I. Die Brüder.
In einer kleinen Stadt im Norden von Deutschland lebten zwei Brüder, deren Glücksumstände in ganz verschiedener Art sich gestaltet hatten. Obwohl beider väterliches Erbtheil das gleiche gewesen, so befand sich doch nach einigen Jahren Johann Bobertag, der ältere von beiden, in behaglichem Wohlstande, während der jüngere Bruder Christian in die höchste Noth gerieth. Jener war von einer misstrauischen und übelwollenden Gemüthsart und stets geneigt, von Menschen und Dingen das Schlimmste zu denken. Es erfreute seine hämische Seele und that seinem neidischen Herzen wohl, überall die hässlichen Seiten und Fehler aufzufinden, und dies ging so weit, dass er an unserer lieben Sonne zum erstenmal eine Freude hatte, als ihm kund ward, dass auch ihr strahlender Glanz nicht ohne Flecken sei. Dabei war er ein rechter Geizkragen, und indem er einzig und allein auf die Vermehrung seiner irdischen Güter bedacht war, verschmähte er auch das verächtliche Mittel nicht, die Noth seiner Mitbürger auszunutzen und ihnen durch wucherische Künste das Letzte abzupressen. Dabei liess er sich selber nichts abgehen und schleckte im geheimen Törtchen, Pasteten, gebratene Schnepfen oder sonstige leckerhafte Gerichte, wozu er schmunzelnd manch Gläschen köstlichen Weines leerte, und wenn er dadurch in heitere Stimmung gerieth, so pflegte er wohl höchlich vergnügt über die Schlechtigkeit und Dummheit der Menschen und seine eigene Schlauheit sich kichernd die Hände zu reiben.
Von ganz anderer Art war Christian, der jüngere Bruder. Konnte man ihn auch nicht gerade leichtsinnig nennen, so war er doch leichten Sinnes und stets geneigt, von Menschen und Dingen das Beste anzunehmen, ja es betrübte ihn, wenn er irgendwo einen Fehler und eine schlechte Seite entdeckte, und er bemühte sich, darüber hinwegzusehen. Da er nun so vertrauensvoll, gutmüthig und dienstfertig war, so vermochte er selten eine Bitte abzuschlagen, und so war ihm, ehe er es sich versah, im Lauf einiger Jahre sein Geld und Gut durch die Finger gerollt, obwohl er selber für seine Person anspruchslos war und wenig genug brauchte. Aber leichtsinnige Freunde und vor dem Bankrott stehende Geschäftsleute hatten es ihm abgeborgt, und durch eine Bürgschaft für einen spekulierenden Bekannten, dessen Luftschlösser plötzlich spurlos in den Boden versanken und nichts weiter als einen grossen Sumpf von Schulden hinterliessen, hatte er zuletzt den Rest seines Vermögens verloren. Als es nun so weit gekommen war, dass die Noth mit spitzem Knöchel bei ihm anklopfte. erschien ihm nichts natürlicher, als sich an seinen reichen Bruder zu wenden. Da kam er aber ganz an den Unrechten und fand statt Rath nur Hohn, statt Hilfe eitel harte Worte und Vorwürfe. Traurig ging Christian heim, verkaufte das Letzte, das er entbehren konnte, zog mit dem geringen Reste seiner Habe in ein kleines ärmliches Kämmerchen und war eifrig bemüht, seine Umstände zu verbessern und sich wieder vorwärts zu bringen. Allein dies wollte ihm auf keine Weise gelingen. Die Freunde, welchen er früher geborgt hatte, besassen entweder selber nichts oder verleugneten ihre Habe; vergeblich waren die Bemühungen des Verarmten, eine Stellung zu erringen, die ihm etwas einbrachte, und so ging das Jahr und mit ihm seine geringe Habe zu Ende. Am Sylvestertage besass er nicht mehr so viel, sich satt zu essen, und mit dem Beginn des neuen Jahres sollte er auch sein ärmliches Kämmerchen verlassen, weil er die Miethe nicht mehr zu bezahlen vermochte. Nur ein werthvoller Ring, ein Andenken an seine verstorbene Mutter, war noch sein eigen, aber diesen hätte er nur in der äussersten Noth aus der Hand gegeben. Lieber beschloss er, sich noch einmal an seinen hartherzigen Bruder zu wenden und ihn um ein wenig Reisegeld zu bitten, denn seine einzige Hoffnung setzte er darauf, dass er in einer zwei Tagereisen entfernten Stadt noch eine Schuld ausstehen hatte, deren Einziehung ihm vielleicht glücken mochte, wenn er selber an Ort und Stelle sich befand.
Als er kurz vor Mittag in das Haus seines Bruders eintrat, wehte ihm ein verlockender Küchenduft entgegen, als wenn dort allerlei köstliche Dinge gebraten und geschmort würden, und in seiner hungrigen Seele entstand die ausschweifende Hoffnung, der Bruder möge ihn vielleicht heute zum Essen einladen. Dieser aber empfing ihn unwirsch mit der Frage, ob er schon wieder zu betteln käme, und als Christian seine Bitte vorbrachte, bemerkte der andere den Ring, welcher gar lieblich blitzte und funkelte. Dann sagte er: »Du hast dein Gut leichtsinnig vertrödelt und kommst nun zu mir, der das seinige zusammengehalten hat, als Bettler mit einem kostbaren Ring am Finger. Es muss dir doch wohl nicht so schlecht gehen, wie du sagst.«
»Es ist das letzte Andenken an unsere Mutter,« sagte Christian, »und das Einzige, was ich noch besitze. Es thäte mir weh, ihn in fremde, gleichgültige Hände zu geben.« Johannes Augen leuchteten gierig, denn ihm kam plötzlich ein guter Gedanke. Er suchte einen milden Klang in seine Stimme zu legen und sprach in heuchlerischem Ton:
»Jawohl, ich verstehe, lieber Bruder. Der Ring ist ja auch so ungemein kostbar nicht und der Stein hat, soviel ich weiss, einen Fehler, der seinen Werth beeinträchtigt. Aber es wäre doch unrecht, wenn ein solches Familienandenken in fremde Hände käme. Darum will ich dir gerne behilflich sein in deiner Noth und dir den Ring für einen Dukaten abnehmen. Da hast du ein schönes Reisegeld und der Ring bleibt in der Familie. Später, wenn deine Umstände sich bessern, da magst du ihn wieder zurückkaufen.«
Obwohl nun Christian dies Gebot sehr gering erschien, so leuchtete ihm doch diese Wendung der Sache sehr ein, und nach einigem Zögern und einem schüchternen Versuche, einen höheren Preis zu erhalten, gab er den Ring hin. Johann begab sich innerlich schmunzelnd in ein Nebenzimmer, wo er ziemlich mit Schlüsseln rasselte und sich das Knacken verschiedener Schlösser vernehmen liess. Sodann klimperte er eine Weile mit Goldstücken und kam endlich mit dem beschnittensten Dukaten, welchen er finden konnte, zurück, händigte ihn Christian mit einer Miene ein, als erweise er ihm die höchste Wohlthat, und nahm den Ring dafür in Empfang. Indes hatte die Wirtschafterin bereits den Kopf durch die Thür gesteckt, um anzukündigen, dass das Essen bereit stände, und nun sagte Johann: »An deiner Stelle, lieber Bruder, würde ich mich keinen Augenblick mehr hier aufhalten, sondern mich ohne Zeitverlust auf den Weg machen.«
Mit stillem Bedauern sah der arme Christian seine Hoffnung, zum Essen bleiben zu dürfen, schwinden und entfernte sich. Auf dem Flur begegnete ihm die Wirtschafterin, welche einen schöngespickten und köstlich braun gebratenen Hasen vorübertrug, der eine verlockende Wolke herrlichen Duftes hinter sich liess. Das stieg dem Hungrigen gar lieblich in die Nase und seufzend ging er die Treppe hinab. Als er dann kurze Zeit später seine wenigen Habseligkeiten in die Wandertasche packte und dazu sein trockenes Brot mit Wasser hinabspülte, sass Johann behaglich an seinem wohlgedeckten Tische und verzehrte die zarten Schlegel und den grössten Theil des saftigen Rückens nebst köstlichem Apfelmus mit Zimmt bestreut und leerte dazu ein Fläschchen alten Rheinweins. Der neuerworbene Ring lag vor ihm und in den Zwischenpausen, wo er Kraft schöpfte zu neuem Angriff auf den trefflichen Hasen, nahm er das Geschmeide in die Hand, liess den Stein wohlgefällig im Lichte funkeln und schmunzelte vergnüglich, denn es war ein Rubin von reinsten Wasser und wohl an die fünfzig Dukaten werth. Es war ein Augenblick des Glücks, und Herr Johann Bobertag war mit sich zufrieden. Christian marschierte derweil wohlgemuth in den kalten Dezembertag hinaus. Sein hoffnungsreiches Gemüth spiegelte ihm die schönsten Bilder vor, wie alles glücklich ablaufen werde, und was er dann mit dem geretteten Gelde für kluge Dinge beginnen wolle, damit es sich vermehre und ihn ernähre. »Es wird mit mir auch gehen, wie mit dieser verschneiten Welt,« dachte er. »Ueber ein kleines und statt krächzender Raben über öden, verschneiten Fluren werden hier jauchzende Lerchen sein über hoffnungsgrünen Saatfeldern, und die Bäume und Sträucher werden mit einem neuen Schnee von schimmernden Blüthen bedeckt sein. Ja, und dann wird es mir Spass machen, daran zu denken, dass ich einmal nicht genug hatte, mich satt zu essen und mich mit dem Dufte des Bratens begnügen musste, der andern Leuten wohlschmeckte.« Und auf diese guten Aussichten hin überlegte er, ob er sich nicht heute abend bei der Einkehr in ein Wirthshaus die Güte anthun solle, eine tüchtige Schüssel Schweinsknöchlein und ein grosses Glas Bier zu bestellen.
