Luft unter die Menschen gehen, und wenn man dann durch den Ärger nicht etwas wieder zum Leben geweckt wird, so ist man ohne Rettung zum moralischen Tode verdammt.

*

Leider scheint jetzt für Deutschland die einzige Hoffnung in der Zerstörung zu sein. Unsere Leiden kommen nicht von außen, sondern von innen.

*

Man vernichtete die Griechen durch Griechen. Nun zerstört man die Deutschen durch Deutsche. Es finden sich Niederträchtige genug. Doch vielleicht ist nur in der Zerstörung Hoffnung.

*

Eine Nation nenne ich eine große Volksmasse, die durch ihre freien Abgeordneten gesetzlichen Anteil an ihren öffentlichen Verhandlungen hat. Wer die Deutschen zur Nation machen könnte, machte sich zum Diktator von Europa.

*

»Was ist der Mann?« fragen andere. »Wer ist sein Herr Vater?« fragt der Deutsche.

*

Ich kann mir nicht helfen, es ist meine tiefste Überzeugung: der allgemeine Charakter der Deutschen seit langer Zeit ist Dummheit und Niederträchtigkeit. Das ist die Schöpfung unserer Fürsten und Edelleute, der Ertrag des Privilegienwesens.

*

Wir sind jetzt die Nation der Titel, des Adels, des Dienstzwangs, der Fröne, des Unsinns, der Dummheit; kurz die privilegierte Nation, oder die Nation der Privilegien.

*

Es ist Schande für die Deutschen, daß ein Fremder sie beeinträchtigen kann, und es ist noch größere Schande für sie, daß ein Fremder ihr Retter sein soll.

*

Es ist für Deutschland durchaus keine Rettung zu Sicherheit und Ehre als durch Zerstörung. Daß diese nicht eintrete und das Volk nicht seinen Vorteil und seine Kraft fühle, dafür werden schon die fremden Despoten und die einheimischen Pleonekten sorgen.

*

Es gibt eine doppelte Energie: die Energie der Kultur und des Enthusiasmus der Freiheit, und die Energie der Barbarei. Die erste findet man bei Marathon, bei Thermopylä, am Vesuv bei Spartacus und sonst hier und da; seltener bei den Neuern. Die Energie der Barbarei hatten Cyrus, Sesostris, Attila, Peter der Erste und einige andere. Wo keine Vernunft und doch auch keine Barbarei ist, kann schwerlich Energie entstehen: daher die Schwerfälligkeit der Deutschen, die in öffentlichen Verhältnissen zuweilen an Dummheit grenzt.

*

Wir sind mit Privilegien und Unsinn so beglückseligt, daß ich fürchte, wir werden nur durch die Barbarei den Weg zur Vernunft machen können.

*

Rede an die Deutschen. – Die Rede war fertig im Geiste, und du siehst an den vier Bogen Papier dazu, daß die Philippika nicht klein ist. Nicht der Lohn des Griechen und Römers hält mich zurück, sondern der Gedanke der gänzlichen Vergeblichkeit. Also mag es genug sein mit dem Worte von Christus: Ich hätte euch wohl viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.

*

Nach dem Kalabresen halte ich den Deutschen in seiner Vornehmheit für den größten Barbaren in Europa, die Finnen und Lappen nicht ausgenommen.

*

Der Deutsche ist meistens alles nur halb: nur Pedant und Privilegiat ist er ganz, auch Grobian zuweilen.

*

Die Y.schen Offiziere machen sich sehr breit; das heißt sie gehen sechs bis sieben Mann breit in den öffentlichen Spaziergängen, so daß sie sie ganz besetzen und es schwer wird, ihnen auszuweichen. Eine Unschicklichkeit und Unanständigkeit, die ich nie bei den Franzosen oder andern Fremden gesehen habe, und die nur ein Privilegium der Deutschen zu sein scheint! Berührt man von ungefähr einen der Herren, so blickt und spricht er mit einer unsäglichen, altpreußischen Impertinenz, als ob er den Blocksberg zusammentreten wollte: und doch ist's ein Mann von Halle, Magdeburg oder Prenzlow, der eine andere Kokarde aufgepflanzt hat. Die Gemeinen zerhauen die Pflanzungen um die Stadt herum mit einer echt bestialischen Zerstörungswut, und wehe der Polizei, wenn sie es wagt, ihre Lindenalleen zu schützen.

