Personen:
Sultan Saladin
Sittah, dessen Schwester
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
Recha, dessen angenommene Tochter
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden,
als Gesellschafterin der Recha
Ein junger Tempelherr
Ein Derwisch
Der Patriarch von Jerusalem
Ein Klosterbruder
Ein Emir
nebst verschiednen Mamelucken des Saladin
Die Szene ist in Jerusalem
Erster Aufzug
Erster Auftritt
(Szene: Flur in Nathans Hause.)
Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.
Daja. Er ist es! Nathan!-Gott sei ewig Dank, Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
Nathan. Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich? Hab ich denn eher wiederkommen wollen? Und wiederkommen koennen? Babylon Ist von Jerusalem, wie ich den Weg, Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin Genoetigt worden, gut zweihundert Meilen; Und Schulden einkassieren, ist gewiss Auch kein Geschaeft, das merklich foedert, das So von der Hand sich schlagen laesst.
Daja. O Nathan, Wie elend, elend haettet Ihr indes Hier werden koennen! Euer Haus...
Nathan. Das brannte. So hab ich schon vernommen.-Gebe Gott, Dass ich nur alles schon vernommen habe!
Daja. Und waere leicht von Grund aus abgebrannt.
Nathan. Dann, Daja, haetten wir ein neues uns Gebaut; und ein bequemeres.
Daja. Schon wahr!- Doch Recha waer' bei einem Haare mit Verbrannt.
Nathan. Verbrannt? Wer? meine Recha? sie?- Das hab ich nicht gehoert.-Nun dann! So haette Ich keines Hauses mehr bedurft.-Verbrannt Bei einem Haare!-Ha! sie ist es wohl! Ist wirklich wohl verbrannt!-Sag nur heraus! Heraus nur!-Toete mich: und martre mich Nicht laenger.-ja, sie ist verbrannt.
Daja. Wenn sie Es waere, wuerdet Ihr von mir es hoeren?
Nathan. Warum erschreckest du mich denn?-O Recha! O meine Recha!
Daja. Eure? Eure Recha?
Nathan. Wenn ich mich wieder je entwoehnen muesste, Dies Kind mein Kind zu nennen!
Daja. Nennt Ihr alles, Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte Das Eure?
Nathan. Nichts mit groesserm! Alles, was Ich sonst besitze, hat Natur und Glueck Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein Dank ich der Tugend.
Daja. O wie teuer lasst Ihr Eure Guete, Nathan, mich bezahlen! Wenn Guet', in solcher Absicht ausgeuebt, Noch Guete heissen kann!
Nathan. In solcher Absicht? In welcher?
Daja. Mein Gewissen...
Nathan. Daja, lass Vor allen Dingen dir erzaehlen...
Daja. Mein Gewissen, sag ich...
Nathan. Was in Babylon Fuer einen schoenen Stoff ich dir gekauft. So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe Fuer Recha selbst kaum einen schoenern mit.
Daja. Was hilft's? Denn mein Gewissen, muss ich Euch Nur sagen, laesst sich laenger nicht betaeuben.
Nathan. Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke, Wie Ring und Kette dir gefallen werden, Die in Damaskus ich dir ausgesucht: Verlanget mich zu sehn.
Daja. So seid Ihr nun! Wenn Ihr nur schenken koennt! nur schenken koennt!
Nathan. Nimm du so gern, als ich dir geb:-und schweig!
Daja. Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht Die Ehrlichkeit, die Grossmut selber seid? Und doch...
Nathan. Doch bin ich nur ein Jude.-Gelt, Das willst du sagen?
Daja. Was ich sagen will, Das wisst Ihr besser.
Nathan. Nun so schweig!
Daja. Ich schweige. Was Straefliches vor Gott hierbei geschieht, Und ich nicht hindern kann, nicht aendern kann,- Nicht kann,-komm' ueber Euch!
Nathan. Komm' ueber mich!- Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie?-Daja, Wenn du mich hintergehst!-Weiss sie es denn, Dass ich gekommen bin?
Daja. Das frag ich Euch! Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve. Noch malet Feuer ihre Phantasie Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht, Im Wachen schlaeft ihr Geist: bald weniger Als Tier, bald mehr als Engel.
Nathan. Armes Kind! Was sind wir Menschen!
Daja. Diesen Morgen lag Sie lange mit verschlossnem Aug', und war Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: "Horch! horch! Da kommen die Kamele meines Vaters! Horch! seine sanfte Stimme selbst!"-Indem Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt, Dem seines Armes Stuetze sich entzog, Stuerzt auf das Kissen.-Ich, zur Pfort' hinaus! Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich!- Was Wunder! ihre ganze Seele war Die Zeit her nur bei Euch-und ihm.-
Nathan. Bei ihm? Bei welchem Ihm?
Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer Sie rettete.
Nathan. Wer war das? wer?-Wo ist er? Wer rettete mir meine Recha? wer?
Daja. Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage Zuvor, man hier gefangen eingebracht, Und Saladin begnadigt hatte.
Nathan. Wie? Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin Das Leben liess? Durch ein geringres Wunder War Recha nicht zu retten? Gott!
Daja. Ohn' ihn, Der seinen unvermuteten Gewinst Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
Nathan. Wo ist er, Daja, dieser edle Mann?- Wo ist er? Fuehre mich zu seinen Fuessen. Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schaetzen Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles? Verspracht ihm mehr? weit mehr?
Daja. Wie konnten wir?
Nathan. Nicht? nicht?
Daja. Er kam, und niemand weiss woher. Er ging, und niemand weiss wohin.-Ohn' alle Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel, Er kuehn durch Flamm' und Rauch der Stimme nach, Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir Ihn fuer verloren, als aus Rauch und Flamme Mit eins er vor uns stand, im starken Arm Empor sie tragend. Kalt und ungeruehrt Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute Er nieder, draengt sich unters Volk und ist Verschwunden!
Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.
Daja. Nachher die ersten Tage sahen wir Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln, Die dort des Auferstandnen Grab umschatten. Ich nahte mich ihm mit Entzuecken, dankte, Erhob, entbot, beschwor,-nur einmal noch Die fromme Kreatur zu sehen, die Nicht ruhen koenne, bis sie ihren Dank Zu seinen Fuessen ausgeweinet.
Nathan. Nun?
Daja. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub; Und goss so bittern Spott auf mich besonders...
Nathan. Bis dadurch abgeschreckt...
Daja. Nichts weniger! Ich trat ihn je den Tag von neuem an; Liess jeden Tag von neuem mich verhoehnen. Was litt ich nicht von ihm! Was haett' ich nicht Noch gern ertragen!-Aber lange schon Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen, Die unsers Auferstandnen Grab umschatten; Und niemand weiss, wo er geblieben ist. Ihr staunt? Ihr sinnt?
Nathan. Ich ueberdenke mir, Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl Fuer Eindruck machen muss. Sich so verschmaeht Von dem zu finden, den man hochzuschaetzen Sich so gezwungen fuehlt; so weggestossen, Und doch so angezogen werden;-Traun, Da muessen Herz und Kopf sich lange zanken, Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll. Oft siegt auch keines; und die Phantasie, Die in den Streit sich mengt, macht Schwaermer, Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald Das Herz den Kopf muss spielen.-Schlimmer Tausch!- Das letztere, verkenn ich Recha nicht, Ist Rechas Fall: sie schwaermt.
Daja. Allein so fromm, So liebenswuerdig!
Nathan. Ist doch auch geschwaermt!
Daja. Vornehmlich eine-Grille, wenn Ihr wollt, Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr Kein irdischer und keines irdischen; Der Engel einer, deren Schutze sich Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke, In die er sonst verhuellt, auch noch im Feuer, Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr Hervorgetreten.-Laechelt nicht!-Wer weiss? Lasst laechelnd wenigstens ihr einen Wahn, In dem sich Jud' und Christ und Muselmann Vereinigen;-so einen suessen Wahn!
Nathan. Auch mir so suess!-Geh, wackre Daja, geh; Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann.- Sodann such ich den wilden, launigen Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt, Hienieden unter uns zu wallen; noch Beliebt, so ungesittet Ritterschaft Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring Ihn her.
Daja. Ihr unternehmet viel.
Nathan. Macht dann Der suesse Wahn der suessern Wahrheit Platz:- Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel- So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zuernen, Die Engelschwaermerin geheilt zu sehn?
Daja. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm! Ich geh!-Doch hoert! doch seht!-Da kommt sie selbst.
Zweiter Auftritt
Recha und die Vorigen.
Recha. So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? Ich glaubt', Ihr haettet Eure Stimme nur Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was fuer Berge, Fuer Wuesten, was fuer Stroeme trennen uns Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr, Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? Die arme Recha, die indes verbrannte! Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht! Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!
Nathan. Mein Kind! mein liebes Kind!
Recha. Ihr musstet ueber Den Euphrat, Tigris, Jordan; ueber-wer Weiss was fuer Wasser all?-Wie oft hab ich Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir So nahe kam! Denn seit das Feuer mir So nahe kam: duenkt mich im Wasser sterben Erquickung, Labsal, Rettung,-Doch Ihr seid Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott, Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen Auf Fluegeln seiner unsichtbaren Engel Die ungetreuen Stroem' hinueber. Er, Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar Auf seinem weissen Fittiche, mich durch Das Feuer truege-
Nathan. (Weissem Fittiche! Ja, ja! der weisse vorgespreizte Mantel Des Tempelherrn.)
Recha. Er sichtbar, sichtbar mich Durchs Feuer trueg', von seinem Fittiche Verweht.-Ich also, ich hab einen Engel Von Angesicht zu Angesicht gesehn; Und meinen Engel.
Nathan. Recha waer' es wert; Und wuerd' an ihm nichts Schoenres sehn, als er An ihr.
Recha (laechelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem? Dem Engel, oder Euch?
Nathan. Doch haett' auch nur Ein Mensch-ein Mensch, wie die Natur sie taeglich Gewaehrt, dir diesen Dienst erzeigt: er muesste Fuer dich ein Engel sein. Er muesst' und wuerde.
Recha. Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; Es war gewiss ein wirklicher!-Habt Ihr, Ihr selbst die Moeglichkeit, dass Engel sind, Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben, Auch Wunder koenne tun, mich nicht gelehrt? Ich lieb ihn ja.
Nathan. Und er liebt dich; und tut Fuer dich, und deinesgleichen, stuendlich Wunder; Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit Fuer euch getan.
Recha. Das hoer ich gern.
Nathan. Wie? weil Es ganz natuerlich, ganz alltaeglich klaenge, Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr Gerettet haette: sollt' es darum weniger Ein Wunder sein?-Der Wunder hoechstes ist, Dass uns die wahren, echten Wunder so Alltaeglich werden koennen, werden sollen. Ohn' dieses allgemeine Wunder, haette Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je Genannt, was Kindern bloss so heissen musste, Die gaffend nur das Ungewoehnlichste, Das Neuste nur verfolgen.
Daja (zu Nathan). Wollt Ihr denn Ihr ohnedem schon ueberspanntes Hirn Durch solcherlei Subtilitaeten ganz Zersprengen?
Nathan. Lass mich!-Meiner Recha waer' Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder Erst retten muessen? Ja, kein kleines Wunder! Denn wer hat schon gehoert, dass Saladin Je eines Tempelherrn verschont? dass je Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je fuer seine Freiheit Mehr als den ledern Gurt geboten, der Sein Eisen schleppt; und hoechstens seinen Dolch?
Recha. Das schliesst fuer mich, mein Vater.-Darum eben War das kein Tempelherr; er schien es nur.- Koemmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewissen Tode nach Jerusalem; Geht keiner in Jerusalem so frei Umher: wie haette mich des Nachts freiwillig Denn einer retten koennen?
Nathan. Sieh! wie sinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja Von dir, dass er gefangen hergeschickt Ist worden. Ohne Zweifel weisst du mehr.
Daja. Nun ja.-So sagt man freilich;-doch man sagt Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brueder einem, Den er besonders lieb gehabt, so aehnlich sehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Dass dieser Bruder nicht mehr lebt,-er hiess, Ich weiss nicht wie;-er blieb, ich weiss nicht wo:- So klingt das ja so gar-so gar unglaublich, Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.
Nathan. Ei, Daja! Warum waere denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht-wie's wohl geschieht- Um lieber etwas noch Unglaublichers Zu glauben?-Warum haette Saladin, Der sein Geschwister insgesamt so liebt, In juengern Jahren einen Bruder nicht Noch ganz besonders lieben koennen?-Pflegen Sich zwei Gesichter nicht zu aehneln?-Ist Ein alter Eindruck ein verlorner?-Wirkt Das Naemliche nicht mehr das Naemliche? Seit wenn?-Wo steckt hier das Unglaubliche? Ei freilich, weise Daja, waer's fuer dich Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur Beduerf... verdienen, will ich sagen, Glauben.
Daja. Ihr spottet.
Nathan. Weil du meiner spottest.-Doch Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung Ein Wunder, dem nur moeglich, der die strengsten Entschluesse, die unbaendigsten Entwuerfe Der Koenige, sein Spiel-wenn nicht sein Spott- Gern an den schwaechsten Faeden lenkt.
Recha. Mein Vater! Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre Nicht gern.
Nathan. Vielmehr, du laesst dich gern belehren. Sieh! eine Stirn, so oder so gewoelbt; Der Ruecken einer Nase, so vielmehr Als so gefuehret; Augenbraunen, die Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen So oder so sich schlaengeln; eine Linie, Ein Bug, ein Winkel, eine Falt', ein Mal, Ein Nichts, auf eines wilden Europaeers Gesicht:-und du entkommst dem Feu'r, in Asien! Das waer' kein Wunder, wundersuecht'ges Volk? Warum bemueht ihr denn noch einen Engel?
Daja. Was schadet's-Nathan, wenn ich sprechen darf- Bei alledem, von einem Engel lieber Als einem Menschen sich gerettet denken? Fuehlt man der ersten unbegreiflichen Ursache seiner Rettung nicht sich so Viel naeher?
Nathan. Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf Von Eisen will mit einer silbern Zange Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst Ein Topf von Silber sich zu duenken.-Pah!- Und was es schadet, fragst du? was es schadet? Was hilft es? duerft' ich nur hinwieder fragen.- Denn dein "Sich Gott um so viel naeher fuehlen" Ist Unsinn oder Gotteslaesterung.- Allein es schadet; ja, es schadet allerdings.- Kommt! hoert mir zu.-Nicht wahr? dem Wesen, das Dich rettete,-es sei ein Engel oder Ein Mensch,-dem moechtet ihr, und du besonders, Gern wieder viele grosse Dienste tun?- Nicht wahr?-Nun, einem Engel, was fuer Dienste, Fuer grosse Dienste koennt ihr dem wohl tun? Ihr koennt ihm danken; zu ihm seufzen, beten; Koennt in Entzueckung ueber ihn zerschmelzen; Koennt an dem Tage seiner Feier fasten, Almosen spenden.-Alles nichts.-Denn mich Deucht immer, dass ihr selbst und euer Naechster Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher Durch eu'r Entzuecken; wird nicht maechtiger Durch eu'r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!
Daja. Ei freilich haett' ein Mensch, etwas fuer ihn Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft. Und Gott weiss, wie bereit wir dazu waren! Allein er wollte ja, bedurfte ja So voellig nichts; war in sich, mit sich so Vergnuegsam, als nur Engel sind, nur Engel Sein koennen.
Recha. Endlich, als er gar verschwand...
Nathan. Verschwand?-Wie denn verschwand?-Sich untern Palmen Nicht ferner sehen liess?-Wie? oder habt Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?
Daja. Das nun wohl nicht.
Nathan. Nicht, Daja? nicht?-Da sieh Nun was es schad't!-Grausame Schwaermerinnen! Wenn dieser Engel nun-nun krank geworden!...
Recha. Krank!
Daja. Krank! Er wird doch nicht!
Recha. Welch kalter Schauer Befaellt mich!-Daja!-Meine Stirne, sonst So warm, fuehl! ist auf einmal Eis.
Nathan. Er ist Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt; Ist jung; der harten Arbeit seines Standes, Des Hungerns, Wachens ungewohnt.
Recha. Krank! krank!
Daja. Das waere moeglich, meint ja Nathan nur.
Nathan. Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld Sich Freunde zu besolden.
Recha. Ah, mein Vater!
Nathan. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach', Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!
Recha. Wo? wo?
Nathan. Er, der fuer eine, die er nie Gekannt, gesehn-genug, es war ein Mensch Ins Feu'r sich stuerzte...
Daja. Nathan, schonet ihrer!
Nathan. Der, was er rettete, nicht naeher kennen, Nicht weiter sehen mocht',-um ihm den Dank Zu sparen...
Daja. Schonet ihrer, Nathan!
Nathan. Weiter Auch nicht zu sehn verlangt',-es waere denn, Dass er zum zweitenmal es retten sollte- Denn g'nug, es ist ein Mensch...
Daja. Hoert auf, und seht!
Nathan. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts Als das Bewusstsein dieser Tat!
Daja. Hoert auf! Ihr toetet sie!
Nathan. Und du hast ihn getoetet!- Haettst so ihn toeten koennen.-Recha! Recha! Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche. Er lebt!-komm zu dir!-ist auch wohl nicht krank: Nicht einmal krank!
Recha. Gewiss?-nicht tot? nicht krank?
Nathan. Gewiss, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier Getan, auch hier noch.-Geh!-Begreifst du aber, Wieviel andaechtig schwaermen leichter, als Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch Andaechtig schwaermt, um nur,-ist er zu Zeiten Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst- Um nur gut handeln nicht zu duerfen?
Recha. Ah, Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch Nie wiederum allein!-Nicht wahr, er kann Auch wohl verreist nur sein?-
Nathan. Geht!-Allerdings.- Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick Ein Muselmann mir die beladenen Kamele. Kennt Ihr ihn?
Daja. Ha! Euer Derwisch.
Nathan. Wer?
Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!
Nathan. Al-Hafi? das Al-Hafi?
Daja. Itzt des Sultans Schatzmeister.
Nathan. Wie? Al-Hafi? Traeumst du wieder? Er ist's!-wahrhaftig, ist's!-koemmt auf uns zu. Hinein mit Euch, geschwind!-Was werd ich hoeren!
Dritter Auftritt
Nathan und der Derwisch.
Derwisch. Reisst nur die Augen auf, so weit Ihr koennt!
Nathan. Bist du's? Bist du es nicht?-In dieser Pracht, Ein Derwisch!...
Derwisch. Nun? warum denn nicht? Laesst sich Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
Nathan. Ei wohl, genug!-Ich dachte mir nur immer, Der Derwisch-so der rechte Derwisch-woll' Aus sich nichts machen lassen.
Derwisch. Beim Propheten Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein. Zwar wenn man muss-
Nathan. Muss! Derwisch!-Derwisch muss? Kein Mensch muss muessen, und ein Derwisch muesste? Was muesst' er denn?
Derwisch. Warum man ihn recht bittet, Und er fuer gut erkennt: das muss ein Derwisch.
Nathan. Bei unserm Gott! da sagst du wahr.-Lass dich Umarmen, Mensch.-Du bist doch noch mein Freund?
Derwisch. Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
Nathan. Trotzdem, was du geworden!
Derwisch. Koennt' ich nicht Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft Euch ungelegen waere?
Nathan. Wenn dein Herz Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl Im Staat, ist nur dein Kleid.
Derwisch. Das auch geehrt Will sein.-Was meint Ihr? ratet!-Was waer' ich An Eurem Hofe?
Nathan. Derwisch; weiter nichts. Doch nebenher, wahrscheinlich-Koch.
Derwisch. Nun ja! Mein Handwerk bei Euch zu verlernen.-Koch! Nicht Kellner auch?-Gesteht, dass Saladin Mich besser kennt.-Schatzmeister bin ich bei- Ihm worden.
Nathan. Du?-bei ihm?
Derwisch. Versteht: Des kleinern Schatzes,-denn des groessern wartet Sein Vater noch-des Schatzes fuer sein Haus.
Nathan. Sein Haus ist gross.
Derwisch. Und groesser, als Ihr glaubt; Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
Nathan. Doch ist den Bettlern Saladin so feind-
Derwisch. Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen Sich vorgesetzt,-und sollt' er selbst darueber Zum Bettler werden.
Nathan. Brav!-So mein ich's eben.
Derwisch. Er ist's auch schon, trotz einem!-Denn sein Schatz Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch Sie morgens eintritt, ist des Mittags laengst Verlaufen-
Nathan. Weil Kanaele sie zum Teil Verschlingen, die zu fuellen oder zu Verstopfen, gleich unmoeglich ist.
Derwisch. Getroffen!
Nathan. Ich kenne das!
Derwisch. Es taugt nun freilich nichts, Wenn Fuersten Geier unter Aesern sind. Doch sind sie Aeser unter Geiern, taugt's Noch zehnmal weniger.
Nathan. O nicht doch, Derwisch! Nicht doch!
Derwisch. Ihr habt gut reden, Ihr!-Kommt an: Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell' Euch ab.
Nathan. Was bringt dir deine Stelle?
Derwisch. Mir? Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern. -Denn ist es Ebb' im Schatz,-wie oefters ist, So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schiesst vor, Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefaellt.
Nathan. Auch Zins vom Zins der Zinsen?
Derwisch. Freilich!
Nathan. Bis Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
Derwisch. Das lockt Euch nicht?-So schreibet unsrer Freundschaft Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab Ich sehr auf Euch gerechnet.
Nathan. Wahrlich? Wie Denn so? wieso denn?
Derwisch. Dass Ihr mir mein Amt Mit Ehren wuerdet fuehren helfen; dass Ich allzeit offne Kasse bei Euch haette.- Ihr schuettelt?
Nathan. Nun, verstehn wir uns nur recht! Hier gibt's zu unterscheiden.-Du? warum Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem, Was ich vermag, mir stets willkommen.-Aber Al-Hafi Defterdar des Saladin, Der-dem-
Derwisch. Erriet ich's nicht? Dass Ihr doch immer So gut als klug, so klug als weise seid!- Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet, Soll bald geschieden wieder sein.-Seht da Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab. Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden, Haengt's in Jerusalem am Nagel, und Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuss Den heissen Sand mit meinen Lehrern trete.
Nathan. Dir aehnlich g'nug!
Derwisch. Und Schach mit ihnen spiele.
Nathan. Dein hoechstes Gut!
Derwisch. Denkt nur, was mich verfuehrte!- Damit ich selbst nicht laenger betteln duerfte? Den reichen Mann mit Bettlern spielen koennte? Vermoegend waer' im Hui den reichsten Bettler In einen armen Reichen zu verwandeln?
Nathan. Das nun wohl nicht.
Derwisch. Weit etwas Abgeschmackters! Ich fuehlte mich zum erstenmal geschmeichelt; Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt-
Nathan. Der war?
Derwisch. "Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern Zumute sei; ein Bettler habe nur Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben. Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt, Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab; Erkundigte so ungestuem sich erst Nach dem Empfaenger; nie zufrieden, dass Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe Nach dieser Ursach' filzig abzuwaegen. Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen! Al-Hafi gleicht verstopften Roehren nicht, Die ihre klar und still empfangnen Wasser So unrein und so sprudelnd wiedergeben. Al-Hafi denkt; Al-Hafi fuehlt wie ich!"- So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis Der Gimpel in dem Netze war.-Ich Geck! Ich eines Gecken Geck!
Nathan. Gemach, mein Derwisch, Gemach!
Derwisch. Ei was!-Es waer' nicht Geckerei, Bei Hunderttausenden die Menschen druecken, Ausmergeln, pluendern, martern, wuergen; und Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen? Es waer' nicht Geckerei, des Hoechsten Milde, Die sonder Auswahl ueber Boes' und Gute Und Flur und Wuestenei, in Sonnenschein Und Regen sich verbreitet,-nachzuaeffen, Und nicht des Hoechsten immer volle Hand Zu haben? Was? es waer' nicht Geckerei...
Nathan. Genug! hoer auf!
Derwisch. Lasst meiner Geckerei Mich doch nur auch erwaehnen!-Was? es waere Nicht Geckerei, an solchen Geckereien Die gute Seite dennoch auszuspueren, Um Anteil, dieser guten Seite wegen, An dieser Geckerei zu nehmen? He? Das nicht?
Nathan. Al-Hafi, mache, dass du bald In deine Wueste wieder koemmst. Ich fuerchte, Grad unter Menschen moechtest du ein Mensch Zu sein verlernen.
Derwisch. Recht, das fuercht ich auch. Lebt wohl!
Nathan. So hastig?-Warte doch, Al-Hafi. Entlaeuft dir denn die Wueste?-Warte doch!- Dass er mich hoerte!-He, Al-Hafi! hier!- Weg ist er; und ich haett' ihn noch so gern Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich, Dass er ihn kennt.
Vierter Auftritt
Daja eilig herbei. Nathan.
Daja. O Nathan, Nathan!
Nathan. Nun? Was gibt's?
Daja. Er laesst sich wieder sehn! Er laesst Sich wieder sehn!
Nathan. Wer, Daja? wer?
Daja. Er! Er!
Nathan. Er? Er?-Wann laesst sich der nicht sehn!-Ja so, Nur euer Er heisst er.-Das sollt' er nicht! Und wenn er auch ein Engel waere, nicht!-
Daja. Er wandelt untern Palmen wieder auf Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.