Aber der Nobiskrug, das Ziel seiner heutigen Wanderschaft, war noch weit, und der frühe Winterabend breitete schon rings seine Dämmer aus, als Christian den mächtigen Tannenwald betrat, welchen die breite Landstrasse schnurgerade durchschnitt. Vor ihm in der Ferne des scheinbar endlosen Weges brannte das Abendroth und verklärte die schneebedeckten Tannenäste mit rosigem Schimmer; es war, als läge eine schöne himmlische Welt dort vor ihm ausgebreitet, die zu erreichen er nur tapfer darauf loszugehen brauche. Aber das ferne Feuer verdämmerte in einen zarten, rosigen Schein, und auch dieser verblasste allgemach. Nun segelte ihm zur Seite über den Wipfeln der Bäume die schmale Silbersichel des Mondes dahin wie ein mit Schätzen hochbeladener Kahn, und ringsum blitzten und funkelten die Sterne mit unsäglichem Glanze gleich köstlichen Edelsteinen. Christian vernahm nur das Tönen der eigenen Schritte auf dem knirschenden Schnee, und als er einmal stand und lauschte, weil er vermeinte, in der Ferne eine liebliche Musik zu hören, war es so still, dass nur ein sanftes Sieden in seinem Ohre war und er das leise Geknister der brennenden Sterne zu vernehmen glaubte.
So schritt er immer schneller dahin, denn die Nacht war bitter kalt und ihn begann zu frieren. Aber immer noch wollte der Nobiskrug nicht kommen und der Weg kein Ende nehmen. Ihm fielen nun manche Geschichten ein, welche man von diesem Wirthshause erzählte. Allerlei wunderliches Volk sollte da zu gewissen Zeiten verkehren, und besonders in der Sylvesternacht hütete sich jedermann, dort einzukehren, denn dann war es im Nobiskruge gar nicht richtig. Auch wenn jemand dort zu dieser Zeit vorsprechen wollte, so nützte es ihm nichts, denn der Wirth wies vornehm und gering mit der Einwendung zurück, sein Haus sei besetzt. Vorüberfahrende hatten dann wohl eine liebliche, geisterhafte Musik oder fröhlichen Gesang aus dem hellerleuchteten Hause tönen hören, was ihnen trotzdem ein seltsames Grausen einflösste, zumal in dem hellerleuchteten Zimmer, aus welchem diese Töne kamen, niemand zu sehen war. Zugleich verbreitete sich dann in der ganzen Gegend ein köstlicher Geruch von Gebratenem und Gebackenem und von herrlichem Punsch.
Solches fiel dem guten Christian plötzlich schwer auf die Seele, denn er hatte bis dahin noch gar nicht daran gedacht, dass er sich gerade die Sylvesternacht zu seiner Einkehr ausersehen hatte. Was sollte er nun wohl anfangen, müd, durchfroren und hungrig wie er war, da doch die nächste Wirtschaft noch drei Stunden weiter entfernt war? Unter diesen trüben Gedanken hatte er das Haupt hängen lassen, und als er es nun erhob, sah er mit einemmal einen hellen Lichtschein in den Schnee fallen und bemerkte, dass der Nobiskrug ganz dicht vor ihm lag. Er wollte jedenfalls sein Heil versuchen und schritt auf das aus allen Fenstern festlich leuchtende Haus zu.
Als er auf den Flur trat, kam gerade der Wirth aus der Küche und trug, ganz feurig im Gesicht und unter mächtigem Schnaufen, eine gewaltige Schale mit dampfendem Punsch vor sich her, während ein alter Herr, der einen langen talarähnlichen Pelz trug und ein rosiges, freundliches Antlitz mit einem ungeheuren, schneeweissen Bart zeigte, ihm bedächtig folgte. Als der Wirth den fremden Gast bemerkte, rief er ihm unter Schütteln des Kopfes abwehrend zu: »Ich kann Euch kein Quartier geben, es ist alles besetzt. Ihr könnt auch heute nichts bekommen, ich habe mein Haus an eine geschlossene Gesellschaft vergeben, die ungestört sein will.« Dazu mochte wohl der hungrige und frierende Christian ein sehr trübseliges Gesicht machen, denn der alte Herr, welcher den Fremdling mit theilnehmenden Blicken beobachtet hatte, sagte plötzlich: »Lasst den Mann nur ein zu uns. Er hat ein gutes Gesicht und ein Plätzchen wird sich schon finden.«
Der Wirth zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: »Nun, ich habe das Meinige gethan,« öffnete dann mit dem Ellbogen die Thür des grossen Gastzimmers, aus welchem das Rauschen eines fröhlichen Gespräches hervorschallte, und trug den Punsch hinein. Der alte Herr und Christian folgten ihm.
II. Das Abenteuer im Nobiskrug.
In dem hellerleuchteten Gastzimmer des Nobiskruges stand ein grosser, runder Tisch, bedeckt mit den Resten einer reichlichen Abendmahlzeit, und um diesen Tisch herum sass eine höchst sonderbare Gesellschaft von elf Personen, zu welchen als die zwölfte sich jener alte Herr gesellte, welcher Christian hier eingeführt hatte. Diese zwölf Männer waren in die allerverschiedensten Trachten gekleidet, welche man sich nur denken kann, von der leichtesten Sommergewandung bis zum schwersten Winterpelz, so dass man hätte denken können, hier sei eine etwas verfrühte Karnevalsgesellschaft beisammen. Sie beachteten Christian gar nicht, welcher sich still hinter den grossen, glasierten Kachelofen drückte, sondern wandten ihre Aufmerksamkeit dem mächtigen Gefäss mit Punsch zu, welches der Wirth stöhnend auf den Tisch setzte. Der alte Herr mit dem grossen, weissen Barte füllte bedächtig die Gläser, welche von Hand zu Hand wanderten, bis ein jeglicher versehen war. Darnach entstand eine tiefe Stille, alle erhoben bedächtig die Gläser und thaten einen nachdenklichen Zug. Sodann verklärten sich alle Angesichter und Laute des Beifalls und des Entzückens liessen sich vernehmen. Der eine erhob Daumen und Zeigefinger der Linken, als prüfe er die Güte des Getränks zwischen den Fingerspitzen, und flüsterte: »Köstlich!« Der andere lehnte sich in den Stuhl zurück, erhob die Augen gen Himmel und schmunzelte: »Deliziös!« Ein dritter wieder schlug, von Begeisterung ergriffen, auf den Tisch, dass Gläser und Geschirr klirrten, und schrie: »Donnerwetter!« Ein vierter aber rief: »Ja, der Alte versteht es, das muss man sagen!« und hielt dem weissbärtigen Herrn sein Glas entgegen, und nun stiessen alle an mit diesem, dessen gutmüthiges, rothes Gesicht vor Vergnügen glänzte, während der behäbige Wirth, die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, schmunzelnd daneben stand und bald den einen, bald den andern anblickte. Darnach erhielt dieser den Auftrag, den Tisch abzuräumen und dem fremden Gaste die Reste der Mahlzeit vorzusetzen. Hei, das kam dem hungrigen Christian gelegen und er fing an, tüchtig einzuhauen. Zwischendurch betrachtete er immer wieder mit Verwunderung die sonderbare Gesellschaft, welche an dem grossen Tische lustig pokulierte. Er bemerkte nun, dass jeglicher von ihnen ein schön gearbeitetes Musikinstrument neben sich lehnen oder an seinem Stuhlpfosten hängen hatte. Sollten es wandernde Musikanten sein? Aber einige von ihnen waren so leicht bekleidet, dass sie auf der Stelle draussen in der scharfen Winterkälte hätten erfrieren müssen.