*

Der Geist eines Griechen strebte zum Himmel empor bei dem Gedanken von Recht und Freiheit und Vaterland: wir zucken zurück, wie die Austern. Unsere Xerxesse messen unsere erbärmliche Existenz mit Quadratellen und peitschen uns zur hündischen Proskynese, zur Verzichtleistung der Menschenvernunft.

*

»Er ist in Ungnade gefallen«, ist ein Lieblingsausdruck der Deutschen: ein Beweis, daß diejenigen, die so reden, nicht unter der Ägide der Vernunft stehen!

*

Wenn für das deutsche Vaterland etwas zu tun wäre, so würde ich die Gefahr nicht scheuen, es zu tun. Aber wir sind durch unsere eigenen Krebsgeschwüre zur Verworfenheit verdammt. Nur einige Männer könnten durch ihre Verhältnisse die Nation neu schaffen und gründen und halten: aber diese sind zu fürstlich privilegiert, um die Größe des Vaterlandsgeistes, Bürgersinns und der höhern allgemeinen Gerechtigkeit zum göttlichen Enthusiasmus zu fühlen.

*

Es ist nirgends mehr Haß als unter den Diminutivnatiönchen der deutschen Horden, und alle geben einander zur großen Freude der Fremden reichliche Ursache.

*

Der verstorbene Lord Bristol, liederlichen Andenkens, teilte in Rom die Deutschen ein in Weintrinker und Biertrinker, mit der Bemerkung, die Weintrinker seien Schurken und die Biertrinker Dummköpfe. Soviel zynische Arroganz auch in dem Urteil liegt, muß man doch bekennen, der Mann kann durch das Studium unserer öffentlichen Verhältnisse füglich darauf geleitet worden sein. Jetzt haben wir der Weintrinker beträchtlich weniger, aber der Biertrinker beträchtlich mehr, und sind also dadurch nichts gebessert.

*

Ich höre überall von heißpatriotischen Preußen, Österreichern, Bayern, Sachsen usw., die einander um die Wette hassen; nur höre ich von keinem Deutschen. Wehe also meinem Vaterlande! In hundert Jahren sind wir wahrscheinlich, wenn das Glück sich nicht unserer Dummheit erbarmt, die erbärmliche Zwittergeburt der Elsässer, Lothringer und Kurländer und Livländer, die ihre alte Nationalität verloren haben und keine neue finden können.

*

Nun sind endlich die Deutschen politisch aus ihrer zwitterhaften Existenz heraus in die entschiedene Nullität gekommen.

*

Die gefühllosesten Klötze für Nationalehre und Nationalschande sind die deutschen Gelehrten; davon überzeuge ich mich täglich mehr.

*

Die Griechen waren immer nur Spartaner, Athenienser usw. Was sind sie nun? Die Deutschen scheinen bloß den griechischen Buchstaben zu studieren. Sie sind Partikelkrämer; darüber geht das Ganze zugrunde.

*

Die Deutschen sind immer nur Barbaren und Halbbarbaren gewesen, haben sich nie zu allgemeiner Gerechtigkeit und Freiheit, nie zur Einheit des Vaterlandes erhoben. Die Kaiser haben die Verbrechen begangen, die Heiligtümer der Nation an einzelne zu vergeuden und dadurch die Spaltung zu verewigen. Die größten Toren sind die deutschen Weisheitskrämer, die Publizisten, welche die Dokumente unseres Nationalsinns, die goldene Bulle, den Westfälischen Frieden, die Wahlkapitulation usw. lobpreisend posaunen. Alles dieses hat endlich die Nation in die jetzige Schande gestürzt.

*

Die Deutschen haben bei jeder Gelegenheit einen sehr gewöhnlichen Ausdruck: Das kann ich gar nicht leiden, und doch ist nichts Schlechtes, Vernunftwidriges, Dummes und Niederträchtiges, was seit fünfhundert Jahren und besonders in der letzten Zeit die Deutschen von innen und außen nicht gelitten hätten.



Philosophie und Religion



Wer keine Ungerechtigkeit vertragen kann, gelangt selten zu Ansehen in der Gegenwart, und wer es kann, verliert den Charakter für die Zukunft.

*

Ob die Menschen Vernunft haben, ist mir entsetzlich problematisch; ich habe wenigstens in ihren politischen, philosophischen und öffentlichen moralischen Vorkehrungen sehr wenig davon wahrgenommen. Am meisten Vernunftähnliches findet man noch im Häuslichen.

*

Wer den ersten Gedanken der Gerechtigkeit hatte, war ein göttlicher Mensch: aber noch göttlicher wird der sein, der ihn wirklich ausführt.

