Sehnsucht
In dieser Winterfruehe
Wie ist mir doch zumut!
O Morgenrot, ich gluehe
Von deinem Jugendblut.
Es glueht der alte Felsen,
Und Wald und Burg zumal,
Berauschte Nebel waelzen
Sich jaeh hinab das Tal.
Mit tatenfroher Eile
Erhebt sich Geist und Sinn,
Und fluegelt goldne Pfeile
Durch alle Ferne hin.
Auf Zinnen moecht ich springen,
In alter Fuersten Schloss,
Moecht hohe Lieder singen,
Mich schwingen auf das Ross!
Und stolzen Siegeswagen
Stuerzt ich mich brausend nach,
Die Harfe wird zerschlagen,
Die nur von Liebe sprach.
- Wie? schwaermst du so vermessen,
Herz, hast du nicht bedacht,
Hast du mit eins vergessen,
Was dich so trunken macht?
Ach, wohl! was aus mir singet,
Ist nur der Liebe Glueck!
Die wirren Toene schlinget
Sie sanft in sich zurueck.
Was hilft, was hilft mein Sehnen?
Geliebte, waerst du hier!
In tausend Freudetraenen
Verging’ die Erde mir.
Eduard Mörike
Tag der Veröffentlichung: 25.06.2010
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