Nathan. Sie essend?-und als Tempelherr?
Daja. Was quaelt Ihr mich?-Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter Den dicht verschraenkten Palmen schon; und folgt Ihm unverrueckt. Sie laesst Euch bitten,-Euch Beschwoeren,-ungesaeumt ihn anzugehn. O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken, Ob er hinauf geht oder weiter ab Sich schlaegt. O eilt!
Nathan. So wie ich vom Kamele Gestiegen?-Schickt sich das?-Geh, eile du Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft. Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus In meinem Absein nicht betreten wollen; Und koemmt nicht ungern, wenn der Vater selbst Ihn laden laesst. Geh, sag, ich lass ihn bitten, Ihn herzlich bitten...
Daja. All umsonst! Er koemmt Euch nicht.-Denn kurz; er koemmt zu keinem Juden.
Nathan. So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten; Ihn wenigstens mit deinen Augen zu Begleiten.-Geh, ich komme gleich dir nach.
(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)
Fuenfter Auftritt
Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.
Tempelherr. Der folgt mir nicht vor langer Weile!-Sieh, Wie schielt er nach den Haenden!-Guter Bruder,... Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?
Klosterbruder. Nur Bruder-Laienbruder nur; zu dienen.
Tempelherr. Ja, guter Bruder, wer nur selbst was haette! Bei Gott! bei Gott! Ich habe nichts-
Klosterbruder. Und doch Recht warmen Dank! Gott geb' Euch tausendfach, Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille Und nicht die Gabe macht den Geber.-Auch Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar Nicht nachgeschickt.
Tempelherr. Doch aber nachgeschickt?
Klosterbruder. Ja; aus dem Kloster.
Tempelherr. Wo ich eben jetzt Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?
Klosterbruder. Die Tische waren schon besetzt; komm' aber Der Herr nur wieder mit zurueck.
Tempelherr. Wozu? Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen: Allein was tut's? Die Datteln sind ja reif.
Klosterbruder. Nehm' sich der Herr in acht' mit dieser Frucht. Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft Die Milz; macht melancholisches Gebluet.
Tempelherr. Wenn ich nun melancholisch gern mich fuehlte?- Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr Mir doch nicht nachgeschickt?
Klosterbruder. O nein!-Ich soll Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn Euch fuehlen.
Tempelherr. Und das sagt Ihr mir so selbst?
Klosterbruder. Warum nicht?
Tempelherr. (Ein verschmitzter Bruder!)-Hat Das Kloster Euresgleichen mehr?
Klosterbruder. Weiss nicht. Ich muss gehorchen, lieber Herr.
Tempelherr. Und da Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu kluegeln?
Klosterbruder. Waer's sonst gehorchen, lieber Herr?
Tempelherr. (Dass doch Die Einfalt immer Recht behaelt!)-Ihr duerft Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern Genauer kennen moechte?-Dass Ihr's selbst Nicht seid, will ich wohl schwoeren.
Klosterbruder. Ziemte mir's? Und frommte mir's?
Tempelherr. Wem ziemt und frommt es denn, Dass er so neubegierig ist? Wem denn?
Klosterbruder. Dem Patriarchen; muss ich glauben.-Denn Der sandte mich Euch nach.
Tempelherr. Der Patriarch? Kennt der das rote Kreuz auf weissem Mantel Nicht besser?
Klosterbruder. Kenn ja ich's!
Tempelherr. Nun, Bruder? nun?- Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner.- Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin, Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde Wir gern erstiegen haetten, um sodann Auf Sidon loszugehn;-setz ich hinzu: Selbzwanzigster gefangen und allein Vom Saladin begnadiget: so weiss Der Patriarch, was er zu wissen braucht; Mehr, als er braucht.
Klosterbruder. Wohl aber schwerlich mehr, Als er schon weiss.-Er wuesst' auch gern, warum Der Herr vom Saladin begnadigt worden; Er ganz allein.
Tempelherr. Weiss ich das selber?-Schon Den Hals entbloesst, kniet' ich auf meinem Mantel, Den Streich erwartend: als mich schaerfer Saladin Ins Auge fasst, mir naeher springt, und winkt. Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will Ihm danken; seh sein Aug' in Traenen: stumm Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe.-Wie Nun das zusammenhaengt, entraetsle sich Der Patriarche selbst.
Klosterbruder. Er schliesst daraus, Dass Gott zu grossen, grossen Dingen Euch Muess' aufbehalten haben.
Tempelherr. Ja, zu grossen! Ein Judenmaedchen aus dem Feu'r zu retten; Auf Sinai neugier'ge Pilger zu Geleiten; und dergleichen mehr.
Klosterbruder. Wird schon Noch kommen!-Ist inzwischen auch nicht uebel.- Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits Weit wicht'gere Geschaefte fuer den Herrn.
Tempelherr. So? meint Ihr, Bruder?-Hat er gar Euch schon Was merken lassen?
Klosterbruder. Ei, Jawohl!-Ich soll Den Herrn nur erst ergruenden, ob er so Der Mann wohl ist.
Tempelherr. Nun ja; ergruendet nur! (Ich will doch sehn, wie der ergruendet!)-Nun?
Klosterbruder. Das Kuerzste wird wohl sein, dass ich dem Herrn Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch Eroeffne.
Tempelherr. Wohl!
Klosterbruder. Er haette durch den Herrn Ein Briefchen gern bestellt.
Tempelherr. Durch mich? Ich bin Kein Bote.-Das, das waere das Geschaeft, Das weit glorreicher sei, als Judenmaedchen Dem Feu'r entreissen?
Klosterbruder. Muss doch wohl! Denn-sagt Der Patriarch-an diesem Briefchen sei Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen. Dies Briefchen wohl bestellt zu haben,-sagt Der Patriarch,-werd einst im Himmel Gott Mit einer ganz besondern Krone lohnen. Und dieser Krone,-sagt der Patriarch, Sei niemand wuerd'ger, als mein Herr.
Tempelherr. Als ich?
Klosterbruder. Denn diese Krone zu verdienen,-sagt Der Patriarch,-sei schwerlich jemand auch Geschickter, als mein Herr.
Tempelherr. Als ich?
Klosterbruder. Er sei Hier frei; koenn' ueberall sich hier besehn; Versteh', wie eine Stadt zu stuermen und Zu schirmen; koenne,-sagt der Patriarch,- Die Staerk' und Schwaeche der von Saladin Neu aufgefuehrten, innern, zweiten Mauer Am besten schaetzen, sie am deutlichsten Den Streitern Gottes,-sagt der Patriarch,- Beschreiben.
Tempelherr. Guter Bruder, wenn ich doch Nun auch des Briefchens naehern Inhalt wuesste.
Klosterbruder. Ja den,-den weiss ich nun wohl nicht so recht. Das Briefchen aber ist an Koenig Philipp.- Der Patriarch... Ich hab mich oft gewundert, Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet Von Dingen dieser Welt zu sein herab Sich lassen kann. Es muss ihm sauer werden.
Tempelherr. Nun dann? der Patriarch?
Klosterbruder. Weiss ganz genau, Ganz zuverlaessig, wie und wo, wie stark, Von welcher Seite Saladin, im Fall Es voellig wieder losgeht, seinen Feldzug Eroeffnen wird.
Tempelherr. Das weiss er?
Klosterbruder. Ja, und moecht' Es gern dem Koenig Philipp wissen lassen: Damit der ungefaehr ermessen koenne, Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um Mit Saladin den Waffenstillestand, Den Euer Orden schon so brav gebrochen, Es koste was es wolle, wiederher- Zustellen.
Tempelherr. Welch ein Patriarch!-Ja so! Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem Gemeinen Boten; will mich-zum Spion. Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder, Soviel Ihr mich ergruenden koennen, waer' Das meine Sache nicht.-Ich muesse mich Noch als Gefangenen betrachten; und Der Tempelherren einziger Beruf Sei mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht Kundschafterei zu treiben.
Klosterbruder. Dacht' ich's doch!- Will's auch dem Herrn nicht eben sehr veruebeln.- Zwar koemmt das Beste noch.-Der Patriarch Hiernaechst hat ausgegattert, wie die Feste Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt, In der die ungeheuern Summen stecken, Mit welchen Saladins vorsicht'ger Vater Das Heer besoldet, und die Zuruestungen Des Kriegs bestreitet. Saladin verfuegt Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen Nach dieser Feste sich, nur kaum begleitet.- Ihr merkt doch?
Tempelherr. Nimmermehr!
Klosterbruder. Was waere da Wohl leichter, als des Saladins sich zu Bemaechtigen? den Garaus ihm zu machen?- Ihr schaudert?-O es haben schon ein paar Gottsfuercht'ge Maroniten sich erboten, Wenn nur ein wackrer Mann sie fuehren wolle, Das Stueck zu wagen.
Tempelherr. Und der Patriarch Haett' auch zu diesem wackern Manne mich Ersehn?
Klosterbruder. Er glaubt, dass Koenig Philipp wohl Von Ptolemais aus die Hand hierzu Am besten bieten koenne.
Tempelherr. Mir? mir, Bruder? Mir? Habt Ihr nicht gehoert? nur erst gehoert, Was fuer Verbindlichkeit dem Saladin Ich habe?
Klosterbruder. Wohl hab ich's gehoert.
Tempelherr. Und doch?
Klosterbruder. Ja,-meint der Patriarch,-das waer' schon gut: Gott aber und der Orden...
Tempelherr. Aendern nichts! Gebieten mir kein Bubenstueck!
Klosterbruder. Gewiss nicht!- Nur,-meint der Patriarch,-sei Bubenstueck Vor Menschen, nicht auch Bubenstueck vor Gott.
Tempelherr. Ich waer' dem Saladin mein Leben schuldig: Und raubt' ihm seines?
Klosterbruder. Pfui!-Doch bliebe,-meint Der Patriarch,-noch immer Saladin Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund Zu sein, kein Recht erwerben koenne.
Tempelherr. Freund? An dem ich bloss nicht will zum Schurken werden; Zum undankbaren Schurken?
Klosterbruder. Allerdings!- Zwar,-meint der Patriarch,-des Dankes sei Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen. Und da verlauten wolle,-meint der Patriarch,- Dass Euch nur darum Saladin begnadet, Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen So was von seinem Bruder eingeleuchtet...
Tempelherr. Auch dieses weiss der Patriarch; und doch?- Ah! waere das gewiss! Ah, Saladin!- Wie? die Natur haett' auch nur einen Zug Von mir in deines Bruders Form gebildet: Und dem entspraeche nichts in meiner Seele? Was dem entspraeche, koennt' ich unterdruecken, Um einem Patriarchen zu gefallen?- Natur, so leugst du nicht! So widerspricht Sich Gott in seinen Werken nicht!-Geht, Bruder! Erregt mir meine Galle nicht!-Geht! geht!
Klosterbruder. Ich geh; und geh vergnuegter, als ich kam. Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.
Sechster Auftritt
Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weiten beobachtet hatte und sich nun ihm naehert.
Daja. Der Klosterbruder, wie mich duenkt, liess in Der besten Laun' ihn nicht.-Doch muss ich mein Paket nur wagen.
Tempelherr. Nun, vortrefflich!-Luegt Das Sprichwort wohl: dass Moench und Weib, und Weib Und Moench des Teufels beide Krallen sind? Er wirft mich heut aus einer in die andre.
Daja. Was seh ich?-Edler Ritter, Euch?-Gott Dank! Gott tausend Dank!-Wo habt Ihr denn Die ganze Zeit gesteckt?-Ihr seid doch wohl Nicht krank gewesen?
Tempelherr. Nein.
Daja. Gesund doch?
Tempelherr. Ja.
Daja. Wir waren Euertwegen wahrlich ganz Bekuemmert.
Tempelherr. So?
Daja. Ihr wart gewiss verreist?
Tempelherr. Erraten!
Daja. Und kamt heut erst wieder?
Tempelherr. Gestern.
Daja. Auch Rechas Vater ist heut angekommen. Und nun darf Recha doch wohl hoffen?
Tempelherr. Was?
Daja. Warum sie Euch so oefters bitten lassen. Ihr Vater ladet Euch nun selber bald Aufs dringlichste. Er koemmt von Babylon. Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen, Und allem, was an edeln Spezereien, An Steinen und an Stoffen, Indien Und Persien und Syrien, gar Sina, Kostbares nur gewaehren.
Tempelherr. Kaufe nichts.
Daja. Sein Volk verehret ihn als einen Fuersten. Doch dass es ihn den Weisen Nathan nennt Und nicht vielmehr den Reichen, hat mich oft Gewundert.
Tempelherr. Seinem Volk ist reich und weise Vielleicht das Naemliche.
Daja. Vor allen aber Haett's ihn den Guten nennen muessen. Denn Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist. Als er erfuhr, wieviel Euch Recha schuldig: Was haett', in diesem Augenblicke, nicht Er alles Euch getan, gegeben!
Tempelherr. Ei!
Daja. Versucht's und kommt und seht!
Tempelherr. Was denn? wie schnell Ein Augenblick vorueber ist?
Daja. Haett' ich, Wenn er so gut nicht waer', es mir so lange Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa, Ich fuehle meinen Wert als Christin nicht? Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen, Dass ich nur darum meinem Ehgemahl Nach Palaestina folgen wuerd', um da Ein Judenmaedchen zu erziehn. Es war Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht In Kaiser Friedrichs Heere-
Tempelherr. Von Geburt Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward, Mit Seiner Kaiserlichen Majestaet In einem Flusse zu ersaufen.-Weib! Wievielmal habt Ihr mir das schon erzaehlt? Hoert Ihr denn gar nicht auf mich zu verfolgen?
Daja. Verfolgen! lieber Gott!
Tempelherr. Ja, ja, verfolgen. Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn! Nicht hoeren! Will von Euch an eine Tat Nicht fort und fort erinnert sein, bei der Ich nichts gedacht; die, wenn ich drueber denke, Zum Raetsel von mir selbst mir wird. Zwar moecht' Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht; Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr Seid schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn Ich mich vorher erkund-und brennen lasse, Was brennt.
Daja. Bewahre Gott!
Tempelherr. Von heut an tut Mir den Gefallen wenigstens, und kennt Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch lasst Den Vater mir vom Halse. Jud' ist Jude. Ich bin ein plumper Schwab. Des Maedchens Bild Ist laengst aus meiner Seele; wenn es je Da war.
Daja. Doch Eures ist aus ihrer nicht.
Tempelherr. Was soll's nun aber da? was soll's?
Daja. Wer weiss! Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.
Tempelherr. Doch selten etwas Bessers. (Er geht.)
Daja. Wartet doch! Was eilt Ihr?
Tempelherr. Weib, macht mir die Palmen nicht Verhasst, worunter ich so gern sonst wandle.
Daja. So geh, du deutscher Baer! so geh!-Und doch Muss ich die Spur des Tieres nicht verlieren.
(Sie geht ihm von weiten nach.)
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
(Die Szene: des Sultans Palast.)
Saladin und Sittah spielen Schach.
Sittah. Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
Saladin. Nicht gut? Ich daechte doch.
Sittah. Fuer mich; und kaum. Nimm diesen Zug zurueck.
Saladin. Warum?
Sittah. Der Springer Wird unbedeckt.
Saladin. Ist wahr. Nun so!
Sittah. So zieh Ich in die Gabel.
Saladin. Wieder wahr.-Schach dann!
Sittah. Was hilft dir das? Ich setze vor: und du Bist, wie du warst.
Saladin. Aus dieser Klemme seh Ich wohl, ist ohne Busse nicht zu kommen. Mag's! nimm den Springer nur.
Sittah. Ich will ihn nicht. Ich geh vorbei.
Saladin. Du schenkst mir nichts. Dir liegt An diesem Plane mehr, als an dem Springer.
Sittah. Kann sein.
Saladin. Mach deine Rechnung nur nicht ohne Den Wirt. Denn sieh! Was gilt's, das warst du nicht Vermuten?
Sittah. Freilich nicht. Wie konnt' ich auch Vermuten, dass du deiner Koenigin So muede waerst?
Saladin. Ich meiner Koenigin?
Sittah. Ich seh nun schon.-ich soll heut meine tausend Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.
Saladin. Wieso?
Sittah. Frag noch!-Weil du mit Fleiss, mit aller Gewalt verlieren willst.-Doch dabei find Ich meine Rechnung nicht. Denn ausser, dass Ein solches Spiel das unterhaltendste Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten Mit dir' wenn ich verlor? Wenn hast du mir Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen Zu troesten, doppelt nicht hernach geschenkt?
Saladin. Ei sieh! so haettest du ja wohl, wenn du Verlorst, mit Fleiss verloren, Schwesterchen?
Sittah. Zum wenigsten kann gar wohl sein, dass deine Freigebigkeit, mein liebes Bruederchen, Schuld ist, dass ich nicht besser spielen lernen.
Saladin. Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!
Sittah. So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!
Saladin. Nun freilich; dieses Abschach hab ich nicht Gesehn, das meine Koenigin zugleich Mit niederwirft.
Sittah. War dem noch abzuhelfen? Lass sehn.
Saladin. Nein, nein; nimm nur die Koenigin. Ich war mit diesem Steine nie recht gluecklich.
Sittah. Bloss mit dem Steine?
Saladin. Fort damit!-Das tut Mir nichts. Denn so ist alles wiederum Geschuetzt.
Sittah. Wie hoeflich man mit Koeniginnen Verfahren muesse: hat mein Bruder mich Zu wohl gelehrt. (Sie laesst sie stehen.)
Saladin. Nimm, oder nimm sie nicht! Ich habe keine mehr.
Sittah. Wozu sie nehmen? Schach!-Schach!
Saladin. Nur weiter.
Sittah. Schach!-und Schach!-und Schach!-
Saladin. Und matt!
Sittah. Nicht ganz; du ziehst den Springer noch Dazwischen; oder was du machen willst. Gleichviel!
Saladin. Ganz recht!-Du hast gewonnen: und Al-Hafi zahlt.-Man lass' ihn rufen! gleich! Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut. Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine Bestaendig? die an nichts erinnern, nichts Bezeichnen. Hab ich mit dem Iman denn Gespielt?-Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht Die umgeformten Steine, Sittah, sind's, Die mich verlieren machten: deine Kunst, Dein ruhiger und schneller Blick...
Sittah. Auch so Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen. Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.
Saladin. Als du? Was haette dich zerstreuet?
Sittah. Deine Zerstreuung freilich nicht!-O Saladin, Wenn werden wir so fleissig wieder spielen.
Saladin. So spielen wir um so viel gieriger!- Ah! weil es wieder losgeht, meinst du?-Mag's!- Nur zu!-Ich habe nicht zuerst gezogen; Ich haette gern den Stillestand aufs neue Verlaengert; haette meiner Sittah gern, Gern einen guten Mann zugleich verschafft. Und das muss Richards Bruder sein: er ist Ja Richards Bruder.
Sittah. Wenn du deinen Richard Nur loben kannst!
Saladin. Wenn unserm Bruder Melek Dann Richards Schwester waer' zu Teile worden: Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten, Der besten Haeuser in der Welt das beste! Du hoerst, ich bin mich selbst zu loben, auch Nicht faul. Ich duenk mich meiner Freunde wert. Das haette Menschen geben sollen! das!
Sittah. Hab ich des schoenen Traums nicht gleich gelacht? Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen. Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her, Mit Menschlichkeit den Aberglauben wuerzt, Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist: Weil's Christus lehrt; weil's Christus hat getan.- Wohl ihnen, dass er so ein guter Mensch Noch war! Wohl ihnen, dass sie seine Tugend Auf Treu und Glaube nehmen koennen!-Doch Was Tugend?-Seine Tugend nicht; sein Name Soll ueberall verbreitet werden; soll Die Namen aller guten Menschen schaenden, Verschlingen. Um den Namen, um den Namen Ist ihnen nur zu tun.
Saladin. Du meinst: warum Sie sonst verlangen wuerden, dass auch ihr, Auch du und Melek, Christen hiesset, eh' Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?
Sittah. Jawohl! Als waer' von Christen nur, als Christen, Die Liebe zu gewaertigen, womit Der Schoepfer Mann und Maennin ausgestattet!
Saladin. Die Christen glauben mehr Armseligkeiten, Als dass sie die nicht auch noch glauben koennten! Und gleichwohl irrst du dich.-Die Tempelherren, Die Christen nicht, sind schuld: sind nicht, als Christen, Als Tempelherren schuld. Durch die allein Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca, Das Richards Schwester unserm Bruder Melek Zum Brautschatz bringen muesste, schlechterdings Nicht fahren lassen. Dass des Ritters Vorteil Gefahr nicht laufe, spielen sie den Moench, Den albern Moench. Und ob vielleicht im Fluge Ein guter Streich gelaenge: haben sie Des Waffenstillestandes Ablauf kaum Erwarten koennen.-Lustig! Nur so weiter! Ihr Herren, nur so weiter!-Mir schon recht!- Waer' alles sonst nur, wie es muesste.
Sittah. Nun? Was irrte dich denn sonst? Was koennte sonst Dich aus der Fassung bringen?
Saladin. Was von je Mich immer aus der Fassung hat gebracht.- Ich war auf Libanon, bei unserm Vater. Er unterliegt den Sorgen noch...
Sittah. O weh!
Saladin. Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten; Es fehlt bald da, bald dort-
Sittah. Was klemmt? was fehlt?
Saladin. Was sonst, als was ich kaum zu nennen wuerd'ge? Was, wenn ich's habe, mir so ueberfluessig, Und hab ich's nicht, so unentbehrlich scheint.- Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach Ihm aus?-Das leidige, verwuenschte Geld!- Gut, Hafi, dass du koemmst.
Zweiter Auftritt
Der Derwisch Al-Hafi. Saladin. Sittah.
Al-Hafi. Die Gelder aus Aegypten sind vermutlich angelangt. Wenn's nur fein viel ist.
Saladin. Hast du Nachricht?
Al-Hafi. Ich? Ich nicht. Ich denke, dass ich hier sie in Empfang soll nehmen.
Saladin. Zahl an Sittah tausend Dinare! (In Gedanken hin und her gebend.)
Al-Hafi. Zahl! anstatt empfang! O schoen! Das ist fuer Was noch weniger als Nichts.- An Sittah?-wiederum an Sittah? Und Verloren?-wiederum im Schach verloren?- Da steht es noch das Spiel!
Sittah. Du goennst mir doch Mein Glueck?
Al-Hafi (das Spiel betrachtend). Was goennen? Wenn-Ihr wisst ja wohl.
Sittah (ihm winkend). Bst! Hafi! bst!
Al-Hafi (noch auf das Spiel gerichtet). Goennt's Euch nur selber erst!
Sittah. Al-Hafi; bst!
Al-Hafi (zu Sittah). Die Weissen waren Euer? Ihr bietet Schach?
Sittah. Gut, dass er nichts gehoert.
Al-Hafi. Nun ist der Zug an ihm?
Sittah (ihm naehertretend). So sage doch, Dass ich mein Geld bekommen kann.
Al-Hafi (noch auf das Spiel geheftet). Nun ja; Ihr sollt's bekommen, wie Ihr's stets bekommen.
Sittah. Wie? bist du toll?
Al-Hafi. Das Spiel ist ja nicht aus. Ihr habt ja nicht verloren, Saladin.
Saladin (kaum hinhoerend). Doch! doch! Bezahl! bezahl!
Al-Hafi. Bezahl! bezahl! Da steht ja Eure Koenigin.
Saladin (noch so). Gilt nicht; Gehoert nicht mehr ins Spiel.
Sittah. So mach und sag, Dass ich das Geld mir nur kann holen lassen.
Al-Hafi (noch immer in das Spiel vertieft). Versteht sich, so wie immer.-Wenn auch schon; Wenn auch die Koenigin nichts gilt: Ihr seid Doch darum noch nicht matt.
Saladin (tritt hinzu und wirft das Spiel um). Ich bin es; will Es sein.
Al-Hafi. Ja so!-Spiel wie Gewinst! So wie Gewonnen, so bezahlt.
Saladin (zu Sittah). Was sagt er? was?
Sittah (von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend). Du kennst ihn ja. Er straeubt sich gern; laesst gern Sich bitten; ist wohl gar ein wenig neidisch.-
Saladin. Auf dich doch nicht? Auf meine Schwester nicht? Was hoer ich, Hafi? Neidisch? du?
Al-Hafi. Kann sein! Kann sein!-Ich haett' ihr Hirn wohl lieber selbst; Waer' lieber selbst so gut, als sie.
Sittah. Indes Hat er doch immer richtig noch bezahlt. Und wird auch heut bezahlen. Lass ihn nur!- Geh nur, Al-Hafi, geh! Ich will das Geld Schon holen lassen.
Al-Hafi. Nein; ich spiele laenger Die Mummerei nicht mit. Er muss es doch Einmal erfahren.
Saladin. Wer? und was?
Sittah. Al-Hafi! Ist dieses dein Versprechen? Haeltst du so Mir Wort?
Al-Hafi. Wie konnt' ich glauben, dass es so Weit gehen wuerde.
Saladin. Nun? erfahr ich nichts?
Sittah. Ich bitte dich, Al-Hafi; sei bescheiden.
Saladin. Das ist doch sonderbar! Was koennte Sittah So feierlich, so warm bei einem Fremden, Bei einem Derwisch lieber, als bei mir, Bei ihrem Bruder, sich verbitten wollen. Al-Hafi, nun befehl ich.-Rede, Derwisch!