*

Die meisten Menschen haben überhaupt gar keine Meinung, viel weniger die eigene, viel weniger eine geprüfte, viel weniger vernünftige Grundsätze.

*

Es ist schade, daß man keinen Prophetenglauben mehr hat, sonst könnte Rousseau der Begründer eines sehr schönen Systems werden. Wenn er nur nicht zu viel geschrieben hätte! Seine Schwärmerei geht doch zuweilen mit seiner Vernunft durch. Der »Contrat social« und Voltaires kleines Gedicht »La loi naturelle« sind vielleicht das Größte, was die französische oder irgendeine andere Literatur hervorgebracht hat.

*

Wer sich beständig ausschlußweise mit den Büchern beschäftigt, ist für das praktische Leben schon halb verloren. Der weise Salomon hat viel Narrheit und Plato viel Unsinn. Die beste Philosophie ist der geläuterte Menschenverstand; das beste Mittel dazu, die Welt sehen, die Geschichte lesen und selbst denken, in gleichen Verhältnissen. Werden die Verhältnisse nicht beobachtet, so kommt das Resultat unkosmisch.

*

Meine Seele ist ein Tummelplatz vieler Leidenschaften gewesen. Mit Hilfe des Stolzes hat immer die Vernunft gesiegt, vielleicht zuweilen auch nur mit Hilfe des Zufalls. Nur Haß und Verachtung sind nie in meine Seele gekommen; daher bin ich geneigt zu glauben, daß diese beiden Gefühle unphilosophisch seien.

*

Nur der Bürgersinn kann über Ehre bestimmen. Nun ist dieses Geistes überall sehr wenig; also ist nur sehr wenig wahrhaft gewürdigte Ehre.

*

Treibet die Furcht aus! Dann ist Hoffnung, daß der gute Geist einziehen werde.

*

Alle saueren Moralisten hielten ihr Zeitalter für das Schändlichste, und sie haben alle recht: denn die gegenwärtige Schande ist immer die größte.

*

Die Vergebung der Sünden ist der Vernunft ein Widerspruch: aber unser ganzes Leben ist doch fast weiter nichts als eine fortgesetzte praktische Vergebung der Sünden. Wir können unmöglich ohne sie sein. Wenn man sie nur ordentlich menschlich nähme und nicht den Himmel darein mischte!

*

Ich kann nicht leugnen, ich habe zuweilen Furcht gehabt: aber die Furcht hat mich nie gehindert, auch mit Gefahr meines Lebens etwas zu tun, was ich mit Gründen wollte. Und dieses errungene Gefühl der bewußten gesammelten Stärke wird endlich zur größern Festigkeit als die natürliche Furchtlosigkeit.

*

Die Theokratie des Moses wäre allerdings eine schöne Erfindung, wenn immer ein gerechter, weiser Mann an der Spitze stände; sie gibt aber der Gaunerei zuviel Handhabe.

*

Trotz meiner kalten Besinnung, mit der ich neulich in meiner Septuaginta die Bücher Moses durchlas, konnte ich mich eines warmen ehrfurchtsvollen Schauers nicht erwehren, als der Mann am Ende starb. Trotz aller Verirrung und Unheilbarkeit seines Systems bleibt er ein großer Geist für sein Volk und für den Menschenforscher.

*

Wo die Menschen mit ihrer eigenen unbefangenen Vernunft sprechen, urteilen sie meistens ohne Tadel; wo sie aber unter einer Leidenschaft liegen oder an einer fremden Form ziehen, kommt selten etwas Gutes zum Vorschein.

*

Wenn ich von jemand höre, er sei sehr fromm, so nehme ich mich sogleich sehr vor seiner Gottlosigkeit in acht.

*

Wo Geheimnisse sind, fürchte ich Gaunerei. Die Wahrheit kann und darf vor Männern das Licht nicht scheuen. Es gibt keine Wahrheit, die man vor Vernünftigen verbergen müßte. Einweihung ist Entweihung des Menschensinnes. Der Staat hat also großes Recht, keine geheimen Gesellschaften dulden zu wollen, so wie er großes Unrecht hat, die helle Untersuchung der wichtigen Punkte des Gesellschaftsrechts zu untersagen.

*

Aus Gefälligkeit werden weit mehr Schurken als aus schlechten Grundsätzen.

*

Die beste Verwahrung gegen Leidenschaft aller Art ist nahe und gründliche Bekanntschaft mit dem Gegenstand.