Als Christian sich satt fühlte, war die Gesellschaft bereits in eine behagliche mittheilsame Stimmung gerathen und man forderte ihn auf, sich an den grossen runden Tisch neben den Herrn mit dem weissen Bart zu setzen. Als er dort bescheiden Platz genommen hatte und ihm ein Glas von dem köstlichen Punsch vorgesetzt worden war, fragte der Nachbar, indem er ihn wohlwollend anblickte: »Nun, Fremder, war't Ihr mit dem letzten Jahre zufrieden?«
Christian antwortete: »Das Jahr war schon gut; wenn es mir dennoch schlecht ergangen ist, so trug ich wohl selbst die Schuld.«
»Wir hören gerne etwas Neues,« sagte darauf der Alte, »wenn Ihr mögt, so lasst uns Eure Geschichte hören.«
Obgleich nun Christian meinte, diese Geschichte sei gar nicht ergötzlich und mehr trübselig als lustig zu berichten, so musste er doch erzählen. Als er nun zum Schluss von seiner heutigen Reise sprach und den schönen, wenn auch kalten Dezembertag lobte und von der herrlichen Abendröthe sprach, in welche er hineinmarschiert sei, gute Hoffnungen für die Zukunft aus ihr schöpfend, da schmunzelte der alte weissbärtige Nachbar wohlgefällig und die andern sahen sich bedeutungsvoll an, als ob sie es in der Macht hätten, solche Hoffnungen zu erfüllen. Als er nun fertig war, entstand eine kleine Stille. Sodann räusperte sich Christians anderer Nachbar sehr laut und kräftig, so dass unser guter Reisender fast erschrak und ihn verwundert ansah. Es war ein grosser stattlicher Herr in kurzem weissem Wams mit schneeweissem Pelz besetzt, ja, alles war weiss an ihm, bis auf das rosige, von Gesundheit leuchtende Antlitz, den hellblonden Schnurrbart und die gleichfarbigen Haare. Seine Beine steckten in enganschliessenden Hosen, und bis über die Kniee waren Stiefel gezogen von weichem Leder, oben mit Pelz besetzt. An dem einen seiner Stuhlpfosten hing eine weisse Pelzmütze, und an dem andern eine glänzende silberne Posaune. Als dieser Herr sich nun ausgeräuspert hatte, sprach er mit einer Stimme, die dem Hallen glich welches in kalten Wintern durch die Eisfläche grosser Seen dahindonnert: »Nun, guter Freund, Ihr habt da eben so nette Sachen über den Dezember gesagt, was haltet Ihr von dem Januar?«
»O,« sagte Christian, »der Januar ist ein frischer Monat, den hab' ich schon lieb. Herrlich ist er, wenn er die klingende Kälte bringt, dass die Seen wie ein Spiegel glänzen und die Bäume im Schmuck des glitzernden Reifes dastehen, wie silberne Korallen. Wenn man da auf dem Schlittschuh über die blanke Fläche dahinfliegt, giesst sein frischer, nordischer Hauch Kraft, Muth und Feuer durch die Adern, wie es sonst nur der sonnenreichste südliche Wein vermag. Herrlich sind auch seine klaren sternfunkelnden Nächte, wenn das Nordlicht seine schwankenden Strahlen über den Himmel schiesst und in die feste Decke mächtiger Seen unaufhörlich mit langhindonnerndem Krachen die Spalten springen; das ist die echte Wintermusik!«
Das Gesicht des weissgekleideten Mannes war bei diesen Worten immer strahlender geworden, und als Christian geendet hatte, schlug jener mit der Faust auf den Tisch, dass es donnerte, und rief: »Famos gesagt, das lass' ich mir gefallen!« Sodann stiess er mit Christian an und leerte sein ungeheures Glas Punsch auf einen Zug.
Nun beugte sich hinter diesem Kraftmenschen ein zweiter der zwölf Gesellen hervor; der war nur ziemlich klein und der behendeste von allen. Er war auch weiss gekleidet, aber in die faltigen und bauschigen Gewänder eines Pierrots und nur die kugelförmigen Knöpfe seines Wamses waren roth und so gross wie Apfelsinen. Sein rabenschwarzes Haar war kurz geschoren gleich dem Sammet und trat mit einer kleinen Schneppe in die niedrige Stirn des weissgepuderten Gesichtes. Indes er mit den Fingern leise auf einer Schellentrommel trillerte, die vor ihm auf dem Tische lag, blickte er Christian mit den schwarzen, glänzenden Augen pfiffig an und fragte: »Nun, und was wisst Ihr vom Narrenmonat Februar zu sagen?«
»Ja, da habt Ihr recht,« sagte Christian, »ein lustiger Monat ist's. Man hat ihn auch darum zum kürzesten gemacht, weil die Leute so viel Spasshaftigkeit sonst gar nicht zu ertragen vermöchten. Alle Welt macht er zu Narren, die ehrbarsten Leute verführt er zum Possenreissen und die feierlichsten Esel zum Hintenausschlagen; diesen Monat hab' ich immer gern gehabt, denn ein herzhafter Spass ist Goldes werth!«
Solche Antwort musste dem kleinen Manne wohl besonders gefallen, denn plötzlich war er auf dem Tisch und ging dort, jedenfalls weil er sein Vergnügen nicht anders zu bändigen wusste, unter dem Beifall aller Anwesenden auf den Händen herum. Sodann stand er wieder vor seinem Platze, überschlug sich in der Luft, dass er hinter seinen Stuhl zu stehen kam, grätschte mit einem mächtigen Satze über die Lehne und sass plötzlich wieder so ruhig da, als sei er es gar nicht gewesen. Ein solches verwunderliches Benehmen erzeugte bei Christian die Vermuthung, dass er unter eine Gesellschaft von Seilspringern und Kunststückmachern gerathen sei.
Unterdes war der Dritte in der Runde unruhig geworden, ein gesetzter Herr, der einem Pächter ähnlich sah und einen Brummbass neben sich lehnen hatte. Er sprach dann: »Und wie denkt Ihr über den März?«
»Ueber den März lässt sich viel Gutes sagen,« antwortete Christian. »Das ist ein wichtiger Monat für den Landmann, dem er die Felder befreit und den Frost aus der Erde thaut. O, so köstliche, sanfte Frühlingstage hat er schon, wo die Lerchen über der grünen Saat tirelieren und die Drosseln im knospenden Walde flöten, wo man meint, nun müsse der Frühling gleich über die Berge schauen und rufen: »Ja, ich komme schon!« In den Gärten duftet mit kräftigem Erdgeruch das gegrabene Ackerland, und um das unsägliche Grün der Stachelbeerbüsche, die mit lauter zarten braunen Glöcklein behängt sind, summen die Bienen. Aus der schwarzen Erde steigen nun liebliche Wunder empor, zarte Schneeglöckchen, schimmernde Krokus und leuchtende Narzissen und gegen Ende gar, da bannt ein holdes Duften deinen Schritt und siehe: die Veilchen blühen. Ja, der März, den lass' ich schon gelten.«
Dies schien dem Manne in dem Pächteranzuge sehr zu gefallen, er bekam vor heimlicher und unterdrückter Freude ordentliche rothe Ringe um die Augen und sagte fast abwehrend: »Na, na, nur nicht so poetisch, das kann ich ja gar nicht verlangen!«
Das Spiel mit den Monaten sagte den zwölf Leuten scheinbar ungemein zu, sie waren sehr aufmerksam, wenn Christian sprach, und gaben ihre Zustimmung durch Nicken und beifälliges Gemurmel kund. Nun meldete sich auch schon wieder der Nächste in der Runde, ein sehr sonderbar und narrenhaft gekleideter junger Mann. Die rechte Hälfte seines ausgezackten, mit Schellen besetzten Wamses war blau, die linke orangegelb, ebenso war es mit den Beinen bestellt und mit seiner Mütze, nur dass hier die Farben in umgekehrter Reihenfolge angebracht waren, und wenn man dem Manne genau in sein ewig bewegliches Gesicht sah, bemerkte man, dass es auch hier an Abwechselung nicht fehlte, denn eines seiner Augen war blau, das andere braun.
»Ich möchte nun vom April ein wenig hören!« sagte dieser.
