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»Wo sich Girolamo verspätet?
Gewitter droht die schwüle Nacht;
Ob er noch jetzt im Walde betet,
Nicht hat auf Stund' und Wetter Acht?

Komm, Niccolo, hinaus, wir wollen
Den Sohn erwecken aus dem Traum.
Siehst du den Blitz? hörst du es rollen?
Gewiß, er kniet an seinem Baum!«

So sprach die Mutter mit Verzagen;
Der Vater ruhig, heiter spricht:
»O laß ihn knien, die Blitze schlagen
Den Baum, wo einer betet, nicht.

Der Himmel badet mit Erbarmen
Die Wurzel jedem Baum und Busch,
Wie Jesus einst den müden Armen
Herabgeneigt die Füße wusch.

Die Frühlingsnacht mit Wetterschlägen
Durchzuckt die Erde frisch und froh;
Und himmlischer Gedankensegen
Strömt nieder auf Girolamo.

Wohl hört er nicht den Donner ziehen,
Und nicht der Stunde leisen Schritt,
Er mag am Baume länger knieen,
Weil der nun blüht und betet mit.

Bald aber wird er, heimgekommen
Aus seinem dunkeln Waldrevier,
Was er Geheimes dort vernommen,
Begeistert sagen dir und mir.

Er that's in mancher schönen Stunde,
Und nie mein Herz das Glück vergißt,
Zu hören aus des Kindes Munde
Die Sprache, die das Leben ist.

Ich glaub' es nicht, o Weib, doch wehe,
Wenn je aus deinem Herzen schwand,
Wie der Gezeugte unsrer Ehe
Uns mit dem Schöpfer süß verband.

Oft aus den Waldeseinsamkeiten,
Des Denkers liebstem Aufenthalt,
Kam er zurück, uns fortzuleiten
In einen andern, tiefern Wald;

In jenen Wald voll Balsamkühle
Und ewig grün: die Schrift des Herrn,
Wohin aus banger Lebensschwüle
Gekränkte Wandrer flüchten gern.

Dann rauscht uns Trost, dann duftet Hoffen
Im heil'gen Walde jeder Strauch,
Von seines Auges Strahl getroffen,
Erregt von seines Mundes Hauch.«

Doch kann kein Wort zur Ruhe legen
Die Angst der Mutter um ihr Kind,
Denn draußen stürzt ein wilder Regen,
Gewitter tobt, es heult der Wind.

Die Nachbarn rufen Litaneien,
Den Baum am Fenster bricht der Sturm,
Die Glocken in Ferrara schreien
Die Angst der Stadt von jedem Thurm.

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Tag der Veröffentlichung: 16.09.2011

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