*

Unbedingter Gehorsam ist kein Gedanke unter vernünftigen Wesen. Wo mich jemand nach seiner Willkür brauchen kann, bin ich ihm keinen Gehorsam schuldig, das geht aus der moralischen Natur der Menschen hervor.

*

Wenn wir nicht von vorne anfangen, dürfen wir nicht hoffen weiterzukommen.

*

Wer den Tod fürchtet, hat das Leben verloren.

*

Daß ein Narr zehn andere macht, ist freilich schlimm genug; aber weit schlimmer ist es noch, daß auch ein Schurke zehn andere macht. Nur die Vernunft macht wenig Proselyten.

*

Wenn ich die kleinen, feinen, zierlichen Menschengestalten unserer Zeit, und vorzüglich meines Vaterlandes, ansehe, kommt mir die ganze Erscheinung recht drollig vor. Die ganzen Geschöpfe haben nicht viel über vier Fuß und sind doch durchaus fertig, so daß nichts mehr von ihnen zu erwarten ist. Da habe ich denn in meinen Gedanken auf den Spaziergängen oft einen Traktat über die Verniedlichung des Menschengeschlechts.

*

Die Schurken gehören an den Galgen, die Tollen nach Bedlam, die Narren läßt man laufen: und die Vernünftigen – sind schon zufrieden, wenn man sie läßt, wie sie sind.

*

Das Schild der Humanität ist die beste, sicherste Decke der niederträchtigsten, öffentlichen Gaunerei.

*

Wer nichts fürchtet, kann leicht ein Bösewicht werden; aber wer zuviel fürchtet, wird sicher ein Sklave.

*

Innere Furchtsamkeit führt zur Sklaverei; äußere Besorgnis hält die Freiheit.

*

Kein Mann ist so groß als sein Name, weder im Guten, noch im Schlimmen.

*

Wenn man menschlich fühlte und dachte, fand man das Wort Sklave zu hart; man sagte Leibeigener, dann Erbmann, dann Fröner, dann Bauer: von der Sache selbst suchte man immer so viel als möglich zu behalten.

*

Wenn die Menschen endlich vernünftig sein werden, wird die Erde vielleicht am Marasmus senilis sterben.

*

Für Vernunft und Freiheit und Gerechtigkeit ist jetzt bei unsern Zeitgenossen nichts zu tun; wir brüten zu sehr in lethargischer Indolenz. Jede Kraftäußerung ist weggeworfen und die Perlen sind noch vor die Säue geschüttet. Das einzige Ersprießliche ist Denken für die Zukunft, der es vielleicht gelingt, glücklicher von dem Todesschlaf aufzustehen.

*

Das Zwielicht ist der Raum des Dichters und der Kunst überhaupt. «Wo die Vernunft an die Sinnlichkeit und die Sinnlichkeit an die Vernunft grenzt, ist der Mensch in seinem schönsten Spiele. Vernunft ohne Sinnlichkeit scheint nicht mehr menschlich zu sein, und Sinnlichkeit ohne Vernunft ist es gewiß nicht. Stimmung für die Kunst und Genuß in derselben ist also der Stempel der Humanität. Die Sinnlichkeit mag darin herrschen; aber die Vernunft hat ihr die Herrschaft übertragen, und sie herrsche so, daß ihre Kommittentin die Vollmacht nicht zurücknimmt!

*

Wo die Sinnlichkeit an die Vernunft grenzt, ist sie gewiß immer schön.

*

Gott ist allerdings das letzte, höchste, vollkommenste Urideal; aber wir haben von ihm nicht mehr, als er uns von sich in der Sinnenwelt gegeben hat. Alles ist also einigermaßen Anthropomorphismus. Der Gott des Phidias ist göttlicher, weil er menschlicher ist. Zu dem Gotte des Plato erhebt sich kaum der Gedanke mit seiner größten Anstrengung und begreift am Ende von ihm fast nur die postulierte Notwendigkeit. Gott ist a priori das Prototyp alles Guten in der Natur; aber das Güte in der Natur ist a posteriori wieder für uns das Prototyp des Göttlichen. Jeder macht allerdings seine Welt und seinen Gott und einigermaßen sich selbst: aber wer wollte eine so scholastische Sprache unter den Menschen reden, da sie kaum von den Jüngern der Mystik verstanden wird?