»Die Leute,« antwortete Christian, »schelten den April einen unbeständigen Monat, aber das ist ja gerade das Hübsche an ihm. Es ist wie im Theater, immer giebt es etwas Neues zu sehen. Oder ist es nicht herrlich, wenn die Sonne durch den Regen lacht, dass es von den grüngoldenen Bäumen rinnt wie Perlen und Edelgestein und am Abend hoch über dem Sammetgrau abziehenden Gewölkes der leuchtende Regenbogen steht? Oder wenn der Sturm dahinbraust durch den knospenden Wald und dennoch plötzlich ein Sonnenstrahl hervorbricht aus finsterem Gewölk und in der Ferne ein leuchtendes Saatengrün oder eine schimmernde Wasserfläche hervorhebt wie eine selige Verheissung? Er versteht sich auf das Durcheinander, Lachen ist nicht schwer und Weinen ist nicht schwer, aber Lachen und Weinen zugleich, das ist die Kunst!«
Der närrische Mann, als wollte er zeigen, dass er dieser Fertigkeit mächtig sei, fing gewaltig an zu lachen, während ihm die Thränen sowohl aus dem blauen als dem braunen Auge liefen. Sodann sprang er ganz begeistert auf, hing die Pauke um, welche neben ihm stand und tanzte, während er sie tüchtig mit dem Schlegel bearbeitete und dazu die Becken fleissig tönen liess, eine Weile im Zimmer herum. Unterdes stimmte der junge Mann, welcher nun zunächst am Tische sass, ein wenig an seiner kunstreich mit Blumen und Vögeln eingelegten Mandoline und klimperte dann erwartungsvoll darauf. Diesen Jüngling hatte Christian schon immer mit Bewunderung angesehen, denn er war über die Massen schön. In dem seidenweichen, etwas gewellten Goldhaar trug er einen Kranz von Maiblumen und aus seinem rosigen Antlitz schauten sonnenhaft und siegreich zwei leuchtende blaue Augen. Bekleidet war er mit einem kurzärmligen, griechischen Gewande, das um den Leib durch einen goldenen Gürtel zusammengefasst wurde und auf weissem Grunde köstliches Blumenwerk eingewebt zeigte, in dessen farbigen Ranken schimmernde Vögel und glänzende Schmetterlinge sich wiegten; an den Füssen jedoch trug er Sandalen mit übers Kreuz geschnürten Bändern. Dieser schöne Jüngling griff auf seiner Mandoline ein paar Accorde und sang dann mit angenehmer Stimme:
»Nun, lieber Fremder sagt mir frei,
Wag haltet Ihr vom Monat Mai?«
»Ich möchte wohl,« erwiderte Christian, »dass ich verstünde wie Ihr die Mandoline zu schlagen, und dass mir Gott eine so schöne Stimme verliehen hätte, dann wollte ich Euch singen von diesem Monat, wie er es wohl verdient, denn er ist ein Zauberer, der für alle Sinne das Lieblichste bietet. Dem Auge schmeichelt er durch das zarteste Grün und die schönsten Farben, er betäubt fast das Ohr durch die Fülle wechselnden Gesanges, er lässt den weichen Westwind dahingehen über blühende Gefilde, dass er sich mit Düften erfülle, und sendet ihn dann, uns zärtlich die Wangen zu streicheln; er treibt aus den geheimnissvollen Tiefen der Erde köstliche Kräuter und leckere Schossen hervor, dass auch die Zunge nicht leer ausgehe, ja, der Mai ist ein Monat, der so recht aus dem Vollen seine Schätze ausstreut, und leicht ist es, sein Lob zu singen.«
Der schöne Jüngling verneigte sich, dass ihm die goldenen Haare vornüber fielen, winkte dann Christian wohlwollend mit der weissen, schlanken Hand, griff auf seiner Mandoline einige Accorde und liess ihnen eine liebliche Musik folgen, welche klang wie Quellengeriesel und Flüstern des Frühlingswindes in blühenden Zweigen. Sein Nachbar, ein junger Mann in studentischer Tracht, der eine Rose im Knopfloch trug und aus leuchtenden Augen gar munter in die Welt blickte, nahm mit seiner Geige die Melodie auf und beide musizierten eine kurze Weile gar anmuthig. Dann fragte er sofort: »Und nun der Juni, wie steht es mit dem?«
Christian antwortete: »Vom Frühling und vom Sommer vereinigt er das Schönste. Er bringt die Rosen und die Erdbeeren, thaufrische glänzende Morgen, glühende Mittage, stille sonnige Abende und helle, träumerische Nächte. Die Sonne und das Jahr sind auf der Höhe angelangt, am Feldrand blühen die wilden Rosen und ihr Duften mischt sich mit dem köstlichen Geruch frischgemähter Wiesen. Wohl dem, der nun wandern kann in die herrliche Welt hinaus, dass er all diese Schönheit sein eigen nennen darf!«
»Das will ich meinen!« rief der studentisch gekleidete Jüngling und trank Christian ein ganzes Glas zu. Ehe nun der Folgende, ein etwas träumerisch aussehender junger Mann in leichter Hirtentracht, der mit einer Flöte und einem Schäferstabe ausgerüstet war, den Mund öffnen konnte, sagte Christian:
»Ich weiss es schon, Ihr wollt nun vom Juli etwas wissen. Das ist der wahre Sommermonat, der das Korn reift und einen Segen von köstlichem Gemüse ausschüttet. Da ist es schön um die Mittagszeit in den weiten Kornfeldern, wenn die Glut der Sonne über all dem reichen Segen brütet und nur zuweilen leise wie im Traum das weite Meer der Aehren sich flüsternd regt. Alle Vögel sind verstummt; einzig die Ammern spinnen unermüdlich den dünnen Faden ihres Gesanges, aber zwischen den Halmen und an den Rainen schwirrt und wetzt und zirpt und summt und brummt es von unsäglichem Insektenvolk; Schwebefliegen und Libellen stehen in der Luft und schiessen dann plötzlich davon, während die Schmetterlinge wie trunken von Duft und Gluth dahintaumeln. Aber auch gewaltig kann dieser Monat sein. Das schimmernde Gebirge von Wolken dort hinter dem Walde thürmt immer höher sich empor und verdichtet sich zu einem finsteren Graublau, das nur noch an den Bändern mit Silber gesäumt ist. Zuweilen tönt es von ferne wie ein dumpfes Gemurmel grollender Stimmen durch die stille Luft. Nun steigt es schneller empor und verschlingt die Sonne und dann jagt es heran mit Sturm und Regen über die wogenden Felder und ineinander schlingt sich unter dem Zucken der Blitze die endlose Kette rollender Donner und knatternder Schläge bei dem unendlichen Strömen des Regens. Aber weiter saust das Unwetter und vergrollt in der Ferne. Am Himmel wird ein schimmerndes Thor aufgethan und hervor tritt auf leuchtendem Blau die siegreiche Sonne in ihrer alten Pracht; ja, schön und gewaltig ist der Juli!«
Besonders dass Christian diesen Monat gewaltig nannte, schien dem Hirtenjüngling zu gefallen, denn er winkte wohlgefällig bei diesem Worte und blickte triumphierend um sich. Dann legte er die Hand aufs Herz, verbeugte sich und warf dem Gaste eine Kusshand zu.
Der nun kam, war wie ein Schnitter anzusehen; er trug einen Kranz von Aehren, Mohn und Kornblumen im Haar, war gebräunt von der Sonne und vor ihm lag eine Klarinette. Er sagte weiter nichts als: »Nun weiter!«
Christian sprach: »So wie der Mai und der Juni ein wenig zusammengehören, so auch der Juli und der August. In dem einen wird die Ernte begonnen, in dem anderen vollendet. Der August ist aber der richtige Erntemonat, und es ist eine lustige Sache, trotz harter Thätigkeit nur fröhliche Gesichter zu sehen und Menschen, die zur Arbeit sich schmücken mit hellen Gewändern und bunten Farben. Wenn nun all der Segen eingebracht ist und der letzte schwer beladene Erntewagen, dunkel sich abhebend gegen den goldenen Abendhimmel, unter Jauchzen und Gesang in die Scheune gebracht ist, wenn das Wetzen der Sensen am Tage und das Dengeln am Abend verstummte, da hebt sich bald ein anderes Tönen an von Fidel, Klarinette, Horn und Brummbass, die Röcke fliegen und die Juchzer schallen – ja lustig ist der Erntemonat!«
Der braune Schnitter stiess einen Juhschrei aus, dass die Fenster klirrten, man hörte, dass er die Sache verstand, und merkte wohl, dass ihm Christians Rede gut gefallen hatte. Dieser fuhr nun fort indem er sich an den Nächsten wendete, einen Mann mit behäbigen apfelrothen Backen, der einem Gärtner gleichsah:
»Nun kommt der September und schüttet seine Früchte vor uns aus, köstliche Pflaumen von zartem Hauch bereift, thaufrische Aepfel, deren einer schon das ganze Haus mit Duft erfüllt, und Birnen, die fast von süssem Safte überquellen. Du rührst den Nussbusch nur an, und ein Segen von sauberen Nüssen prasselt hernieder, am Gartenzaun liegen die Kürbisse, gross wie Schweine, und am Geländer schwillt und röthet sich die Traube, süsser Verheissung voll, o, ein köstlicher Monat, ich liebe ihn!« schloss Christian ganz in Erinnerung und Anschauung vertieft.