Sittah. Lass eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir Nicht naeher treten, als sie wuerdig ist. Du weisst, ich habe zu verschiednen Malen Dieselbe Summ' im Schach von dir gewonnen. Und weil ich itzt das Geld nicht noetig habe; Weil itzt in Hafis Kasse doch das Geld Nicht eben allzuhaeufig ist: so sind Die Posten stehngeblieben. Aber sorgt Nur nicht! Ich will sie weder dir, mein Bruder, Noch Hafi, noch der Kasse schenken.
Al-Hafi. Ja, Wenn's das nur waere! das!
Sittah. Und mehr dergleichen.- Auch das ist in der Kasse stehngeblieben, Was du mir einmal ausgeworfen; ist Seit wenig Monden stehngeblieben.
Al-Hafi. Noch Nicht alles.
Saladin. Noch nicht?-Wirst du reden?
Al-Hafi. Seit aus Aegypten wir das GeId erwarten, Hat sie...
Sittah (zu Saladin). Wozu ihn hoeren?
Al-Hafi. Nicht nur nichts Bekommen...
Saladin. Gutes Maedchen!-Auch beiher Mit vorgeschossen. Nicht?
Al-Hafi. Den ganzen Hof Erhalten; Euern Aufwand ganz allein Bestritten.
Saladin. Ha! das, das ist meine Schwester! (Sie umarmend.)
Sittah. Wer hatte, dies zu koennen, mich so reich Gemacht, als du, mein Bruder?
Al-Hafi. Wird schon auch So bettelarm sie wieder machen, als Er selber ist.
Saladin. Ich arm? der Bruder arm? Wenn hab ich mehr? wenn weniger gehabt?- Ein Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd,-und Einen Gott! Was brauch ich mehr? Wenn kann's an dem mir fehlen? Und doch, Al-Hafi, koennt' ich mit dir schelten.
Sittah. Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unserm Vater Auch seine Sorgen so erleichtern koennte!
Saladin. Ah! Ah! Nun schlaegst du meine Freudigkeit Auf einmal wieder nieder!-Mir, fuer mich Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm, Ihm fehlet; und in ihm uns allen.-Sagt, Was soll ich machen?-Aus Aegypten kommt Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt, Weiss Gott. Es ist doch da noch alles ruhig.- Abbrechen, einziehn, sparen, will ich gern, Mir gern gefallen lassen; wenn es mich, Bloss mich betrifft; bloss mich, und niemand sonst Darunter leidet.-Doch was kann das machen? Ein Pferd, Ein Kleid, Ein Schwert, muss ich doch haben. Und meinem Gott ist auch nichts abzudingen. Ihm gnuegt schon so mit wenigem genug; Mit meinem Herzen.-Auf den Ueberschuss Von deiner Kasse, Hafi, hatt' ich sehr Gerechnet.
Al-Hafi. Ueberschuss?-Sagt selber, ob Ihr mich nicht haettet spiessen, wenigstens Mich drosseln lassen, wenn auf Ueberschuss Ich von Euch waer' ergriffen worden. Ja, Auf Unterschleif! das war zu wagen.
Saladin. Nun, Was machen wir denn aber?-Konntest du Vorerst bei niemand andern borgen, als Bei Sittah?
Sittah. Wuerd' ich dieses Vorrecht, Bruder, Mir haben nehmen lassen? Mir von ihm? Auch noch besteh ich drauf. Noch bin ich auf Dem Trocknen voellig nicht.
Saladin. Nur voellig nicht! Das fehlte noch!-Geh gleich, mach Anstalt, Hafi! Nimm auf bei wem du kannst! und wie du kannst! Geh, borg, versprich.-Nur, Hafi, borge nicht Bei denen, die ich reich gemacht. Denn borgen Von diesen, moechte wiederfordern heissen. Geh zu den Geizigsten; die werden mir Am liebsten leihen. Denn sie wissen wohl, Wie gut ihr Geld in meinen Haenden wuchert.
Al-Hafi. Ich kenne deren keine.
Sittah. Eben faellt Mir ein, gehoert zu haben, Hafi, dass Dein Freund zurueckgekommen.
Al-Hafi (betroffen). Freund? mein Freund? Wer waer' denn das?
Sittah. Dein hochgepriesner Jude.
Al-Hafi. Gepriesner Jude? hoch von mir?
Sittah. Dem Gott,- Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst Du selber dich von ihm bedientest,-dem Sein Gott von allen Guetern dieser Welt Das Kleinst' und Groesste so in vollem Mass Erteilet habe.-
Al-Hafi. Sagt' ich so?-Was meint' Ich denn damit?
Sittah. Das Kleinste: Reichtum. Und Das Groesste: Weisheit.
Al-Hafi. Wie? von einem Juden? Von einem Juden haett' ich das gesagt?
Sittah. Das haettest du von deinem Nathan nicht Gesagt?
Al-Hafi. Ja so! von dem! vom Nathan!-Fiel Mir der doch gar nicht bei.-Wahrhaftig? Der Ist endlich wieder heimgekommen? Ei! So mag's doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn.- Ganz recht: den nannt' einmal das Volk den Weisen! Den Reichen auch.
Sittah. Den Reichen nennt es ihn Itzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt, Was fuer Kostbarkeiten, was fuer Schaetze Er mitgebracht.
Al-Hafi. Nun, ist's der Reiche wieder: So wird's auch wohl der Weise wieder sein.
Sittah. Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?
Al-Hafi. Und was bei ihm?-Doch wohl nicht borgen?-Ja, Da kennt Ihr ihn.-Er borgen!-Seine Weisheit Ist eben, dass er niemand borgt.
Sittah. Du hast Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm Gemacht.
Al-Hafi. Zur Not wird er Euch Waren borgen. Geld aber, Geld? Geld nimmermehr.-Es ist Ein Jude freilich uebrigens, wie's nicht Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiss Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten Von allen andern Juden aus.-Auf den, Auf den nur rechnet nicht.-Den Armen gibt Er zwar; und gibt vielleicht trotz Saladin. Wenn schon nicht ganz so viel; doch ganz so gern; Doch ganz so sonder Ansehn. Jud' und Christ Und Muselmann und Parsi, alles ist Ihm eins.
Sittah. Und so ein Mann...
Saladin. Wie kommt es denn, Dass ich von diesem Manne nie gehoert?...
Sittah. Der sollte Saladin nicht borgen? nicht Dem Saladin, der nur fuer andre braucht, Nicht sich?
Al-Hafi. Da seht nun gleich den Juden wieder; Den ganz gemeinen Juden!-Glaubt mir's doch!- Er ist aufs Geben Euch so eifersuechtig, So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in Der Welt gesagt wird, zoeg' er lieber ganz Allein. Nur darum eben leiht er keinem, Damit er stets zu geben habe. Weil Die Mild' ihm im Gesetz geboten; die Gefaelligkeit ihm aber nicht geboten: macht Die Mild' ihn zu dem ungefaelligsten Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit Geraumer Zeit ein wenig uebern Fuss Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, dass ich Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige. Er ist zu allem gut: bloss dazu nicht; Bloss dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich Nur gehn, an andre Tueren klopfen... Da Besinn ich mich soeben eines Mohren, Der reich und geizig ist.-Ich geh; ich geh.
Sittah. Was eilst du, Hafi?
Saladin. Lass ihn! lass ihn!
Dritter Auftritt
Sittah. Saladin.
Sittah. Eilt Er doch, als ob er mir nur gern entkaeme! Was heisst das?-Hat er wirklich sich in ihm Betrogen, oder-moecht' er uns nur gern Betruegen?
Saladin. Wie? das fragst du mich? Ich weiss Ja kaum, von wem die Rede war; und hoere Von euerm Juden, euerm Nathan heut Zum erstenmal.
Sittah. Ist's moeglich? dass ein Mann Dir so verborgen blieb, von dem es heisst, Er habe Salomons und Davids Graeber Erforscht, und wisse deren Siegel durch Ein maechtiges geheimes Wort zu loesen? Aus ihnen bring' er dann von Zeit zu Zeit Die unermesslichen Reichtuemer an Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.
Saladin. Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Graebern, So waren's sicherlich nicht Salomons, Nicht Davids Graeber. Narren lagen da Begraben!
Sittah. Oder Boesewichter!-Auch Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger, Weit unerschoepflicher, als so ein Grab Voll Mammon.
Saladin. Denn er handelt; wie ich hoerte.
Sittah. Sein Saumtier treibt auf allen Strassen, zieht Durch alle Wuesten; seine Schiffe liegen In allen Haefen. Das hat mir wohl eh' Al-Hafi selbst gesagt; und voll Entzuecken Hinzugefuegt, wie gross, wie edel dieser Sein Freund anwende, was so klug und emsig Er zu erwerben fuer zu klein nicht achte. Hinzugefuegt, wie frei von Vorurteilen Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend, Wie eingestimmt mit jeder Schoenheit sei.
Saladin. Und itzt sprach Hafi doch so ungewiss, So kalt von ihm.
Sittah. Kalt nun wohl nicht; verlegen. Als halt' er's fuer gefaehrlich, ihn zu loben, Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln.- Wie? oder waer' es wirklich so, dass selbst Der Beste seines Volkes seinem Volke Nicht ganz entfliehen kann? dass wirklich sich Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite Zu schaemen haette?-Sei dem, wie ihm wolle!- Der Jude sei mehr oder weniger Als Jud', ist er nur reich: genug fuer uns!
Saladin. Du willst ihm aber doch das Seine mit Gewalt nicht nehmen, Schwester?
Sittah. Ja, was heisst Bei dir Gewalt? Mit Feu'r und Schwert? Nein, nein, Was braucht es mit den Schwachen fuer Gewalt, Als ihre Schwaeche?-Komm vor itzt nur mit In meinen Haram, eine Saengerin Zu hoeren, die ich gestern erst gekauft. Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag, Den ich auf diesen Nathan habe.-Komm!
Vierter Auftritt
(Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stoesst.)
Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.
Recha. Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er Wird kaum noch mehr zu treffen sein.
Nathan. Nun, nun; Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr: Doch anderwaerts.-Sei itzt nur ruhig.-Sieh! Koemmt dort nicht Daja auf uns zu?
Recha. Sie wird Ihn ganz gewiss verloren haben.
Nathan. Auch Wohl nicht.
Recha. Sie wuerde sonst geschwinder kommen.
Nathan. Sie hat uns wohl noch nicht gesehn...
Recha. Nun sieht Sie uns.
Nathan. Und doppelt ihre Schritte. Sieh! Sei doch nur ruhig! ruhig!
Recha. Wolltet Ihr Wohl eine Tochter, die hier ruhig waere? Sich unbekuemmert liesse, wessen Wohltat Ihr Leben sei? Ihr Leben,-das ihr nur So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.
Nathan. Ich moechte dich nicht anders, als du bist: Auch wenn ich wuesste, dass in deiner Seele Ganz etwas anders noch sich rege.
Recha. Was, Mein Vater?
Nathan. Fragst du mich? so schuechtern mich? Was auch in deinem Innern vorgeht, ist Natur und Unschuld. Lass es keine Sorge Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher Sich einst erklaert, mir seiner Wuensche keinen Zu bergen.
Recha. Schon die Moeglichkeit, mein Herz Euch lieber zu verhuellen, macht mich zittern.
Nathan. Nichts mehr hiervon! Das ein fuer allemal Ist abgetan.-Da ist ja Daja.-Nun?
Daja. Noch wandelt er hier untern Palmen; und Wird gleich um jene Mauer kommen.-Seht, Da koemmt er!
Recha. Ah! und scheinet unentschlossen, Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts? Ob links?
Daja. Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster Gewiss noch oefter; und dann muss er hier Vorbei.-Was gilt's?
Recha. Recht! recht!-Hast du ihn schon Gesprochen? Und wie ist er heut?
Daja. Wie immer.
Nathan. So macht nur, dass er Euch hier nicht gewahr Wird. Tretet mehr zurueck. Geht lieber ganz Hinein.
Recha. Nur einen Blick noch!-Ah! die Hecke, Die mir ihn stiehlt.
Daja. Kommt! kommt! Der Vater hat Ganz recht. Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht, Dass auf der Stell' er umkehrt.
Recha. Ah! die Hecke!
Nathan. Und koemmt er ploetzlich dort aus ihr hervor: So kann er anders nicht, er muss Euch sehn. Drum geht doch nur!
Daja. Kommt! kommt! Ich weiss ein Fenster, Aus dem wir sie bemerken koennen.
Recha. Ja?
(Beide hinein.)
Fuenfter Auftritt
Nathan und bald darauf der Tempelherr.
Nathan. Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht Mich seine rauhe Tugend stutzen. Dass Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen Soll machen koennen!-Ha! er koemmt.-Bei Gott! Ein Juengling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl Den guten, trotz'gen Blick! den prallen Gang! Die Schale kann nur bitter sein: der Kern Ist's sicher nicht.-Wo sah ich doch dergleichen?- Verzeihet, edler Franke...
Tempelherr. Was?
Nathan. Erlaubt...
Tempelherr. Was, Jude? was?
Nathan. Dass ich mich untersteh, Euch anzureden.
Tempelherr. Kann ich's wehren? Doch Nur kurz.
Nathan. Verzieht, und eilet nicht so stolz, Nicht so veraechtlich einem Mann vorueber, Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.
Tempelherr. Wie das?-Ah, fast errat ich's. Nicht? Ihr seid...
Nathan. Ich heisse Nathan; bin des Maedchens Vater, Das Eure Grossmut aus dem Feu'r gerettet; Und komme...
Tempelherr. Wenn zu danken:-spart's! Ich hab Um diese Kleinigkeit des Dankes schon Zu viel erdulden muessen.-Vollends Ihr, Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wusst' ich denn, Dass dieses Maedchen Eure Tochter war? Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten Dem besten beizuspringen, dessen Not Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem In diesem Augenblicke laestig. Gern, Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit, Es fuer ein andres Leben in die Schanze Zu schlagen: fuer ein andres-wenn's auch nur Das Leben einer Juedin waere.
Nathan. Gross! Gross und abscheulich!-Doch die Wendung laesst Sich denken. Die bescheidne Groesse fluechtet Sich hinter das Abscheuliche, um der Bewundrung auszuweichen.-Aber wenn Sie so das Opfer der Bewunderung Verschmaeht: was fuer ein Opfer denn verschmaeht Sie minder?-Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd Und nicht gefangen waeret, wuerd' ich Euch So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit Kann man Euch dienen?
Tempelherr. Ihr? Mit nichts.
Nathan. Ich bin Ein reicher Mann.
Tempelherr. Der reichre Jude war Mir nie der bessre Jude.
Nathan. Duerft Ihr denn Darum nicht nuetzen, was demungeachtet Er Bessres hat? nicht seinen Reichtum nuetzen?
Tempelherr. Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden; Um meines Mantels willen nicht. Sobald Der ganz und gar verschlissen; weder Stich Noch Fetze laenger halten will: komm ich Und borge mir bei Euch zu einem neuen, Tuch oder Geld.-Seht nicht mit eins so finster! Noch seid Ihr sicher; noch ist's nicht so weit Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch Im Stande. Nur der eine Zipfel da Hat einen garstigen Fleck; er ist versengt. Und das bekam er, als ich Eure Tochter Durchs Feuer trug.
Nathan (der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet). Es ist doch sonderbar, Dass so ein boeser Fleck, dass so ein Brandmal Dem Mann ein bessres Zeugnis redet, als Sein eigner Mund. Ich moecht' ihn kuessen gleich- Den Flecken!-Ah, verzeiht!-Ich tat es ungern.
Tempelherr. Was?
Nathan. Eine Traene fiel darauf.
Tempelherr. Tut nichts! Er hat der Tropfen mehr.-(Bald aber faengt Mich dieser Jud' an zu verwirren.)
Nathan. Waert Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel Auch einmal meinem Maedchen?
Tempelherr. Was damit?
Nathan. Auch ihren Mund an diesen Fleck zu druecken. Denn Eure Kniee selber zu umfassen, Wuenscht sie nun wohl vergebens.
Tempelherr. Aber, Jude- Ihr heisset Nathan?-Aber, Nathan-Ihr Setzt Eure Worte sehr-sehr gut-sehr spitz- Ich bin betreten-Allerdings-ich haette...
Nathan. Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder, Um hoeflicher zu sein.-Das Maedchen, ganz Gefuehl; der weibliche Gesandte, ganz Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt- Ihr trugt fuer ihren guten Namen Sorge; Floht ihre Pruefung; floht, um nicht zu siegen. Auch dafuer dank ich Euch-
Tempelherr. Ich muss gestehn, Ihr wisst, wie Tempelherren denken sollten.
Nathan. Nur Tempelherren? sollten bloss? und bloss Weil es die Ordensregeln so gebieten? Ich weiss, wie gute Menschen denken; weiss, Dass alle Laender gute Menschen tragen.
Tempelherr. Mit Unterschied, doch hoffentlich?
Nathan. Jawohl; An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.
Tempelherr. Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.
Nathan. Mit diesem Unterschied ist's nicht weit her. Der grosse Mann braucht ueberall viel Boden; Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen Sich nur die Aeste. Mittelgut, wie wir, Find't sich hingegen ueberall in Menge. Nur muss der eine nicht den andern maekeln. Nur muss der Knorr den Knuppen huebsch vertragen. Nur muss ein Gipfelchen sich nicht vermessen, Dass es allein der Erde nicht entschossen.
Tempelherr. Sehr wohl gesagt!-Doch kennt Ihr auch das Volk, Das diese Menschenmaekelei zuerst Getrieben? Wisst Ihr, Nathan, welches Volk Zuerst das auserwaehlte Volk sich nannte? Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht hasste, Doch wegen seines Stolzes zu verachten, Mich nicht entbrechen koennte? Seines Stolzes; Den es auf Christ und Muselmann vererbte, Nur sein Gott sei der rechte Gott!-Ihr stutzt, Dass ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede? Wenn hat, und wo die fromme Raserei, Den bessern Gott zu haben, diesen bessern Der ganzen Welt als besten auf zudringen, In ihrer schwaerzesten Gestalt sich mehr Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt Die Schuppen nicht vom Auge fallen... Doch Sei blind, wer will!-Vergesst, was ich gesagt; Und lasst mich! (Will gehen.)
Nathan. Ha! Ihr wisst nicht, wie viel fester Ich nun mich an Euch draengen werde.-Kommt, Wir muessen, muessen Freunde sein!-Verachtet Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind Wir unser Volk? Was heisst denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden haette, dem es gnuegt, ein Mensch Zu heissen!
Tempelherr. Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan! Das habt Ihr!-Eure Hand!-Ich schaeme mich, Euch einen Augenblick verkannt zu haben.
Nathan. Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine Verkennt man selten.
Tempelherr. Und das Seltene Vergisst man schwerlich.-Nathan, ja; Wir muessen, muessen Freunde werden.
Nathan. Sind Es schon.-Wie wird sich meine Recha freuen!- Und ah! welch eine heitre Ferne schliesst Sich meinen Blicken auf!-Kennt sie nur erst.
Tempelherr. Ich brenne vor Verlangen.-Wer stuerzt dort Aus Euerm Hause? Ist's nicht ihre Daja?
Nathan. Jawohl. So aengstlich?
Tempelherr. Unsrer Recha ist Doch nichts begegnet?
Sechster Auftritt
Die Vorigen und Daja eilig.
Daja. Nathan! Nathan!
Nathan. Nun?
Daja. Verzeihet, edler Ritter, dass ich Euch Muss unterbrechen.
Nathan. Nun, was ist's?
Tempelherr. Was ist's?
Daja. Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will Euch sprechen. Gott, der Sultan!
Nathan. Mich? der Sultan? Er wird begierig sein, zu sehen, was Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.
Daja. Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen, Euch in Person, und bald; sobald Ihr koennt.-
Nathan. Ich werde kommen.-Geh nur wieder, geh!
Daja. Nehmt ja nicht uebel auf, gestrenger Ritter- Gott, wir sind so bekuemmert, was der Sultan Doch will.
Nathan. Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!
Siebenter Auftritt
Nathan und der Tempelherr.
Tempelherr. So kennt Ihr ihn noch nicht?-ich meine, von Person.
Nathan. Den Saladin? Noch nicht. Ich habe Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen. Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut Von ihm, dass ich nicht lieber glauben wollte, Als sehn. Doch nun,-wenn anders dem so ist, Hat er durch Sparung Eures Lebens...
Tempelherr. Ja; Dem allerdings ist so. Das Leben, das ich leb, ist sein Geschenk.
Nathan. Durch das er mir Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies Hat alles zwischen uns veraendert; hat Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum, Und kaum, kann ich es nun erwarten, was Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin Bereit zu allem; bin bereit ihm zu Gestehn, dass ich es Euertwegen bin.
Tempelherr. Noch hab ich selber ihm nicht danken koennen: Sooft ich auch ihm in den Weg getreten. Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam So schnell, als schnell er wiederum verschwunden. Wer weiss, ob er sich meiner gar erinnert. Und dennoch muss er, einmal wenigstens, Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal Ganz zu entscheiden. Nicht genug, dass ich Auf sein Geheiss noch bin, mit seinem Willen Noch leb: ich muss nun auch von ihm erwarten, Nach wessen Willen ich zu leben habe.
Nathan. Nicht anders; um so mehr will ich nicht saeumen.- Es faellt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch Zu kommen, Anlass gibt.-Erlaubt, verzeiht- Ich eile-Wenn, wenn aber sehn wir Euch Bei uns?
Tempelherr. Sobald ich darf.
Nathan. Sobald Ihr wollt.
Tempelherr. Noch heut.
Nathan. Und Euer Name?-muss ich bitten.
Tempelherr. Mein Name war-ist Curd von Stauffen.-Curd!
Nathan. Von Stauffen?-Stauffen?-Stauffen?
Tempelherr. Warum faellt Euch das so auf?
Nathan. Von Stauffen?-Des Geschlechts Sind wohl noch mehrere...
Tempelherr. O ja! hier waren, Hier faulen des Geschlechts schon mehrere. Mein Oheim selbst,-mein Vater will ich sagen, Doch warum schaerft sich Euer Blick auf mich Je mehr und mehr?
Nathan. O nichts! o nichts! Wie kann Ich Euch zu sehn ermueden?
Tempelherr. Drum verlass Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand Nicht selten mehr, als er zu finden wuenschte. Ich fuercht ihn, Nathan. Lasst die Zeit allmaehlich, Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.
(Er geht.)
Nathan (der ihm mit Erstaunen nachsieht). "Der Forscher fand nicht selten mehr, als er Zu finden wuenschte."-Ist es doch, als ob In meiner Seel' er lese!-Wahrlich ja; Das koennt' auch mir begegnen.-Nicht allein Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme. So, Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf; Trug Wolf sogar das Schwert im Arm'; strich Wolf Sogar die Augenbraunen mit der Hand, Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. Wie solche tiefgepraegte Bilder doch Zu Zeiten in uns schlafen koennen, bis Ein Wort, ein Laut sie weckt.-Von Stauffen!- Ganz redet, ganz recht; Filnek und Stauffen.- Ich will das bald genauer wissen; bald. Nur erst zum Saladin.-Doch wie? lauscht dort Nicht Daja?-Nun so komm nur naeher, Daja.
Achter Auftritt
Daja. Nathan.
Nathan. Was gilt's? nun drueckt's euch beiden schon das Herz, Noch ganz was anders zu erfahren, als Was Saladin mir will.
Daja. Verdenkt Ihr's ihr? Ihr fingt soeben an, vertraulicher Mit ihm zu sprechen: als des Sultans Botschaft Uns von dem Fenster scheuchte.
Nathan. Nun, so sag Ihr nur, dass sie ihn jeden Augenblick Erwarten darf.
Daja. Gewiss? gewiss?
Nathan. Ich kann Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei Auf deiner Hut; ich bitte dich. Es soll Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst Soll seine Rechnung dabei finden. Nur Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur Erzaehl und frage mit Bescheidenheit, Mit Rueckhalt...
Daja. Dass Ihr doch noch erst so was Erinnern koennt!-Ich geh; geht Ihr nur auch. Denn seht! ich glaube gar, da koemmt vom Sultan Ein zweiter Bot', Al-Hafi, Euer Derwisch. (Geht ab.)
Neunter Auftritt
Nathan. Al-Hafi.
Al-Hafi. Ha! ha! zu Euch wollt' ich nun eben wieder.
Nathan. Ist's denn so eilig? Was verlangt er denn Von mir?
Al-Hafi. Wer?
Nathan. Saladin.-Ich komm, ich komme.
Al-Hafi. Zu wem? Zum Saladin?
Nathan. Schickt Saladin Dich nicht?
Al-Hafi. Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?
Nathan. Ja freilich hat er.
Al-Hafi. Nun, so ist es richtig.
Nathan. Was? was ist richtig?
Al-Hafi. Dass... ich bin nicht schuld; Gott weiss, ich bin nicht schuld.-Was hab ich nicht Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!
Nathan. Was abzuwenden? Was ist richtig?