*

Die moralischen Wahrheiten sind das Einzige, was wir mit Sicherheit in uns tragen. Denn sobald man unsere Ansicht der faktischen Dinge merkt, trägt man Sorge, daß wir ihre wahre Beschaffenheit und ihren wahren Zusammenhang nur selten erfahren.

*

Ein gewöhnlich großer Mann hat sein Vergnügen, alle rund um sich her mit der Allmacht seiner Kraft niederzudrücken und eine Welt vor sich auf den Knien zu sehen; ein rein großer Geist sucht so viel als möglich, alle mit sich auf gleichen Fuß zu setzen, und fühlt sich dann in seiner größten Würde, wenn alle in dem Gefühl der ihrigen neben ihm stehen. Wer einen Baum aufrichtet und hält, ist stärker, als wer ihn niederschlägt. Wer nur auf Kosten der Vernunft und des Menschenwerts herrschen kann, hat das System der Ohnmacht ergriffen. Wo sich die Kleinen vor den Großen bücken, sind gewiß die Großen vor den Kleinen nie gehörig sicher. Der Mensch gibt seine Würde auf; aber er wird nie der Freund dessen, der sie ihm abnimmt.

*

Ob die Weiber soviel Vernunft haben als die Männer, mag ich nicht entscheiden; aber sie haben ganz gewiß nicht soviel Unvernunft.

*

Die Hälfte der Armen und überhaupt die Hälfte der Menschen ist immer leidlich, ehrlich und gut; aber die Bosheit ist meistens energischer im Ganzen als im Einzelnen.

*

Gewisse sogenannte Verbrechen sind das Heiligste, was die Natur des Menschen aufzuweisen hat, z. B. Ketzerei, Empörung, Selbstmord. Was die Vernunft und das Göttliche in uns als groß bezeichnet, hat der Despotismus und die Dummheit zu Schande und Tod verurteilt. Die Menschheit hat sich das ewige Licht, dessen sie genießt, durch Unglauben und Forschergeist errungen. Die Gerechtigkeit wird nur durch kühnen Widerstand gegen die Selbstsüchtler festgesetzt. Wo ich, in der Würde meiner Natur, ohne Beeinträchtigung des Heiligsten, nicht mehr leben darf, verlasse ich das Gewühl der Verworfenheit, der Sklaverei und Tyrannei.

*

Der Ruhm ist gewöhnlich das Grab der Ehre, und die Ehre selten der Weg zum Ruhm. Aber wer den Ruhm und die Macht in Beschlag nimmt, stempelt die Ehre nach Gutdünken und macht Goldmünze aus Glockenspeise.

*

Bis jetzt ist zur Erziehung des Menschengeschlechts nichts getan. Die Franzosen fingen an, hörten aber bald auf.

*

Ehre entsteht aus philosophischer Würdigung reinen Verdienstes; Ruhm ist der Widerhall der Stimme der Menge. Ehre hat Aristides und vielleicht Miltiades; Ruhm haben Cäsar und Alexander der Mazedonier. Wo nicht Vernunft, Gerechtigkeit und Freiheit ist, kann zwar großer Ruhm sein; aber von Ehre ist nicht die Rede.

*

Wenn man sich einmal über die Vernunft, echte Freiheit und Liberalität weggesetzt hat, kann man mit Klugheit und Kühnheit einen weiten Weg machen.

*

Ich teile die Menschen ein in Narren, Schurken und Vernünftige. Sechs Zehntel sind Narren und eins vernünftige Leute. Die Einteilung ist sehr liberal, wenn man allemal den zehnten Mann die Probe halten läßt. Die Narren flattern von dem Vernunftschimmer zur Schurkerei und wieder hin und wieder her. Die meisten sind die Instrumente der Bosheit.

*

Es ist oft nichts unphilosophischer als die Philosophen und nichts dümmer als die Gelehrten. Daß man sich dumm lernt und närrisch philosophiert, sind ziemlich gewöhnliche Erscheinungen.

*

»Die Sache ist oft dagewesen, ist eine alte Weisheit!« schreit man, wenn man etwas nicht hören will. Freilich! Aber hat sie schon gewirkt? Ist sie befolgt? Die Wahrheiten müssen laut alle Tage wiederholt werden, bis ihre allgemeine Befolgung die Wiederholung überflüssig macht.

*

Des Glaubens Sonde ist der Zweifel.

*

Mit dem Degen kann man wohl zuweilen beweisen, daß man Mut hat, aber nie, daß man Ehre besitzt; oft geht daraus das Gegenteil hervor. Ehre und Recht werden nur durch Vernunft dokumentiert, nie durch Waffen. Ehre kann man mit den Waffen behaupten, aber nie erwerben: dadurch erwirbt man nur Ruhm – oft das Gegenteil von Ehre.