Der Gärtner rieb sich behaglich die Hände und sah vergnügt um sich. Dann nickte er ein paarmal schnell mit dem Kopfe und lehnte sich befriedigt in seinen Stuhl zurück.
Mit grosser Spannung hatte ein Mann in der Ausrüstung eines Jägers, dem ein goldenes Waldhorn zur Seite hing, bis dahin gewartet. Nun beugte er sich vor und rief: »Hallo, Fremder, nun der Oktober!«
»Er bringt mit Macht den Herbst,« sagte Christian, »und damit Abwechselung in die Welt. Das wenig unterschiedene Grün des Waldes färbt er um in Gold und Braun und Purpur, zum Zeichen, dass das Feuer des Sommers nun verglüht, und ist überhaupt ein Maler, der die bunten Farben liebt. Und da ihm an Blumen nicht viel zu Gebote steht, so lässt er die seltsamen Teller und Hüte der Pilze aus dem Waldboden hervortauchen und malt sie mit Scharlach, Eiergelb und Sammtbraun. Aus dem goldgelben Laub der Eberesche leuchten die Beeren wie rothe Korallen, und wo der Juni an der Heckenrose blasse Tellerchen aufthat, glüht nun purpurn die Hagebutte. Schön ist es an stillen sonnigen Oktobertagen auf einer einsamen Waldblösse, wenn ringsum die Bäume im Schmuck des Herbstes glühen und die späten Schmetterlinge, der bunte Admiral und der sammtbraune Trauermantel, mit den blauen Pünktchen und dem goldenen Rande sich an den Stämmen sonnen. Silberne Fäden spinnen sich durch die Luft dahin und hoch aus dem Blauen schallt ein Wanderruf von Vögeln, die nach Süden ziehen, indes von Zeit zu Zeit in der Ferne ein Schuss verhallt. Schön ist es auch, wenn zu fröhlicher Jagd die Waidhörner klingen, das Geläut der Meute durch den Wald hallt, die rothröckigen Reiter zwischen den Kieferstämmen dahinjagend in der Ferne verschwinden, und das Geräusch der Jagd leiser und leiser wird, so dass am Ende nur das sanfte Singen der Zweige übrig bleibt, bis dann schliesslich wie aus traumhafter Ferne das Halali herübertönt!«
Wunderbar, klang dieses Jagdsignal nicht wirklich aus der Weite? Nein, der Jäger war es, der ganz heimlich das Horn an den Mund gesetzt hatte und es leise ertönen liess. Kaum war dies beendet, so kam eine Gestalt zum Vorschein, welche Christian bis dahin gar nicht bemerkt hatte, da sie in einem grossen Lehnstuhl mit Ohrenklappen ganz in sich zusammengekrochen neben dem weissbärtigen Nachbar gesessen hatte. Der alte Herr musste wohl Zahnweh haben, denn er trug ein buntes seidenes Tuch um sein graues grämliches Gesicht und darüber hatte er eine Zipfelmütze bis auf die Ohren gezogen. Er war gekleidet in einen Schlafrock von der Farbe des gewelkten Laubes und seine Füsse steckten in ungeheuren Filzschuhen. Indes nur seine mageren Finger mit einer Maultrommel spielten, welche vor ihm auf dem Tische lag, beugte er sich hinter den Ohrenklappen seines alten Lehnstuhls hervor, sah mit seinen gelben Augen Christian starr an und sagte gar nichts.
Dieser kratzte sich ein wenig hinter den Ohren und sagte: »Ja, der November. Die Leute wollen nicht viel von ihm wissen und schelten ihn einen verdriesslichen Monat, aber ich kann das nicht finden. Er hat manchmal so stille graue Regentage, wo die Luft eigentlich nur sehr nass ist und es an jeder Knospe und jedem welken Blatt wie eine dicke Thräne hängt, das ist eine herrliche Zeit zum Träume spinnen und Luftschlösser bauen, wie ja auch die Maler auf dem grauen Grunde der Leinwand ihre farbigen Kunstwerke hervorzaubern. Aber die Stille und Verdrossenheit ist eigentlich gar nicht sein Element, er kann ein sehr gewaltiger Herr sein. Ja, schön ist es zu sehen, wenn er dann auf seinem wilden Ross, dem Nordwind, unter fliegendem Regen dahinsaust, das letzte Laub von den Bäumen reisst und wirbelnd vor sich her jagt, das Wasser zu sprühendem Schaum in die Höhe peitscht und durch die Wipfel des Waldes dahinstürmt, dass sie donnernd brausen!«
Es war merkwürdig zu sehen, wie bei dieser Schilderung der alte grämliche Herr sich veränderte; er richtete sich gerade empor und seine Schultern schienen sich zu verbreitern, seine welken Züge spannten sich und wurden fest wie Eisen, während aus den sonst so matten Augen ein seltsames Leuchten hervorbrach. Als Christian aber geendet hatte, sank der Alte jedoch plötzlich wieder in sich zusammen in seinen Lehnstuhl und murmelte: »Ich bin zufrieden.«
Nun war Christian die Reihe herum, und sein Nachbar mit dem grossen weissen Barte und dem rosigen Antlitz sah ihn lächelnd an. Christian bemerkte nun, dass in dem weitläufigen Pelze des Alten eine Unzahl von Taschen angebracht war, in deren jeder etwas bauschte, ja zuweilen waren sie so angefüllt, dass allerlei Spielwerk oder auch kostbarere Gegenstände oben heraussahen.
»Nun fehlt nur noch der Dezember,« sprach Christian. »Von dem brauche ich nur ein Wort zu sagen, dass er in vollem Glanze strahlt: Er ist der Weihnachtsmann und fürwahr, wenn ich Euch so ansehe, so muss ich sagen, dass ich mir denke, er muss gerade so aussehen wie Ihr.«
»Das habt Ihr getroffen,« erwiderte der Alte, »und ich meine, Ihr müsst doch wohl schon gemerkt haben, in welcher Gesellschaft Ihr Euch heute Abend befindet, oder solltet Ihr noch nicht wissen, dass es die Monate sind, mit welchen Ihr hier an einem Tische sitzet?«
»Gedacht habe ich es mir zuletzt schon halb und halb,« sagte Christian, »aber ich konnte doch kaum glauben, dass so grosse Herren so freundlich mit mir sein würden.«
»Wir wollen allen guten Leuten wohl,« sagte der Dezember, »und zudem habt Ihr so hübsche Dinge über uns geäussert, dass wir damit zufrieden sind. Selten giebt es in heutiger Zeit so sonnige Gemüther, wie Eures, das überall nur das Gute und Schöne hervorhebt und von allen das Beste denkt. Darum glaube ich der Zustimmung meiner Genossen sicher zu sein, wenn ich zum Dank für Eure freundlichen Worte Euch eine Gabe mittheile, welche wohl geeignet ist, die Noth, in welche Euch Eure Herzensgüte versetzt hat, zu heben und Euch fernerhin glückliche Tage zu verschaffen.« Damit grub und wühlte er sich in eine seiner tiefsten Taschen ein, während die anderen Monate durch Geberden und Worte ihre freudige Zustimmung bekundeten. Endlich zog der Dezember ein sehr schönes viereckiges Kästchen hervor, an dessen Seiten die zwölf Monate in eingelegter Arbeit dargestellt waren, während auf den Deckel die vier Jahreszeiten in ewigem Reigentanze sich drehten, reichte es Christian dar und sprach weiter:
»Wenn Ihr einen Wunsch heget, so öffnet nur dieses Kästchen, es wird alles darin sein, was Ihr begehrt. Wir wünschen, dass es Euch eitel Segen und Glück bringen möge. Aber eines dürft Ihr nicht vergessen. Nur auf ein Jahr können wir diese köstliche Gabe Euch verleihen, darum nutzet die Zeit, solange das Kästchen Euch zu Gebote steht. Am nächsten Sylvesterabend um dieselbe Zeit wird es plötzlich aus Eurem Besitze verschwinden, ob Ihr es auch in sieben eisernen Kisten verschlossen hieltet.«
Als nun Christian seinen freudigen Dank aussprechen wollte, wehrte der Dezember dies ab und klopfte stark auf den Tisch. Infolge dieses Zeichens verstummte rings die Unterhaltung, alle Monate nahmen ihre Instrumente zur Hand, auch der September öffnete einen Kasten, der vor ihm stand, und holte eine Zither hervor, während der Dezember aus einer seiner unerschöpflichen Taschen allerlei Kinderinstrumente nahm, wie Kuckucksflöte, Wasserpfeife und dergleichen. Sodann begannen sie eine liebliche Musik, welche das Walten und Weben der Jahreszeiten darstellte, und zu seinem grossen Staunen erkannte Christian in diesen Tönen alles wieder, was er vorhin in Worten ausgedrückt hatte. Aber während sich die Musik in die Länge zog, überkam unseren Wandersmann infolge der späten Nachtzeit, des angestrengten Marsches vorher und des jetzt so reichlich genossenen Punsches die Müdigkeit, er sank in den Stuhl zurück und entschlief süss und sanft.