Al-Hafi. Dass Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich Bedaur' Euch. Doch mit ansehn will ich's nicht. Ich geh von Stund an; geh. Ihr habt es schon Gehoert, wohin; und wisst den Weg.-Habt Ihr Des Wegs was zu bestellen, sagt: ich bin Zu Diensten. Freilich muss es mehr nicht sein, Als was ein Nackter mit sich schleppen kann. Ich geh, sagt bald.
Nathan. Besinn dich doch, Al-Hafi. Besinn dich, dass ich noch von gar nichts weiss. Was plauderst du denn da?
Al-Hafi. Ihr bringt sie doch Gleich mit, die Beutel?
Nathan. Beutel?
Al-Hafi. Nun, das Geld, Das Ihr dem Saladin vorschiessen sollt. Nathan. Und weiter ist es nichts?
Al-Hafi. Ich sollt' es wohl Mit ansehn, wie er Euch von Tag zu Tag Aushoehlen wird bis auf die Zehen? Sollt' Es wohl mit ansehn, dass Verschwendung aus Der weisen Milde sonst nie leeren Scheuern So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch Die armen eingebornen Maeuschen drin Verhungern?-Bildet Ihr vielleicht Euch ein, Wer Euers Gelds beduerftig sei, der werde Doch Euerm Rate wohl auch folgen?-Ja; Er Rate folgen! Wenn hat Saladin Sich raten lassen?-Denkt nur, Nathan, was Mir eben itzt mit ihm begegnet.
Nathan. Nun?
Al-Hafi. Da komm ich zu ihm, eben dass er Schach Gespielt mit seiner Schwester. Sittah spielt Nicht uebel; und das Spiel, das Saladin Verloren glaubte, schon gegeben hatte, Das stand noch ganz so da. Ich seh Euch hin, Und sehe, dass das Spiel noch lange nicht Verloren.
Nathan. Ei! das war fuer dich ein Fund!
Al-Hafi. Er durfte mit dem Koenig an den Bauer Nur ruecken, auf ihr Schach.-Wenn ich's Euch gleich Nur zeigen koennte!
Nathan. O ich traue dir!
Al-Hafi. Denn so bekam der Roche Feld: und sie War hin.-Das alles will ich ihm nun weisen Und ruf ihn.-Denkt!...
Nathan. Er ist nicht deiner Meinung?
Al-Hafi. Er hoert mich gar nicht an, und wirft veraechtlich Das ganze Spiel in Klumpen.
Nathan. Ist das moeglich?
Al-Hafi. Und sagt: er wolle matt nun einmal sein; Er wolle! Heisst das spielen?
Nathan. Schwerlich wohl; Heisst mit dem Spielen spielen.
Al-Hafi. Gleichwohl galt Es keine taube Nuss.
Nathan. Geld hin, Geld her! Das ist das wenigste. Allein dich gar Nicht anzuhoeren! ueber einen Punkt Von solcher Wichtigkeit dich nicht einmal Zu hoeren! deinen Adlerblick nicht zu Bewundern! das, das schreit um Rache; nicht?
Al-Hafi. Ach was! Ich sage Euch das nur, damit Ihr sehen koennt, was fuer ein Kopf er ist. Kurz, ich, ich halt's mit ihm nicht laenger aus. Da lauf ich nun bei allen schmutz'gen Mohren Herum, und frage, wer ihm borgen will. Ich, der ich nie fuer mich gebettelt habe, Soll nun fuer andre borgen. Borgen ist Viel besser nicht als betteln: so wie leihen, Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist, Als stehlen. Unter meinen Ghebern, an Dem Ganges, brauch ich beides nicht, und brauche Das Werkzeug beider nicht zu sein. Am Ganges, Am Ganges nur gibt's Menschen. Hier seid Ihr Der einzige, der noch so wuerdig waere, Dass er am Ganges lebte.-Wollt Ihr mit?- Lasst ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche, Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach Und nach doch drum. So waer' die Plackerei Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk. Kommt! kommt!
Nathan. Ich daechte zwar, das blieb' uns ja Noch immer uebrig. Doch, Al-Hafi, will Ich's ueberlegen. Warte...
Al-Hafi. Ueberlegen? Nein, so was ueberlegt sich nicht.
Nathan. Nur bis Ich von dem Sultan wiederkomme; bis Ich Abschied erst...
Al-Hafi. Wer ueberlegt, der sucht Bewegungsgruende, nicht zu duerfen. Wer Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht, Entschliessen kann, der lebet andrer Sklav' Auf immer.-Wie Ihr wollt!-Lebt wohl! wie's Euch Wohl duenkt.-Mein Weg liegt dort; und Eurer da.
Nathan. Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das Deine Berichtigen?
Al-Hafi. Ach Possen! Der Bestand Von meiner Kass' ist nicht des Zaehlens wert; Und meine Rechnung buergt-Ihr oder Sittah. Lebt wohl! (Ab.)
Nathan (ihm nachsehend). Die buerg ich!-Wilder, guter, edler- Wie nenn ich ihn?-Der wahre Bettler ist Doch einzig und allein der wahre Koenig! (Von einer andern Seite ab.)
Dritter Aufzug
Erster Auftritt
(Szene: in Nathans Hause.)
Recha und Daja.
Recha. Wie, Daja, drueckte sich mein Vater aus? "Ich duerf' ihn jeden Augenblick erwarten?" Das klingt-nicht wahr?-als ob er noch so bald Erscheinen werde.-Wieviel Augenblicke Sind aber schon vorbei!-Ah nun: wer denkt An die verflossenen?-Ich will allein In jedem naechsten Augenblicke leben. Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.
Daja. O der verwuenschten Botschaft von dem Sultan! Denn Nathan haette sicher ohne sie Ihn gleich mit hergebracht.
Recha. Und wenn er nun Gekommen, dieser Augenblick; wenn denn Nun meiner Wuensche waermster, innigster Erfuellet ist: was dann?-was dann?
Daja. Was dann? Dann hoff ich, dass auch meiner Wuensche waermster Soll in Erfuellung gehen.
Recha. Was wird dann In meiner Brust an dessen Stelle treten, Die schon verlernt, ohn' einen herrschenden Wunsch aller Wuensche sich zu dehnen?-Nichts? Ah, ich erschrecke!...
Daja. Mein, mein Wunsch wird dann An des erfuellten Stelle treten; meiner. Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Haenden Zu wissen, welche deiner wuerdig sind.
Recha. Du irrst.-Was diesen Wunsch zu deinem macht, Das naemliche verhindert, dass er meiner Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland: Und meines, meines sollte mich nicht halten? Ein Bild der Deinen, das in deiner Seele Noch nicht verloschen, sollte mehr vermoegen, Als die ich sehn, und greifen kann, und hoeren, Die Meinen?
Daja. Sperre dich, soviel du willst! Des Himmels Wege sind des Himmels Wege. Und wenn es nun dein Retter selber waere, Durch den sein Gott, fuer den er kaempft, dich in Das Land, dich zu dem Volke fuehren wollte, Fuer welche du geboren wurdest?
Recha. Daja! Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja! Du hast doch wahrlich deine sonderbaren Begriffe! "Sein, sein Gott! fuer den er kaempft!" Wem eignet Gott? was ist das fuer ein Gott, Der einem Menschen eignet? der fuer sich Muss kaempfen lassen?-Und wie weiss Man denn, fuer welchen Erdkloss man geboren, Wenn man's fuer den nicht ist, auf welchem man Geboren?-Wenn mein Vater dich so hoerte!- Was tat er dir, mir immer nur mein Glueck So weit von ihm als moeglich vorzuspiegeln? Was tat er dir, den Samen der Vernunft, Den er so rein in meine Seele streute, Mit deines Landes Unkraut oder Blumen So gern zu mischen?-Liebe, liebe Daja, Er will nun deine bunten Blumen nicht Auf meinem Boden!-Und ich muss dir sagen, Ich selber fuehle meinen Boden, wenn Sie noch so schoen ihn kleiden, so entkraeftet, So ausgezehrt durch deine Blume; fuehle In ihrem Dufte, sauersuessem Dufte, Mich so betaeubt, so schwindelnd!-Dein Gehirn Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum Die staerkern Nerven nicht, die ihn vertragen. Nur schlaegt er mir nicht zu; und schon dein Engel, Wie wenig fehlte, dass er mich zur Naerrin Gemacht?-Noch schaem ich mich vor meinem Vater Der Posse!
Daja. Posse!-Als ob der Verstand Nur hier zu Hause waere! Posse! Posse! Wenn ich nur reden duerfte!
Recha. Darfst du nicht? Wenn war ich nicht ganz Ohr, sooft es dir Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten Nicht stets Bewunderung; und ihren Leiden Nicht immer Traenen gern gezollt? Ihr Glaube Schien freilich mir das Heldenmaessigste An ihnen nie. Doch so viel troestender War mir die Lehre, dass Ergebenheit In Gott von unserm Waehnen ueber Gott So ganz und gar nicht abhaengt.-Liebe Daja, Das hat mein Vater uns so oft gesagt; Darueber hast du selbst mit ihm so oft Dich einverstanden: warum untergraebst Du denn allein, was du mit ihm zugleich Gebauet?-Liebe Daja, das ist kein Gespraech, womit wir unserm Freund' am besten Entgegensehn. Fuer mich zwar, ja! Denn mir, Mir liegt daran unendlich, ob auch er... Horch, Daja!-Kommt es nicht an unsre Tuere? Wenn Er es waere! horch!
Zweiter Auftritt
Recha. Daja und der Tempelherr, dem jemand von aussen die Tuere oeffnet, mit den Worten:
Nur hier herein!
Recha (faehrt zusammen, fasst sich und will ihm zu Fuessen fallen). Er ist's!-Mein Retter, ah!
Tempelherr. Dies zu vermeiden Erschien ich bloss so spaet: und doch-
Recha. Ich will Ja zu den Fuessen dieses stolzen Mannes Nur Gott noch einmal danken; nicht dem Manne. Der Mann will keinen Dank; will ihn so wenig Als ihn der Wassereimer will, der bei Dem Loeschen so geschaeftig sich erwiesen. Der liess sich fuellen, liess sich leeren, mir Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der Ward nur so in die Glut hineingestossen; Da fiel ich ungefaehr ihm in den Arm; Da blieb ich ungefaehr, so wie ein Funken Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen; Bis wiederum, ich weiss nicht was, uns beide Herausschmiss aus der Glut.-Was gibt es da Zu danken?-In Europa treibt der Wein Zu noch weit andern Taten.-Tempelherren, Die muessen einmal nun so handeln; muessen Wie etwas besser zugelernte Hunde, Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.
Tempelherr (der sie mit Erstaunen und Unruhe die Zeit ueber betrachtet). O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken Des Kummers und der Galle, meine Laune Dich uebel anliess, warum jede Torheit, Die meiner Zung' entfuhr, ihr hinterbringen? Das hiess sich zu empfindlich raechen, Daja! Doch wenn du nur von nun an besser mich Bei ihr vertreten willst.
Daja. Ich denke, Ritter Ich denke nicht, dass diese kleinen Stacheln, Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr Geschadet haben.
Recha. Wie? Ihr hattet Kummer? Und wart mit Euerm Kummer geiziger Als Euerm Leben?
Tempelherr. Gutes, holdes Kind!- Wie ist doch meine Seele zwischen Auge Und Ohr geteilt!-Das war das Maedchen nicht, Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer Ich holte.-Denn wer haette die gekannt, Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer haette Auf mich gewartet?-Zwar-verstellt-der Schreck. (Pause, unter der er, in Anschauung ihrer, sich wie verliert.)
Recha. Ich aber find Euch noch den naemlichen.- (Dergleichen; bis sie fortfaehrt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.) Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange Gewesen?-Fast duerft' ich auch fragen: wo Ihr itzo seid?
Tempelherr. Ich bin,-wo ich vielleicht Nicht sollte sein.-
Recha. Wo Ihr gewesen?-Auch Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen? Das ist nicht gut.
Tempelherr. Auf-auf-wie heisst der Berg? Auf Sinai.
Recha. Auf Sinai?-Ah schoen! Nun kann ich zuverlaessig doch einmal Erfahren, ob es wahr...
Tempelherr. Was? was? Ob's wahr, Dass noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses Vor Gott gestanden, als...
Recha. Nun das wohl nicht. Denn wo er, stand, stand er vor Gott. Und davon Ist mir zur Gnuege schon bekannt.-Ob's wahr, Moecht' ich nur gern von Euch erfahren, dass- Dass es bei weitem nicht so muehsam sei, Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als Herab?-Denn seht; soviel ich Berge noch Gestiegen bin, war's just das Gegenteil.- Nun, Ritter?-Was?-Ihr kehrt Euch von mir ab? Wollt mich nicht sehn?
Tempelherr. Weil ich Euch hoeren will.
Recha. Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, dass Ihr meiner Einfalt laechelt; dass Ihr laechelt, Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers Von diesem heiligen Berg' aller Berge Zu fragen weiss? Nicht wahr?
Tempelherr. So muss Ich doch Euch wieder in die Augen sehn.- Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeisst Das Laecheln Ihr? wie ich noch erst in Mienen, In zweifelhaften Mienen lesen will, Was ich so deutlich hoer, Ihr so vernehmlich Mir sagt-verschweigt?-Ah Recha! Recha! Wie Hat er so wahr gesagt: "Kennt sie nur erst!"
Recha. Wer hat?-von wem?-Euch das gesagt?
Tempelherr. "Kennt sie Nur erst!" hat Euer Vater mir gesagt; Von Euch gesagt.
Daja. Und ich nicht etwa auch? Ich denn nicht auch?
Tempelherr. Allein wo ist er denn? Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch Beim Sultan?
Recha. Ohne Zweifel.
Tempelherr. Noch, noch da?- O mich Vergesslichen! Nein, nein; da ist Er schwerlich mehr.-Er wird dort unten bei Dem Kloster meiner warten; ganz gewiss. So red'ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt! Ich geh, ich hol ihn...
Daja. Das ist meine Sache. Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzueglich.
Tempelherr. Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen; Nicht Euch. Dazu, er koennte leicht... wer weiss? ... Er koennte bei dem Sultan leicht,... Ihr kennt Den Sultan nicht!... leicht in Verlegenheit Gekommen sein.-Glaubt mir; es hat Gefahr, Wenn ich nicht geh.
Recha. Gefahr? was fuer Gefahr?
Tempelherr. Gefahr fuer mich, fuer Euch, fuer ihn: wenn ich Nicht schleunig, schleunig geh. (Ab.)
Dritter Auftritt
Recha und Daja.
Recha. Was ist das, Daja?- So schnell?-Was koemmt ihm an? Was fiel ihm auf? Was jagt ihn?
Daja. Lasst nur, lasst. Ich denk, es ist Kein schlimmes Zeichen.
Recha. Zeichen? und wovon?
Daja. Dass etwas vorgeht innerhalb. Es kocht, Und soll nicht ueberkochen. Lasst ihn nur. Nun ist's an Euch.
Recha. Was ist an mir? Du wirst, Wie er, mir unbegreiflich.
Daja. Bald nun koennt Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.
Recha. Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.
Daja. Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?
Recha. Das bin ich; ja das bin ich...
Daja. Wenigstens Gesteht, dass Ihr Euch seiner Unruh' freut; Und seiner Unruh' danket, was Ihr itzt Von Ruh' geniesst.
Recha. Mir voellig unbewusst! Denn was ich hoechstens dir gestehen koennte, Waer', dass es mich-mich selbst befremdet, wie Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen So eine Stille ploetzlich folgen koennen. Sein voller Anblick, sein Gespraech, sein Ton Hat mich...
Daja. Gesaettigt schon?
Recha. Gesaettigt, will Ich nun nicht sagen; nein-bei weitem nicht.
Daja. Den heissen Hunger nur gestillt.
Recha. Nun ja: Wenn du so willst.
Daja. Ich eben nicht.
Recha. Er wird Mir ewig wert; mir ewig werter, als Mein Leben bleiben: wenn auch schon mein Puls Nicht mehr bei seinem blossen Namen wechselt; Nicht mehr mein Herz, sooft ich an ihn denke, Geschwinder, staerker schlaegt.-Was schwatz ich? Komm, Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster, Das auf die Palmen sieht.
Daja. So ist er doch Wohl noch nicht ganz gestillt, der heisse Hunger.
Recha. Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn: Nicht ihn bloss untern Palmen.
Daja. Diese Kaelte Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.
Recha. Was Kaelt'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.
Vierter Auftritt
(Szene: ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.)
Saladin und Sittah.
Saladin (im Hereintreten, gegen die Tuere). Hier bringt den Juden her, sobald er koemmt. Er scheint sich eben nicht zu uebereilen.
Sittah. Er war auch wohl nicht bei der Hand; nicht gleich Zu finden.
Saladin. Schwester! Schwester!
Sittah. Tust du doch, Als stuende dir ein Treffen vor.
Saladin. Und das Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu fuehren. Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen; Soll Fallen legen; soll auf Glatteis fuehren. Wenn haett' ich das gekonnt? Wo haett' ich das Gelernt?-Und soll das alles, ah, wozu? Wozu?-Um Geld zu fischen; Geld!-Um Geld, Geld einem Juden abzubangen; Geld! Zu solchen kleinen Listen waer' ich endlich Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir Zu schaffen?
Sittah. Jede Kleinigkeit, zu sehr Verschmaeht, die raecht sich, Bruder.
Saladin. Leider wahr.- Und wenn nun dieser Jude gar der gute, Vernuenft'ge Mann ist, wie der Derwisch dir Ihn ehedem beschrieben?
Sittah. O nun dann! Was hat es dann fuer Not! Die Schlinge liegt Ja nur dem geizigen, besorglichen, Furchtsamen Juden: nicht dem guten, nicht Dem weisen Manne. Dieser ist ja so Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnuegen, Zu hoeren, wie ein solcher Mann sich ausred't; Mit welcher dreisten Staerk' entweder er Die Stricke kurz zerreisset; oder auch Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze Vorbei sich windet: dies Vergnuegen hast Du obendrein.
Saladin. Nun, das ist wahr. Gewiss; Ich freue mich darauf.
Sittah. So kann dich ja Auch weiter nichts verlegen machen. Denn Ist's einer aus der Menge bloss; ist's bloss Ein Jude, wie ein Jude: gegen den Wirst du dich doch nicht schaemen, so zu scheinen, Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr; Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm Als Geck, als Narr.
Saladin. So muss ich ja wohl gar Schlecht handeln, dass von mir der Schlechte nicht Schlecht denke?
Sittah. Traun! wenn du schlecht handeln nennst, Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.
Saladin. Was haett' ein Weiberkopf erdacht, das er Nicht zu beschoenen wuesste!
Sittah. Zu beschoenen!
Saladin. Das feine, spitze Ding, besorg ich nur, In meiner plumpen Hand zerbricht!-So was Will ausgefuehrt sein, wie's erfunden ist: Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit.-Doch, Mag's doch nur, mag's! Ich tanze, wie ich kann; Und koennt' es freilich lieber-schlechter noch Als besser.
Sittah. Trau dir auch nur nicht zu wenig! Ich stehe dir fuer dich! Wenn du nur willst.- Dass uns die Maenner deinesgleichen doch So gern bereden moechten, nur ihr Schwert, Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht. Der Loewe schaemt sich freilich, wenn er mit Dem Fuchse jagt:-des Fuchses, nicht der List.
Saladin. Und dass die Weiber doch so gern den Mann Zu sich herunter haetten!-Geh nur, geh!- Ich glaube meine Lektion zu koennen.
Sittah. Was? ich soll gehn?
Saladin. Du wolltest doch nicht bleiben?
Sittah. Wenn auch nicht bleiben... im Gesicht euch bleiben- Doch hier im Nebenzimmer-
Saladin. Da zu horchen? Auch das nicht, Schwester; wenn ich soll bestehn.- Fort, fort! der Vorhang rauscht; er koemmt!-doch dass Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.
(Indem sie sich durch eine Tuere entfernt, tritt Nathan zu der andern herein; und Saladin hat sich gesetzt.)
Fuenfter Auftritt
Saladin und Nathan.
Saladin. Tritt naeher, Jude!-Naeher!-Nur ganz her! Nur ohne Furcht!
Nathan. Die bleibe deinem Feinde!
Saladin. Du nennst dich Nathan?
Nathan. Ja.
Saladin. Den weisen Nathan?
Nathan. Nein.
Saladin. Wohl! nennst du dich nicht; nennt dich das Volk.
Nathan. Kann sein; das Volk!
Saladin. Du glaubst doch nicht, dass ich Veraechtlich von des Volkes Stimme denke?- Ich habe laengst gewuenscht, den Mann zu kennen, Den es den Weisen nennt.
Nathan. Und wenn es ihn Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise Nichts weiter waer' als klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?
Saladin. Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?
Nathan. Dann freilich waer' der Eigennuetzigste Der Kluegste. Dann waer' freilich klug und weise Nur eins.
Saladin. Ich hoere dich erweisen, was Du widersprechen willst.-Des Menschen wahre Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du. Hast du zu kennen wenigstens gesucht; Hast drueber nachgedacht: das auch allein Macht schon den Weisen.
Nathan. Der sich jeder duenkt Zu sein.
Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! Denn sie nur immerdar zu hoeren, wo Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. (Er springt auf.) Lass uns zur Sache kommen! Aber, aber Aufrichtig, Jud', aufrichtig!
Nathan. Sultan, ich Will sicherlich dich so bedienen, dass Ich deiner fernern Kundschaft wuerdig bleibe.
Saladin. Bedienen? wie?
Nathan. Du sollst das Beste haben Von allem; sollst es um den billigsten Preis haben.
Saladin. Wovon sprichst du? doch wohl nicht Von deinen Waren?-Schachern wird mit dir Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!)- Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.
Nathan. So wirst du ohne Zweifel wissen wollen, Was ich auf meinem Wege von dem Feinde, Der allerdings sich wieder reget, etwa Bemerkt, getroffen?-Wenn ich unverhohlen...
Saladin. Auch darauf bin ich eben nicht mit dir Gesteuert. Davon weiss ich schon, so viel Ich noetig habe.-Kurz-,-
Nathan. Gebiete, Sultan.
Saladin. Ich heische deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm.-Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal- Was fuer ein Glaube, was fuer ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet?
Nathan. Sultan, Ich bin ein Jud'.
Saladin. Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns.-Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein.-Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gruenden, Wahl des Bessern. Wohlan! so teile deine Einsicht mir Dann mit. Lass mich die Gruende hoeren, denen Ich selber nachzugruebeln, nicht die Zeit Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gruende Bestimmt,-versteht sich, im Vertrauen-wissen, Damit ich sie zu meiner mache. Wie? Du stutzest? waegst mich mit dem Auge?-Kann Wohl sein, dass ich der erste Sultan bin, Der eine solche Grille hat; die mich Doch eines Sultans eben nicht so ganz Unwuerdig duenkt.-Nicht wahr?-So rede doch! Sprich!-Oder willst du einen Augenblick, Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir. (Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen; Will hoeren, ob ich's recht gemacht.-) Denk nach. Geschwind denk nach! Ich saeume nicht, zurueck- Zukommen. (Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.)
Sechster Auftritt
Nathan allein.
Hm! hm!-wunderlich!-Wie ist Mir denn?-Was will der Sultan? was?-Ich bin Auf Geld gefasst; und er will-Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so,-so bar, so blank,-als ob Die Wahrheit Muenze waere!-ja, wenn noch Uralte Muenze, die gewogen ward!- Das ginge noch! Allein so neue Muenze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zaehlen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er?-Doch wie? Sollt' er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern?-Zwar, Zwar der Verdacht, dass er die Wahrheit nur Als Falle brauche, waer' auch gar zu klein!- Zu klein?-Was ist fuer einen Grossen denn Zu klein?-Gewiss, gewiss: er stuerzte mit Der Tuere so ins Haus! Man pocht doch, hoert Doch erst, wenn man als Freund sich naht.-Ich muss Behutsam gehn!-Und wie? wie das?-So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht.- Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, duerft' er mich nur fragen, Warum kein Muselmann?-Das war's! Das kann Mich retten!-Nicht die Kinder bloss, speist man Mit Maerchen ab.-Er kommt. Er komme nur!
Siebenter Auftritt
Saladin und Nathan.
Saladin. (So ist das Feld hier rein!)-Ich komm dir doch Nicht zu geschwind zurueck? Du bist zu Rande Mit deiner Ueberlegung.-Nun so rede! Es hoert uns keine Seele.
Nathan. Moecht' auch doch Die ganze Welt uns hoeren.
Saladin. So gewiss Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu Verhehlen! fuer sie alles auf das Spiel Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!
Nathan. Ja! Ja! wann's noetig ist und nutzt.
Saladin. Von nun An darf ich hoffen, einen meiner Titel, Verbesserer der Welt und des Gesetzes, Mit Recht zu fuehren.
Nathan. Traun, ein schoener Titel! Doch, Sultan, eh' ich mich dir ganz vertraue, Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu Erzaehlen?
Saladin. Warum das nicht? Ich bin stets Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut Erzaehlt.
Nathan. Ja, gut erzaehlen, das ist nun Wohl eben meine Sache nicht.
Saladin. Schon wieder So stolz bescheiden?-Mach! erzaehl, erzaehle!
Nathan. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschaetzbarem Wert Aus lieber Hand besass. Der Stein war ein Opal, der hundert schoene Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Dass ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger liess; und die Verfuegung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten? Naemlich so. Er liess den Ring Von seinen Soehnen dem geliebtesten; Und setzte fest, dass dieser wiederum Den Ring von seinen Soehnen dem vermache, Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fuerst des Hauses werde.- Versteh mich, Sultan.
Saladin. Ich versteh dich. Weiter!
Nathan. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Soehnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte,-sowie jeder sich mit ihm Allein befand, und sein ergiessend Herz Die andern zwei nicht teilten,-wuerdiger Des Ringes; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen. Das ging nun so, solang es ging.-Allein Es kam zum Sterben, und der gute Vater Koemmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei Von seinen Soehnen, die sich auf sein Wort Verlassen, so zu kraenken.-Was zu tun?- Er sendet in geheim zu einem Kuenstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Noch Muehe sparen heisst, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Kuenstler. Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Soehne, jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen,- Und seinen Ring,-und stirbt.-Du hoerst doch, Sultan?
Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt). Ich hoer, ich hoere!-Komm mit deinem Maerchen Nur bald zu Ende.-Wird's?
Nathan. Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst.- Kaum war der Vater tot, so koemmt ein jeder Mit seinem Ring, und jeder will der Fuerst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich;- (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet) Fast so unerweislich, als Uns itzt-der rechte Glaube.
Saladin. Wie? das soll Die Antwort sein auf meine Frage?...
Nathan. Soll Mich bloss entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen liess, Damit sie nicht zu unterscheiden waeren.
Saladin. Die Ringe!-Spiele nicht mit mir!-Ich daechte, Dass die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden waeren. Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!
Nathan. Und nur von seiten ihrer Gruende nicht. Denn gruenden alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder ueberliefert!-Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden?-Nicht?- Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? Doch deren Blut wir sind? doch deren, die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben? die uns nie getaeuscht, als wo Getaeuscht zu werden uns heilsamer war?- Wie kann ich meinen Vaetern weniger Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt.- Kann ich von dir verlangen, dass du deine Vorfahren Luegen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das naemliche gilt von den Christen. Nicht?-
Saladin. (Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht. Ich muss verstummen.)
Nathan. Lass auf unsre Ring' Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Soehne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben.-Wie auch wahr!-Nachdem Er von ihm lange das Versprechen schon Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu Geniessen.-Wie nicht minder wahr!-Der Vater, Beteurt' jeder, koenne gegen ihn Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses Von ihm, von einem solchen lieben Vater, Argwohnen lass': eh' muess' er seine Brueder, So gern er sonst von ihnen nur das Beste Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels Bezeihen; und er wolle die Verraeter Schon auszufinden wissen; sich schon raechen.
Saladin. Und nun, der Richter?-Mich verlangt zu hoeren, Was du den Richter sagen laessest. Sprich!
Nathan. Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Raetsel Zu loesen da bin? Oder harret ihr, Bis dass der rechte Ring den Mund eroeffne?- Doch halt! Ich hoere ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht koennen!-Nun; wen lieben zwei Von Euch am meisten?-Macht, sagt an! Ihr schweigt? Die Ringe wirken nur zurueck? und nicht Nach aussen? Jeder liebt sich selber nur Am meisten?-Oh, so seid ihr alle drei Betrogene Betrueger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, liess der Vater Die drei fuer einen machen.
Saladin. Herrlich! herrlich!
Nathan. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur!-Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache voellig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten.-Moeglich; dass der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht laenger In seinem Hause dulden willen!-Und gewiss; Dass er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht druecken moegen, Um einen zu beguenstigen.-Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Vertraeglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kraefte Bei euern Kindes-Kindeskindern aeussern: So lad ich ueber tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen. Geht!-So sagte der Bescheidne Richter.
Saladin. Gott! Gott!
Nathan. Saladin, Wenn du dich fuehlest, dieser weisere Versprochne Mann zu sein:...
Saladin (der auf ihn zustuerzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren laesst). Ich Staub? Ich Nichts? O Gott!
Nathan. Was ist dir, Sultan?
Saladin. Nathan, lieber Nathan!- Die tausend tausend Jahre deines Richters Sind noch nicht um.-Sein Richterstuhl ist nicht Der meine.-Geh!-Geh!-Aber sei mein Freund.
Nathan. Und weiter haette Saladin mir nichts Zu sagen?
Saladin. Nichts.
Nathan. Nichts?
Saladin. Gar nichts.-Und warum?
Nathan. Ich haette noch Gelegenheit gewuenscht, Dir eine Bitte vorzutragen.
Saladin. Braucht's Gelegenheit zu einer Bitte?-Rede!
Nathan. Ich komm von einer weiten Reis', auf welcher Ich Schulden eingetrieben.-Fast hab ich Des baren Gelds zuviel.-Die Zeit beginnt Bedenklich wiederum zu werden;-und Ich weiss nicht recht, wo sicher damit hin.- Da dacht' ich, ob nicht du vielleicht,-weil doch Ein naher Krieg des Geldes immer mehr Erfordert,-etwas brauchen koenntest.
Saladin (ihm steif in die Augen sehend). Nathan!- Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon Bei dir gewesen;-will nicht untersuchen, Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses Erbieten freierdings zu tun:...
Nathan. Ein Argwohn?
Saladin. Ich bin ihn wert.-Verzeih mir!-Denn was hilft's? Ich muss dir nur gestehen,-dass ich im Begriffe war-
Nathan. Doch nicht, das Naemliche An mich zu suchen?
Saladin. Allerdings.
Nathan. So waer' Uns beiden ja geholfen!-Dass ich aber Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken, Das macht der junge Tempelherr. Du kennst Ihn ja. Ihm hab ich eine grosse Post Vorher noch zu bezahlen.
Saladin. Tempelherr? Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht Mit deinem Geld auch unterstuetzen wollen?
Nathan. Ich spreche von dem einen nur, dem du Das Leben spartest...
Saladin. Ah! woran erinnerst Du mich!-Hab ich doch diesen Juengling ganz Vergessen!-Kennst du ihn?-Wo ist er?
Nathan. Wie? So weisst du nicht, wieviel von deiner Gnade Fuer ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er, Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens, Hat meine Tochter aus dem Feu'r gerettet.
Saladin. Er? Hat er das?-Ha! darnach sah er aus. Das haette traun mein Bruder auch getan, Dem er so aehnelt!-Ist er denn noch hier? So bring ihn her!-Ich habe meiner Schwester Von diesem ihren Bruder, den sie nicht Gekannt, so viel erzaehlet, dass ich sie Sein Ebenbild doch auch muss sehen lassen!- Geh, hol ihn!-Wie aus einer guten Tat, Gebar sie auch schon blosse Leidenschaft, Doch so viel andre gute Taten fliessen! Geh, hol ihn!
Nathan (indem er Saladins Hand fahren laesst). Augenblicks! Und bei dem andern Bleibt es doch auch? (Ab.)
Saladin. Ah! dass ich meine Schwester Nicht horchen lassen!-Zu ihr! zu ihr!-Denn Wie soll ich alles das ihr nun erzaehlen?
(Ab von der andern Seite.)
Achter Auftritt
Die Szene: unter den Palmen, in der Naehe des Klosters, wo der
Tempelherr Nathans wartet.
Tempelherr (geht, mit sich selbst kaempfend, auf und ab; bis er losbricht). -Hier haelt das Opfertier ermuedet still.- Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht naeher wissen, Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern, Was vorgehn wird.-Genug, ich bin umsonst Geflohn! umsonst.-Und weiter konnt' ich doch Auch nichts, als fliehn!-Nun komm', was kommen soll!- Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell Gefallen; unter den zu kommen, ich So lang und viel mich weigerte.-Sie sehn, Die ich zu sehn so wenig luestern war, Sie sehn, und der Entschluss, sie wieder aus Den Augen nie zu lassen.-Was Entschluss? Entschluss ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt', Ich litte bloss.-Sie sehn, und das Gefuehl An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein, War eins.-Bleibt eins.-Von ihr getrennt Zu leben, ist mir ganz undenkbar; waer' Mein Tod,-und wo wir immer nach dem Tode Noch sind, auch da mein Tod.-Ist das nun Liebe: So-liebt der Tempelritter freilich,-liebt Der Christ das Judenmaedchen freilich.-Hm! Was tut's?-Ich hab in dem gelobten Lande,- Und drum auch mir gelobt auf immerdar!- Der Vorurteile mehr schon abgelegt.- Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot, Der mich zu Saladins Gefangnen machte. Der Kopf, den Saladin mir schenkte, waer' Mein alter?-Ist ein neuer; der von allem Nichts weiss, was jenem eingeplaudert ward, Was jenen band.-Und ist ein bessrer; fuer Den vaeterlichen Himmel mehr gemacht. Das spuer ich ja. Denn erst mit ihm beginn Ich so zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muss haben; wenn man Maerchen nicht Von ihm mir vorgelegen.-Maerchen?-doch Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr Zu straucheln laufe, wo er fiel.-Er fiel? Ich will mit Maennern lieber fallen, als Mit Kindern stehn.-Sein Beispiel buerget mir Fuer seinen Beifall. Und an wessen Beifall Liegt mir denn sonst?-An Nathans?-O an dessen Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir Noch weniger gebrechen.-Welch ein Jude!- Und der so ganz nur Jude scheinen will! Da koemmt er; koemmt mit Hast; glueht heitre Freude. Wer kam vom Saladin je anders?-He! He, Nathan!
Neunter Auftritt
Nathan und der Tempelherr.
Nathan. Wie? seid Ihr's?
Tempelherr. Ihr habt Sehr lang' Euch bei dem Sultan aufgehalten.
Nathan. So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn Zu viel verweilt.-Ah, wahrlich, Curd; der Mann Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloss sein Schatten. Doch lasst vor allen Dingen Euch geschwind Nur sagen...
Tempelherr. Was?
Nathan. Er will Euch sprechen; will, Dass ungesaeumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet Mich nur nach Hause, wo ich noch fuer ihn Erst etwas anders zu verfuegen habe: Und dann, so gehn wir!
Tempelherr. Nathan, Euer Haus Betret ich wieder eher nicht...
Nathan. So seid Ihr doch indes schon da gewesen? habt Indes sie doch gesprochen?-Nun?-Sagt: wie Gefaellt Euch Recha?
Tempelherr. Ueber allen Ausdruck! Allein,-sie wiedersehn-das werd ich nie! Nie! nie!-Ihr muesstet mir zur Stelle denn Versprechen:-dass ich sie auf immer, immer- Soll koennen sehn.
Nathan. Wie wollt Ihr, dass ich das Versteh?
Tempelherr (nach einer kurzen Pause ihm ploetzlich um den Hals fallend). Mein Vater!
Nathan.-Junger Mann!
Tempelherr (ihn ebenso ploetzlich wieder lassend). Nicht Sohn?- Ich bitt Euch, Nathan!-
Nathan. Lieber junger Mann!
Tempelherr. Nicht Sohn?-Ich bitt Euch, Nathan!-Ich beschwoer Euch bei den ersten Banden der Natur!- Zieht ihnen spaetre Fesseln doch nicht vor!- Begnuegt Euch doch ein Mensch zu sein!-Stosst mich Nicht von Euch!
Nathan. Lieber, lieber Freund!...
Tempelherr. Und Sohn? Sohn nicht?-Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter Der Liebe schon den Weg gebahnet haette? Auch dann nicht einmal, wenn in eins zu schmelzen, Auf Euern Wink nur beide warteten?- Ihr schweigt?
Nathan. Ihr ueberrascht mich, junger Ritter.
Tempelherr. Ich ueberrasch Euch?-ueberrasch Euch, Nathan, Mit Euern eigenen Gedanken?-Ihr Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?- Ich ueberrasch Euch?
Nathan. Eh' ich einmal weiss, Was fuer ein Stauffen Euer Vater denn Gewesen ist!
Tempelherr. Was sagt Ihr, Nathan? was? In diesem Augenblicke fuehlt Ihr nichts Als Neubegier?
Nathan. Denn seht! Ich habe selbst Wohl einen Stauffen ehedem gekannt, Der Conrad hiess.
Tempelherr. Nun,-wenn mein Vater denn Nun ebenso geheissen haette?
Nathan. Wahrlich?
Tempelherr. Ich heisse selber ja nach meinem Vater: Curd Ist Conrad.
Nathan. Nun-so war mein Conrad doch Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war, Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermaehlt.
Tempelherr. O darum!
Nathan. Wie?
Tempelherr. O darum koennt' er doch Mein Vater wohl gewesen sein.
Nathan. Ihr scherzt.
Tempelherr. Und Ihr nehmt's wahrlich zu genau!-Was waer's Denn nun? So was von Bastard oder Bankert! Der Schlag ist auch nicht zu verachten.-Doch Entlasst mich immer meiner Ahnenprobe. Ich will Euch Eurer wiederum entlassen. Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel In Euern Stammbaum setzte. Gott behuete! Ihr koennt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham Hinauf belegen. Und von da so weiter, Weiss ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwoeren.
Nathan. Ihr werdet bitter.-Doch verdien ich's?-Schlug Ich denn Euch schon was ab?-Ich will Euch ja Nur bei dem Worte nicht den Augenblick So fassen.-Weiter nichts.
Tempelherr. Gewiss?-Nichts weiter? O so vergebt!...
Nathan. Nun kommt nur, kommt!
Tempelherr. Wohin? Nein!-Mit in Euer Haus?-Das nicht! das nicht!- Da brennt's!-Ich will Euch hier erwarten. Geht!- Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie Schon viel zu viel...
Nathan. Ich will mich moeglichst eilen.
Zehnter Auftritt
Der Tempelherr und bald darauf Daja.
Tempelherr. Schon mehr als g'nug!-Des Menschen Hirn fasst so Unendlich viel; und ist doch manchmal auch So ploetzlich voll! von einer Kleinigkeit So ploetzlich voll!-Taugt nichts, taugt nichts; es sei Auch voll wovon es will.-Doch nur Geduld! Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht Und Ordnung kommen wieder.-Lieb ich denn Zum ersten Male?-Oder war, was ich Als Liebe kenne, Liebe nicht?-Ist Liebe Nur was ich itzt empfinde?...
Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen). Ritter! Ritter!
Tempelherr. Wer ruft?-Ha, Daja, Ihr?
Daja. Ich habe mich Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch Koennt' er uns sehn, wo Ihr da steht.-Drum kommt Doch naeher zu mir, hinter diesen Baum.
Tempelherr. Was gibt's denn?-So geheimnisvoll?-Was ist's?
Daja. Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes. Das eine weiss nur ich; das andre wisst Nur Ihr.-Wie waer' es, wenn wir tauschten? Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch Das meine.
Tempelherr. Mit Vergnuegen.-Wenn ich nur Erst weiss, was Ihr fuer meines achtet. Doch Das wird aus Euerm wohl erhellen.-Fangt Nur immer an.
Daja. Ei denkt doch!-Nein, Herr Ritter. Erst Ihr; ich folge.-Denn versichert, mein Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn Ich nicht zuvor das Eure habe.-Nur Geschwind!-Denn frag ich's Euch erst ab: so habt Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid Ihr los.-Doch armer Ritter!-Dass Ihr Maenner Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben Zu koennen, auch nur glaubt!
Tempelherr. Das wir zu haben Oft selbst nicht wissen.
Daja. Kann wohl sein. Drum muss Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt Zu machen, schon die Freundschaft haben.-Sagt- Was hiess denn das, dass Ihr so Knall und Fall Euch aus dem Staube machtet? dass Ihr uns So sitzenliesset?-dass Ihr nun mit Nathan Nicht wiederkommt?-Hat Recha denn so wenig Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel?- So viel! so viel!-Lehrt Ihr des armen Vogels, Der an der Rute klebt, Geflattre mich Doch kennen!-Kurz: gesteht es mir nur gleich, Dass Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und Ich sag Euch was...
Tempelherr. Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr Versteht Euch trefflich drauf.
Daja. Nun gebt mir nur Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch Erlassen.
Tempelherr. Weil er sich von selbst versteht?- Ein Tempelherr ein Judenmaedchen lieben!...
Daja. Scheint freilich wenig Sinn zu haben.-Doch Zuweilen ist des Sinns in einer Sache Auch mehr, als wir vermuten; und es waere So unerhoert doch nicht, dass uns der Heiland Auf Wegen zu sich zoege, die der Kluge Von selbst nicht leicht betreten wuerde.
Tempelherr. Das So feierlich?-(Und setz ich statt des Heilands Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht?-) Ihr macht Mich neubegieriger, als ich wohl sonst Zu sein gewohnt bin.
Daja. Oh! das ist das Land Der Wunder!
Tempelherr. (Nun!-des Wunderbaren. Kann Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt Draengt sich ja hier zusammen.)-Liebe Daja, Nehmt fuer gestanden an, was Ihr verlangt: Dass ich sie liebe; dass ich nicht begreife, Wie ohne sie ich leben werde; dass...
Daja. Gewiss? gewiss?-So schwoert mir, Ritter, sie Zur Eurigen zu machen; sie zu retten: Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.
Tempelherr. Und wie?-Wie kann ich?-Kann ich schwoeren, was In meiner Macht nicht steht?
Daja. In Eurer Macht Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort In Eure Macht.
Tempelherr. Dass selbst der Vater nichts Dawider haette?
Daja. Ei, was Vater! Vater! Der Vater soll schon muessen.
Tempelherr. Muessen, Daja?- Noch ist er unter Raeuber nicht gefallen. Er muss nicht muessen.
Daja. Nun, so muss er wollen; Muss gern am Ende wollen.
Tempelherr. Muss und gern!- Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, dass Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen Bereits versucht?
Daja. Was? und er fiel nicht ein?
Tempelherr. Er fiel mit einem Misslaut ein, der mich- Beleidigte.
Daja. Was sagt Ihr?-Wie? Ihr haettet Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha Ihm blicken lassen: und er waer' vor Freuden Nicht aufgesprungen? haette frostig sich Zurueckgezogen? haette Schwierigkeiten Gemacht?
Tempelherr. So ungefaehr.
Daja. So will ich denn Mich laenger keinen Augenblick bedenken.
(Pause.)
Tempelherr. Und Ihr bedenkt Euch doch?
Daja. Der Mann ist sonst So gut!-Ich selber bin so viel ihm schuldig!- Dass er doch gar nicht hoeren will!-Gott weiss, Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.
Tempelherr. Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut Aus dieser Ungewissheit. Seid Ihr aber Noch selber ungewiss; ob, was Ihr vorhabt, Gut oder boese, schaendlich oder loeblich Zu nennen:-schweigt!-Ich will vergessen, dass Ihr etwas zu verschweigen habt.
Daja. Das spornt, Anstatt zu halten. Nun; so wisst denn: Recha Ist keine Juedin; ist-ist eine Christin.
Tempelherr (kalt). So? Wuensch Euch Glueck! Hat's schwer gehalten? Lasst Euch nicht die Wehen schrecken!-Fahret ja Mit Eifer fort, den Himmel zu bevoelkern: Wenn Ihr die Erde nicht mehr koennt!
Daja. Wie, Ritter? Verdienet meine Nachricht diesen Spott? Dass Recha eine Christin ist: das freuet Euch, einen Christen, einen Tempelherrn, Der Ihr sie liebt, nicht mehr?
Tempelherr. Besonders, da Sie eine Christin ist von Eurer Mache.
Daja. Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten!-Nein! Den will ich sehn, der die bekehren soll! Ihr Glueck ist, laengst zu sein, was sie zu werden Verdorben ist.
Tempelherr. Erklaert Euch, oder-geht!
Daja. Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern Geboren; ist getauft...
Tempelherr (hastig). Und Nathan?
Daja. Nicht Ihr Vater!
Tempelherr. Nathan nicht ihr Vater?-Wisst Ihr, was Ihr sagt?
Daja. Die Wahrheit, die so oft Mich blut'ge Traenen weinen machen.-Nein, Er ist ihr Vater nicht...
Tempelherr. Und haette sie Als seine Tochter nur erzogen? haette Das Christenkind als eine Juedin sich Erzogen?
Daja. Ganz gewiss.
Tempelherr. Sie wuesste nicht, Was sie geboren sei?-Sie haett' es nie Von ihm erfahren, dass sie eine Christin Geboren sei, und keine Juedin?
Daja. Nie!
Tempelherr. Er haett' in diesem Wahne nicht das Kind Bloss auferzogen? liess das Maedchen noch In diesem Wahne?
Daja. Leider!
Tempelherr. Nathan-Wie? Der weise gute Nathan haette sich Erlaubt, die Stimme der Natur so zu Verfaelschen?-Die Ergiessung eines Herzens So zu verrenken, die, sich selbst gelassen, Ganz andre Wege nehmen wuerde?-Daja, Ihr habt mir allerdings etwas vertraut- Von Wichtigkeit,-was Folgen haben kann,- Was mich verwirrt,-worauf ich gleich nicht weiss, Was mir zu tun.-Drum lasst mir Zeit.-Drum geht! Er koemmt hier wiederum vorbei. Er moecht' Uns ueberfallen. Geht!
Daja. Ich waer' des Todes!
Tempelherr. Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar Nicht faehig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt Ihm nur, dass wir einander bei dem Sultan Schon finden wuerden.
Daja. Aber lasst Euch ja Nichts merken gegen ihn.-Das soll nur so Den letzten Druck dem Dinge geben; soll Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur Benehmen!-Wenn Ihr aber dann sie nach Europa fuehrt: so lasst Ihr doch mich nicht Zurueck?
Tempelherr. Das wird sich finden. Geht nur, geht!
Vierter Aufzug
Erster Auftritt
(Szene: in den Kreuzgaengen des Klosters.)
Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.
Klosterbruder. Ja, ja! er hat schon recht, der Patriarch! Es hat mir freilich noch von alledem Nicht viel gelingen wollen, was er mir So aufgetragen.-Warum traegt er mir Auch lauter solche Sachen auf?-Ich mag Nicht fein sein; mag nicht ueberreden; mag Mein Naeschen nicht in alles stecken; mag Mein Haendchen nicht in allem haben.-Bin Ich darum aus der Welt geschieden, ich Fuer mich; um mich fuer andre mit der Welt Noch erst recht zu verwickeln?
Tempelherr (mit Hast auf ihn zukommend). Guter Bruder! Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon Gesucht.
Klosterbruder. Mich, Herr?
Tempelherr. Ihr kennt mich schon nicht mehr?
Klosterbruder. Doch, doch! Ich glaubte nur, dass ich den Herrn In meinem Leben wieder nie zu sehn Bekommen wuerde. Denn ich hofft' es zu Dem lieben Gott.-Der liebe Gott, der weiss, Wie sauer mir der Antrag ward, den ich Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiss, Ob ich gewuenscht, ein offnes Ohr bei Euch Zu finden; weiss, wie sehr ich mich gefreut, Im Innersten gefreut, dass Ihr so rund Das alles, ohne viel Bedenken, von Euch wies't, was einem Ritter nicht geziemt.- Nun kommt Ihr doch; nun hat's doch nachgewirkt!
Tempelherr. Ihr wisst es schon, warum ich komme? Kaum Weiss ich es selbst.
Klosterbruder. Ihr habt's nun ueberlegt; Habt nun gefunden, dass der Patriarch So unrecht doch nicht hat; dass Ehr' und Geld Durch seinen Anschlag zu gewinnen; dass Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel Auch siebenmal gewesen waere. Das, Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen, Und kommt, und tragt Euch wieder an.-Ach Gott!
Tempelherr. Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden. Deswegen komm ich nicht; deswegen will Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch, Noch denk ich ueber jenen Punkt, wie ich Gedacht, und wollt' um alles in der Welt Die gute Meinung nicht verlieren, deren Mich ein so grader, frommer, lieber Mann Einmal gewuerdiget.-Ich komme bloss, Den Patriarchen ueber eine Sache Um Rat zu fragen...
Klosterbruder. Ihr den Patriarchen? Ein Ritter, einen-Pfaffen? (Sich schuechtern umsehend.)
Tempelherr. Ja;-die Sach' Ist ziemlich pfaeffisch.
Klosterbruder. Gleichwohl fragt der Pfaffe Den Ritter nie, die Sache sei auch noch So ritterlich.
Tempelherr. Weil er das Vorrecht hat, Sich zu vergehn; das unsereiner ihm Nicht sehr beneidet.-Freilich, wenn ich nur Fuer mich zu handeln haette; freilich, wenn Ich Rechenschaft nur mir zu geben haette: Was braucht' ich Euers Patriarchen? Aber Gewisse Dinge will ich lieber schlecht, Nach andrer Willen, machen; als allein Nach meinem, gut.-Zudem, ich seh nun wohl, Religion ist auch Partei; und wer Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt, Haelt, ohn' es selbst zu wissen, doch nur seiner Die Stange. Weil das einmal nun so ist: Wird's so wohl recht sein.
Klosterbruder. Dazu schweig ich lieber. Denn ich versteh den Herrn nicht recht.
Tempelherr. Und doch!- (Lass sehn, warum mir eigentlich zu tun! Um Machtspruch oder Rat?-Um lautern, oder Gelehrten Rat?)-Ich dank Euch, Bruder; dank Euch fuer den guten Wink.-Was Patriarch?- Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch Den Christen mehr im Patriarchen, als Den Patriarchen in dem Christen fragen.- Die Sach' ist die...
Klosterbruder. Nicht weiter, Herr, nicht weiter! Wozu?-Der Herr verkennt mich.-Wer viel weiss, Hat viel zu sorgen; und ich habe ja Mich einer Sorge nur gelobt.-O gut! Hoert! seht! Dort koemmt, zu meinem Glueck, er selbst. Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.
Zweiter Auftritt
Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.
Tempelherr. Ich wich' ihm lieber aus.-Waer' nicht mein Mann! Ein dicker, roter, freundlicher Praelat! Und welcher Prunk!
Klosterbruder. Ihr solltet ihn erst sehn Nach Hofe sich erheben. Itzo koemmt Er nur von einem Kranken.
Tempelherr. Wie sich da Nicht Saladin wird schaemen muessen!
Patriarch (indem er naeherkommt, winkt dem Bruder). Hier!- Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will Er?
Klosterbruder. Weiss nicht.
Patriarch (auf ihn zugehend, indem der Bruder und das Gefolge zuruecktreten). Nun, Herr Ritter!-Sehr erfreut, Den braven jungen Mann zu sehn!-Ei, noch So gar jung!-Nun, mit Gottes Hilfe, daraus Kann etwas werden.
Tempelherr. Mehr, ehrwuerd'ger Herr, Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch, Was weniger.
Patriarch. Ich wuensche wenigstens, Dass so ein frommer Ritter lange noch Der lieben Christenheit, der Sache Gottes Zu Ehr' und Frommen bluehn und gruenen moege! Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein Die junge Tapferkeit dem reifen Rate Des Alters folgen will!-Womit waer' sonst Dem Herrn zu dienen?
Tempelherr. Mit dem naemlichen, Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.
Patriarch. Recht gern!-Nur ist der Rat auch anzunehmen.
Tempelherr. Doch blindlings nicht?
Patriarch. Wer sagt denn das?-Ei freilich Muss niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, Zu brauchen unterlassen,-wo sie hin- Gehoert.-Gehoert sie aber ueberall Denn hin?-O nein!-Zum Beispiel: wenn uns Gott Durch einen seiner Engel,-ist zu sagen, Durch einen Diener seines Worts,-ein Mittel Bekannt zu machen wuerdiget, das Wohl Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche, Auf irgendeine ganz besondre Weise Zu foerdern, zu befestigen: wer darf Sich da noch unterstehn, die Willkuer des, Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft Zu untersuchen? und das ewige Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre Zu pruefen?-Doch hiervon genug.-Was ist Es denn, worueber unsern Rat fuer itzt Der Herr verlangt?
Tempelherr. Gesetzt, ehrwuerd'ger Vater, Ein Jude haett' ein einzig Kind,-es sei Ein Maedchen,-das er mit der groessten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als seine Seele, das Ihn wieder mit der froemmsten Liebe liebe. Und nun wuerd' unsereinem hinterbracht, Dies Maedchen sei des Juden Tochter nicht; Er hab' es in der Kindheit aufgelesen, Gekauft, gestohlen,-was Ihr wollt; man wisse, Das Maedchen sei ein Christenkind, und sei Getauft; der Jude hab' es nur als Juedin Erzogen; lass' es nur als Juedin und Als seine Tochter so verharren:-sagt, Ehrwuerd'ger Vater, was waer' hierbei wohl Zu tun?
Patriarch. Mich schaudert!-Doch zu allererst Erklaere sich der Herr, ob so ein Fall Ein Faktum oder eine Hypothes'. Das ist zu sagen: ob der Herr sich das Nur bloss so dichtet, oder ob's geschehn, Und fortfaehrt zu geschehn.
Tempelherr. Ich, glaubte, das Sei eins, um Euer Hochehrwuerden Meinung Bloss zu vernehmen.
Patriarch. Eins?-Da seh' der Herr Wie sich die stolze menschliche Vernunft Im Geistlichen doch irren kann.-Mitnichten! Denn ist der vorgetragne Fall nur so Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich Der Muehe nicht, im Ernst ihn durchzudenken. Ich will den Herrn damit auf das Theater Verwiesen haben, wo dergleichen pro Et contra sich mit vielem Beifall koennte Behandeln lassen.-Hat der Herr mich aber Nicht bloss mit einer theatral'schen Schnurre Zum besten; ist der Fall ein Faktum; haett' Er sich wohl gar in unsrer Dioezes', In unsrer lieben Stadt Jerusalem Ereignet:-ja alsdann-
Tempelherr. Und was alsdann?
Patriarch. Dann waere an dem Juden foerdersamst Die Strafe zu vollziehn, die paepstliches Und kaiserliches Recht so einem Frevel, So einer Lastertat bestimmen.
Tempelherr. So?
Patriarch. Und zwar bestimmen obbesagte Rechte Dem Juden, welcher einen Christen zur Apostasie verfuehrt,-den Scheiterhaufen, Den Holzstoss-
Tempelherr. So?
Patriarch. Und wieviel mehr dem Juden, Der mit Gewalt ein armes Christenkind Dem Bunde seiner Tauf' entreisst! Denn ist Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt?- Zu sagen:-ausgenommen, was die Kirch' An Kindern tut.
Tempelherr. Wenn aber nun das Kind, Erbarmte seiner sich der Jude nicht, Vielleicht im Elend umgekommen waere?
Patriarch. Tut nichts! der Jude wird verbrannt!-Denn besser, Es waere hier im Elend umgekommen, Als dass zu seinem ewigen Verderben Es so gerettet ward.-Zudem, was hat Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.
Tempelherr. Auch trotz ihm, sollt' ich meinen,-selig machen.
Patriarch. Tut nichts! der Jude wird verbrannt.
Tempelherr. Das geht Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe Das Maedchen nicht sowohl in seinem, als Vielmehr in keinem Glauben auferzogen, Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger Gelehrt, als der Vernunft genuegt.
Patriarch. Tut nichts! Der Jude wird verbrannt... Ja, waer' allein Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt Zu werden!-Was? ein Kind ohn' allen Glauben Erwachsen lassen?-Wie? die grosse Pflicht, Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren? Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter, Euch selbst...
Tempelherr. Ehrwuerd'ger Herr, das uebrige, Wenn Gott will, in der Beichte. (Will gehn.)
Patriarch. Was? mir nun Nicht einmal Rede stehn?-Den Boesewicht, Den Juden mir nicht nennen?-mir ihn nicht Zur Stelle schaffen?-O da weiss ich Rat! Ich geh sogleich zum Sultan.-Saladin, Vermoege der Kapitulation, Die er beschworen, muss uns, muss uns schuetzen; Bei allen Rechten, allen Lehren schuetzen, Die wir zu unsrer Allerheiligsten Religion nur immer rechnen duerfen! Gottlob! wir haben das Original. Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir!- Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie Gefaehrlich selber fuer den Staat es ist, Nichts glauben! Alle buergerliche Bande Sind aufgeloeset, sind zerrissen, wenn Der Mensch nichts glauben darf.-Hinweg! hinweg Mit solchem Frevel!...
Tempelherr. Schade, dass ich nicht Den trefflichen Sermon mit bessrer Musse Geniessen kann! Ich bin zum Saladin Gerufen.
Patriarch. Ja?-Nun so-Nun freilich-Dann-
Tempelherr. Ich will den Sultan vorbereiten, wenn Es Eurer Hochehrwuerden so gefaellt.
Patriarch. Oh, oh!-Ich weiss, der Herr hat Gnade funden Vor Saladin!-Ich bitte meiner nur Im Besten bei ihm eingedenk zu sein.- Mich treibt der Eifer Gottes lediglich. Was ich zuviel tu, tu ich ihm.-Das wolle Doch ja der Herr erwaegen!-Und nicht wahr, Herr Ritter? das vorhin Erwaehnte von Dem Juden, war nur ein Problema?-ist Zu sagen-
Tempelherr. Ein Problema. (Geht ab.)
Patriarch. (Dem ich tiefer Doch auf den Grund zu kommen suchen muss. Das waer' so wiederum ein Auftrag fuer Den Bruder Bonafides.)-Hier, mein Sohn!
(Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.)
Dritter Auftritt
(Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden nebeneinandergestellt werden.)
Saladin und bald darauf Sittah.
Saladin (der dazukoemmt). Nun wahrlich! das hat noch kein Ende.-Ist Des Dings noch viel zurueck?
Ein Sklave. Wohl noch die Haelfte.
Saladin. So tragt das uebrige zu Sittah.-Und Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich Al-Hafi zu sich nehmen.-Oder ob Ich's nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier Faellt mir es doch nur durch die Finger.-Zwar Man wird wohl endlich hart; und nun gewiss Soll's Kuenste kosten, mir viel abzuzwacken. Bis wenigstens die Gelder aus Aegypten Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn, Wie's fertig wird!-Die Spenden bei dem Grabe, Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger Mit leeren Haenden nur nicht abziehn duerfen! Wenn nur-
Sittah. Was soll nun das? Was soll das Geld Bei mir?
Saladin. Mach dich davon bezahlt; und leg Auf Vorrat, wenn was uebrigbleibt.
Sittah. Ist Nathan Noch mit dem Tempelherrn nicht da?
Saladin. Er sucht Ihn aller Orten.
Sittah. Sieh doch, was ich hier, Indem mir so mein alt Geschmeide durch Die Haende geht, gefunden.
(Ihm ein klein Gemaelde zeigend.)
Saladin. Ha! mein Bruder! Das ist er, ist er!-War er! war er! ah!- Ah wackrer lieber Junge, dass ich dich So frueh verlor! Was haett' ich erst mit dir, An deiner Seit' erst unternommen!-Sittah, Lass mir das Bild. Auch kenn ich's schon: er gab Es deiner aeltern Schwester, seiner Lilla, Die eines Morgens ihn so ganz und gar Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war Der letzte, den er ausritt.-Ah, ich liess Ihn reiten, und allein!-Ah, Lilla starb Vor Gram, und hat mir's nie vergeben, dass Ich so allein ihn reiten lassen.-Er Blieb weg!
Sittah. Der arme Bruder!
Saladin. Lass nur gut Sein!-Einmal bleiben wir doch alle weg!- Zudem,-wer weiss? Der Tod ist's nicht allein, Der einem Juengling seiner Art das Ziel Verrueckt. Er hat der Feinde mehr; und oft Erliegt der Staerkste gleich dem Schwaechsten.-Nun, Sei wie ihm sei!-Ich muss das Bild doch mit Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muss Doch sehn, wieviel mich meine Phantasie Getaeuscht.
Sittah. Nur darum bring ich's. Aber gib Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das Versteht ein weiblich Aug' am besten.
Saladin (zu einem Tuersteher, der hereintritt). Wer Ist da?-der Tempelherr?-Er komm'!
Sittah. Euch nicht Zu stoeren: ihn mit meiner Neugier nicht Zu irren- (Sie setzt sich seitwaerts auf einen Sofa und laesst den Schleier fallen.)
Saladin. Gut so! gut!-(Und nun sein Ton! Wie der wohl sein wird!-Assads Ton Schlaeft auch wohl wo in meiner Seele noch!)
Vierter Auftritt
Der Tempelherr und Saladin.
Tempelherr. Ich, dein Gefangner, Sultan...
Saladin. Mein Gefangner? Wem ich das Leben schenke, werd ich dem Nicht auch die Freiheit schenken?
Tempelherr. Was dir ziemt Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht Vorauszusetzen. Aber, Sultan,-Dank, Besondern Dank dir fuer mein Leben zu Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem Charakter nicht.-Es steht in allen Faellen Zu deinen Diensten wieder.
Saladin. Brauch es nur Nicht wider mich!-Zwar ein paar Haende mehr, Die goennt' ich meinem Feinde gern. Allein Ihm so ein Herz auch mehr zu goennen, faellt Mir schwer.-Ich habe mich mit dir in nichts Betrogen, braver junger Mann! Du bist Mit Seel' und Leib mein Assad. Sieh! ich koennte Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit Gesteckt? in welcher Hoehle du geschlafen? In welchem Ginnistan, von welcher guten Div diese Blume fort und fort so frisch Erhalten worden? Sich! ich koennte dich Erinnern wollen, was wir dort und dort Zusammen ausgefuehrt. Ich koennte mit Dir zanken, dass du ein Geheimnis doch Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir Doch unterschlagen:-Ja das koennt' ich; wenn Ich dich nur saeh', und nicht auch mich.-Nun, mag's! Von dieser suessen Traeumerei ist immer Doch so viel wahr, dass mir in meinem Herbst Ein Assad wieder bluehen soll.-Du bist Es doch zufrieden, Ritter?
Tempelherr. Alles, was Von dir mir koemmt,-sei was es will-das lag Als Wunsch in meiner Seele.
Saladin. Lass uns das Sogleich versuchen.-Bliebst du wohl bei mir? Um mir?-Als Christ, als Muselmann: gleichviel! Im weissen Mantel, oder Jamerlonk; Im Tulban, oder deinem Filze: wie Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt, Dass allen Baeumen eine Rinde wachse.
Tempelherr. Sonst waerst du wohl auch schwerlich, der du bist: Der Held, der lieber Gottes Gaertner waere.
Saladin. Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst: So waeren wir ja halb schon richtig?
Tempelherr Ganz!
Saladin (ihm die Hand bietend). Ein Wort?
Tempelherr (einschlagend). Ein Mann!-Hiermit empfange mehr Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!
Saladin. Zuviel Gewinn fuer einen Tag! zuviel! Kam er nicht mit?
Tempelherr. Wer?
Saladin. Nathan.
Tempelherr (frostig). Nein. Ich kam Allein.
Saladin. Welch eine Tat von dir! Und welch Ein weises Glueck, dass eine solche Tat Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.
Tempelherr. Ja, ja!
Saladin. So kalt?-Nein, junger Mann! wenn Gott Was Gutes durch uns tut, muss man so kalt Nicht sein!-selbst aus Bescheidenheit so kalt Nicht scheinen wollen!
Tempelherr. Dass doch in der Welt Ein jedes Ding so manche Seiten hat!- Von denen oft sich gar nicht denken laesst, Wie sie zusammenpassen!
Saladin. Halte dich Nur immer an die best', und preise Gott! Der weiss, wie sie zusammenpassen.-Aber, Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann: So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut Mich mit dir halten muessen? Leider bin Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die Oft nicht so recht zu passen scheinen moegen.
Tempelherr. Das schmerzt!-Denn Argwohn ist so wenig sonst Mein Fehler-
Saladin. Nun, so sage doch, mit wem Du's hast?-Es schien ja gar, mit Nathan. Wie? Auf Nathan Argwohn? du?-Erklaer dich! sprich! Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.
Tempelherr. Ich habe wider Nathan nichts. Ich zuern Allein mit mir-
Saladin. Und ueber was?
Tempelherr. Dass mir Getraeumt, ein Jude koenn' auch wohl ein Jude Zu sein verlernen; dass mir wachend so Getraeumt.
Saladin. Heraus mit diesem wachen Traume!
Tempelherr. Du weisst von Nathans Tochter, Sultan. Was Ich fuer sie tat, das tat ich,-weil ich's tat. Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn Nicht saeete, verschmaeht' ich Tag fuer Tag, Das Maedchen noch einmal zu sehn. Der Vater War fern; er koemmt; er hoert; er sucht mich auf; Er dankt; er wuenscht, dass seine Tochter mir Gefallen moege; spricht von Aussicht, spricht Von heitern Fernen.-Nun, ich lasse mich Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich Ein Maedchen... Ah, ich muss mich schaemen, Sultan!-
Saladin. Dich schaemen?-dass ein Judenmaedchen auf Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?
Tempelherr. Dass diesem Eindruck, auf das liebliche Geschwaetz des Vaters hin, mein rasches Herz So wenig Widerstand entgegensetzte!- Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer. Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmaeht.
Saladin. Verschmaeht?
Tempelherr. Der weise Vater schlaegt nun wohl Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater Muss aber doch sich erst erkunden, erst Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das Nicht auch? Erkundete, besann ich denn Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie?- Fuerwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schoenes, So weise, so bedaechtig sein!
Saladin. Nun, nun! So sieh doch einem Alten etwas nach! Wie lange koennen seine Weigerungen Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen, Dass du erst Jude werden sollst?
Tempelherr. Wer weiss!
Saladin. Wer weiss?-der diesen Nathan besser kennt.
Tempelherr. Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen, Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum Doch seine Macht nicht ueber uns.-Es sind Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.
Saladin. Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan...
Tempelherr. Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen Fuer den ertraeglichern zu halten...
Saladin. Mag Wohl sein! Doch Nathan...,
Tempelherr. Dem allein Die bloede Menschheit zu vertrauen, bis Sie hellern Wahrheitstag gewoehne; dem Allein...
Saladin. Gut! Aber Nathan!-Nathans Los Ist diese Schwachheit nicht.
Tempelherr. So dacht' ich auch! ... Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen So ein gemeiner Jude waere, dass Er Christenkinder zu bekommen suche, Um sie als Juden aufzuziehn:-wie dann?
Saladin. Wer sagt ihm so was nach?
Tempelherr. Das Maedchen selbst, Mit welcher er mich koernt, mit deren Hoffnung Er gern mir zu bezahlen schiene, was Ich nicht umsonst fuer sie getan soll haben:- Dies Maedchen selbst ist seine Tochter-nicht; Ist ein verzettelt Christenkind.
Saladin. Das er Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?
Tempelherr (heftig). Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt. Der tolerante Schwaetzer ist entdeckt! Ich werde hinter diesen jued'schen Wolf Im philosoph'schen Schafpelz Hunde schon Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!
Saladin (ernst). Sei ruhig, Christ!
Tempelherr. Was? ruhig Christ?-Wenn Jud' Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann Bestehen: soll allein der Christ den Christen Nicht machen duerfen?
Saladin (noch ernster). Ruhig, Christ!
Tempelherr (gelassen). Ich fuehle Des Vorwurfs ganze Last,-die Saladin In diese Silbe presst! Ah, wenn ich wuesste, Wie Assad,-Assad sich an meiner Stelle Hierbei genommen haette!
Saladin. Nicht viel besser!- Vermutlich ganz so brausend!-Doch, wer hat Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er Mit einem Worte zu bestechen? Freilich Wenn alles sich verhaelt, wie du mir sagest: Kann ich mich selber kaum in Nathan finden.- Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde Muss keiner mit dem andern hadern.-Lass Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht Sofort den Schwaermern deines Poebels preis! Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm Zu raechen, mir so nahe legen wuerde! Sei keinem Juden, keinem Muselmanne Zum Trotz ein Christ!
Tempelherr. Bald waer's damit zu spaet! Doch dank der Blutbegier des Patriarchen, Des Werkzeug mir zu werden graute!
Saladin. Wie? Du kamst zum Patriarchen eher, als Zu mir?
Tempelherr. Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel Der Unentschlossenheit!-Verzeih!-Du wirst Von deinem Assad, fuercht ich, ferner nun Nichts mehr in mir erkennen wollen.
Saladin. Waer' Es diese Furcht nicht selbst! Mich duenkt, ich weiss, Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt. Pfleg diese ferner nur, und jene sollen Bei mir dir wenig schaden.-Aber geh! Such du nun Nathan, wie er dich gesucht; Und bring ihn her. Ich muss euch doch zusammen Verstaendigen.-Waer' um das Maedchen dir Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein! Auch soll es Nathan schon empfinden, dass Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind Erziehen duerfen!-Geh!
(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlaesst den Sofa.)
Fuenfter Auftritt
Saladin und Sittah.
Sittah. Ganz sonderbar!
Saladin. Gelt, Sittah? Muss mein Assad nicht ein braver, Ein schoener junger Mann gewesen sein?
Sittah. Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde Der Tempelherr vielmehr gesessen!-Aber Wie hast du doch vergessen koennen dich Nach seinen Eltern zu erkundigen?
Saladin. Und insbesondre wohl nach seiner Mutter? Ob seine Mutter hierzulande nie Gewesen sei?-Nicht wahr?
Sittah. Das machst du gut!
Saladin. Oh, moeglicher waer' nichts! Denn Assad war Bei huebschen Christendamen so willkommen, Auf huebsche Christendamen so erpicht, Dass einmal gar die Rede ging-Nun, nun; Man spricht nicht gern davon.-Genug; ich hab Ihn wieder!-will mit allen seinen Fehlern, Mit allen Launen seines weichen Herzens Ihn wieder haben!-Oh! das Maedchen muss Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?
Sittah. Ihm geben? Ihm lassen!
Saladin. Allerdings! Was haette Nathan, Sobald er nicht ihr Vater ist, fuer Recht Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt, Tritt einzig in die Rechte des, der ihr Es gab.
Sittah. Wie also, Saladin? wenn du Nur gleich das Maedchen zu dir naehmst? Sie nur Dem unrechtmaessigen Besitzer gleich Entzoegest?
Saladin. Taete das wohl not?
Sittah. Not nun Wohl eben nicht!-Die liebe Neubegier Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben. Denn von gewissen Maennern mag ich gar Zu gern, so bald wie moeglich, wissen, was Sie fuer ein Maedchen lieben koennen.
Saladin. Nun, So schick und lass sie holen.
Sittah. Darf ich, Bruder?
Saladin. Nur schone Nathans! Nathan muss durchaus Nicht glauben, dass man mit Gewalt ihn von Ihr trennen wolle.
Sittah. Sorge nicht.
Saladin. Und ich, Ich muss schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.
Sechster Auftritt
(Szene: die offne Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritte des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren ebendaselbst gedacht wird.)
Nathan und Daja.
Daja. Oh, alles herrlich! alles auserlesen! Oh, alles-wie nur Ihr es geben koennt. Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken Gemacht? Was kostet er?-Das nenn ich noch Ein Brautkleid! Keine Koenigin verlangt Es besser.
Nathan. Brautkleid? Warum Brautkleid eben?
Daja. Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht, Als Ihr ihn kauftet.-Aber wahrlich, Nathan, Der und kein andrer muss es sein! Er ist Zum Brautkleid wie bestellt. Der weisse Grund; Ein Bild der Unschuld: und die goldnen Stroeme, Die allerorten diesen Grund durchschlaengeln; Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!
Nathan. Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid Sinnbilderst du mir so gelehrt?-Bist du Denn Braut?
Daja. Ich?
Nathan. Nun wer denn?
Daja. Ich?-lieber Gott!
Nathan. Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn? Das alles ist ja dein, und keiner andern.
Daja. Ist mein? Soll mein sein?-Ist fuer Recha nicht?
Nathan. Was ich fuer Recha mitgebracht, das liegt In einem andern Ballen. Mach! nimm weg! Trag deine Siebensachen fort!
Daja. Versucher! Nein, waeren es die Kostbarkeiten auch Der ganzen Welt! Nicht ruehr an! wenn Ihr mir Vorher nicht schwoert, von dieser einzigen Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.
Nathan. Gebrauch? von was?-Gelegenheit? wozu?
Daja. O stellt Euch nicht so fremd!-Mit kurzen Worten! Der Tempelherr liebt Recha: gebt sie ihm, So hat doch einmal Eure Suende, die Ich laenger nicht verschweigen kann, ein Ende. So koemmt das Maedchen wieder unter Christen; Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was Sie ward: und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten, Was wir Euch nicht genug verdanken koennen, Nicht Feuerkohlen bloss auf Euer Haupt Gesammelt.
Nathan. Doch die alte Leier wieder?- Mit einer neuen Saite nur bezogen, Die, fuercht ich, weder stimmt noch haelt.
Daja. Wieso?
Nathan. Mir waer' der Tempelherr schon recht. Ihm goennt' Ich Recha mehr als einem in der Welt. Allein... Nun, habe nur Geduld.
Daja. Geduld? Geduld ist Eure alte Leier nun Wohl nicht?
Nathan. Nur wenig Tage noch Geduld! ... Sieh doch!-Wer koemmt denn dort? Ein Klosterbruder? Geh, frag ihn was er will.
Daja. Was wird er wollen?
(Sie geht auf ihn zu und fragt.)
Nathan. So gib!-und eh' er bittet.-(Wuesst' ich nur Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne Die Ursach' meiner Neugier ihm zu sagen! Denn wenn ich sie ihm sag', und der Verdacht Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst Den Vater auf das Spiel gesetzt.)-Was ist's?
Daja. Er will Euch sprechen.
Nathan. Nun, so lass ihn kommen; Und geh indes.
Siebenter Auftritt
Nathan und der Klosterbruder.
Nathan. (Ich bliebe Rechas Vater Doch gar zu gern!-Zwar kann ich's denn nicht bleiben, Auch wenn ich aufhoer, es zu heissen?-Ihr, Ihr selbst werd ich's doch immer auch noch heissen, Wenn sie erkennt, wie gern ich's waere.)-Geh!- Was ist zu Euern Diensten, frommer Bruder?
Klosterbruder. Nicht eben viel.-Ich freue mich, Herr Nathan, Euch annoch wohl zu sehn.
Nathan. So kennt Ihr mich?
Klosterbruder. Je nu; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem Ja Euern Namen in die Hand gedrueckt. Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.
Nathan (nach seinem Beutel langend). Kommt, Bruder, kommt; ich frisch ihn auf.
Klosterbruder. Habt Dank! Ich wuerd' es Aermern stehlen; nehme nichts.- Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn Ich kann mich ruehmen, auch in Eure Hand Etwas gelegt zu haben, was nicht zu Verachten war.
Nathan. Verzeiht!-Ich schaeme mich- Sagt, was?-und nehmt zur Busse siebenfach Den Wert desselben von mir an.
Klosterbruder. Hoert doch Vor allen Dingen, wie ich selber nur Erst heut an dies mein Euch vertrautes Pfand Erinnert worden.
Nathan. Mir vertrautes Pfand?
Klosterbruder. Vor kurzem sass ich noch als Eremit Auf Quarantana, unweit Jericho. Da kam arabisch Raubgesindel, brach Mein Gotteshaeuschen ab und meine Zelle Und schleppte mich mit fort. Zum Glueck entkam Ich noch und floh hierher zum Patriarchen, Um mir ein ander Plaetzchen auszubitten, Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit Bis an mein selig Ende dienen koenne.
Nathan. Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!
Klosterbruder. Sogleich, Herr Nathan.-Nun, der Patriarch Versprach mir eine Siedelei auf Tabor, Sobald als eine leer; und hiess inzwischen Im Kloster mich als Laienbruder bleiben. Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn Der Patriarch braucht mich zu allerlei, Wovor ich grossen Ekel habe. Zum Exempel:
Nathan. Macht, ich bitt Euch!
Klosterbruder. Nun, es koemmt!- Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt: Es lebe hier herum ein Jude, der Ein Christenkind als seine Tochter sich Erzoege.
Nathan. Wie? (Betroffen.)
Klosterbruder. Hoert mich nur aus!-Indem Er mir nun auftraegt, diesem Juden stracks, Wo moeglich, auf die Spur zu kommen, und Gewaltig sich ob eines solchen Frevels Erzuernt, der ihm die wahre Suende wider Den heil'gen Geist beduenkt;-das ist, die Suende, Die aller Suenden groesste Suend' uns gilt, Nur dass wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen, Worin sie eigentlich besteht:-da wacht Mit einmal mein Gewissen auf; und mir Faellt bei, ich koennte selber wohl vor Zeiten Zu dieser unverzeihlich grossen Suende Gelegenheit gegeben haben.-Sagt: Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren Ein Toechterchen gebracht von wenig Wochen?
Nathan. Wie das?-Nun freilich-allerdings-
Klosterbruder. Ei, seht Mich doch recht an!-Der Reitknecht, der bin ich.
Nathan. Seid ihr?
Klosterbruder. Der Herr, von welchem ich's Euch brachte, War-ist mir recht-ein Herr von Filnek.-Wolf Von Filnek!
Nathan. Richtig!
Klosterbruder. Weil die Mutter kurz Vorher gestorben war; und sich der Vater Nach-mein ich-Gazza ploetzlich werfen musste, Wohin das Wuermchen ihm nicht folgen konnte: So sandt' er's Euch. Und traf ich Euch damit Nicht in Darun?
Nathan. Ganz recht!
Klosterbruder. Es waer' kein Wunder, Wenn mein Gedaechtnis mich betroeg'. Ich habe Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient. Er blieb bald drauf bei Askalon: und war Wohl sonst ein lieber Herr.
Nathan. Ja wohl! Ja wohl! Dem ich so viel, so viel zu danken habe! Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!
Klosterbruder. O schoen! So werd't Ihr seines Toechterchens Euch um so lieber angenommen haben.
Nathan. Das koennt Ihr denken.
Klosterbruder. Nun, wo ist es denn? Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben?- Lasst's lieber nicht gestorben sein!-Wenn sonst Nur niemand um die Sache weiss: so hat Es gute Wege.
Nathan. Hat es?
Klosterbruder. Traut mir, Nathan! Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute, Das ich zu tun vermeine, gar zu nah Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar So ziemlich zuverlaessig kennen, aber Bei weiten nicht das Gute.-War ja wohl Natuerlich; wenn das Christentoechterchen Recht gut von Euch erzogen werden sollte: Dass Ihr's als Euer eigen Toechterchen Erzoegt.-Das haettet Ihr mit aller Lieb' Und Treue nun getan, und muesstet so Belohnet werden? Das will mir nicht ein. Ei freilich, klueger haettet Ihr getan; Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand Als Christin auferziehen lassen: aber So haettet Ihr das Kindchen Eures Freunds Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe, Waer's eines wilden Tieres Lieb' auch nur, In solchen Jahren mehr, als Christentum. Zum Christentume hat's noch immer Zeit. Wenn nur das Maedchen sonst gesund und fromm Vor Euern Augen aufgewachsen ist, So blieb's vor Gottes Augen, was es war. Und ist denn nicht das ganze Christentum Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft Geaergert, hat mir Traenen g'nug gekostet, Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, Dass unser Herr ja selbst ein Jude war.
Nathan. Ihr, guter Bruder, muesst mein Fuersprach sein, Wenn Hass und Gleisnerei sich gegen mich Erheben sollten,-wegen einer Tat- Ah, wegen einer Tat!-Nur Ihr, Ihr sollt Sie wissen!-Nehmt sie aber mit ins Grab! Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht, Sie jemand andern zu erzaehlen. Euch Allein erzaehl ich sie. Der frommen Einfalt Allein erzaehl ich sie. Weil die allein Versteht, was sich der gottergebne Mensch Fuer Taten abgewinnen kann.
Klosterbruder. Ihr seid Geruehrt, und Euer Auge steht voll Wasser?
Nathan. Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun. Ihr wisst wohl aber nicht, dass wenig Tage Zuvor, in Gath die Christen alle Juden Mit Weib und Kind ermordet hatten; wisst Wohl nicht, dass unter diesen meine Frau Mit sieben hoffnungsvollen Soehnen sich Befunden, die in meines Bruders Hause, Zu dem ich sie gefluechtet, insgesamt Verbrennen muessen.
Klosterbruder. Allgerechter!
Nathan. Als Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Naecht' in Asch' Und Staub vor Gott gelegen, und geweint.- Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet, Gezuernt, getobt, mich und die Welt verwuenscht; Der Christenheit den unversoehnlichsten Hass zugeschworen-
Klosterbruder. Ach! Ich glaub's Euch wohl!
Nathan. Doch nun kam die Vernunft allmaehlich wieder. Sie sprach mit sanfter Stimm': "und doch ist Gott! Doch war auch Gottes Ratschluss das! Wohlan! Komm! uebe, was du laengst begriffen hast, Was sicherlich zu ueben schwerer nicht, Als zu begreifen ist, wenn du nur willst. Steh auf!"-Ich stand! und rief zu Gott: ich will! Willst du nur, dass ich will!-Indem stiegt Ihr Vom Pferd, und ueberreichtet mir das Kind, In Euern Mantel eingehuellt.-Was Ihr Mir damals sagtet; was ich Euch: hab ich Vergessen. Soviel weiss ich nur; ich nahm Das Kind, trug's auf mein Lager, kuesst' es, warf Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben Doch nun schon Eines wieder!
Klosterbruder. Nathan! Nathan! Ihr seid ein Christ!-Bei Gott, Ihr seid ein Christ! Ein bessrer Christ war nie!
Nathan. Wohl uns! Denn was Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir Zum Juden!-Aber lasst uns laenger nicht Einander nur erweichen. Hier braucht's Tat! Und ob mich siebenfache Liebe schon Bald an dies einz'ge fremde Maedchen band, Ob der Gedanke mich schon toetet, dass Ich meine sieben Soehn' in ihr aufs neue Verlieren soll:-wenn sie von meinen Haenden Die Vorsicht wieder fodert,-ich gehorche!
Klosterbruder. Nun vollends!-Eben das bedacht' ich mich So viel, Euch anzuraten! Und so hat's Euch Euer guter Geist schon angeraten!
Nathan. Nur muss der erste beste mir sie nicht Entreissen wollen!
Klosterbruder. Nein, gewiss nicht!
Nathan. Wer Auf sie nicht groessre Rechte hat, als ich, Muss fruehere zum mind'sten haben-
Klosterbruder. Freilich!
Nathan. Die ihm Natur und Blut erteilen.
Klosterbruder. So Mein ich es auch!
Nathan. Drum nennt mir nur geschwind Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm, Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt.- Ihm will ich sie nicht vorenthalten-Sie, Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde Zu sein erschaffen und erzogen ward.- Ich hoff, Ihr wisst von diesem Euern Herrn Und dem Geschlechte dessen, mehr als ich.
Klosterbruder. Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich!-Denn Ihr habt ja schon gehoert, dass ich nur gar Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.
Nathan. Wisst Ihr denn nicht wenigstens, was fuer Geschlechts Die Mutter war?-War sie nicht eine Stauffin?
Klosterbruder. Wohl moeglich!-Ja, mich duenkt.
Nathan. Hiess nicht ihr Bruder Conrad von Stauffen?-und war Tempelherr?
Klosterbruder. Wenn mich's nicht truegt. Doch halt! Da faellt mir ein, Dass ich vom sel'gen Herrn ein Buechelchen Noch hab. Ich zog's ihm aus dem Busen, als Wir ihn bei Askalon verscharrten.
Nathan. Nun?
Klosterbruder. Es sind Gebete drin. Wir nennen's ein Brevier.-Das, dacht' ich, kann ein Christenmensch Ja wohl noch brauchen.-Ich nun freilich nicht Ich kann nicht lesen-
Nathan. Tut nichts!-Nur zur Sache.
Klosterbruder. In diesem Buechelchen stehn vorn und hinten, Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn Selbsteigner Hand, die Angehoerigen Von ihm und ihr geschrieben.
Nathan. O erwuenscht! Geht! lauft! holt mir das Buechelchen. Geschwind! Ich bin bereit mit Gold es aufzuwiegen; Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!
Klosterbruder. Recht gern! Es ist Arabisch aber, was der Herr Hineingeschrieben. (Ab.)
Nathan. Einerlei! Nur her!- Gott! wenn ich doch das Maedchen noch behalten, Und einen solchen Eidam mir damit Erkaufen koennte!-Schwerlich wohl!-Nun, fall' Es aus, wie's will!-Wer mag es aber denn Gewesen sein, der bei dem Patriarchen So etwas angebracht? Das muss ich doch Zu fragen nicht vergessen.-Wenn es gar Von Daja kaeme?
Achter Auftritt
Daja und Nathan.
Daja (eilig und verlegen). Denkt doch, Nathan!
Nathan. Nun?
Daja. Das arme Kind erschrak wohl recht darueber! Da schickt...
Nathan. Der Patriarch?
Daja. Des Sultans Schwester, Prinzessin Sittah...
Nathan. Nicht der Patriarch?
Daja. Nein, Sittah!-Hoert Ihr nicht!-Prinzessin Sittah Schickt her, und laesst sie zu sich holen?
Nathan. Wen? Laesst Recha holen?-Sittah laesst sie holen?- Nun; wenn sie Sittah holen laesst, und nicht Der Patriarch...
Daja. Wie kommt Ihr denn auf den?
Nathan. So hast du kuerzlich nichts von ihm gehoert? Gewiss nicht? Auch ihm nichts gesteckt?
Daja. Ich? ihm?
Nathan. Wo sind die Boten?
Daja. Vorn.
Nathan. Ich will sie doch Aus Vorsicht selber sprechen. Komm!-Wenn nur Vom Patriarchen nichts dahintersteckt. (Ab.)
Daja. Und ich-ich fuerchte ganz was anders noch. Was gilt's? die einzige vermeinte Tochter So eines reichen Juden waer' auch wohl Fuer einen Muselmann nicht uebel?-Hui, Der Tempelherr ist drum. Ist drum: wenn ich Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist!- Getrost! Lass mich den ersten Augenblick, Den ich allein sie habe, dazu brauchen! Und der wird sein-vielleicht nun eben, wenn Ich sie begleite. So ein erster Wink Kann unterwegens wenigstens nicht schaden. Ja, ja! Nur zu! Itzt oder nie! Nur zu! (Ihm nach.)
Fuenfter Aufzug
Erster Auftritt
(Szene: das Zimmer in Saladins Palaste, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen.)
Saladin und bald darauf verschiedne Mamelucken.
Saladin (im Hereintreten). Da steht das Geld nun noch! Und niemand weiss Den Derwisch aufzufinden, der vermutlich Ans Schachbrett irgendwo geraten ist, Das ihn wohl seiner selbst vergessen macht;- Warum nicht meiner?-Nun, Geduld! Was gibt's?
Ein Mameluck. Erwuenschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan! ... Die Karawane von Kahira kommt, Ist gluecklich da! mit siebenjaehrigem Tribut des reichen Nils.
Saladin. Brav, Ibrahim! Du bist mir wahrlich ein willkommner Bote!- Ha! endlich einmal! endlich!-Habe Dank Der guten Zeitung.
Der Mameluck (wartend). (Nun? nur her damit!)
Saladin. Was wartst du?-Geh nur wieder.
Der Mameluck. Dem Willkommnen Sonst nichts?
Saladin. Was denn noch sonst?
Der Mameluck. Dem guten Boten Kein Botenbrot?-So waer' ich ja der erste, Den Saladin mit Worten abzulehnen Doch endlich lernte?-Auch ein Ruhm!-der erste, Mit dem er knickerte.
Saladin. So nimm dir nur Dort einen Beutel.
Der Mameluck. Nein, nun nicht! Du kannst Mir sie nun alle schenken wollen.
Saladin. Trotz!- Komm her! Da hast du zwei.-Im Ernst? er geht? Tut mir's an Edelmut zuvor?-Denn sicher Muss ihm es saurer werden, auszuschlagen, Als mir zu geben.-Ibrahim!-Was kommt Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt Auf einmal ganz ein andrer sein zu wollen?- Will Saladin als Saladin nicht sterben?- So musst' er auch als Saladin nicht leben.
Ein zweiter Mameluck. Nun, Sultan!...
Saladin. Wenn du mir zu melden kommst...
Zweiter Mameluck. Dass aus Aegypten der Transport nun da!
Saladin. Ich weiss schon.
Zweiter Mameluck. Kam ich doch zu spaet!
Saladin. Warum Zu spaet?-Da nimm fuer deinen guten Willen Der Beutel einen oder zwei.
Zweiter Mameluck. Macht drei!
Saladin. Ja, wenn du rechnen kannst!-So nimm sie nur.
Zweiter Mameluck. Es wird wohl noch ein Dritter kommen,-wenn Er anders kommen kann.
Saladin. Wie das?
Zweiter Mameluck. Je nu; Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn Sobald wir drei der Ankunft des Transports Versichert waren, sprengte jeder frisch Davon. Der Vorderste, der stuerzt'; und so Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in Die Stadt; wo aber Ibrahim, der Lecker Die Gassen besser kennt.
Saladin. Oh, der gestuerzte! Freund, der gestuerzte!-Reit ihm doch entgegen.
Zweiter Mameluck. Das werd ich ja wohl tun!-Und wenn er lebt: So ist die Haelfte dieser Beutel sein. (Geht ab.)
Saladin. Sieh, welch ein guter, edler Kerl auch das!- Wer kann sich solcher Mamelucken ruehmen? Und waer' mir denn zu denken nicht erlaubt, Dass sie mein Beispiel bilden helfen?-Fort Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt Noch an ein anders zu gewoehnen!...
Ein dritter Mameluck. Sultan....
Saladin. Bist du's, der stuerzte?
Dritter Mameluck. Nein. Ich melde nur,- Dass Emir Mansor, der die Karawane Gefuehrt, vom Pferde steigt...
Saladin. Bring ihn! geschwind!- Da ist er ja!-
Zweiter Auftritt
Emir Mansor und Saladin.
Saladin. Willkommen, Emir! Nun, Wie ist's gegangen?-Mansor, Mansor, hast Uns lange warten lassen!
Mansor. Dieser Brief Berichtet, was dein Abulkassem erst Fuer Unruh' in Thebais daempfen muessen: Eh, wir es wagen durften abzugehen. Den Zug darauf hab ich beschleuniget Soviel, wie moeglich war.
Saladin. Ich glaube dir! Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich... Du tust es aber doch auch gern?... nimm frische Bedeckung nur sogleich. Du musst sogleich Noch weiter; musst der Gelder groessern Teil Auf Libanon zum Vater bringen.
Mansor. Gern! Sehr gern!
Saladin. Und nimm dir die Bedeckung ja Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht Gehoert? Die Tempelherrn sind wieder rege. Sei wohl auf deiner Hut!-Komm nur! Wo haelt Der Zug? Ich will ihn sehn; und alles selbst Betreiben.-Ihr! ich bin sodann bei Sittah.
Dritter Auftritt
Szene: die Palmen vor Nathans Hause, wo der Tempelherr auf- und niedergeht.
Ins Haus nun will ich einmal nicht.-Er wird Sich endlich doch wohl sehen lassen!-Man Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern!- Will's noch erleben, dass er sich's verbittet, Vor seinem Hause mich so fleissig finden Zu lassen.-Hm!-ich bin doch aber auch Sehr aergerlich.-Was hat mich denn nun so Erbittert gegen ihn?-Er sagte ja: Noch schlueg' er mir nichts ab. Und Saladin Hat's ueber sich genommen, ihn zu stimmen.- Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude?- Wer kennt sich recht? Wie koennt' ich ihm denn sonst Den kleinen Raub nicht goennen wollen, den Er sich's zu solcher Angelegenheit Gemacht, den Christen abzujagen?-Freilich; Kein kleiner Raub, ein solch Geschoepf!-Geschoepf? Und wessen?-Doch des Sklaven nicht, der auf Des Lebens oeden Strand den Block gefloesst, Und sich davongemacht? Des Kuenstlers doch Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke Die goettliche Gestalt sich dachte, die Er dargestellt?-Ach! Rechas wahrer Vater Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte,-bleibt In Ewigkeit der Jude.-Wenn ich mir Sie lediglich als Christendirne denke, Sie sonder alles das mir denke, was Allein ihr so ein Jude geben konnte:- Sprich, Herz,-was waer' an ihr, das dir gefiel? Nichts! Wenig! Selbst ihr Laecheln, waer' es nichts Als sanfte schoene Zuckung ihrer Muskeln; Waer', was sie laecheln macht, des Reizes unwert, In den es sich auf ihrem Munde kleidet:- Nein; selbst ihr Laecheln nicht! Ich hab es ja Wohl schoener noch an Aberwitz, an Tand, An Hoehnerei, an Schmeichler und an Buhler Verschwenden sehn!-Hat's da mich auch bezaubert? Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben In seinem Sonnenscheine zu verflattern?- Ich wuesste nicht. Und bin auf den doch launisch, Der diesen hoehern Wert allein ihr gab? Wie das? warum?-Wenn ich den Spott verdiente, Mit dem mich Saladin entliess! Schon schlimm Genug, dass Saladin es glauben konnte! Wie klein ich ihm da scheinen musste! wie Veraechtlich!-Und das alles um ein Maedchen?- Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends Mir Daja nur was vorgeplaudert haette, Was schwerlich zu erweisen stuende?-Sieh, Da tritt er endlich, im Gespraech vertieft, Aus seinem Hause!-Ha! mit wem!-Mit ihm? Mit meinem Klosterbruder?-Ha! so weiss Er sicherlich schon alles! ist wohl gar Dem Patriarchen schon verraten!-Ha! Was hab ich Querkopf nun gestiftet!-Dass Ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann!- Geschwind entschliess dich, was nunmehr zu tun! Ich will hier seitwaerts ihrer warten;-ob Vielleicht der Klosterbruder ihn verlaesst.
Vierter Auftritt
Nathan und der Klosterbruder.
Nathan (im Naeherkommen). Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!
Klosterbruder. Und Ihr desgleichen!
Nathan. Ich? von Euch? wofuer? Fuer meinen Eigensinn, Euch aufzudraengen, Was Ihr nicht braucht?-Ja, wenn ihm Eurer nur Auch nachgegeben haett'; Ihr mit Gewalt Nicht wolltet reicher sein, als ich.
Klosterbruder. Das Buch Gehoert ja ohnedem nicht mir; gehoert Ja ohnedem der Tochter; ist ja so Der Tochter ganzes vaeterliches Erbe. Je nu, sie hat ja Euch.-Gott gebe nur, Dass Ihr es nie bereuen duerft, so viel Fuer sie getan zu haben!
Nathan. Kann ich das? Das kann ich nie. Seid unbesorgt!
Klosterbruder. Nu, nu! Die Patriarchen und die Tempelherren...
Nathan. Vermoegen mir des Boesen nie so viel Zu tun, dass irgend was mich reuen koennte: Geschweige, das!-Und seid Ihr denn so ganz Versichert, dass ein Tempelherr es ist, Der Euern Patriarchen hetzt?
Klosterbruder. Es kann Beinah kein andrer sein. Ein Tempelherr Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hoerte, Das klang darnach.
Nathan. Es ist doch aber nur Ein einziger itzt in Jerusalem. Und diesen kenn ich. Dieser ist mein Freund. Ein junger, edler, offner Mann!
Klosterbruder. Ganz recht; Der naemliche!-Doch was man ist, und was Man sein muss in der Welt, das passt ja wohl Nicht immer.
Nathan. Leider nicht.-So tue, wer's Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes! Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen; Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.
Klosterbruder. Viel Gluecks! Ich will Euch denn nur hier verlassen.
Nathan. Und habt sie nicht einmal gesehn?-Kommt ja Doch bald, doch fleissig wieder.-Wenn nur heut Der Patriarch noch nichts erfaehrt!-Doch was? Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt.
Klosterbruder. Ich nicht. Lebt wohl! (Geht ab.)
Nathan. Vergesst uns ja nicht, Bruder!-Gott! Dass ich nicht hier gleich unter freiem Himmel Auf meine Kniee sinken kann! Wie sich Der Knoten, der so oft mir bange machte, Nun von sich selber loeset!-Gott! wie leicht Mir wird, dass ich nun weiter auf der Welt Nichts zu verbergen habe! dass ich vor Den Menschen nun so frei kann wandeln, als Vor dir, der du allein den Menschen nicht Nach seinen Taten brauchst zu richten, die So selten seine Taten sind, o Gott!-
Fuenfter Auftritt
Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zukommt.
Tempelherr. He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!
Nathan. Wer ruft?- Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, dass Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?
Tempelherr. Wir sind einander fehlgegangen. Nehmt's Nicht uebel.
Nathan. Ich nicht; aber Saladin...
Tempelherr. Ihr wart nur eben fort...
Nathan. Und spracht ihn doch? Nun, so ist's gut.
Tempelherr. Er will uns aber beide Zusammen sprechen.
Nathan. Desto besser. Kommt Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm.
Tempelherr. Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer Euch da verliess?
Nathan. Ihr kennt ihn doch wohl nicht?
Tempelherr. War's nicht die gute Haut, der Laienbruder, Des sich der Patriarch so gern zum Stoeber Bedient?
Nathan. Kann sein! Beim Patriarchen ist Er allerdings.
Tempelherr. Der Pfiff ist gar nicht uebel: Die Einfalt vor der Schurkerei voraus- Zuschicken.
Nathan. Ja, die dumme;-nicht die fromme.
Tempelherr. An fromme glaubt kein Patriarch.
Nathan. Fuer den Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen Nichts Ungebuehrliches vollziehen helfen.
Tempelherr. So stellt er wenigstens sich an.-Doch hat Er Euch von mir denn nichts gesagt?
Nathan. Von Euch? Von Euch nun namentlich wohl nichts.-Er weiss Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?
Tempelherr. Schwerlich.
Nathan. Von einem Tempelherren freilich hat Er mir gesagt...
Tempelherr. Und was?
Nathan. Womit er Euch Doch ein fuer allemal nicht meinen kann!
Tempelherr. Wer weiss? Lasst doch nur hoeren.
Nathan. Dass mich einer Bei seinem Patriarchen angeklagt...
Tempelherr. Euch angeklagt?-Das ist, mit seiner Gunst- Erlogen.-Hoert mich, Nathan!-Ich bin nicht Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen Imstande waere. Was ich tat, das tat ich! Doch bin ich auch nicht der, der alles, was Er tat, als wohlgetan verteid'gen moechte. Was sollt' ich eines Fehls mich schaemen? Hab Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern? Und weiss ich etwa nicht, wie weit mit dem Es Menschen bringen koennen?-Hoert mich, Nathan!- Ich bin des Laienbruders Tempelherr, Der Euch verklagt soll haben, allerdings.- Ihr wisst ja, was mich wurmisch machte! was Mein Blut in allen Adern sieden machte! Ich Gauch!-ich kam, so ganz mit Leib und Seel' Euch in die Arme mich zu werfen. Wie Ihr mich empfingt-wie kalt-wie lau-denn lau Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen Mir auszubeugen Ihr beflissen wart; Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet: Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn Ich soll gelassen bleiben.-Hoert mich, Nathan!- In dieser Gaerung schlich mir Daja nach, Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf Das mir den Aufschluss Euers raetselhaften Betragens zu enthalten schien.
Nathan. Wie das?
Tempelherr. Hoert mich nur aus!-Ich bildete mir ein, Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen So abgejagt, an einen Christen wieder Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein, Euch kurz und gut das Messer an die Kehle Zu setzen.
Nathan. Kurz und gut? und gut?-Wo steckt Das Gute?
Tempelherr. Hoert mich, Nathan!-Allerdings: Ich tat nicht recht!-Ihr seid wohl gar nicht schuldig.- Die Naerrin Daja weiss nicht was sie spricht- Ist Euch gehaessig-sucht Euch nur damit In einen boesen Handel zu verwickeln- Kann sein! kann sein!-Ich bin ein junger Laffe, Der immer nur an beiden Enden schwaermt; Bald viel zuviel, bald viel zuwenig tut- Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.
Nathan. Wenn Ihr so mich freilich fasset-
Tempelherr. Kurz, ich ging Zum Patriarchen!-hab Euch aber nicht Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt! Ich hab ihm bloss den Fall ganz allgemein Erzaehlt, um seine Meinung zu vernehmen.- Auch das haett' unterbleiben koennen: ja doch!- Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber Nur gleich zur Rede stellen?-Musst' ich der Gefahr, so einen Vater zu verlieren, Das arme Maedchen opfern?-Nun, was tut's? Die Schurkerei des Patriarchen, die So aehnlich immer sich erhaelt, hat mich Des naechsten Weges wieder zu mir selbst Gebracht.-Denn hoert mich, Nathan; hoert mich aus!- Gesetzt; er wuesst' auch Euern Namen: was Nun mehr, was mehr?-Er kann Euch ja das Maedchen Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer. Er kann sie doch aus Euerm Hause nur Ins Kloster schleppen.-Also-gebt sie mir! Gebt sie nur mir; und lasst ihn kommen. Ha! Er soll's wohl bleibenlassen, mir mein Weib Zu nehmen.-Gebt sie mir; geschwind!-Sie sei Nun Eure Tochter, oder sei es nicht! Sei Christin, oder Juedin, oder keines! Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder itzt Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben Darum befragen. Sei, wie's sei!
Nathan. Ihr waehnt Wohl gar, dass mir die Wahrheit zu verbergen Sehr noetig?
Tempelherr. Sei, wie's sei!
Nathan. Ich hab es ja Euch-oder wem es sonst zu wissen ziemt- Noch nicht geleugnet, dass sie eine Christin, Und nichts als meine Pflegetochter ist.- Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt?- Darueber brauch ich nur bei ihr mich zu Entschuldigen.
Tempelherr. Das sollt Ihr auch bei ihr Nicht brauchen.-Goennt's ihr doch, dass sie Euch nie Mit andern Augen darf betrachten! Spart Ihr die Entdeckung doch!-Noch habt Ihr ja, Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir! Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male Euch retten kann-und will.
Nathan. Ja-konnte! konnte! Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spaet.
Tempelherr. Wieso? zu spaet?
Nathan. Dank sei dem Patriarchen...
Tempelherr. Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofuer? Dank haette der bei uns verdienen wollen? Wofuer? wofuer?
Nathan. Dass wir nun wissen, wem Sie unverwandt; nun wissen, wessen Haenden Sie sicher ausgeliefert werden kann.
Tempelherr. Das dank' ihm-wer fuer mehr ihm danken wird!
Nathan. Aus diesen muesst Ihr sie nun auch erhalten; Und nicht aus meinen.
Tempelherr. Arme Recha! Was Dir alles zustoesst, arme Recha! Was Ein Glueck fuer andre Waisen waere, wird Dein Unglueck!-Nathan!-Und wo sind sie, diese Verwandte?
Nathan. Wo sie sind?
Tempelherr. Und wer sie sind?
Nathan. Besonders hat ein Bruder sich gefunden, Bei dem Ihr um sie werben muesst.
Tempelherr. Ein Bruder? Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat? Ein Geistlicher?-Lasst hoeren, was ich mir Versprechen darf.
Nathan. Ich glaube, dass er keines Von beiden-oder beides ist. Ich kenn Ihn noch nicht recht.
Tempelherr. Und sonst?
Nathan. Ein braver Mann Bei dem sich Recha gar nicht uebel wird Befinden.
Tempelherr. Doch ein Christ!-Ich weiss zuzeiten Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll:- Nehmt mir's nicht ungut, Nathan.-Wird sie nicht Die Christin spielen muessen, unter Christen? Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt, Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen, Den Ihr gesaet, das Unkraut endlich nicht Ersticken?-Und das kuemmert Euch so wenig? Dem ungeachtet koennt Ihr sagen-Ihr? Dass sie bei ihrem Bruder sich nicht uebel Befinden werde?
Nathan. Denk ich! hoff ich!-Wenn Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat Sie Euch und mich denn nicht noch immer?-
Tempelherr. Oh! Was wird bei ihm ihr mangeln koennen! Wird Das Bruederchen mit Essen und mit Kleidung, Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht Ein Schwesterchen denn mehr?-Ei freilich: auch Noch einen Mann!-Nun, nun, auch den, auch den Wird ihr das Bruederchen zu seiner Zeit Schon schaffen; wie er immer nur zu finden! Der Christlichste der Beste!-Nathan, Nathan! Welch einen Engel hattet Ihr gebildet, Den Euch nun andre so verhunzen werden!
Nathan. Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe Noch immer wert genug behaupten.
Tempelherr. Sagt Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht! Denn die laesst nichts sich unterschlagen; nichts. Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen! Doch halt!-Argwohnt sie wohl bereits, was mit Ihr vorgeht?
Nathan. Moeglich; ob ich schon nicht wuesste, Woher?
Tempelherr. Auch eben viel; sie soll-sie muss In beiden Faellen, was ihr Schicksal droht, Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke, Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen, Als bis ich sie die Meine nennen duerfe, Faellt weg. Ich eile...
Nathan. Bleibt! wohin?
Tempelherr. Zu ihr! Zu sehn, ob diese Maedchenseele Manns genug Wohl ist, den einzigen Entschluss zu fassen, Der ihrer wuerdig waere!
Nathan. Welchen?
Tempelherr. Den: Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht Zu fragen-
Nathan. Und?
Tempelherr. Und mir zu folgen;-wenn Sie drueber eines Muselmannes Frau Auch werden muesste.
Nathan. Bleibt! Ihr trefft sie nicht. Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.
Tempelherr. Seit wenn? warum?
Nathan. Und wollt Ihr da bei ihnen Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.
Tempelherr. Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?
Nathan. Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!
(Er fuehrt ihn fort.)
Sechster Auftritt
(Szene: in Sittahs Harem.)
Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen.
Sittah. Was freu ich mich nicht deiner, suesses Maedchen!- Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schuechtern!- Sei munter! sei gespraechiger! vertrauter!
Recha. Prinzessin....
Sittah. Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn Mich Sittah,-deine Freundin,-deine Schwester. Nenn mich dein Muetterchen!-Ich koennte das Ja schier auch sein.-So jung! so klug! so fromm! Was du nicht alles weisst! nicht alles musst Gelesen haben!
Recha. Ich gelesen?-Sittah, Du spottest deiner kleinen albern Schwester. Ich kann kaum lesen.
Sittah. Kannst kaum, Luegnerin!
Recha. Ein wenig meines Vaters Hand!-Ich meinte, Du spraechst von Buechern.
Sittah. Allerdings! von Buechern.
Recha. Nun, Buecher wird mir wahrlich schwer zu lesen!
Sittah. Im Ernst?
Recha. In ganzem Ernst. Mein Vater liebt Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drueckt, Zu wenig.
Sittah. Ei, was sagst du!-Hat indes Wohl nicht sehr unrecht!-Und so manches, was Du weisst...?
Recha. Weiss ich allein aus seinem Munde Und koennte bei dem meisten dir noch sagen, Wie? wo? warum? er mich's gelehrt.
Sittah. So haengt Sich freilich alles besser an. So lernt Mit eins die ganze Seele.-
Recha. Sicher hat Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!
Sittah. Wieso?-Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. Allein wieso? Dein Grund! Sprich dreist. Dein Grund?
Recha. Sie ist so schlecht und recht; so unverkuenstelt; So ganz sich selbst nur aehnlich...
Sittah. Nun?
Recha. Das sollen Die Buecher uns nur selten lassen! sagt Mein Vater.
Sittah. O was ist dein Vater fuer Ein Mann!
Recha. Nicht wahr?
Sittah. Wie nah er immer doch Zum Ziele trifft!
Recha. Nicht wahr?-Und diesen Vater-
Sittah. Was ist dir, Liebe?
Recha. Diesen Vater-
Sittah. Gott! Du weinst?
Recha. Und diesen Vater-Ah! es muss Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft...
(Wirft sich, von Traenen ueberwaeltiget, zu ihren Fuessen.)
Sittah. Kind, was Geschieht dir? Recha?
Recha. Diesen Vater soll- Soll ich verlieren!
Sittah. Du? verlieren? ihn? Wie das?-Sei ruhig!-Nimmermehr!-Steh auf!
Recha. Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin, Zu meiner Schwester nicht erboten haben!
Sittah. Ich bin's ja! bin's!-Steh doch nur auf! Ich muss Sonst Hilfe rufen.
Recha (die sich ermannt und aufsteht). Ah! verzeih! vergib! Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft Will alles ueber sie allein vermoegen. Wes Sache diese bei ihr fuehrt, der siegt!
Sittah. Nun dann?
Recha. Nein; meine Freundin, meine Schwester Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, dass mir Ein andrer Vater aufgedrungen werde!
Sittah. Ein andrer Vater? aufgedrungen? dir? Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?
Recha. Wer? Meine gute boese Daja kann Das wollen,-will das koennen.-ja; du kennst Wohl diese gute boese Daja nicht? Nun, Gott vergeb' es ihr!-belohn' es ihr! Sie hat mir so viel Gutes,-so viel Boeses Erwiesen!
Sittah. Boeses dir?-So muss sie Gutes Doch wahrlich wenig haben.
Recha. Doch! recht viel, Recht viel!
Sittah. Wer ist sie?
Recha. Eine Christin, die In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so Gepflegt!-Du glaubst nicht!-Die mir eine Mutter So wenig missen lassen!-Gott vergelt' Es ihr!-Die aber mich auch so geaengstet! Mich so gequaelt!
Sittah. Und ueber was? warum? Wie?
Recha. Ach! die arme Frau-ich sag dir's ja Ist eine Christin;-muss aus Liebe quaelen; Ist eine von den Schwaermerinnen, die Den allgemeinen, einzig wahren Weg Nach Gott zu wissen waehnen!
Sittah. Nun versteh ich!
Recha. Und sich gedrungen fuehlen, einen jeden, Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken.- Kaum koennen sie auch anders. Denn ist's wahr, Dass dieser Weg allein nur richtig fuehrt: Wie sollen sie gelassen ihre Freunde Auf einem andern wandeln sehn,-der ins Verderben stuerzt, ins ewige Verderben? Es muesste moeglich sein, denselben Menschen Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen.- Auch ist's das nicht, was endlich laute Klagen Mich ueber sie zu fuehren zwingt. Ihr Seufzen, Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen haett' Ich gern noch laenger ausgehalten; gern! Es brachte mich doch immer auf Gedanken, Die gut und nuetzlich. Und wem schmeichelt's doch Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer, Von wem's auch sei, gehalten fuehlen, dass Er den Gedanken nicht ertragen kann, Er muess' einmal auf ewig uns entbehren!
Sittah. Sehr wahr!
Recha. Allein-allein-das geht zu weit! Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht Geduld, nicht Ueberlegung; nichts!
Sittah. Was? wem?
Recha. Was sie mir eben itzt entdeckt will haben.
Sittah. Entdeckt? und eben itzt?
Recha. Nur eben itzt! Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem Verfallnen Christentempel. Ploetzlich stand Sie still; schien mit sich selbst zu kaempfen; blickte Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald Auf mich. Komm, sprach sie endlich, lass uns hier Durch diesen Tempel in die Richte gehn! Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift Mit Graus die wankenden Ruinen durch. Nun steht sie wieder; und ich sehe mich An den versunknen Stufen eines morschen Altars mit ihr. Wie ward mir? als sie da Mit heissen Traenen, mit gerungnen Haenden Zu meinen Fuessen stuerzte...
Sittah. Gutes Kind!
Recha. Und bei der Goettlichen, die da wohl sonst So manch Gebet erhoert, so manches Wunder Verrichtet habe, mich beschwor;-mit Blicken Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner Doch zu erbarmen!-Wenigstens, ihr zu Vergeben, wenn sie mir entdecken muesse, Was ihre Kirch' auf mich fuer Anspruch habe.
Sittah. (Unglueckliche!-Es ahnte mir!)
Recha. Ich sei Aus christlichem Gebluete; sei getauft; Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater!- Gott! Gott! Er nicht mein Vater!-Sittah! Sittah! Sieh mich aufs neu' zu deinen Fuessen...
Sittah. Recha! Nicht doch! steh auf!-Mein Bruder koemmt! steh auf!
Siebenter Auftritt
Saladin und die Vorigen.
Saladin. Was gibt's hier, Sittah?
Sittah. Sie ist von sich! Gott!
Saladin. Wer ist's?
Sittah. Du weisst ja...
Saladin. Unsers Nathans Tochter? Was fehlt ihr?
Sittah. Komm doch zu dir, Kind!-Der Sultan...
Recha (die sich auf den Knien zu Saladins Fuessen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt). Ich steh nicht auf! nicht eher auf!-mag eher Des Sultans Antlitz nicht erblicken!-eher Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit Und Guete nicht in seinen Augen, nicht Auf seiner Stirn bewundern...
Saladin. Steh... steh auf!
Recha. Eh' er mir nicht verspricht...
Saladin. Komm! ich verspreche... Sei was es will!
Recha. Nicht mehr, nicht weniger, Als meinen Vater mir zu lassen; und Mich ihm!-Noch weiss ich nicht, wer sonst mein Vater Zu sein verlangt;-verlangen kann. Will's auch Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut Den Vater? nur das Blut?
Saladin (der sie aufhebt). Ich merke wohl!- Wer war so grausam denn, dir selbst-dir selbst Dergleichen in den Kopf zu setzen? Ist Es denn schon voellig ausgemacht? erwiesen?
Recha. Muss wohl! Denn Daja will von meiner Amm' Es haben.
Saladin. Deiner Amme!
Recha. Die es sterbend Ihr zu vertrauen sich verbunden fuehlte.
Saladin. Gar sterbend!-Nicht auch faselnd schon? Und waer's Auch wahr!-Jawohl: das Blut, das Blut allein Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum Den Vater eines Tieres! gibt zum hoechsten Das erste Recht, sich diesen Namen zu Erwerben!-Lass dir doch nicht bange sein! Und weisst du was? Sobald der Vaeter zwei Sich um dich streiten:-lass sie beide; nimm Den dritten!-Nimm dann mich zu deinem Vater!
Sittah. O tu's! o tu's!
Saladin. Ich will ein guter Vater, Recht guter Vater sein!-Doch halt! mir faellt Noch viel was Bessers bei.-Was brauchst du denn Der Vaeter ueberhaupt? Wenn sie nun sterben? Beizeiten sich nach einem umgesehn, Der mit uns um die Wette leben will! Kennst du noch keinen?...
Sittah. Mach sie nicht erroeten!
Saladin. Das hab ich allerdings mir vorgesetzt. Erroeten macht die Haesslichen so schoen: Und sollte Schoene nicht noch schoener machen?- Ich habe deinen Vater Nathan; und Noch einen-einen noch hierher bestellt. Erraetst du ihn?-Hierher! Du wirst mir doch Erlauben, Sittah?
Sittah. Bruder!
Saladin. Dass du ja Vor ihm recht sehr erroetest, liebes Maedchen!
Recha. Vor wem? erroeten?...
Saladin. Kleine Heuchlerin! Nun, so erblasse lieber!-Wie du willst Und kannst!-
(Eine Sklavin tritt herein und nahet sich Sittah.)
Sie sind doch etwa nicht schon da?
Sittah (zur Sklavin). Gut! lass sie nur herein.-Sie sind es, Bruder!
Letzter Auftritt
Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.
Saladin. Ah, meine guten lieben Freunde!-Dich, Dich, Nathan, muss ich nur vor allen Dingen Bedeuten, dass du nun, sobald du willst, Dein Geld kannst wieder holen lassen!
Nathan. Sultan!
Saladin. Nun steh ich auch zu deinen Diensten.
Nathan. Sultan!
Saladin. Die Karawan' ist da. Ich bin so reich Nun wieder, als ich lange nicht gewesen. Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Grosses Zu unternehmen! Denn auch ihr, auch ihr, Ihr Handelsleute, koennt des baren Geldes Zuviel nie haben!
Nathan. Und warum zuerst Von dieser Kleinigkeit?-Ich sehe dort Ein Aug' in Traenen, das zu trocknen, mir Weit angelegner ist. (Geht auf Recha zu.) Du hast geweint? Was fehlt dir?-bist doch meine Tochter noch?
Recha. Mein Vater!...
Nathan. Wir verstehen uns. Genug!- Sei heiter! Sei gefasst! Wenn sonst dein Herz Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst Nur kein Verlust nicht droht!-Dein Vater ist Dir unverloren!
Recha. Keiner, keiner sonst!
Tempelherr. Sonst keiner?-Nun! so hab ich mich betrogen. Was man nicht zu verlieren fuerchtet, hat Man zu besitzen nie geglaubt, und nie Gewuenscht.-Recht wohl! recht wohl!-Das aendert, Nathan, Das aendert alles!-Saladin, wir kamen Auf dein Geheiss. Allein, ich hatte dich Verleitet; itzt bemueh dich nur nicht weiter!
Saladin. Wie gach nun wieder, junger Mann!-Soll alles Dir denn entgegenkommen? Alles dich Erraten?
Tempelherr. Nun du hoerst ja! siehst ja, Sultan!
Saladin. Ei wahrlich!-Schlimm genug, dass deiner Sache Du nicht gewisser warst!
Tempelherr. So bin ich's nun.
Saladin. Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt, Nimmt sie zurueck. Was du gerettet, ist Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst waer' Der Raeuber, den sein Geiz ins Feuer jagt, So gut ein Held wie du!
(Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzufuehren.)
Komm, liebes Maedchen, Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn waer' Er anders; waer' er minder warm und stolz: Er haett' es bleibenlassen, dich zu retten. Du musst ihm eins fuers andre rechnen.-Komm! Beschaem ihn! tu, was ihm zu tun geziemte! Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an! Und wenn er dich verschmaeht; dir's je vergisst, Wie ungleich mehr in diesem Schritte du Fuer ihn getan, als er fuer dich... Was hat Er denn fuer dich getan? Ein wenig sich Beraeuchern lassen! ist was Rechts!-so hat Er meines Bruders, meines Assad, nichts! So traegt er seine Larve, nicht sein Herz. Komm, Liebe...
Sittah. Geh! geh, Liebe, geh! Es ist Fuer deine Dankbarkeit noch immer wenig; Noch immer nichts.
Nathan. Halt Saladin! halt Sittah!
Saladin. Auch du?
Nathan. Hier hat noch einer mitzusprechen...
Saladin. Wer leugnet das?-Unstreitig, Nathan, koemmt So einem Pflegevater eine Stimme Mit zu! Die erste, wenn du willst.-Du hoerst, Ich weiss der Sache ganze Lage.
Nathan. Nicht so ganz!- Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer; Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin, Doch auch vorher zu hoeren bitte.
Saladin.-Wer?
Nathan. Ihr Bruder!
Saladin. Rechas Bruder?
Nathan. Ja!
Recha. Mein Bruder? So hab ich einen Bruder?
Tempelherr (aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend). Wo? wo ist Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt' Ihn hier ja treffen.
Nathan. Nur Geduld!
Tempelherr (aeusserst bitter). Er hat Ihr einen Vater aufgebunden:-wird Er keinen Bruder fuer sie finden?
Saladin. Das Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger Verdacht waer' ueber Assads Lippen nicht Gekommen.-Gut! fahr nur so fort!
Nathan. Verzeih Ihm!-Ich verzeih ihm gern.-Wer weiss, was wir An seiner Stell', in seinem Alter daechten! (Freundschaftlich auf ihn zugehend.) Natuerlich, Ritter!-Argwohn folgt auf Misstraun!- Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich Gewuerdigt haettet...
Tempelherr. Wie?
Nathan. Ihr seid kein Stauffen!
Tempelherr. Wer bin ich denn?
Nathan. Heisst Curd von Stauffen nicht!
Tempelherr. Wie heiss ich denn?
Nathan. Heisst Leu von Filnek.
Tempelherr. Wie?
Nathan. Ihr stutzt?
Tempelherr. Mit Recht! Wer sagt das?
Nathan. Ich; der mehr, Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes Euch keiner Luege.
Tempelherr. Nicht?
Nathan. Kann doch wohl sein, Dass jener Nam' Euch ebenfalls gebuehrt.
Tempelherr. Das sollt' ich meinen!-(Das hiess Gott ihn sprechen!)
Nathan. Denn Eure Mutter-die war eine Stauffin. Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen, Dem Eure Eltern Euch in Deutschland liessen, Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben, Sie wieder hierzulande kamen:-Der Hiess Curd von Stauffen; mag an Kindes Statt Vielleicht Euch angenommen haben!-Seid Ihr lange schon mit ihm nun auch herueber- Gekommen? Und er lebt doch noch?
Tempelherr. Was soll Ich sagen?-Nathan!-Allerdings! So ist's! Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten Verstaerkung unsers Ordens.-Aber, aber- Was hat mit diesem allen Rechas Bruder Zu schaffen?
Nathan. Euer Vater...
Tempelherr. Wie? auch den Habt Ihr gekannt? Auch den?
Nathan. Er war mein Freund.
Tempelherr. War Euer Freund? Ist's moeglich, Nathan!...
Nathan. Nannte Sich Wolf von Filnek; aber war kein Deutscher...
Tempelherr. Ihr wisst auch das?
Nathan. War einer Deutschen nur Vermaehlt; war Eurer Mutter nur nach Deutschland Auf kurze Zeit gefolgt...
Tempelherr. Nicht mehr! Ich bitt Euch!-Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder...
Nathan. Seid Ihr!
Tempelherr. Ich? ich ihr Bruder?
Recha. Er mein Bruder?
Sittah. Geschwister!
Saladin. Sie Geschwister!
Recha (will auf ihn zu). Ah! mein Bruder!
Tempelherr (tritt zurueck). Ihr Bruder!
Recha (haelt an, und wendet sich zu Nathan). Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz Weiss nichts davon!-Wir sind Betrueger! Gott!
Saladin (zum Tempelherrn). Betrueger? wie? Das denkst du? kannst du denken? Betrueger selbst! Denn alles ist erlogen An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein! So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!
Tempelherr (sich demuetig ihm nahend). Missdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan! Verkenn in einem Augenblick', in dem Du schwerlich deinen Assad je gesehen, Nicht ihn und mich! (Auf Nathan zueilend.) Ihr nehmt und gebt mir, Nathan! Mit vollen Haenden beides!-Nein! Ihr gebt Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr! (Recha um den Hals fallend.) Ah! meine Schwester! meine Schwester!
Nathan. Blanda Von Filnek.
Tempelherr. Blanda? Blanda?-Recha nicht? Nicht Eure Recha mehr?-Gott! Ihr verstosst Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder! Verstosst sie meinetwegen!-Nathan! Nathan! Warum es sie entgelten lassen? sie!
Nathan. Und was?-O meine Kinder! meine Kinder! Denn meiner Tochter Bruder waer' mein Kind Nicht auch,-sobald er will? (Indem er sich ihren Umarmungen ueberlaesst, tritt Saladin mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester.)
Saladin. Was sagst du, Schwester?
Sittah. Ich bin geruehrt...
Saladin. Und ich,-ich schaudere Vor einer groessern Ruehrung fast zurueck! Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.
Sittah. Wie?
Saladin. Nathan, auf ein Wort! ein Wort!
(Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.)
Hoer! hoer doch, Nathan! Sagtest du vorhin Nicht-?
Nathan. Was?
Saladin. Aus Deutschland sei ihr Vater nicht Gewesen; ein geborner Deutscher nicht. Was war er denn? Wo war er sonst denn her?
Nathan. Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen. Aus seinem Munde weiss ich nichts davon.
Saladin. Und war auch sonst kein Frank? kein Abendlaender?
Nathan. Oh! dass er der nicht sei, gestand er wohl. Er sprach am liebsten Persisch...
Saladin. Persisch? Persisch? Was will ich mehr?-Er ist's! Er war es!
Nathan. Wer?
Saladin. Mein Bruder! ganz gewiss! Mein Assad! ganz Gewiss!
Nathan. Nun, wenn du selbst darauf verfaellst:- Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!
(Ihm das Brevier ueberreichend.)
Saladin (es begierig aufschlagend). Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!
Nathan. Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei dir Allein, was sie davon erfahren sollen!
Saladin (indes er darin geblaettert). Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen? Ich meine Neffen-meine Kinder nicht? Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen? (Wieder laut.) Sie sind's! Sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's! Sind beide meines... deines Bruders Kinder! (Er rennt in ihre Umarmungen.)
Sittah (ihm folgend). Was hoer ich!-Konnt's auch anders, anders sein!-
Saladin (zum Tempelherrn). Nun musst du doch wohl, Trotzkopf, musst mich lieben! (Zu Recha.) Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot? Magst wollen, oder nicht!
Sittah. Ich auch! ich auch!
Saladin (zum Tempelherrn zurueck). Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!
Tempelherr. Ich deines Bluts!-So waren jene Traeume, Womit man meine Kindheit wiegte, doch- Doch mehr als Traeume! (Ihm zu Fuessen fallend.)
Saladin (ihn aufhebend). Seht den Boesewicht! Er wusste was davon, und konnte mich Zu seinem Moerder machen wollen! Wart!
(Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen faellt der Vorhang.)
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2008
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