*

Sobald ich das Wort Gnade höre, fahre ich sogleich zurück; denn da hat die Vernunft ein Ende, und es hat nur unter Verbrechern und Dummköpfen Sinn.

*

Man wird zum Gotteslästerer und Vernunftleugner beim Blick auf die Welt: und doch ist dieser Gedanke an Gott und Vernunft das einzige Heilige und Große, was wir haben. Der Rest ist Schlamm und Sumpfluft. Wo sich der ehrliche Mann zu fürchten anfängt, hört meistens der Schurke zu fürchten auf, und umgekehrt.

*

Das Wort Herr, von Menschen zu Menschen, ist Begriff. Man ist nur Herr, wo man unbedingt zwingen kann, und dieses liegt gar nicht in der menschlichen Natur.

*

Wer von der Gleichheit des Rechts etwas fürchtet, steht unter den Pleonekten und gehört schon mit zu den Krebsgeschwüren der Gesellschaft.

*

Mißtrauen kommt nie zu früh, aber oft zu spät.

*

Die Gelehrten haben meistens die abgeschliffenste Gleichgültigkeit gegen Recht und Unrecht und vermieten ihr bißchen erbärmliche Dialektik für den schmutzigsten Gewinn an den Meistbietenden; aber die Staatsverweser und Religionsvorsteher tun auch alles Mögliche, um aus rechtlichen, vernünftigen Leuten Indifferentisten zu machen.

*

Es ist weit schwerer, die Wahrheit von seinen Freunden zu sagen als von seinen Feinden, und es gehört vielleicht mehr reiner Mut dazu, den Fehler eines Freundes freimütig zu rügen, als dem Dolch eines Feindes entgegenzugehen.

*

Der Vorzug des Dichters ist das schöne, warme, heiße, glühende Gefühl für Schönheit und Recht und Tugend und Freiheit. Hat er dieses nicht, so gehört er unter die Blendlinge und Hypokriten, und er und sein Name sind ohne Wert. Der Mann mit hohem Enthusiasmus, als Held und Dichter und Märtyrer, kann das Nämliche fühlen; aber dann ist er in dem Momente Dichter. Ein schlechter Dichter ist ein Widerspruch: denn kein Dichter ist schlecht als Dichter, sondern nur, insofern er es nicht ist.

*

Man darf nur die meisten Menschen bestimmt nötig haben, um sogleich ihre Bösartigkeit zu wecken.

*

Wenn unser Charakter ausgebildet ist, fängt leider unsre Kraft an zusehends abzunehmen.

*

Die meisten Menschen beschäftigen sich damit, zu grübeln, wie es die anderen besser machen sollten, und sehen sehr scheel, wenn man an ihrer eigenen Unfehlbarkeit zweifelt..

*

Reißt den Menschen aus seinen Verhältnissen, und was er dann ist, nur das ist er. Zuweilen können die Verhältnisse etwas von seinem Selbst zutage fördern.

*

Haß und Neid müssen bessern Seelen fremd sein. Ich habe nie gehaßt und selten geliebt. Etwas Neidähnliches regte sich in mir nur beim Anblick schöner großer Handlungen; also auch nur selten. Das Gefühl war nie schmerzlich niederdrückend; also war es vielleicht mehr Eifer als Neid.