III. Das wunderbare Kästchen.
Als Christian am anderen Morgen aufwachte, lag er auf der Ofenbank, im Zimmer war aufgeräumt und von den Spuren des gestrigen Gelages nichts mehr zu sehen, so dass er fast geneigt war, das ganze Abenteuer für einen sonderbaren Traum zu halten. Der Wirth kam ihm ganz höflich entgegen und auf die Frage nach der Schuldigkeit forderte er ein Geringes für Nachtquartier und Morgenzehrung. Danach marschierte Christian wieder munter in den kalten grauen Neujahrstag hinaus. Es wehte eine scharfe Luft und nach einer Weile begann es zu stäuben, von einem feinen prickelnden Schnee, der in alle Lücken der Kleidung eindrang. Trotzdem wanderte Christian muthig weiter, suchte sich durch eine raschere Gangart warm zu halten und war im Geiste fortwährend mit den sonderbaren Erlebnissen des gestrigen Abends beschäftigt. Je mehr er daran dachte, je unglaublicher erschien ihm alles und doch stand jede Einzelheit so klar vor seinem Gedächtniss, es musste jedenfalls eine sehr gründliche und deutliche Art von Traum gewesen sein. Mittlerweile mehrte sich der Schnee und der Weg ward immer beschwerlicher. Zudem fühlte Christian immer einen sonderbaren Druck auf der Brust wie von einem harten Gegenstande, und als er nachfühlte, fand er das Kästchen, welches er gestern Abend hatte in die Brusttasche gleiten lassen. Er zog es hervor und betrachtete es neugierig; die Sache war also doch kein Traum gewesen. Er öffnete es und besah das Inwendige. So reich geschmückt die Aussenseiten auch waren, so leer und schmucklos war es im Innern. Er klappte den Deckel wieder zu und dachte über die Worte nach, welche der Dezember bei der Ueberreichung gesprochen hatte. Er setzte zwar wenig Glauben in die verheissene Wunderkraft des Kästchens, allein er dachte doch unwillkürlich: »Wenn ich jetzt so eine schöne Staatskutsche hätte und zwar eine geheizte mit vier Pferden davor, Kutscher und Bedienten und allem, was dazu gehört, da wollte ich besser und bequemer vom Fleck kommen.« Kaum hatte er dies ausgedacht, so vernahm er ein leichtes Stampfen und Getrappel in dem Kästchen, und als er es verwundert öffnete, da hätte er es beinahe vor Schreck fallen lassen, denn es war nicht mehr leer, sondern eine kleine allerliebste Kutsche darin mit vier Pferden, nicht grösser als Zwergmäuse, und winzigem Kutscher und Bedienten, so klein wie die grauen Grashüpfer, welche im Sommer auf den Wiesen zirpen. Aus dem Verdeck der Kutsche kam ein kleines Kaminrohr hervor und liess ein zartes blaues Räuchlein in die Luft steigen. »Ja, was soll ich damit anfangen?« dachte Christian, als die erste Ueberraschung vorbei war, »für Geld sehen lassen ist das einzige.« Endlich verfiel er darauf, das Kästchen auf die Erde zu setzen, und damit war das Richtige getroffen, denn kaum war dies geschehen, als der Bediente vom Bock sprang und die Vorderwand des Kästchens gleich einem Thore öffnete. Sogleich fuhr der kleine Wagen hinaus und im Weiterfahren fing alles an mit grosser Schnelligkeit zu wachsen, so dass nach wenigen Sekunden die richtige Grösse erreicht war. Der Bediente sprang wieder vom Bock, riss die Wagenthüre auf und sah Christian erwartungsvoll an. Dieser war so verblüfft, dass er fast das Kästchen hätte stehen lassen. Zum guten Glück stolperte er aber fast darüber, als er weiter gehen wollte, steckte es schnell zu sich und stieg ein. In dieser Kutsche war es aber hübsch, das muss man sagen. Sie war wirklich geheizt und drinnen eine behagliche Wärme. Dabei hing sie in so vorzüglichen Federn, dass Christian auch bei dem schnellsten Dahinjagen kaum etwas von den Unebenheiten des Weges verspürte, und in den veilchenblauen Sammtpolstern sass er wie in Abrahams Schoss. Als ihm nun auf diese Art klar wurde, welchen unermesslichen Schatz er an diesem Kästchen besass, ward er fast unsinnig vor Freude, sprang in dem Wagen herum, hopste vom Vorder- auf den Rücksitz, schlug sich auf die Kniee, klatschte in die Hände und lachte und weinte in einem Athem. Endlich beruhigte er sich ein wenig und nun fiel ihm plötzlich auf, wie schlecht sein alter abgeschabter Anzug zu der schönen Kutsche passen wollte und wünschte sich schnell das Feinste. Sogleich fand er in dem Kästchen ein Röcklein vom herrlichsten Tuch mit goldgesticktem Kragen und Aufschlägen, eine geblümte Atlasweste, seidene Höschen und Strümpfe, Wäsche vom feinsten Battist, Schuhe mit goldenen Schnallen, kurz alles was dazu gehört, und alles wuchs zur richtigen Grösse, sobald es herausgenommen war. Er kleidete sich nun um und warf das alte Zeug zum Fenster hinaus. Aber in einem so schönen Anzug leere Taschen zu haben, das ging nicht, flugs wünschte er sich das Nöthige, und als er das Kästchen öffnete, war es gestrichen voll der schönsten Randdukaten. Das liess er sich gefallen. Als schliesslich Hunger und Durst sich regten, entnahm er dem unerschöpflichen Kästchen einen Esskober, gefüllt mit den herrlichsten Gerichten und ein Flaschenfutter mit den feinsten Weinen aller Länder und frühstückte wie ein Kaiser.
Als um die Mittagszeit dieses Tages die vornehme und glänzende Kutsche vor dem ersten Gasthofe der Stadt anhielt, welche Christian aufsuchen wollte, und ein so kostbar gekleideter Herr ausstieg, da erstarb der Wirth fast vor Ehrfurcht und sein Antlitz leuchtete wie Vollmondschein, indes die Kellner den seltenen Gast dienend umschwärmten wie die Fliegen einen Honigtropfen. Solche Wendung hatte mit einemmal sein Schicksal durch das wunderbare Kästchen genommen.
Natürlich dachte er jetzt nicht mehr an die Einziehung seines ausgeliehenen Geldes, nahm sich auch vor, noch nicht in seine Vaterstadt zurückzukehren, sondern beschloss einstweilen die Welt zu durchreisen, allenthalben sich aufzuhalten, wo es ihm gefiel, und die Gaben seines unvergleichlichen Schatzes recht auszukosten. So reiste er denn fast ein ganzes Jahr in Deutschland herum und hinterliess überall, wo er sich aufgehalten hatte, ein gutes Andenken, da er grosse Summen an die Armen schenkte, mittellose Brautpaare ausstattete und Leute aus dem Schuldthurm befreite. Dabei vergass er jedoch nicht, dass sein Schatz ihm nur auf die Dauer eines Jahres verliehen war, und liess durch einen Agenten in der Nähe seiner Vaterstadt eine grosse Herrschaft aufkaufen, zu welcher prächtige Wälder und Seen, viele Güter, ein herrliches Schloss auf dem Lande und ein wohleingerichtetes Haus in der Stadt gehörten, und alles aufs schönste und kostbarste wohnlich instandsetzen. Wegen seiner grossen Wohlthaten hatte ihn der Fürst eines Landes, wo er besonders den Armen hilfreich gewesen war, unter dem Namen Herr von Kästchen in den Adelsstand erhoben und als man nun in seiner Vaterstadt erfuhr, dass dieser Mann, dessen Reichthum und dessen Wohlthätigkeit schon überall sprichwörtlich geworden war, sich in der Umgegend niederlassen wollte, da herrschte grosse Freude und man fühlte sich durch diese Wahl höchlichst geehrt. Freilich hatte niemand eine Ahnung, wer sich unter diesem Namen verbarg, auch sein Bruder nicht.
Um die Weihnachtszeit kehrte Christian in seine Vaterstadt zurück und die Leute konnten nicht genug erzählen von der Pracht seines Wagens, von der Schönheit seiner Pferde und der Leutseligkeit seines Wesens, denn niemand erkannte ihn wieder. Anfangs liess er sich wenig sehen, sondern sass fleissig die Tage über in einem Kämmerchen seines Hauses, das er ganz mit zolldicken Eisenplatten hatte austapezieren und mit schweren eisernen Thüren hatte versehen lassen, und war ausschliesslich damit beschäftigt, sein Kästchen voll Dukaten zu wünschen und das köstliche Gut dort wie Weizen auf einem Kornboden aufzuspeichern. Als endlich die goldene Last dort drei Fuss hoch lag, und nur einige schmale Gänge dazwischen frei gelassen waren, da schien es ihm genug, er verschloss diese Schatzkammer sorgfältig und dreifach mit den künstlichsten Schlössern und machte sich auf, seinen Bruder zu besuchen. Als er dort gerade wieder am Morgen des Sylvestertages vorfuhr und sich melden liess, war dieser sehr erstaunt und verwirrt über den vornehmen Besuch, allein noch mehr verwunderte er sich, als dieser ihm entgegentrat mit den Worten: »Da bin ich wieder, lieber Bruder und komme, meinen Ring zurückzukaufen. Ich vermag dir jetzt zehntausendfach zu vergelten, was Du damals an mir gethan hast.« Damit winkte er dem Diener, welcher an der Thür stehen geblieben war und dieser lief nun an den Wagen und schleppte keuchend einen Geldsack herbei, welcher zehntausend Dukaten enthielt. Christian löste die Schnur, stiess den Sack um und leerte den mächtigen Haufen Gold auf den Tisch aus. Wie da Johannes' Augen gierig funkelten und wie er verblüfft war, das kann man sich wohl leicht vorstellen, fast wäre er vor seinem Bruder auf die Kniee gefallen und hätte ihn angebetet. Als er nun wohl zehnmal seinen verwirrten Dank gestammelt hatte, stürzte er fort und holte den Ring. Dann stierte er wieder auf den Goldhaufen hin; der Schweiss trat ihm auf die Stirn und das Wasser lief ihm im Munde zusammen – einmal musste er jetzt darin wühlen, anders hielt er es nicht aus. Wie ein Magnetberg zog es ihn an, er grub die Hände hinein und nun lief es ihm von den Fingerspitzen aus wie Wollust durch alle Glieder. Heimlich aber behielt er einen Dukaten in der Hand und während er allerlei von Bewirthung stammelte und seinen Bruder bat, einen Augenblick sich zu gedulden, lief er in das Nebenzimmer, wo sein Probierstein und seine Goldwage sich befand, und prüfte das Geldstück. Wahrhaftig, es war echt und von dem feinsten Dukatengolde. Nun rief er nach seiner Wirthschafterin und befahl ihr, das Beste aufzutischen, was im Hause zu finden war, und dann rannte er wieder hin, bedeckte den Goldhaufen mit einem Tuche, damit die Frau ihn nicht sehen sollte, kurz er war ganz ausser sich.
Als die Brüder dann bei einer Flasche köstlichen französischen Weissweins sassen, erzählte Christian seine Geschichte. Da überkam seinen Bruder eine Gier nach dem wunderbaren Kästchen, welche ihn wie Feuer brannte. Heute, da die Monate wieder im Nobiskrug zusammenkamen, war ja gerade die Zeit günstig, dort musste er hin auf jeden Fall und ihm, als dem Klügern, musste es doch sicher gelingen, das Kästchen in seinen Besitz zu bringen. Den Monaten wollte er schon etwas Angenehmes sagen: Sirup und Zucker wollte er reden mit Honig dazwischen.
Als darum Christian ihn verlassen und er sein Gold verwahrt hatte, lief er sofort hin und miethete für den Nachmittag einen Wagen, um dorthin zu fahren. Er bekam einen solchen, aber nur gegen eine hohe Summe, deren Hälfte er vorausbezahlen musste, weil die Fuhrleute in der Sylvesternacht diesen verrufenen Ort zu meiden pflegten. In der Dämmerung ging die Reise ab. Draussen war ein trübes, regnerisches Wetter; die Felder waren mit schmutzigem, zerfliessendem Schnee bedeckt und in den Wagenspuren stand das Wasser. Der Himmel war von einem verdriesslichen, einförmigem Grau, und der Tannenwald stand da wie eine schwarze Masse in finsterem Schweigen.
Als er in dem Nobiskruge ankam, gerieth er sogleich in einen Wortwechsel mit dem Wirthe, welcher ihn nicht hineinlassen wollte, aber Johann war zäh und liess sich so leicht nicht abweisen. Da infolgedessen der Streit immer lauter wurde, öffnete sich die Thür und der Dezember schaute heraus. Als dieser erfuhr, worum es sich handelte, wies er den Wirth an, den Fremden eintreten zu lassen, und nun fügte sich anfangs alles, wie es bei Christian gewesen war. Schliesslich sass Johann ebenfalls mit in der Runde, und die verfänglichen Fragen begannen. Da bemerkte er mit Schrecken dass es mit Sirup, Zucker und Honig nichts war, denn dieser Gesellschaft gegenüber gab es keine Verstellung, und mochte man wollen oder nicht, es kam nur die innere Wahrheit, und damit bei Johann eiterfressendes Gift und bittere Galle zum Vorschein. Und ob er sich auch mit Anstrengung aller seiner Kräfte zwingen wollte, es half ihm nichts, er nannte den Januar einen störrischen Eisbock, der ausser den Kohlenhändlern keinen Freund auf der Welt habe; den Februar schalt er einen eitlen Fant und Leuteverführer, den März einen Schmutzfinken, den April einen Sausewind ohne Charakter, und über den Mai schimpfte er nun gar: Sein ganzer Ruhm sei erfunden von lügenhaften Dichterlingen und keine grössere Wonne kenne er, als eisigen Schnee in die blühenden Obstbäume zu werfen und durch tückische Nachtfröste die Hoffnungen des ganzen Jahres zu zerstören. Der Juni sei ein Mischling, halb Frühling, halb Sommer, aber beides nicht ordentlich, der Juli entweder zu trocken oder zu nass, der August bringe auf eine mässige sieben Missernten und fast nichts als Aerger und Enttäuschung, und ebenso halte es der September mit dem Obst. Den Oktober schimpfte er einen Lärmmacher und Weinverderber, den November nannte er einfach grässlich, darüber sei die ganze Welt sich einig, und der Dezember sei wieder dem Januar zu vergleichen, verführe ferner die Menschen zu unnützen Ausgaben, sich und ihre Kinder mit allerhand Albernheiten zu beschenken. So liess er an keinem ein gutes Haar, und als er geendet hatte, sassen alle in finsterem Schweigen da. Endlich räusperte sich der Dezember und sagte langsam und bedenklich: »Ei– ei – ei – ei – ei! Ja – ja!«
Darauf grub er aus einer seiner tiefsten Taschen ein ganz schwarzes Kästchen hervor und sprach: »Nehmt hier dieses Andenken, es wird Euch die Stunde, da Ihr so sinnreiche Urtheile von Euch gabet, unvergesslich machen. Aber eines sage ich Euch: Wenn Euch das Leben lieb ist, so öffnet es nicht, bevor Ihr in Eurem Hause angelangt seid. Dies merkt Euch wohl!«
Johann griff gierig nach dem Kästchen und wollte danken, der Dezember aber liess es nicht zu, sondern klopfte stark auf den Tisch. Da ergriffen alle Monate ihre Instrumente, und nun erhoben sie eine Musik, welche so über alle Beschreibung grässlich war, als seien alle Misstöne der Welt in diese Werkzeuge gesperrt und kämen nun mit einem Male zum Vorschein. Es klang wie ein Gemisch aus den Liebesmelodien freiender Kater, dem Kreischen ungeschmierter Thüren, den letzten Gesängen verblutender Schweine, dem nächtlichen Geheul mondsüchtiger Hunde und dem Gebrüll verliebter Ochsenfrösche. Und dabei sassen die Monate mit einer finsteren Andacht da und manche schlugen verklärt die Augen empor, als spielten sie das herrlichste Requiem der Welt.
Johann erschrak zwar ein wenig, als dies losging, allein was kümmerte es ihn schliesslich, er hatte ja das Kästchen, und als die zwölf Gesellen sich immer mehr in ihre grauenhafte Musik vertieften, benutzte er einen günstigen Augenblick und huschte schnell zur Thür hinaus. Seinen Wagen fand er aber nicht mehr vor, denn sofort bei dem Beginn dieser furchtbaren musikalischen Orgie war der Kutscher von Entsetzen ergriffen davongejagt und längst im Dunkel der Nacht verschwunden. So musste er sich wohl oder übel entschliessen, zu Fusse nach Hause zu gehen. Aber was machte das, er hatte ja das Kästchen! So stampfte er denn in der Dunkelheit durch den nassen Schnee, stolperte, fiel in die schlammigen Gräben und kroch wieder heraus und tastete alle Augenblicke nach, ob er den Schatz auch noch in der Brusttasche habe. Die Anstrengung dieses nächtlichen Ganges durch die Nässe und den zerfliessenden Weg fühlte er nicht, denn vor den Augen seines Geistes flammte nichts als Gold und Gold und wieder Gold. Ja, er wollte es klüger machen als sein Bruder Christian. Sein ganzes Haus wollte er mit dem geliebten gelben Metall erfüllen und seine Phantasie schwelgte in den üppigsten Bildern. Wälzen wollte er sich auf lauter Dukaten und sich eingraben bis an den Hals und darin wühlen und mit den Händen unablässig einen goldenen Sprühregen in die Luft schleudern.
Müde, durchnässt und beschmutzt kam er zu früher Morgenstunde in seinem Hause an, allein bevor er die Ruhe suchte, wollte er einen Beweis von der Kraft seines Schatzes sehen. Er stellte das Kästchen auf den Tisch und wünschte es gehäuft voll Kremnitzer Randdukaten. Mit zitternden Händen öffnete er den Deckel, allein statt funkelnden Goldglanzes bemerkte er nur etwas Schwarzes darin, das er nicht genau erkennen konnte. Er schob das Licht näher hinzu und nun sah er, dass es lauter dicht aneinander gedrängte Mäuseköpfe waren, deren blanke, schwarze Aeuglein ihn listig anfunkelten. Kaum war ihm dies klar geworden, als auch schon Bewegung in die Masse kam und wie ein aufquellendes Wasser die Mäuse über den Rand auf den Tisch strömten, wo sie mit hässlichem Quieken umherliefen. Als Johann sah, dass sich das Kästchen gar nicht erschöpfen wollte und unausgesetzt Mäuse daraus hervorquollen, so dass schon der ganze grosse Tisch von dem hässlichen Geziefer erfüllt war, klappte er schnell den Deckel zu, allein mit Gewalt sprang das Kästchen wieder auf und ergoss unablässig neue Mäuse. Zuletzt hatten sie auf dem Tische nicht mehr Platz, sie drängten sich gegenseitig herab und wie das Wasser bei einer Springbrunnenschale allseitig überfliesst, so strömten die Thiere über die Ränder und plumpsten auf den Fussboden. Hier rannten sie quiekend und pfeifend nach allen Seiten auseinander und nun fielen sie über alles her, das zu zernagen und zu zerbeissen war, und das war so ziemlich alles, denn selbst Eisen und Metall hielt vor den scharfen Zähnen dieser Unholde nicht stand. An den Fenstervorhängen huschten sie empor, und eine kurze Weile hinterher rauschten diese schon abgenagt zu Boden, um alsbald unter den knirschenden Gebissen zu verschwinden. Die Schränke waren im Nu durchnagt und nun rumorte und knabberte es inwendig; überall war nichts als Huschen und Nagen und Knirschen und funkelndes Blitzen tückischer Aeuglein. Und immer mehr der schrecklichen Thiere spie das teuflische Kästchen hervor, schon war das ganze Zimmer erfüllt und Hunderte nagten schon an den Ausgängen. Johann befiel eine furchtbare Angst, welche noch stärker wurde, als er sah, wie die eisenbeschlagene Thüre schon halb durchfressen war, welche zu seinem Allerheiligsten führte, wo er seine Kostbarkeiten, seine Papiere, sein Gold, sein Alles aufbewahrte. Halb wahnsinnig vor Aufregung rannte er in die Küche, wo seine beiden Katzen in der warmen Asche schliefen, holte sie herbei und warf sie unter das Ungeziefer. Aber in demselben Augenblicke schon waren die beiden Thiere von oben bis unten mit Mäusen bedeckt, dass man nur zwei schwarze, wimmelnde Haufen sah, aus denen ein schnell verstummendes, jämmerliches Miauen hervorbrach. Dann wurden diese beiden kleinen Hügel schnell flacher und flacher, und als die Mäuse wieder auseinanderliefen, waren die beiden Katzen bis auf einige wenige Haare spurlos verschwunden. Unterdess aber hatten andere Mäuse die eisenbeschlagene Thür durchnagt und durch diese Oeffnung ergoss sich sofort ein endloser Strom in die Schatzkammer, welche zugleich das Schlafzimmer des Geizhalses darstellte.
Nun galt es zu retten, was noch zu retten war. Er schloss die Thür auf und stürzte hinein; unendliche Mäuse drängten nach. Ueber seinem Bette hingen eine Menge Waffen, von diesen riss er schnell einen scharfgeschliffenen Kavalleriesäbel herab und hieb in grenzenloser Wuth auf die fürchterlichen Mäuse ein, welche in dichten Haufen die eisenbeschlagene Kiste umdrängten, die alles enthielt, daran sein Herz hing. Aber wenn er mitten in das dickste Gewühl hineinschlug, erschallte nur ein höhnisches Quietschen und es war, als würden der grässlichen Thiere davon nur noch mehr. Plötzlich nun fiel die gänzlich zernagte Kiste auseinander und ein Strom glänzender Dukaten rollte heraus. O welch ein fürchterlicher Anblick bot sich nun dem entsetzten Geizhals dar! Sogleich waren Tausende dieser schrecklichen Mäuse über die Dukaten her, sassen manierlich auf den Hinterbeinen, drehten die glänzenden Goldstücke zierlich zwischen den Vorderpfötchen und frassen sie so sauber auf, als seien es Anisplätzchen. Andere machten sich über die Staatspapiere, andere über die Schmucksachen her und bald war dort nichts mehr vorhanden als ein wenig Staub und einige kleine Späne. Mit gesträubtem Haar und Schaum vor dem Munde hatte Johann mit starren irrsinnigen Augen auf diese furchtbare Scene hingeblickt, während ein dumpfes Stöhnen aus seinem Innern kam. Als alles vorüber war, stiess er einen furchtbaren heiseren Schrei aus, warf die Arme in die Luft und rannte vom Wahnsinn ergriffen die Treppen hinab zum Hause hinaus und so, indem er von Zeit zu Zeit aufschrie wie ein gepeinigtes Thier, durch die Strassen bis an den Strom. Dort heulte er noch einmal auf: »Die Mäuse, die Mäuse!« und sprang über das Bollwerk ins Wasser.
Niemand hatte dies gesehen, da die Strassen zu der frühen Stunde noch dunkel und menschenleer waren. Als die Wirthschafterin am anderen Morgen aufgestanden war, fand sie zu ihrem Erstaunen alle Thüren im ganzen Hause geöffnet, das Bett ihres Herrn aber unberührt und leer. Sonst war alles im Hause wie gewöhnlich und von der furchtbaren Zerstörung durch die Mäuse keine Spur zu bemerken, alles war, wie sie es am Abend vorher verlassen hatte, auch die beiden Katzen kamen ihr wie sonst mit krummem Rücken und steil erhobenen Schwänzen schmeichelnd entgegen. Denselben Morgen aber noch fand man im Strom die Leiche, und nun erinnerte sich ein Schiffer, dass er in der Nacht von einem Schrei: »Die Mäuse! die Mäuse!« erwacht sei und dann einen Fall ins Wasser gehört hatte.
Das Haus und das übrige Erbe fiel an Christian, der sich unterdess zu erkennen gegeben hatte, und dieser vertheilte alles unter diejenigen Leute, welche sein Bruder bei Lebzeiten durch wucherische Aussaugung besonders geschädigt hatte.
Er selber aber betrauerte das unglückselige Schicksal seines Bruders und einzigen Verwandten, obwohl dieser es kaum verdient hatte, und war fernerhin bestrebt, von seinen Gütern den edelsten und hilfreichsten Gebrauch zu machen. Späterhin heirathete er ein schönes und tugendhaftes Fräulein aus gutem Geschlecht, welches ihn im Laufe der Zeit mit einer Anzahl wohlgebildeter Kinder beschenkte, und lebte vergnügt mit ihr bis an sein seliges Ende.
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2012
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