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Ein Tigerthier bewohnte einen Wald,
Darinnen war'n der Thierlein mannichfalt,
Die all' beherrscht' das Tigerthier, das kühne;
Sein Lager hatt's auf einem Plane weit,
Besorgte sich keiner Gefährlichkeit,
Da alles voll von Maienblüt' und Grüne.
In einem Hag verborgen lag
Ein Jäger, hatt' gelauscht den ganzen Tag,
Schoß mit der Armbrust heimlich aus der Hecken
Aufs Tigerthier 'nen starken Pfeil: zur Stund'
Lag es am Hinterschenkel stark verwund't,
Das starke Thier, und fühlt' die Wund' mit Schrecken.

Ein Fuchs, der sprach: »Wer machte dich so wund?«
Der Tiger sprach mit seufzerreichem Mund:
»Mein Feind ist heimlich hinter mir verborgen,
Der also hinterrücks mich hat entleibt.« –
Aesopus diese Fabel uns beschreibt,
Draus er uns lehrt, zu stehen stets in Sorgen,
Weil mancher Mann nichts Schlecht's gethan
Und sicher steht auf aller Ehren Plan,
Unschuldig gar an Munde und an Händen,
Und hat nach Tugend allezeit gestrebt
Und ehrbar wie ein Biedermann gelebt,
Nicht fürchtend, daß ihn bös Geschrei werd' schänden;

Jedoch des schändlich schnöden Kläffers Mund
Macht hinterwärts ihn durch die Zunge wund,
Aus Neid und Haß – doch heimlich und verborgen –
Und stellt ihn in ein schnödes Licht;
Macht stinkend ihm sein ehrlich, gut Gerücht
Und stößt ihn heimlich erst in Angst und Sorgen.
Drum man spricht vor 'nem Bösewicht
Und bösem Maul kann man sich wahren nicht,
Jedoch vor'm Diebe kann man sich einschließen;
Auch eines Kläffers lose Zung' voll Gift
Viel ärger als ein scharf Geschoß uns trifft,
Die hinterrücks thut die Unschuld'gen schießen.



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