*

Vor mehreren Jahren habe ich eine Diatribe über die Nase geschrieben, und es ist noch jetzt eine meiner gewöhnlichen unwillkürlichen Beschäftigungen, die Nasen zu belugen und zu ordnen. Den Familienstoff abgerechnet, bin ich immer noch der Meinung, daß jeder Mensch so ziemlich seine Nase selbst macht. Daher haben die Kinder fast durchaus unbestimmte Nasen. Zu der Nase, als der festen Prominenz, rechne ich zu psychologischem Behufe auch alle angrenzenden Muskelpartien, vorzüglich die Nasenwinkel und Augenwinkel und Mundwinkel, die sich sogar bis zum Kinn herabziehen. Auch die Maler nennen diese ganze Partie, wenn ich nicht irre, die Leidenschaftsmuskeln, und das mit Recht. Aber die Nase scheint vorzugsweise das Aushängeschild des herrschenden Charakters zu sein, wovon jeder ziemlich viel lesen kann, dem die Natur ein ordentliches Rhinoskop gegeben hat. Ich klassifiziere dann mit vieler Gewißheit alle meine Nasen. Da ist die stolze Nase, die vornehme Nase, die impertinente Nase, die tyrannische Nase, die listige Nase, die sklavische Nase, die dumme Nase, die bigotte Nase, die fromme Nase und viele andere Nasen. Zur besseren Bestimmung muß man die oben angeführten Winkel mitnehmen. Ich sehe jedes Gesicht als eine Grenzfestung der Seele an, von welcher die Nase den Kavalier und das Hornwerk macht. Vor andern zeichnen sich noch aus die vorwitzige und die geile Nase. Unschuldige Nasen oder vielmehr Näschen findet man auch; aber ich erinnere mich nie, eine vernünftige Nase gesehen zu haben. Sehr selten sind die rein schönen, ganz charakterlosen Nasen, und wo man sie trifft, gehört viele artistische Beschauung dazu, sie auch reizend zu finden. Die Vernunft scheint mit und auf dem Gesichte wenig zu tun zu haben, wie überhaupt mit dem Menschen. Bei vielen ist es sehr unterhaltend zu untersuchen, wie kommt der Mensch zu der Nase? Die besten Nasen haben im allgemeinen die Frauen, ausgenommen die vielen verdrießlichen und spöttischen Nasen, welche den Trägerinnen nicht weniger als den Beschauern zur Last fallen. Die vernünftigsten Nasen haben noch die Lazzaroni in Neapel. Der geizigen Nase tut man zuviel Ehre, wenn man sie Nase nennt; sie nähert sich an Gestalt und Bewegung dem Rüssel.

*

Ich habe bemerkt, daß auf den Gütern der reichsten Leute immer die schlechtesten Häuser, die verfallendsten Mauern und die meisten Bettler sind. Das gibt mir ein Recht, die reichsten Leute für die seelenlosesten Menschen zu halten.

*

Vor einigen Stunden sprach ich von einer liquiden Schurkerei nur eine Minute mit solcher Heftigkeit, daß mir das Blut schmerzlich wallend zu Kopfe stieg, und ich hätte mich gewiß um den Kopf selbst gesprochen, wenn es der Moment gewesen wäre. Das gibt mir einiges Zutrauen zu meiner moralischen Natur.

*

Die Menschen sind durch die täglichen Erscheinungen um sich her so an Schändlichkeiten gewöhnt, daß sie alle Augenblicke von einer künftigen Infamie mit aller Unbefangenheit wie von einer Sache sprechen, die zu der sogenannten guten Ordnung der Dinge gehöre.

*

Die Philosophen mögen streiten über die Natur der Wahrheit. Für das Gute haben wir nur ein einziges haltbares Kriterium: daß es nütze; nicht zuweilen und einzeln, sondern immer und allgemein. Der Probestein des Guten ist Allgemeinheit und Dauer des Nutzens, nicht Vorteils. Der Vorteil zerstört den Nutzen. Diese Allgemeinheit nannten die Alten Eudämonie; Kant nennt sie allgemein Harmonie. Dieser Probestein ist auch zugleich der Bestimmungsgrund. Kalte Vernunft kann Regel, aber nie Bestimmungsgrund werden. Wenn das Gute aufhört zu nützen, hört es auf gut zu sein: seine Natur ist, daß es nütze. Eine Tat kann mir den Tod bringen, aber ihr Beweggrund, allgemein und immer befolgt, würde allgemeinen Segen schaffen; folglich ist die Tat gut. Nicht die einzelne zufällige Erscheinung, die ganze Folge notwendiger Wirkung muß beachtet werden. Kleine Seelen ziehen ins Einzelne und werden selbstsüchtig; große tragen mit Aufopferung ins Ganze und helfen die Harmonie reiner stimmen.

*

Dem Himmel darf man Hohn sprechen, der duldet's; denn er ist groß und seiner Allmacht und Weisheit gewiß. Der Menschen Dünkel und äffische Göttlichkeit antasten, bringt Ketten und Tod; denn sie sind klein und fühlen den Ungrund ihrer Anmaßungen. Sie schützen also Torheit mit Laster und Laster mit Verbrechen.

*

Selbstüberwindung ist ein falscher Ausdruck, ist Täuschung; was wir in gutem Sinne so nennen, ist Selbstfassung, Selbststärkung. Ebenso ist der Ausdruck Aufopferung. Die genauere Forschung findet keine; ich bekomme immer etwas Besseres für das Geopferte; am meisten erhält der Harmoniephilosoph für seine anscheinenden Aufopferungen. Ganz reine Aufopferung läßt sich nicht denken, oder sie wäre Torheit. Schöne Seelen, deren Wert mehr im Empfinden als Denken besteht, sind sich des Lohns ihrer Güte am wenigsten bewußt und genießen ihn doch noch am reinsten.

*

Wo gemeine schwache Menschen in Bewunderung ausbrechen und die Huldigungen anfangen, da gerät der Mann von Sinn und Stärke in Mißtrauen, und wo kurzsichtige Menschen mit Unzufriedenheit zu tadeln beginnen, fängt sehr oft des Weisen bessere Billigung an.

*

Wer mit einem guten Gedanken stirbt, ist immer glücklicher, als wer als Sieger über ein Schlachtfeld zieht.

*

Den Ruhm soll der Weise verachten, aber nicht die Ehre. Nur selten ist Ehre, wo Ruhm ist, und fast noch seltener Ruhm, wo Ehre ist. Gewisse Dinge glaube ich sogleich, wenn ich sie höre, so sehr haben sie den Stempel der Wahrheit; gewisse Dinge muß ich sehen und hören, um sie zu glauben, und gewisse Dinge glaube ich nicht, wenn ich sie auch sehe und höre.

*

Den russischen Johannistag – wann dies nach unserm Kalender ist, magst Du selbst nachsehen, denn ich bin in diesem Punkte nicht sehr taktfest – war ich mit meinem Wirt und alten Freunde, dem Etatsrat Beck, in Pawlowsk, vorzüglich um Storch zu besuchen. Beck führte mich zur Oberhofmeisterin der kaiserlichen Familie, der Gräfin Lieven, deren Sohn, der General, von Polen aus mein alter Freund war, und es hoffentlich noch ist, ob ich ihn gleich sehr lange nicht gesehen habe. Die Dame hat sich durch die Erziehung der liebenswürdigen Töchter des kaiserlichen Hauses billig die beste Meinung im Reiche und im Auslande erworben, und ich fand in ihr so viel schönen, freundlichen, reinen weiblichen Charakter, daß ich fast den Hof vergaß und nur das Ideal einer guten Matrone sah. Die Erscheinungen des Tages waren natürlich, sobald wir allein waren, der Gegenstand des Gesprächs, und die Gräfin klagte, wie es schien mit wahrhaft tiefem Gefühl, über die traurigen Aussichten in die Zukunft von mehreren Seiten und schrieb sie vorzüglich mit dem Verfall der Sittlichkeit und der Vernachlässigung aller Religion zu. Nichts ist mehr heilig, und überall behandelt man die Religion verächtlich. »Gnädige Frau«, antwortete ich, »der Grund dieser Erscheinung liegt aber auch vorzüglich mit darin, daß man den Nationen überall Dinge als das Wesen der Religion aufdringt, die damit nur in sehr entfernter oder in gar keiner Verbindung stehen. Kalte, sich oft widersprechende und vernunftwidrige Dogmatik, leere Formeln und nicht bedeutende Zeremonien werden den Völkern überall als etwas Wesentliches vorgehalten, während man die ersten heiligen Grundsätze der Vernunft, die unwidersprechlich die festeste Base aller Religion ausmachen, nichts achtet. Die Lehre von Gott und Vorsehung und Tugend und Laster, vorzüglich von Recht und Pflicht und Glückseligkeit und Elend, wird nur insofern berührt, als man es seinen Absichten gemäß findet. Was dem Menschen am nächsten liegt und ewig liegen muß, seine Obliegenheiten und seine Befugnisse, darüber läßt man ihn absichtlich in Unwissenheit und hält ihm Dinge vor, von denen er durchaus nichts verstehen kann und die ihm in die Länge nicht ehrwürdig bleiben können, weil sie von der Vernunft nicht genehmigt werden. So machen es alle christliche Parteien, an der Tiber und bei uns und bei Ihnen. Was wirklich rein wahr und echt ehrwürdig ist, kann nie verächtlich werden. Ich habe selbst noch nie von einem Bösewichte gehört, der die Tugend offenbar verachtet hätte.« In diesen oder ähnlichen Worten sprach ich mit Wärme und Teilnahme, vielleicht länger und heftiger, als wohl schicklich gewesen wäre. Die Gräfin schien indessen mit Aufmerksamkeit und sogar mit einiger Rührung zuzuhören.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /