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1. Frau Schüddebold.



Ich hatte es ja am Ende sehr gut bei Frau Schüddebold, aber zuletzt ging es doch nicht mehr und zwar aus mancherlei Gründen. Diese meine brave Hauswirthin sorgte mütterlich und musterhaft für mich, und meine beiden kleinen Zimmer glänzten von Sauberkeit und Ordnung; ja von letzterem Artikel war sogar nach meinem Geschmack meistens etwas zu viel vorhanden, denn ich muss nur offen gestehen, dass ich zu den Naturen gehöre, welche sich am wohlsten fühlen, wenn sie ein wenig in ihrem eigenen Müll sitzen, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich wohnte an einem friedlichen Eckchen Berlins, und aus dem Fenster sah man auf einen kleinen Platz mit Grün und Blumen ; es war eine jener stillen Buchten, an welchen der Strom des grossstädtischen Lebens fern vorbeirauscht; man kannte schliesslich alle von Ansehen, die in diesem abgelegenen Winkel ein- und ausgingen, man erzählte sich Geschichten von den einzelnen Bewohnern der Häuser, kurz, es wehte dort so ein angenehmer Hauch von kleinstädtischer Luft, der etwas ganz Behagliches und Heimliches hatte, zumal man jederzeit mit ein Paar Schritten wieder mitten in dem Treiben eines riesig fluthenden Lebens sein konnte. Es war also ganz hübsch dort und ich hatte es recht gut, doch sollte ich solches Glück nicht ungetrübt geniessen in Folge zweier Eigenschaften von Frau Schüddebold, die auf die Dauer schwer für mich zu ertragen waren. Zuvörderst hatte sie nämlich eine unüberwindliche Abneigung gegen Thiere und ich habe früher schon einmal erzählt, wie dieser Antipathie jenes dürftige stellenlose Hündchen zum Opfer fiel, das sich in der Hoffnung, endlich wieder in Lohn und Brod zu kommen, mir so vertrauensvoll anschloss. Ich war nun aber an Thiere gewöhnt von Kindheit an und wenn es auch nur Zwergmäuse oder ein Rothkehlchen gewesen, irgend dergleichen hatte ich immer um mich gehabt. An so etwas durfte ich aber garnicht zu denken wagen, denn hier hatte die Güte der Frau Schüddebold ein Loch, welches mit harter Verständnisslosigkeit ausgefüllt war. Vögel waren ihr gleichbedeutend mit Schmutz, für welchen es in ihrer Wohnung keinen Platz gab und nun gar für Mäuse, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Wiesel, Ringelnattern, Laubfrösche, Eidechsen und dergleichen Ungeziefer erst recht nicht. Deshalb musste ich schon dem häuslichen Frieden dies schwere Opfer bringen und fand nur einen geringen Ersatz darin, mir Terrarien und Zimmervolieren von wahrhaft wundervoller Einrichtung und märchenhafter Pracht im Geiste auszumalen und mit den seltensten und zierlichsten Thieren zu bevölkern.

Zweitens aber, und das fiel schwerer in's Gewicht, stellte es sich im Laufe der Zeit mit fast untrüglicher Gewissheit heraus, dass Frau Schüddebold mit der Absicht umging, mich zu heirathen. Ich hatte kein Recht, ihr das zu verdenken und wusste das Schmeichelhafte, welches in dieser Wahl der ansehnlichen und nicht unvermögenden Frau lag, sehr wohl zu schätzen, allein ich hatte aus einer schwärmerischen Jugend doch noch einige ideale Vorstellungen von demjenigen Wesen gerettet, welches ich mir einmal als meine Frau dachte und diese entsprachen sehr wenig dem Bilde der Frau Schüddebold. Vor allen Dingen hatte ich mir die Holde, die ich einmal zum Altar führen würde, immer mehr als eine rosige Apfelblüthe denn als reifen Borsdorfer vorgestellt, und hier liess sich doch nicht leugnen, Frau Schüddebold war recht reif, so rosig sie auch einmal geblüht haben mochte.

Wie und wann ich allmälig dahinter kam, weiss ich nicht mehr, mir ist nur erinnerlich, dass ich zuerst lange keinen Verdacht schöpfte, so wohlwollend auch die Blicke der braven Frau auf mir ruhten und so oft sie mir auch erzählte, wie kurze Zeit sie nur das Glück genossen hätte, mit ihrem Seligen vereint zu sein, und wie sonderbar sie auch seufzte, wenn sie das Zimmer verliess. Auch als sie mir den grossen Beweis des Vertrauens gab, mich in Vermögensangelegenheiten um Rath zu fragen und ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, dass sie über mehr als zwölftausend Thaler in Hypotheken und sicheren Staatspapieren verfügte, merkte ich nicht den Köder, denn in solchen Dingen war ich eigentlich immer ziemlich dumm. Dann aber stellten sich bei dieser Frau literarische Neigungen ein, und solches erfreute mich anfangs sehr als ein Zeichen spät erwachenden Bildungsdranges. Wenn ich nach Hause kam, fand ich oft aufgeschlagene Bücher aus meiner kleinen Bibliothek auf dem Tische und durfte vermuthen, dass Frau Schüddebold in meiner Abwesenheit darin gelesen hatte. Zuletzt aber fiel es mir doch auf, dass an solchen Stellen immer nur von Liebe die Rede war, dass die Bücher immer mit einer gewissen Absichtlichkeit an einem Orte lagen, wo sie mir in's Auge fallen mussten, und dass dies ganze Verfahren durchaus nicht mit der sonst so peinlichen Ordnungsliebe dieser Frau in Harmonie stand. Da ich mich zur Erholung von meinen Berufsgeschäften vorzugsweise gern mit den Werken älterer und neuer Dichter beschäftigte und zuweilen selber wohl einen kleinen Jagdausflug auf den Helikon unternahm, so fand sich zu solchen seltsamen Thaten meiner Wirthin Gelegenheit genug. Trotzdem dauerte es lange Zeit bis ich die eigentliche Bedeutung dieser Sache begriff, denn anfangs hatte ich dies nur für ein dem weiblichen Geschlechte innenwohnendes allgemeines theoretisches Interesse für die Angelegenheiten der Liebe gehalten, welches ja selbst Urgrossmütter nicht ganz verlieren sollen. Aber eines Tages, als ich Mörikes Gedichte aufgeschlagen fand bei der Stelle:


»Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam, . . . .«



da erleuchtete sich plötzlich Alles elektrisch und ich sah mit einem Male klar. Von nun an schien mir mein Heil nur in der äussersten Würde und Gemessenheit zu liegen, aber die kühle Gleichgültigkeit, welche ich jetzt im Verkehre mit Frau Schüddebold entfaltete, hatte das Gegentheil der gewünschten Wirkung. Ihr Wesen wurde immer elegischer, ihre Seufzer holte sie aus immer grösseren Tiefen der Seele, und ein Ausdruck hinschmachtender unerwiderter Liebe wich nicht mehr aus ihrem Antlitz. Der Teufel plagte mich eines Tages zu prüfen, wie weit wohl ihre Aufopferung bei dieser merkwürdigen Gemüthslage gehen würde, und da ich vor Kurzem ein Pärchen Bartmeisen in einer Vogelhandlung gesehen hatte, das mit dem brennenden Wunsche es zu besitzen mein Herz verwundet hatte, so fragte ich nach einer diplomatischen Einleitung vorsichtig an, was wohl Frau Schüddebold sagen würde, wenn ich mir diese reizenden allerliebsten Thiere anschaffen würde. Und was geschah? Mit einer Miene unendlicher demuthsvoller Hingebung erwiderte sie: »«Wenn Sie es wünschen, lieber Herr, gern!«

Ueber diese Antwort, so viel Verlockendes auch für mich darin lag, war ich heftig erschrocken. Ich sah es nun klar, der Wurm der Liebe nagte schon an den Grundfesten ihres Charakters, denn ich fand sie bereits entschlossen, Prinzipien zu opfern.

Für Manchen hätten wohl die Annehmlichkeiten, welche eine solche Verbindung mit sich führte, viel Verlockendes gehabt. Einfacher konnte ich garnicht zu einer wohl eingerichteten Häuslichkeit kommen, nicht einmal auszuziehen brauchte ich. Zwar fünf Jahre älter war Frau Schüddebold als ich, jedoch eine saubere, stattliche und wohl erhaltene Frau. Ich hatte schon andere Dinge erlebt. Einer meiner Freunde hatte eine Dame geheiratet, welche ihn im Alter um acht Jahre übertraf und es war eine glückliche Ehe geworden. Allerdings war sein Beweggrund Liebe und nicht Bequemlichkeit gewesen. Dass ich jedoch diesen gefährlichen Spekulationen nicht zu lange nachhing, habe ich dem Barbier Kräutlein zu danken. Herr Kräutlein war, wie fast alle Barbiere, von etwas ausschweifender zur Romantik geneigter Gesinnung und feurigen Gemüthes. Die mannigfachen Vorzüge der wohlhabenden stattlichen Wittwe hatten sein Herz entzündet und seit einiger Zeit verfolgte er sie mit glühenden Werbungen. Es ist möglich, dass diese, bevor durch den Gott der Liebe ihr Sinn auf mich gewendet worden war, den schmeichlerischen Worten des Barbiers mehr Gehör geschenkt hatte, jetzt aber war sie eitel Grausamkeit und Härte gegen Herrn Kräutlein. Solches aber entflammte nur immer höher die Gluth dieses Märtyrers der Liebe und sehr bemerkenswerth war es zu sehen, wie wohl sich die alternde Frau in dem Abglanz dieser schmeichelhaften Flammen gefiel, denn durch all den Zorn über die zudringlichen Werbungen dieses Hasenfusses leuchtete doch immer die stille Befriedigung, vor den Augen des geliebten Miethers so heiss begehrt zu werden. Ueberaus komisch war eine Scene, die sich fast täglich ereignete. Wenn der Barbier meinen Freund Oppermann, welcher drei Treppen hoch wohnte, des Morgens wie gewöhnlich rasiert hatte und wieder herunter kam, dann zog er regelmässig die Thürglocke, um Frau Schüddebold herbeizulocken. Wenn sie dann kam und vorsichtig zuerst durch das Guckloch in der Thür hinauslugte, girrte er ihr, die natürlich nicht öffnete, durch dieses kleine Loch die heissesten Schwüre und Liebesbetheuerungen zu, während sie als Gegengabe die härtesten Schmähungen auf seine wohlgekräuselten Barbierlocken häufte. Hatte er dann fruchtlos dort einige Zeit geseufzt und deklamiert, verliess er gekränkt den Ort seiner Schmach, ermannte sich aber vor der Hausthüre wieder, steckte die Hand in den Busen, warf noch einige grossartig flammende Blicke auf die Fenster des Hauses und begab sich erhobenen Hauptes und wogenden Ganges davon. Einmal aber, als er gerade die Treppe hinabkam und Frau Schüddebold in demselben Augenblicke dem Briefträger geöffnet hatte, war er in geschickter strategischer Benutzung dieses günstigen Momentes eingedrungen, hatte auf dem schmalen halbdunklen Korridor zuerst einen grossartigen Fussfall im Opernstil gethan und war dann so feurig geworden, dass sich Frau Schüddebold seiner mit einer Feuerzange erwehren musste, ihn auch nach mehreren tapferen Angriffen endlich in die Flucht trieb. Nun aber war ihre Geduld am Ende und das nächste Mal versuchte sie ein anderes Mittel zur Abkühlung dieser gewaltigen Liebesflammen. Als nun Herr Kräutlein schon am anderen Tage wieder unabgeschreckt seine gewohnten Liebesbetheuerungen durch das Guckloch girrte, da war sie doppelt hart gegen ihn und behandelte ihn so schrecklich, dass er früher als gewöhnlich abliess und sich davonschob. Im nächsten Augenblicke sah ich Frau Schüddebold in grosser Eile durch mein Wohnzimmer in die Schlafkammer rennen und ward durch ein seltsam furienhaftes Leuchten ihrer Augen erschreckt. Ich folgte ihr und sah sie am offnen Fenster stehen, wie sie lauernden Blickes ein grosses Gefäss mit Wasser in den Händen hielt. In diesem Augenblick trat der Barbier aus dem Hause, und als er eben nach seiner Gewohnheit den grossartig flammenden Blick auf die Fenster des Hauses senden wollte, da – klatsch – traf ihn ein wohlgezielter Wasserguss von den grausamen Händen der Geliebten und durchnässte ihn von oben bis unten. Wenn diese aber geglaubt hatte, durch dieses Verfahren eine zerknirschende Wirkung auf Herrn Kräutlein auszuüben, da fand sie sich schwer getäuscht, denn nun erst fühlte sich dieser ganz auf der Höhe seines Märtyrerthumes und heiss durchströmte ihn das stolze Bewusstsein, für seine erhabene Liebe ungerecht zu leiden. Seine Augen flammten, seine Brust weitete sich, und hocherhobenen Hauptes stolze Blicke um sich sendend, ging er, obwohl nass wie eine gebadete Katze, fast eine viertel Stunde vor dem Hause auf und ab, nicht achtend der spöttischen Zurufe und der lächelnden Blicke, welche ihm aus den Fenstern der Umwohnenden reichlich zu Theil wurden.

Sobald meinem Freunde Oppermann dieses Abenteuer bekannt wurde, schaffte er Herrn Kräutlein ab, denn er fürchtete es, sich ferner dem Messer eines vom Wahnsinn der Liebe ergriffenen Barbiers anzuvertrauen: »De Kierl snitt mi jo womäglich den Hals af!« sagte er in seinem heimischen Idiom, und solchem Beispiel folgten noch einige andere Kunden in der Gegend, so dass der unglückselige Mann ausser jener tiefen Herzenskränkung auch in seiner bürgerlichen Nahrung arg geschädigt wurde. Er musste mich wohl hinter seiner geliebten Feindin haben stehen sehen, als er so grausame und verächtliche Behandlung von ihr erfuhr, denn von nun ab schien er mich mit Groll und Argwohn zu betrachten, warf aus rollenden Augen furchtbare Othelloblicke auf mich, wenn er mir begegnete, und murmelte Unverständliches zwischen den Zähnen. In dieser Zeit erhielt ich folgende Zeilen von Hühnchen:


»Liebster Freund!

Am ersten Juli zieht der Major aus, um zu heirathen. Als ich nun gestern mit Lore darüber sprach, da schoss wie ein glänzendes Meteor ein herrlicher Gedanke durch die Nacht meines Hirnes. Theuerster Freund, die Wohnung ist ja gerade wie für dich geschaffen! Nachdem ich diese geniale Idee geäussert hatte, verbreitete sich Sonnenschein durch das ganze Haus, Lore strahlte, die Kinder sprangen und ich musste mir so lange die Hände reiben, dass ich sieben Mal die Stube damit auf und ab kam. Dadurch angeregt liess unser neuer Canarienvogel, der auch wieder Hänschen heisst, seinen ungeheueren Triller los, der so lang wie die Friedrichstrasse ist, wahrhaftig wie ein Fusssteig in die Ewigkeit. Mit einem Wort, das Haus Hühnchen jauchzte. Da wir gerade zu Tische gehen wollten, holte ich zur Feier dieser glücklichen Stunde eine Flasche Sauren herauf und so wurden wir noch lustiger und liessen unseren zukünftigen Hausgenossen leben. Denn dass du diese Gelegenheit bei'm Zipfel ergreifen wirst, erscheint mir ausser aller Frage. Ueber Frau Schüddebolds Strenge und ihren unvernünftigen Hass gegen Alles was da fleucht und kreucht hast du dich oft beklagt. Sieh mal, bei mir soll der Stab Sanft über dich geschwungen werden, bei mir kannst du dir meinetwegen eine ganze Menagerie anlegen und dir die ungebräuchlichsten Thiere anschaffen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Giraffe? Zwar muss es schon eine Klapp-Giraffe sein, damit sie in unseren Salons Platz fände, oder es wird auf andere Weise Rath geschafft. In unserem Südzimmer kann sie wunderschön stehen in heimischem Klima und damit sie in ihrer räumlichen Entwicklung nicht behindert wird, machen wir in dein Zimmer hinein ein Loch in die Decke, wodurch sie den Hals und den Kopf steckt. So kannst du den besseren Theil des anmuthigen Thieres stets um dich haben, kannst es streicheln, tränken und füttern und ihm Gedichte vorlesen, während wir zugleich unten uns seiner Lieblichkeit erfreuen. Mit einem Wort, bei uns kannst du machen was du willst und wenn es dein Herz gelüstet das Bombardon zu spielen oder um das Abendroth auf einer Posaune zu blasen, so wird dir Niemand darin hinderlich sein, denn Nerven hat in diesem ganzen Hause kein Mensch.

Drum lieber Freund entschliesse Dich und beglücke uns möglichst bald mit Deiner Zusage. Die Arme der Familie Hühnchen sind geöffnet, Du brauchst Dich nur hineinzustürzen. Wir wollen Dein Wohnzimmer neu tapezieren lassen; Lore hat kürzlich neue Tapeten gesehen mit Blumen, Vögeln und Schmetterlingen, sie sagt märchenhaft wie aus Tausendundeinernacht. Der Wein ist nun schon so hoch emporgerankt, dass Dir die Trauben in's Fenster hängen werden, und dann die Aussicht auf den Garten, auf den Napoleonsbutterbirnbaum und den Grafensteiner und im Hintergrunde die Laube mit dem Springbrunnen davor. Lockt Dich das nicht? Hurrah! ich freue mich furchtbar auf Deine Zusage! Alle grüssen Dich herzlich! Dein

Hühnchen.«



Dieser Brief kam mir wie eine Erlösung. Ja, so war es am Besten, so entging ich gleichzeitig der Liebe und dem Hass. Denn auf die Dauer war Frau Schüddebolds Zuneigung doch nicht gut zu ertragen und sehr wenig erheiternd war die Vorstellung, einen Feind in steter Nähe zu wissen von phantastischer und excentrischer Gemüthsart, der unausgesetzt einige haarscharfgeschliffene Rasirmesser bei sich führte.

Schrecklich war der Augenblick, als ich Frau Schüddebold kündigte. Sie stand da bleich und starr wie eine Bildsäule mit der Unterschrift: »Der stille Vorwurf.« Dann traf mich ein Blick, in dem mit Riesenbuchstaben geschrieben stand: »Habe ich das um dich verdient?« und ohne eine Wort zu sagen entfernte sie sich mit dem qualvollen Seufzer einer tief gekränkten Seele. Man vergönne mir zu schweigen über diese letzten Tage, wo Frau Schüddebold bei mir aus- und einging wie eine stumme Anklage, still aber gross in ihrem Schmerz. Nur einmal noch fand ich Mörike's Gedichte wieder aufgeschlagen an einem Platze liegend, wo sie mir sofort in die Augen fallen mussten. Die Verse, welche ich lesen sollte, lauteten:


»Lebe wohl« – Du fühlest nicht
Was es heisst dies Wort der Schmerzen;
Mit getrostem Angesicht
Sagtest Du's und leichtem Herzen.

Lebe wohl! – Ach tausendmal
Hab' ich mir es vorgesprochen,
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen!



Ich kann aber zum Troste für alle zartfühlenden Seelen hier berichten, dass die Frau sich recht bald in ihr trauriges Schicksal gefunden hat. Indem sie sich zuletzt wohl überlegte, dass ein wenn auch ein wenig verrückter, so doch einer ungewöhnlichen Liebesgluth fähiger Lebensgefährte immerhin besser sei als gar keiner, hat sie zuletzt geschmeichelt und gerührt von der unwandelbaren Beharrlichkeit, mit welcher dieser Mann ihr sein Herz entgegentrug, dem Barbier Gehör gegeben und ihn auf kurze Zeit zum Glücklichsten der Sterblichen gemacht. Denn nach der Hochzeit ist es bald anders geworden, und Herr Kräutlein schmachtet in furchtbarer Tyrannei. Sie hat das unglückselige Gewächs an den Stab ihrer Strenge gebunden und sich mit ganzer Kraft bemüht alle seine vergnüglichen Auswüchse wieder gerade zu ziehen. Seiner leichtbeflügelten phantasiereichen Barbierseele hat sie eine Feder nach der anderen ausgerupft und in dem Leben dieses unglückseligen Opfers der Liebe ist jetzt nicht mehr Romantik als in einem hohlen Hirsekorn Platz hat. Armer Kräutlein!



II. Wie es sich bei Hühnchens wohnte.



Obwohl, das kleine Intermezzo mit dem Barbier ausgenommen, während meines Aufenthaltes in den Räumen der Frau Schüddebold eigentlich nicht viel Aufregendes sich ereignet hatte, so kam es mir doch vor, nachdem ich einige Wochen bei Hühnchen wohnte, als sei ich in den Hafen der Ruhe, des Friedens und des Behagens eingelaufen. Auch Frau Lore verbreitete Sauberkeit und Ordnung, wo sie herrschte, allein diese Tugenden waren bei ihr nicht starre blutlose Götzen, welche auf den Knien unter Furcht und Zittern angebetet werden mussten, sondern sanfte Genien mit leisen Füssen und zarten Händen, die ihr Ding ohne Geräusch thaten und keinen Dank begehrten. Jetzt empfand ich erst, welch' ein verschüchterter Sklave ich bei Frau Schüddebold gewesen war, die mich fast dazu gebracht hatte, mir das Rauchen abzugewöhnen, weil es den Gardinen schadet, wo ich niemals gewagt haben würde, des Abends beim Lesen die Beine auf das Sopha zu strecken, obwohl es für mich ein himmlisches Vergnügen ist, ein gutes Buch gerade in dieser Lage zu geniessen. Wie frei fühlte ich mich jetzt in einer Wohnung, wo alle Möbel und Geräthe zum Gebrauch und nicht ausschliesslich zur Schonung da waren. Frau Schüddebold hatte die Schutzüberzüge ihrer Polstermöbel nochmals wieder mit jener ewig verrutschenden Erfindung von des Teufels Grossmutter bedeckt, welche man mit dem schönen deutschen Namen Antimakassar bezeichnet; da waren Dinge unter Glasglocken oder in Flor gehüllt und überall stiess man auf etwas, das tabu oder nolimetangere erschien. Ha, hier athmete ich auf. Ich schaffte mir gleich, obwohl die Gesangszeit schon vorüber war, ein Blaukehlchen, eine Gartengrasmücke und einen rothrückigen Würger an und erhielt von unserm gemeinschaftlichen Freunde Dr. Havelmüller einen Raben geschenkt, welchem die Gabe der Rede verliehen war. Zwar konnte er nur wenig, aber dieses sehr gut. Dabei war er von unzähmbarer Bosheit und Tücke, so dass man ihn nicht frei umherlaufen lassen durfte, weil er sofort die schändlichsten Thaten verübte, silberne Löffel stahl, andere Thiere peinigte, oder wenn er sie bewältigen konnte, aufass, welches Schicksal einmal beinahe unserm talentvollen Hänschen mit dem langen Triller passirt wäre. Einmal hatte er eine Nachbarskatze beschlichen, welche ihrerseits wieder mit gierig züngelndem Schwanze einen Sperling zu belauern gedachte, und hatte sie so in diesen geliebten Zierrath gebissen, dass ihre Gefühle unbeschreiblich waren. Nie habe ich Jemanden gesehen, der grössere Eile hatte, auf den nächsten Baum zu kommen, als diese Katze. Wegen dieser gemeingefährlichen Eigenschaften hatte ich den Raben, dem nach einer von Hühnchen innig geliebten Geschichte aus den »Fliegenden Blättern« der Name Hoppdiquax beigelegt worden war, in einen geräumigen Kistenkäfig gesperrt, der an der Hauswand im Garten stand, und dort lebte er ganz vergnügt, doch stets auf neue Bosheit grübelnd. Von seinem geringen Sprachschatze, der nur aus dem Worte »Quatschkopp!« und dem Satze »da ist der Graf«, im tiefsten Bass gesprochen, bestand, machte er oft den treffendsten Gebrauch. Einmal war ein junger Mann bei Hühnchen zum Besuch, der im Begriff war, das Bauführerexamen zu machen, sich aber nicht recht getraute und deshalb Hühnchen um Rath fragen wollte. Dieser, der nicht der Meinung war, dass dieser Jüngling bereits die erforderlichen Kenntnisse besitze, stand mit ihm in der Nähe des Rabenkäfigs, strich seinen Bart und bemühte sich nachzudenken, wie er diese bittere Pille wohl am besten zu überzuckern vermöge, da tönte in diese tiefe Stille hinein plötzlich die Stimme des Raben Hoppdiquax: »Quatschkopp!« rief er ganz laut und vernehmlich. Der junge Mann fuhr entsetzt herum und entdeckte endlich den boshaften Vogel, der ihn mit einem Auge höchst verständnissinnig anblickte. Beschämt und kleinlaut wendete sich der Jüngling dann wieder zu Hühnchen und sagte von tiefer Selbsterkenntniss ergriffen: »Ich glaube, der Vogel hat Recht.« Er befestigte sich nun noch ein halbes Jahr in den Wissenschaften und hatte es dem Raben zu verdanken, dass er nachher nicht durchfiel. Irgend ein Mitglied der Hühnchenschen Familie hatte, so lange der Rabe im Hause war, stets einen verbundenen Finger, denn bei dem unverwüstlichen Glauben an die innere Güte jeglicher Kreatur, welche diesem Geschlechte eigen war, versuchten sie es immer wieder, durch zartes Entgegenkommen sein Herz zu gewinnen, wurden jedoch stets aufs Neue durch tückische Bisse in den vertrauensvoll vorgehaltenen Friedensfinger belohnt. »Ein räthselhafter Vogel!« pflegte Hühnchen oft zu sagen, nachdem er ihn lange sinnend betrachtet hatte. Einmal, als ich von einem Spaziergange nach Hause kam, fand ich Hühnchen noch ganz ergriffen über einen höchst gemeinen Friedensbruch, welchen sich dies Geschöpf, dessen Seele noch schwärzer war als seine Federn, hatte zu Schulden kommen lassen. Er berichtete mir Folgendes: »Sieh mal, vor Kurzem war der Steuerbote hier. Du weisst, wie sehr ich immer bemüht bin, diesem Manne sein schweres Amt zu erleichtern, dass ich ihn niemals warten lasse, sehr höflich bin und freundliche Gespräche mit ihm führe. Denn ich weiss, es giebt eine Unzahl von thörichten Leuten, welche es den unschuldigen Diener des Staates entgelten lassen, wenn er für sie unangenehme Vorschriften zur Ausführung bringt. Ueberall begegnet er unfreundlichen Gesichtern und harten Worten und sieht wer weiss wie oft den für den vermutheten Postboten bestimmten Sonnenschein der Gesichter bei seinem Anblick sich in drei Tage Regenwetter verwandeln. Denn keinen Menschen giebt es wohl, der einen Postboten hasst, den Steuerboten aber sieht Niemand gern. Und doch sind es meist tüchtige Beamte, in welche der Staat grosses Vertrauen setzt und Du kannst mir glauben, es sind manche darunter, die gerne die wenigen Groschen, welche sie der Armuth entreissen müssen, aus der eigenen Tasche bezahlen würden, wenn sie nur in der Lage dazu wären. Darum, lieber Freund, bin ich sehr zuvorkommend gegen diese Leute und habe schon oft etwas gesehen, dessen sich nur Wenige rühmen können, nämlich ein freundliches und behagliches Lächeln auf den Lippen eines Steuereinnehmers während der Ausübung seiner Pflicht. Also dieser Mann des Gesetzes kam, als ich gerade im Garten war und mich an den herrlichen Rosen freute, welche dieser Herbst uns noch bescheert hat. Frieda brachte ihn zu mir und zwar, wie es ihr von klein auf gelehrt worden ist, mit einer freudigen und strahlenden Miene, als sei es der gute Onkel aus Amerika und gleich bedachte ich, womit ich wohl seinem Herzen ein Vergnügen bereiten könne. Ihm eine jener schönen Rosen in's Knopfloch zu stecken, verwarf ich gleich, weil mir ein solcher Zierrath für seinen schweren Beruf nicht ganz angemessen erschien, doch gleich darauf fiel mir der Teller mit soeben gepflückten Weintrauben in's Auge, der auf dem Käfig des Raben stand. Der Steuerbote nahm die angebotene Erfrischung nach einigem Sträuben mit freundlichem Lächeln an, wählte sehr bescheiden die kleinste der Trauben, lehnte sich, dieselbe verzehrend, behaglich an den Rabenkasten und lobte ihre Süssigkeit, während ich aus meiner Geldtasche die nöthige Summe zusammensuchte. Wenn mich in dieser Angelegenheit ein Vorwurf treffen kann, so ist es der, dass ich nicht an Hoppdiquax und seine Tücke dachte. Doch plötzlich hörte ich zu meinem Schrecken seinen tiefen Bass: »Da ist der Graf!« sagte er plötzlich und ehe der Steuerbeamte sich noch erschrocken umsehen konnte, sprang er auch schon mit einem entsetzten Schrei in den Garten hinein, dass die schöne Traube in den Sand flog und griff dann unter schmerzlichen Geberden an seine Wade, während er sich zugleich nach dem Urheber dieses plötzlichen Angriffes umsah. Stolz und fast aufgeblasen über die herrliche Wirkung seines tückischen Bisses, stand Hoppdiquax da, rief ungeheuer ausdrucksvoll: »Quatschkopp!«, schlug dann mit den Flügeln und freute sich wie der Teufel, wenn Krieg ist, oder sonst seine Geschäfte gut gehen. Und sieh mal, das ist es, was mich schmerzt, nun bin ich bei dem Steuerboten in den Verdacht gemeiner berechnender Tücke gekommen, er betrachtete mich mit Geberden des Hasses und der Verachtung, brauchte harte Ausdrücke, welche ich nicht wiederholen will, und lehnte es ab, die übrigen Trauben für seine Kinder mitzunehmen. Mit einem Wurm im Herzen hat er mich verlassen.«

Aber trotz aller dieser Unthaten genoss Hoppdiquax dennoch bei dieser Familie jene stille mit Gruseln gemischte Achtung, welche man einem interessanten Verbrecher oder berühmten Räuber widmet und das Räthsel seiner schwarzen Seele beschäftigte sie vielfach.

Dann kam die Periode der weissen Mäuse. Auch in der Seele von Hans Hühnchen hatte sich die Thierliebhaberei entzündet, so dass er eine Zucht von weissen Mäusen anlegte. Diese fruchtbaren Thiere hatten sich ungemein vermehrt, brachen theilweise aus und begannen das Haus zu bevölkern. Zuerst ging es noch an und wir freuten uns, wenn Abends beim Schimmer der Lampe die schneeweissen Thierchen mit den rothen Augen zutraulich hervorkamen und auf dem Fussboden nach verlorenen Krümchen suchten. Nach einem Jahre aber waren sie schon gemeingefährlich geworden und man konnte keine Schrankthüre mehr öffnen, keine Schublade aufziehen, ohne dass nicht eins oder mehrere dieser zierlichen Thierchen daraus hervorgehuscht kamen. Ihre Wochenbetten fand man an allen möglichen und unmöglichen Orten, in Frau Lore's Wintermuff sowohl, als in der Tasche von Hühnchens Sommerüberzieher, und in der Speisekammer feierten sie Tag und Nacht Orgien, so dass Frau Lore die äussersten Listen anwenden musste, um ihre Vorräthe zu schützen. Denn sie assen Alles auf, was sie bekommen konnten und nährten sich sogar von Literatur, wobei sie eine grossartige Verdauungskraft bewiesen, denn sie verzehrten einen ganzen Band pessimistischer Gedichte, ohne den geringsten Schaden zu leiden. Eines Morgens, als Hühnchen aus seinem fast geleerten Tabakskasten seine Pfeife stopfen wollte, kam ihm eine weisse Maus zwischen die Finger, welche sich dort offenbar todt geniest hatte und später schwor Hühnchen auch, er sei in der Nacht einige Male aufgewacht und habe dann aus dem Wohnzimmer stets ein feines Niesen vernommen. Endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo ein gemeinsames Zusammenleben nicht mehr möglich war und entweder die Mäuse oder die Familie Hühnchen das Feld räumen mussten. Die Anschaffung einer Katze oder die Anwendung von Gift wurde von vorn herein als zu grausam und illoyal verworfen, denn da die Thiere nicht aus eigenem Antriebe gekommen, sondern ursprünglich aus der Zucht eines Familienmitgliedes hervorgegangen waren, so trugen sie an der Besiedelung des Hauses keine Schuld, und dass sie, dem von der Natur in sie gelegten Triebe zur Erhaltung ihres Geschlechtes folgend, sich so ungemein vermehrt hatten, konnte man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Mein Vorschlag, sie in Fallen zu fangen und dem Raben Hoppdiquax zur Speise vorzuwerfen, ward mit Unwillen zurückgewiesen, nicht anders als hätte ich die Absicht geäussert, einen boshaften schwarzen Teufel mit kleinen weissen Englein zu füttern, aber gefangen mussten sie doch werden und deshalb wurde alsbald ein zufällig des Weges kommender Slowake in Nahrung gesetzt und von ihm drei jener runden Fallen von Drahtgeflecht erstanden und in Betrieb gesetzt. Hans, der in solchen kleinen Arbeiten sehr geschickt war, hatte bereits vorher eine Anzahl kleiner zierlicher Gitterkäfige angefertigt, um die Jagdbeute unterzubringen, und dies war höchst weise von ihm gehandelt, denn das Fangergebniss des nächsten Morgens betrug zusammen siebenzehn weisse Mäuse, welche ängstlich ihre rosigen Pfötchen an dem Drahtgitter in die Höhe gehen liessen, gleich als flehten sie um ihre Freiheit. Abnehmer fanden sich glücklicher Weise unter den Schulkameraden und Gespielen der Kinder genug und da die Aufnahmefähigkeit für weisse Mäuse von Steglitz und Umgegend sich Gott sei dank grösser erwies als die Vermehrungskraft dieser Thiere in der Hühnchenschen Wohnung, so hatten wir endlich Ruhe und es fanden sich bald nicht mehr Mäuse in unsern Räumen als es für ein so altes verbautes Häuschen angemessen und stilvoll ist.

Unter solchen kleinen harmlosen Abenteuern, deren jede Woche neue und andere brachte, verging die Zeit, während wir beiden Männer alltäglich mit der Bahn in die Stadt fuhren, um unseren Geschäften obzuliegen und die Kinder auf dieselbe Weise ihre Schulen besuchten und allmählig heranwuchsen. Wenn ich in der Stadt auf meinem etwas öden Bureau sass, dachte ich immer mit Behagen an meine freundlichen beiden Zimmer, in denen jetzt einsamer Vogelgesang und Blumenduft war, an den Blick aus meinem Fenster auf den wunderlich kleinen Garten mit den vielen winzigen Beeten und seinen zwei Obstbäumen und an das warme Hühnchennest, in welchem freundliche gute Menschen hausten mit dem Talent zum Glücke, wie es in dieser habgierigen Zeit so selten ist. Ich konnte mir kaum eine angenehmere Lebensweise denken als diese und war auf dem besten Wege, dort ganz mich einzuspinnen und allmählig ein behaglicher alter Junggeselle und Hühnchenscher Familienonkel zu werden. Ich war allerdings noch garnicht so alt, wie man wohl aus dem Grunde annehmen mag, weil mein Studienfreund Hühnchen nun bald eine erwachsene Tochter hatte. Dieser war spät zum Studium gekommen wegen mangelnder Mittel, und als ich mit achtzehn Jahren nach Hannover kam, da befand er sich bereits in den letzten Semestern und bald nachher hatte er sich verheirathet. Mir war hierzu nun auch wohl öfter Gelegenheit geboten worden, allein leider hatte sich die Sache immer gekreuzt. Wenn mich ein weibliches Wesen sehr gern hatte, so sträubte sich Alles in mir, diese Neigung zu erwidern und mochte ich eines wohl leiden, so nahm es sicher einen anderen, es wollte eben nie klappen. Auch in solchen Dingen kommt es auf angeborene Begabung an, der eine nimmt ein Weib, wenn die Zeit gekommen ist, ohne weitere Mühe und Nachdenken, der andere grübelt sein Leben lang über diese schwierige Sache, bis die Zeit verpasst ist. Ich glaube aber, es giebt geborene Junggesellen, welche eine vorsorgliche Schöpfung schon in der Wiege für den nützlichen Beruf eines Erbonkels bestimmt hat.

So lebte ich mit der Familie Hühnchen behaglich weiter und wir feierten die Feste wie sie fielen und das wollte etwas sagen, denn Hühnchen verstand es, aus Allem ein Fest zu machen. Wenn im Garten das erste Veilchen kam, so gab es eine kleine Feier und das bescheidene blaue Blümchen stand in einem feinen geschliffenen Gläschen als festlicher Schmuck auf dem Mittagstische, ward herumgereicht und bewundert und eine Flasche Saurer dazu getrunken. Für gewöhnlich gab es bei Tisch nämlich keinen Wein, allein Hühnchen hatte einen harmlosen und unschädlichen Moselwein im Keller und war unerschöpflich, neue Veranlassungen zu erfinden, um eine Flasche davon herauf zu holen. Wir feierten den ersten Storch, die erste Schwalbe, die ersten Radieschen, die erste Rose und die ersten Erdbeeren. Diese sogenannten Erstlingsfeste waren unzählig, ich erinnere mich, dass uns das Fliegenschnäppernest, welches alljährlich in dem Weinspalier vorhanden war, stets zu drei Feiern verhalf, einmal, wenn das erste Ei darin lag, einmal, wenn die Jungen auskrochen und einmal, wenn sie glücklich ausgeflogen waren. Sehr festlich, ward die Baumblüthe durch eine Vorfeier in Steglitz mit nachfolgendem Ausflug nach den ganz in schimmerndem Blüthenschnee stehenden Sandbergen des Städtchens Werder begangen und von den verschiedenen Erntefesten habe ich die Weinlese bereits früher geschildert. Geburtstage wurden natürlich besonders grossartig begangen und dabei selbst der böse Hoppdiquax nicht vergessen. Als den ohngefähren Tag, an welchem die Raben aus dem Ei kriechen, hatte ich den ersten April festgestellt, so dass dieses Unglücksthier den Vorzug genoss seinen Geburtstag mit unserem grossen Kanzler am gleichen Datum zu feiern. Am Morgen dieses Tages erschien ich mit der Familie Hühnchen zur Gratulation und es ward ihm als Angebinde eine todte Ratte mit einer blauen Seidenschleife um den Hals überreicht. Diesen Leckerbissen ergriff er sehr begierig, jedoch ohne besonderen Dank zu äussern, trug ihn in seine Lieblingsecke und betrachtete ihn sehr andächtig, erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge. Darauf sagte er sehr befriedigt: »Da ist der Graf!« und begann die Ratte aufzuessen. Das blaue Bändchen aber liess er liegen. Des Mittags gab es natürlich Sauern und ein schönes Lied ward gesungen auf Hoppdiquax nach der Melodie aus Zar und Zimmermann. Es lautete:


Heil sei dem Tag an welchem er bei uns erschienen,
Dideldum, dideldum, dideldum!
Es ist schon lange her,
Das freut uns um so mehr!

Wir konnten keinen schwärzren Schurken finden,
Dideldum, dideldum, dideldum!
Drum kam er selber her.
Das freut uns um so mehr!



Aber nach allen diesen kleinen lustigen Feierlichkeiten, welche zum Theil allerdings in das Gebiet des höheren Blödsinns hinüber schweiften, uns aber desto mehr Vergnügen machten, kam auch eine ernsthafte heran, nämlich das Fest der Konfirmation der beiden Kinder, das in Berlin stattfand bei einem, Hühnchen besonders befreundeten, Prediger. Hans war jetzt Sekundaner und Frieda ein hübsches Mädchen von blühender Gesundheit und ihr Antlitz trug jenen Ausdruck von sanfter Güte und Herzensreinheit, welche das beste Erbtheil von ihren Eltern war. Als sie in ihrem schwarzen Kleide mit dem kleinen Veilchensträusschen in der Hand schlank und demüthig vor dem Altare stand, da hob sich dieses liebliche Blumengesicht anmuthig von allen den anderen hervor, welche theils Züge von Selbstbewusstsein, oder unangenehmer grossstädtischer Pfiffigkeit und Frühreife und nur selten jene selig in sich selbst schwimmende Unschuld zeigten, welche diese Jahre so reizend macht. Und in die Betrachtung dieser reinen, blühenden und kindlichen Jungfrau vertieft, dachte ich, derjenige müsste ein seliger Mann sein, welcher dieses gute und schöne Menschenkind einmal sein eigen nennen dürfe.



III. Um die Sommersonnenwende.



Von nun ab hatten wir kein Kind mehr, sondern ein junges Mädchen im Hause. Nichts ist sonderbarer als die Schnelligkeit, mit welcher ein solches Wesen in einem gewissen Alter plötzlich erwachsen ist. Gestern noch im kurzen Kleide hüpfte es ausgelassen und kindlich umher, heute trägt es ein langes, wandelt mit sittigen Schritten und ist ein ganz anderes Geschöpf geworden, Alles durch ein paar Zoll Wollenstoff. Aber auch sonst hatte sich Manches verändert, zuerst langsam und unmerklich und dann fühlbarer. Als Frieda noch das sorglose Kind war, kam sie des Abends bei'm Gute-Nachtsagen, schlang die Arme um meinen Hals und küsste mich mit den reinen unbewussten Kinderlippen. Die Sitte, sich also von dem lieben Onkel und Hausgenossen zu verabschieden, blieb auch als sie grösser wurde und ich weiss nicht mehr genau, wann ich zum ersten Male empfand, dass nicht mehr der Mund eines Kindes, sondern der eines jungen Weibes den meinen berührte. Dann kam einmal ein schöner langhindämmernder Juniabend. Wir hatten alle in der Laube gesessen und anfangs den Fliegenschnäppern zugesehen, wie sie von den Stäben der hochstämmigen Rosen aus in die von der sinkenden Sonne durchschimmerte Luft tauchten, um spielende Mücken zu fangen, hatten sodann dort unsere Abendmahlzeit eingenommen, während das Gelärm spielender Kinder aus der Ferne schallte und einzelne Sterne heimlich am blassen Himmel zu blinken begannen. Dann hatten wir den Fledermäusen zugeschaut wie sie schwankenden Fluges den Nachtschmetterlingen und Käfern nachstellten, die mit summendem Ton durch die weichen Abendlüfte irrten und allmählig war unser Gespräch ganz eingeschlafen. Dann war Hühnchen fortgegangen um das Haus zu schliessen, Frau Lore um noch Einiges in der Wirthschaft zu besorgen und Hans, der noch einmal in seine Schulaufgaben blicken wollte, so dass ich allein in der Laube sass, während die schimmernde Gestalt Friedas in dem dämmernden Garten sichtbar war, wie sie zuweilen zu den jungaufgeblühten Rosen sich niederbeugte um aus ihnen den Duft des Sommerabends einzuathmen. Plötzlich stand sie vor mir um mir gute Nacht zu sagen. Sie trug ein helles Kleid, das mit zarten kleinen Blümchen überstreut war und hob sich schimmernd ab von dem dunklen Hintergrunde des Buschwerkes. War es nun der Hauch holder Weiblichkeit, der von ihr ausging, war es die Stimmung dieses sanften träumerischen Abends, mich überkam der Zauber dieser Stunden, unwillkürlich erhob ich mich, schlang sanft meinen Arm um die zärtliche Gestalt und küsste sie auf den holden hingebenden Mund, den noch ein Hauch der jungen Rosendüfte zu umschweben schien. Sie löste sich sanft erröthend aus meinem Arme, sah eine Weile wie verwirrt und verwundert vor sich hin und ging dann schnell und leise fort; bei dem ungewissen Dämmerlichte schien es, als entschwebe sie mir. Seit diesem Abend küssten wir uns nicht wieder.

Ich bin zwar fest überzeugt, dass ich gleich meinem Freunde Leberecht Hühnchen innerlich niemals ganz alt werden und immer ein Stückchen Kind bleiben werde und diese, vielen Menschen, die niemals jung waren, verächtlich erscheinende Eigenschaft, machte einen grossen Theil meines Glückes aus, aber ich konnte mir doch nicht verhehlen, dass ich achtunddreissig Jahre alt war und es nicht mehr nöthig hatte, mir einen Scheitel zu kämmen. Aber ich glaube auch, dass uns in solchem Alter der Hauch holder weiblicher Jugend am lieblichsten anweht und mit allen Kräften suchte ich Gedanken zu unterdrücken, welche berauschend auf mich einstürmten und mich verlockten in ein schönes Reich, wie sehnsüchtige Waldhornklänge rufen zu grüner sonniger Waldeinsamkeit. Nein, das Reich der Jugend war zugeschlossen und der Schlüssel auf ewig versenkt in das Meer der Vergessenheit. Jedoch als wir an einem der nächsten Morgen bei'm Kaffee sassen machte Hühnchen einen seltsamen Angriff auf mich. Dies war immer eine behagliche Stunde; bevor wir zusammen in die Stadt fuhren, sassen wir einander gegenüber und hatten unser Vergnügen an Hänschen dem Kanarienvogel, der um diese Stunde aus seinem Käfig gelassen wurde und mit bewundernswürdiger Zahmheit sich bei uns herumtrieb. Er hatte sich gewöhnt in dieser Zeit auf einer unserer bis zum Hinterkopf fortgeschrittenen Stirnen zu sitzen, und dadurch zu diesem Thema fühlbar angeregt, war es ein ständiger Lieblingsscherz von Hühnchen, die Frage zu erörtern, auf welche der drei gebräuchlichsten Arten uns beiden wohl die Zierde unseres Hauptes verloren gegangen sei, ob wir sie uns abgedacht, abgeärgert oder abamüsiert hätten, oder wodurch sonst wohl die Zeit, dieser grausame Indianer, bewogen worden sei, uns so vorzeitig zu skalpieren. Während solcher anmuthiger Gespräche ward Hänschen durch zeitweiliges Vorneigen des Kopfes bewogen immer von einem Scheitel zum andern zu fliegen, so dass wir gleichsam eine Art Billard mit ihm spielten, ein Anblick, an welchen die Familie Hühnchen gewöhnt war, der jeden Fremden aber mit der höchsten Verwunderung erfüllte.

Als wir nun also einmal wieder am Sonntag Morgen, behaglich, weil keine Pflicht uns rief, also beim Kaffee sassen und Hänschen mit uns von Mond zu Mond spielte, da sagte Hühnchen mitten aus dem tiefsten Nachdenken heraus, während er dem Kanarienvogel einen kleinen Schubs gab, dass er flatternd zu mir sich herüberwendete: »Sage mal Freund, willst du dich eigentlich nie verheirathen?«

»Nein, verehrter Leberecht!« erwiderte ich, Hänschen veranlassend auf das gegenüberliegende Hochplateau wieder zurückzukehren.

»Uns natürlich«, sagte Hühnchen, »kann das nur angenehm sein. Wir behalten dich gern bei uns bis an das Ende aller Dinge, aber wir denken an dich. Du bist nun achtunddreissig Jahr alt, da wird es hohe Zeit. Denke daran, was der alte Daniel Siebenstern damals zu dir sagte, als er dir seinen Sarg zeigte und sich darüber ausliess wie traurig es ist, wenn unser Blut verrinnt gleich dem Quell im Sande der Wüste. Lore und ich haben gestern Abend wohl eine Stunde darüber gesprochen und meinen beide, dass es gut ist. Wir wissen auch Jemand für dich!«

Ich ward aufmerksam auf ein Geräusch, das von Frieda ausging, die am Fenster sass und nähte. Als ich aufblickte fand ich sie jedoch tief über ihre Arbeit gebeugt, als achte sie auf weiter nichts in dieser Welt als die Stiche ihrer Nähnadel. Ich muss gestehen, dies Gespräch erregte mich ein wenig, allein ich sagte so gleichgültig wie möglich: »Nun, wen habt ihr mir denn bestimmt?«

»O«, sagte Hühnchen, »ein sehr nettes Mädchen, nicht zu jung für dich, aber noch sehr hübsch und ansehnlich. Sie hat auch ein wenig Vermögen und nimmt dich auf der Stelle, darauf will Lore einen Schwur leisten. Ich glaube du ahnst es schon?«

»Ich ahne garnichts«, sagte ich, obwohl mir bereits aus dem Nebel der Ungewissheit die Gestalt einer Dame hervordämmerte, welche man mir immer und überall als Tischnachbarin zu geben pflegte. Mir war das stets sehr angenehm gewesen, weil sie die Kunst der Unterhaltung verstand und mir, der ich in dem Fache des gesellschaftlichen Geschwätzes über Nichts und Alles wohl stets ein Laie bleiben werde, desshalb sehr bequem war.

»Fräulein Dorette Langenberg!« sagte Hühnchen meinen Verdacht bestätigend. Ich schwieg eine Weile und es war ganz still im Zimmer. Dann sagte ich: »Lieber Freund Hühnchen, ich erkenne eure Liebe und Theilnahme wohl an, aber ich bitte euch mich nicht ferner zum Gegenstand solcher wohlgemeinter Pläne zu machen. Ich habe mir die Sache begeben, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich bin gesonnen in Ruhe und Frieden ein guter alter Onkel zu werden und bitte mich in diesem Vorhaben nicht zu stören. Fräulein Dorette Langenberg hat zwar eine wunderschöne Hand, aber sie mag einen andern damit beglücken. Ich habe die Zeit verpasst und den Anschluss versäumt, lieber Freund und nun ist es zu spät. Für die Apfelblüthen bin ich zu alt und die reifen Borsdorfer mag ich nicht. Das ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.«

Obgleich ich es vermeiden wollte, veranlasste mich doch eine seltsame Bewegung am Fenster nach Frieda hinzusehen. Ihre Augen waren gross und voll auf mich gerichtet mit einem Ausdruck, den ich nicht zu schildern vermag. Wenn man von einem Menschen, der keine Muskel bewegt, sagen darf, er schüttele mit dem Kopfe, so war es das, was in diesem Blick lag. Dann erwachte sie gleichsam, nahm tief erröthend ihr Nähzeug zusammen und verliess leise das Zimmer.

Hänschen war, seines Spieles müde, freiwillig in den Käfig zurückgekehrt und füllte die Stille des Zimmers nun mit schmetterndem Gesang; Hühnchen reichte mir seine Hand über den Tisch und nickte wohlwollend und damit war die Sache abgemacht. Während nun aber der Kanarienvogel also thätig war, setzte er plötzlich mit seinem ungeheuren Triller ein, der von Jahr zu Jahr sich verlängerte, so dass man kaum zu begreifen vermochte, wo das winzige Thier den nöthigen Athem herholte. Dieser Triller war Hühnchens Stolz und er pflegte den Vogel durch ein ermunterndes: »Na, na!« dabei zu seiner Leistung anzufeuern. Heute übertraf Hänschen aber Alles, was je dagewesen und als er endlich fertig geworden, hängte er noch einen eleganten Schnörkel als Verzierung an, gleichsam um zu zeigen, dass er immer noch einen Vorrath von Athem habe.

»Heiliger Brehm!« sagte Hühnchen, »dieser Triller muss wirklich auf die Ausstellung. Jetzt ist er schon bedeutend länger als die Friedrichsstrasse; er geht die Chausseestrasse und Müllerstrasse entlang bis über den Wedding hinaus und ist auf dem Wege nach Tegel. Gut, dass ich auf Tegel komme. Zum Johannistag in nächster Woche, wenn mein Urlaub beginnt, sind wir eingeladen von Dr. Havelmüller nach Tegel in seinen Garten. Ich denke, wir werden grossartig auftreten und uns einen Wagen nehmen, damit wir unterwegs machen können, was wir wollen.«

Dieser Plan erfüllte mich mit stillem Vergnügen, denn Dr. Havelmüller war mein lieber Freund und seine drolligen Einfälle pflegten eine solche Unternehmung stets zu einer absonderlichen Gemüthserheiterung zu gestalten. In Berlin als Chemiker und Redakteur vielfach thätig, war er ausserdem mit den verschiedensten Talenten ausgestattet und zeichnete sich auf so verschiedenen Gebieten aus, dass mancher Mensch von geringeren Ansprüchen sich wohl schon mit einem Theile dieser Vielseitigkeit begnügt haben würde und vielleicht stolzer gewesen wäre auf dieses eine Talent als der in seinem geistigen Reichthum bescheidene Mann, der sich niemals genügte, weil er an Alles einen hohen Massstab zu legen gewohnt war. Einen besondern Ruhm genoss er als Leiter und Veranstalter von Künstlerfesten und öffentlichen Aufzügen, für welche Unternehmungen ihm sein beweglicher Geist, seine grosse Belesenheit, seine vielseitigen Talente und eine ruhlose Arbeitskraft besonders befähigten. Aber seltsamer Weise war diesem Trieb sich im schäumendsten Leben und buntesten Wirbel zu bethätigen ein ebenso tiefer Hang zur Einsamkeit gesellt, verbunden mit einer innigen Freude am Kleinen und Einfachen. Derselbe Mann, der hinter den Reagenzgläsern seines Laboratoriums tüchtig und thätig war und zugleich technische und andere Zeitschriften redigirte, der unter Umständen die Seele rauschender und bunter Feste oder der Mittelpunkt humoristischer Vereinigungen war, zog sich mit besonderer Vorliebe, wenn seine Zeit es irgend erlaubte, an den Abenden der besseren Jahreszeit nach Tegel zurück, wo er eine gepachtete Sandscholle in einen sehr wunderlichen Bauergarten verwandelt hatte und in einer höchst absonderlichen kleinen Bretterhütte übernachtete, um am andern Morgen in der Frühe frisch gekräftigt in das Gebrause der ungeheuren Stadt zurückzukehren. Dort in Tegel lebte er in seiner eigenen Welt, die von der übrigen durch ein paar dünne Drähte abgezäunt war, dort pflanzte er Kartoffeln, Zierbohnen und Tomaten, säete bunte altmodische Sommerblumen und aquarellirte unermüdlich Sonnenuntergänge, welche in Tegel bekannter Weise in unübertrefflicher Qualität gedeihen, dort machte er Verse oder komponierte ein Liedchen oder erfand zu dem selber zubereiteten Abendessen neue Gerichte, von welchen der »Tegel-Kaviar«, und die »Tegel-Stippe«, zu besonderem Ruhme gelangten.

Die Familie Hühnchen und ich vereinigten uns in dem Wunsche, der Johannistag möge in diesem Jahre mit ungetrübtem Glanze sich zeigen, denn wir alle versprachen uns von diesem Ausfluge ein Vergnügen nicht gewöhnlicher Art.

Die Tage bis dahin verrannen unter den gewohnten Beschäftigungen und kleinen Erlebnissen, doch ich war nicht der Alte mehr. Mir sass »ein ungeberdig Mutterkind im Kopf«, nur dass die Bezeichnung »ungeberdig« nicht recht passen wollte, denn dies Wesen war so sanft und gut wie ein Lämmlein und so anmuthig wie eine stille Blume, die es selbst nicht weiss. Wir gingen nebeneinander her und sahen uns nicht an, nur heimlich blickte ich nach ihr, hinter den Gardinen versteckt, wenn sie in dem kleinen Garten sich zu thun machte. Wie ein holder Schein umschwebte mich die sanfte Gestalt, wo ich ging und stand, mitten aus den schwierigsten Rechenexempeln tauchte plötzlich das zärtliche rosige Antlitz hervor und verwirrte meine Gedanken. Welch' wunderliches Räthsel der Natur, dass uns Alles was lieblich und schön, kostbar und begehrenswert vorkommt in den zarten Umkreis eines weiblichen Körpers gebannt sein kann, dass eine Bewegung, ein Lächeln uns entzückt, welches Niemand sonst beachtet, dass in einem mit Menschen gefüllten Saale uns alle anderen wie leere Larven erscheinen, und nur dies eine holde Geschöpf des warmen Lebens voll.



IV. Nach Tegel.



Als wir nach einer lustigen Fahrt gegen Mittag in Tegel anlangten, hielt unser Wagen an der Strasse, welche von dem »Seeschlösschen« genannten »Wirthshause weiter ins Dorf führt, zum geringsten Theile aber erst mit Häusern bebaut ist. Dort erhob sich gleichlaufend mit dem Wege in einiger Entfernung ein Bretterzaun, den an seinem Ende das Dach einer kleinen Bretterbude nur um ein Geringes überragte. An dieser Stelle sah man in den Zaun ein mit weissen Gardinen verziertes Fensterchen eingeschnitten; die übrigen drei Seiten des Gartens waren einfach durch gespannte Drähte von der profanen Aussenwelt abgegrenzt. Herr Doktor Havelmüller stand an der Eingangsthür, wo er uns erwartet hatte und kam nun an den Wagen, um den Damen beim Aussteigen behülflich zu sein. Er war ein mittelgrosser etwas beleibter Herr in Wollenkleidung und trug einen breiten schwarzen Filzhut. Sein Haupthaar, sein Schnurr- und sein etwas breiter Knebelbart waren schon ergraut und aus dem bräunlich getönten Gesichte schauten durch eine goldene Brille zwei gutmüthige aber etwas melancholische Augen. Eine Eigenthümlichkeit von Dr. Havelmüller war, dass er fast nie lachte, sondern auch die grössten Tollheiten und lustigsten Sachen mit einem wehmüthigen Tone und sorgenvollem Gesichtsausdruck vorbrachte, wodurch die Wirkung solcher Spässe bedeutend erhöht wurde. Ganz entgegengesetzt pflegte es mein Freund Kleemeier zu machen, der schon im Voraus von der lustigen Wirkung seiner Geschichten so überzeugt war, dass er sie vor Lachen kaum von sich geben konnte, nachher aber regelmässig vergessen hatte, worauf es ankam, die Pointe schuldig blieb und seine geduldigen Zuhörer mit dem Schwur trösten musste, er wisse zwar nicht mehr genau wie, aber es sei unendlich komisch gewesen.

Herr Dr. Havelmüller sagte, während wir auf den Garten zugingen, und er, die geöffnete Thür in der Hand, uns zum Eintritt aufforderte: »Habt Dank, lieben Freunde, dass ihr der Einladung eines armen Einsiedlers gefolgt seid, tretet ein in seine dürftige Hütte und nehmt vorlieb mit seiner geringen Bewirthung.« Wir gingen nun den Steig entlang zwischen dem mit wildem Wein und anderen Rankgewächsen überzogenen Plankenzaun und einer kleinen Gebüschanlage, welche den zur Bewässerung des sandigen Bodens dienenden abessinischen Pumpbrunnen umgab, und gelangten an die sonderbare kleine Bretterhütte; deren Dach so niedrig war, dass man es bequem mit der Hand erreichen konnte. Vor der Eingangsthür war eine Art von Veranda höchst primitiv aus Pfählen und Brettern zusammengeschlagen und innen befanden sich zwei winzige Räume, deren einer als Wohn- der andere als Schlafzimmer diente. In letzterem war gerade so viel Platz, dass neben dem mit einer grünen Friesdecke behängten Feldbette ein schmaler Gang frei blieb und ein uralter Mahagonieckschrank Platz fand, der Gläser und Geschirr und allerlei Sonderbarkeiten enthielt. Auf diesen Schrank zielte eine Inschrift, welche über der Thüre des Schlafzimmers angebracht war, und Bezug nahm auf solche Leute, welche vielleicht in die Versuchung kamen, dem Häuschen bei der häufigen Abwesenheit des Besitzers einen gewaltsamen Besuch zu machen. Sie lautete:


»Am Einbrechen und Plündern
Kann ich Niemand verhindern.
Gott verzeih' ihm die Sünde . . . .
Der Schnaps steht im Spinde!«



»Der Schnaps steht auch wirklich da,« sagte Dr. Havelmüller geheimnissvoll und wehmüthig, »er schmeckt auch sehr gut, aber er ist mit einigen äusserst drastischen Mitteln versetzt. Mit diesem Trank im Leibe wird ein Jeglicher weniger Helena in jedem Weibe sehen, als vielmehr sich veranlasst finden, die Gesellschaft der Menschen zu fliehen und in der tiefsten Einsamkeit mit den unterirdischen Göttern Zwiesprache zu halten.«

In dem Wohnzimmer stand zur Zeit ein gedeckter für die Mittagsmahlzeit vorbereiteter Tisch, die Stühle aber waren einstweilen hinausgestellt, weil sonst Niemand sich dort zu bewegen vermocht hätte. Diesen Raum hatte Dr. Havelmüller mit liebevoller Nachdenklichkeit ausgestattet. Weiss der Himmel, wo in welchem vergessenen Erdenwinkel er diese Wandtapete aufgetrieben hatte. In den Ranken von unmöglichen Schlingpflanzen hockten unglaubliche gelbe Vögel, welche offenbar die Masern hatten, denn sie waren über und über roth gesprenkelt und jeder dieser Vögel schnappte nach einem bei der Schöpfung vergessenen Schmetterling, von dessen Aussehen einzig und allein diese Tapete Kunde gab. Die Decke dagegen war mit einem anderen Erzeugniss des Kunstgewerbes beklebt, auf welchem sich ungeheure Massen von Rosen, Vergissmeinnicht und anderen gefühlvollen Blumen befanden. An den Wänden zeigten sich schöne Bilder und Schaustücke von jener Art, wie man sie in weltentlegenen Dorfwirthshäusern und einsamen Jägerwohnungen findet, unter anderem eins jener geheimnissvollen Kunstwerke, auf welchen man entweder die Wörter Glaube, Liebe oder Hoffnung liest je nachdem man die Stellung verändert. Da befand sich unter Glas in schönem Goldrahmen eine verblichene Stickerei auf Seide, eine Rose darstellend mit der Unterschrift: »Aus Liebe von deiner Amalie.« Da war die farbige Lithographie eines Brautpaares, er lang und schlank im glänzenden Frack und weissen anliegenden Beinkleidern, blank gescheitelt mit grossen schwarzen Verführeraugen und einem Schnurr- und Kinnbärtchen wie aus lakirtem Ebenholz, sie zart und schmachtend mit einer Taille von übermenschlicher Ausdehnung, langen Röhrenlocken, einem Mündchen wie ein Zwanzigpfennigstück und einem in Milch gekochten Vergissmeinnicht-Blick und dergleichen schöne Dinge mehr. Das Glanzstück aber aller dieser Wandverzierungen bestand in einer Oelskizze, die von einem bekannten Berliner Maler herrührte und eigens für diese Einsiedelei gestiftet worden war. Das Bild in übertriebenem Hochformat, trug die Unterschrift: »Das Räthsel des Lebens«, und stellte eine Sphinx dar, die weinend auf einem Baume sass, während ein Todtengerippe, ein blutendes und brennendes Herz zu ihr emporhaltend, den Stamm hinaufkletterte. Zu Füssen des Baumes sass eine weibliche verhüllte Gestalt mit einem Thränenkruge, während im Hintergrunde aus dunkelblauem Himmel ein rothgelber Mond zwischen düstern Cypressen hervorschien. Dieses Bild war Dr. Havelmüllers grösster Stolz. »Seht, liebe Freunde,« sagte er, »das nenne ich wahre Tiefe. Eine unendliche Deutsamkeit liegt in dieser Darstellung und doch hat noch niemals Jemand ihren Sinn ergründet. Kürzlich war Dr. Spintifex aus Berlin hier, der am Museum angestellt ist und vom Staat dafür bezahlt wird, Tag und Nacht über die alten langweiligen Bilder nachzudenken, die sie da aufgehängt haben. Um ein Uhr Nachmittags sah er zuerst dies Bild, verankerte sich davor und nahm es mit allen seinen Geisteskräften in Angriff. Um zwei Uhr, als ich wieder nachsah, waren seine Augen stier auf dasselbe gerichtet, und man sah wie sein Gehirn mit Pferdekraft arbeitete. Um drei Uhr hatte er den Kopf zwischen die Knie gesteckt und wühlte mit beiden Händen in seinen strähnigen Haaren. Gegen vier Uhr legte ich ihm ein nasses ausgewrungenes Handtuch um die Stirn, und um Fünfe herum holte ich zu diesem Zwecke Eis vom Seeschlösschen. Da er aber gegen sechs Uhr trotzdem anfing zu deliriren, so brachte ich ihn mit sanfter Gewalt auf die Pferdebahn und nach Hause, wo er sich sofort in's Bett legen musste, und seine Wirthin ihm Kamillenthee kochte. Vierzehn Tage später begegnete ich ihm auf der Strasse, allein er kannte mich nicht, hielt sich selber für ein Skelett und wollte nach der Anatomie, um sich neue Rippen einsetzen zu lassen. Augenblicklich befindet er sich in einer Kaltwasserheilanstalt. Wenn ich Euch rathen soll, lieben Freunde, so hütet Euch wohl, über dies Bild nachzudenken.«

Während Dr. Havelmüller dergleichen fast unglaubliche Dinge in die Thüre hinein erzählte, stand er draussen in der sogenannten Veranda, an einem Petroleumkochapparat, auf welchem allerlei Konserven-Gerichte schmorten und nach einer kurzen Weile erklärte er, das Essen sei fertig. Die Stühle wurden hineingeschafft und als wir alle sassen, war der Raum so voll, dass selbst der Suppenkaspar aus dem Struvelpeter in seinem letzten Lebensstadium sich nicht hätte hinter unseren Stühlen mehr durchschlängeln können. In diesem Augenblick schlug Dr. Havelmüller mit gutgespieltem Schrecken sich an die Stirn, denn ich bin überzeugt, er hatte es absichtlich so weit kommen lassen, um die holde Ursprünglichkeit seiner Einrichtungen besser in's Licht zu setzen und rief: »Ach leider muss ich die Herrschaften noch einmal bemühen, denn ich habe vergessen, in meinen Weinkeller zu steigen!«

Mit grosser Mühe schoben wir Stühle bei Seite und drängten uns in die Winkel, während Dr. Havelmüller eine lose Fussbodenplanke aufhob und darunter einige Weinflaschen hervorholte. »So,« sagte er dann, während er diese entkorkte, »nun bitte ich, lieben Freunde, langt zu. Erster Gang: Tegel-Kaviar.«

Wir nahmen alle von dem merkwürdigen Gericht, in welchem eine Anzahl von Kapern das einzig Erkennbare waren, strichen es auf Semmelscheiben und fanden es von hohem Wohlgeschmack. Frau Lore's hausmütterlicher Sinn regte sich und sie fragte nach der Herstellung dieses merkwürdigen Gerichtes.

»Ich wollte Sie ja mit ächtem Kaviar bewirthen,« sagte Dr. Havelmüller traurig, »frisch, grau, grosskörnig, rollend, schwach gesalzen, wie er sein muss und habe den Tegeler Fischer gebeten, mir einen Stör zu fangen, einen guten Rogener, und wenn er drei Mark kosten solle. Der Mann hat mir aber kein Verständniss entgegengebracht. Als ich fort ging, hörte ich ein beleidigendes Lachen und als ich mich schüchtern umsah, bemerkte ich, wie der Fischer mit seinem Finger an der Stirn zu seiner Frau Geberden machte, welche fast einer schweren Injurie gleich kamen. Es war also nichts, aber ich dachte: »Ein Genie geniert sich nie und das Talent weiss sich stets zu helfen«, und in einem glücklichen Augenblick erfand ich den Tegelkaviar. – Sie nehmen, verehrte Frau, auf drei Oelsardinen feinster Marke eine Sardelle, zerhacken Alles sehr fein, mischen es mit etwas Sardinenöl und einigen Kapern und der Tegelkaviar ist fertig. Sie sehen, einfach wie alle wirklich grossen Erfindungen.«

Das Essen nahm seinen Fortgang und bestand aus allerlei in Blechbüchsen conservirten Gerichten, welchen der Doktor durch geschickte Zuthaten einen besonderen Wohlgeschmack ertheilt hatte. Wir waren ungemein lustig, obwohl in dem engen Raume bald eine grosse Wärme sich entwickelte. Als unser Wirth merkte, dass Frau Lore sich mit der Serviette das erhitzte Antlitz fächelte, verklärte ein sanfter Schein seine Züge und er sagte: »Nicht wahr, Frau Hühnchen, Sie leiden von der Hitze? Dem wird bald abgeholfen sein; ich werde die Ventilation in Thätigkeit setzen.«

An der einen Bretterwand befand sich ein Astloch, dessen Kernzapfen allmählich eingetrocknet war und lose in seiner Oeffnung sass. Dieser Zapfen war an einem Stückchen Leder befestigt, so dass er sich wie ein Fensterchen bei Seite klappen liess und so die Oeffnung des Astloches frei machte. Als Hühnchen so ganz unvorbereitet dieser wundervollen Ventilationsvorrichtung ansichtig wurde, gerieht ihm vor freudiger Ueberraschung ein Krümchen in die falsche Kehle, so dass er Minuten brauchte, um wieder zu sich zu kommen. Nachher sagte er, wenn er heute noch einmal so etwas Glanzvolles zu sehen bekäme, so würde es sein Tod sein. Solche Anerkennung that Dr. Havelmüller wohl, er sah mit liebevollen Augen auf seine Ventilationsklappe und streichelte sie.

Nach dem Essen besahen wir den Garten. »Als ich ein Kind war,« sagte unser Wirth, »lebte ich in beschränkten Verhältnissen, aber wir hatten ein kleines Haus mit einem Garten dahinter. Dort blühte und duftete der Lavendel in blauen Polstern und andere gewürzige Kräuter wie Salbei, Majoran und Marienblatt. Dort gab es brennende Liebe, weisse Lilien, wohlriechende Nelken und einen Flor von Sommerblumen, die heute aus der Mode und vergessen sind, alles hervorgewachsen aus geschenkten Samen, von Familie zu Familie ausgetauschten Zwiebeln und erbetenen Stecklingen. Eine grüne etwas rauhe Sorte von Stachelbeeren wuchs dort von köstlichem Geschmack. Sie ist jetzt auch fast vergessen und verdrängt von den faden grossen englischen Riesenbeeren, die nach garnichts schmecken. Nach solchem Garten, der mein Kinderparadies war, habe ich mich zeitlebens gesehnt und von ihm geträumt und da er sich in Berlin nicht verwirklichen liess, habe ich es gemacht wie der alte Mohamed und weil der Garten nicht zu mir kam, so bin ich zu ihm nach Tegel gegangen. Hier hat aber mein Leben mich bereits bei Manchen in schlechten Ruf gebracht. Einige der braven Eingeborenen, welche sahen, dass ich des Nachts in dieser schlechten Hütte schlafe, im Schweisse meines Angesichts Kartoffeln und Gemüse baue, so dürftige und billige Gewächse pflanze, und mir des Abends selber meine bescheidenen Gerichte koche, zeigen mich ihren Kindern als abschreckendes Beispiel und sagen: »Seht diesen reichen Mann – denn dafür halten sie mich – er könnte alle Tage Austern und Kapaunen essen, aber er lebt wie ein Hund und schläft in einer Bude schlechter als ein Ziegenstall. Seht Kinder, dazu führt der Geiz!« –

Der Doktor zog die Schulter hoch, streckte die Hände vor sich und stand eine Weile in trübseliges Schweigen versunken, wie ergeben in sein Schicksal. Dann aber ermannte er sich wieder, erhob das Haupt und rief: »Nun aber vorwärts, auf zur Liebesinsel!«



V. Die Liebesinsel.



Wir zogen nun alle hinab zum nahen See, wo an dem Landungsstege ein Kahn bereit lag, in welchem ein junger Eingeborener schon unserer wartete. Der Nachmittag dieses Tages, an welchem Frühling und Sommer sich scheiden, war still und klar und als wir über den blanken Spiegel des Sees dahinfuhren, waren die kleinen Wellen, welche von unserem Kahne ausgingen, fast das Einzige, die glatte Fläche zu trüben. Wenige Tage vorher hatte ein Sturm geherrscht, und dabei war eins der kleinen Segelböte, welche dort von Liebhabern gehalten werden, gekentert und gesunken. Nun beschäftigte sich eine Anzahl von Leuten in Kähnen damit, dasselbe wieder zu heben, und der Klang ihrer ermunternden Zurufe drang zuweilen aus der Ferne zu uns her. Der stille glänzende Tag über dem blanken regungslosen See hatte auch uns schweigsam gemacht, und eine Zeit lang war nichts vernehmlich als das taktmässige Geräusch der Ruder und das leise Rieseln des Wassers vom Bug unseres Kahnes. Rings lagen die Ufer im Sonnenduft und nur undeutlich hob sich das kleine Inselchen, welches unser Ziel war, von dem Dämmer der dahinter liegenden Waldung ab. Jedoch bald zeigte es sich deutlicher, ein wunderlich kleines Eiland mit nur einem grösseren Baume, allerlei Buschwerk und einem Streifen Uferschilf. Wir umfuhren es in grossem Bogen, um an eine passende Landungsstelle zu gelangen, und bald stiess der Kahn scharrend auf den Ufersand. Hühnchen's Entzücken, als er sich näher auf diesem Fleckchen Erde umsah, war unbeschreiblich. »Beim Robinson,« sagte er, »dies ist wahrhaftig die Insel meiner Träume. Als Kind hätte ich so etwas Zauberhaftes garnicht für möglich gehalten. Hier möchte ich meine Tage beschliessen. Hier ist gerade Platz für ein kleines Haus und einen bescheidenen Garten und was will man mehr? Dies kleine Wäldchen,« dabei zeigte er auf den einen Baum und das verschiedenartige Buschwerk, welches ihn umgab, »würde ich natürlich unangetastet lassen, ebenso diese blumige Wiese, welche als eine spitze Halbinsel in den See verläuft.«

Während nun Hühnchen unter entzücktem Schweigen seine Augen an dieser Insel, die allerdings wie für ihn geschaffen erschien, weidete, ward aus dem Gebüsch der lieblich dahinrieselnde Gesang einer Dorngrasmücke vernehmlich.

»Der Herr Vizewirth!« sagte Dr. Havelmüller geheimnissvoll, indem er mit dem Daumen nach der Richtung deutete, wo der Vogel sang. »Was denn?« fragte Hühnchen verwundert. »Dieses kleine Eiland,« sagte der Doktor wie immer mit tiefem Ernst, »gehört dem bekannten Ornithologen und Naturforscher Dr. Bolle, welcher im Sommer auf der dort sichtbaren grösseren Insel Scharfenberg haust und sich der Pflege seiner seltenen Bäume und Gesträuche und dem Schutze der dort zahlreich angesiedelten Singvögel widmet. Hier dagegen wohnt niemand als ein Pärchen Dorngrasmücken, welchem er die Aufsicht über diese Insel anvertraut hat. Ihr Gehalt beziehen sie in Naturalien, welche sie sich selber suchen dürfen.«

Ich hatte unterdess mit dem Scharfblick, welchen mir frühere Uebung in solchen Dingen gab, das Gebüsch durchspäht und glücklich das Nest der Dorngrasmücke aufgefunden, das von dem Weibchen trotz der Störung durch den fremden Besuch noch nicht verlassen worden war. Ich wollte davon kein Aufsehen machen, insbesondere nicht wegen des jungen Tegeler Eingeborenen, welcher leicht einmal in späterer Zeit zurückkehren konnte, um dieser stillen Häuslichkeit den Frieden zu rauben. Doch Frieda war gerade in meiner Nähe, und da Dr. Havelmüller, in seiner beliebten Weise Wahrheit mit Dichtung mischend, gerade einen Vortrag über die Insel Scharfenberg hielt, welchem der Tegeler Autochthone mit offenem Munde lauschte, so ergriff ich sanft die Hand des schönen Mädchens und führte sie, die mich verwundert anblickte, so, dass sie durch eine Lücke zwischen den Zweigen auf das Nest hinsehen konnte. Frieda war ein Kind der Grossstadt und ein Vogelnest, wenn auch gerade nichts Unbekanntes, doch immer ein Stück Märchen für sie. Der Vogel sass ganz still, nur sein dunkles Auge war unablässig auf uns gerichtet. »Ach, das liebe Thierchen,« sagte Frieda, »wenn wir es nur nicht stören.« Und von dieser Furcht ergriffen, ging sie ängstlich und leise rückwärts, mich sanft an der Hand nach sich ziehend. Als wir uns weit genug entfernt hatten und noch eine Weile unschlüssig Hand in Hand standen, fühlte ich, wie die ihre sich leise löste. »Ich danke dir,« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, als fürchteten sich diese den meinen zu begegnen, und ging still hinweg.

Derweil hatte Dr. Havelmüller begonnen, ein Häufchen Holz, das auf einer schon öfter benutzten Brandstelle bereit lag, zu entzünden; in einem mitgebrachten Kessel ward Wasser aufgesetzt, Tassen und Geschirr aus dem Kahne geholt und vermittelst einer Flasche kräftigen Extraktes bald ein tüchtiger Kaffee zu Stande gebracht. Während wir nun das braune Getränk behaglich schlürften, begann der Doktor aus dem unerschöpflichen Schatze seiner Phantasie allerlei Sagenhaftes über diese Insel zu berichten: »Ich bin überzeugt, dieser Boden steckt voller Alterthümer,« sagte er. »Ich fand hier früher bereits einmal eine alte Schuhsohle aus der Zeit des grossen Kurfürsten. Aber noch viel weiter greift die Geschichte dieser Insel zurück. Es ist fast ausser allem Zweifel, dass hier einstmals ein Heiligthum der wendischen Liebesgöttin gestanden hat, worauf ja auch der Name der Insel hindeutet. Und so tief haften dergleichen Erinnerungen im Volke, dass verbürgten Nachrichten zu Folge noch heute zuweilen Liebespaare hier landen sollen, um der Göttin Opfer zu bringen.«

Der Ernst, mit welchem der Doktor solche Dinge vorzutragen wusste, hatte etwas Erhabenes, jedoch unterbrach er sich jetzt, als er bemerkte, dass die ganze Gesellschaft im Kampfe mit den Mücken begriffen war, einer besonders blutgierigen und heimtückischen Sorte, welche ausser Sonnenuntergängen eine zweite Specialität von Tegel bildet.

»Gegen die Mücken führe ich ein Mittel bei mir,« sagte er, eine Zigarrentasche hervorziehend, »ich entdeckte diese unvergleichlichen Rauchröllchen bei einem Krämer in Tegel, dem ihr hoher Werth wahrscheinlich unbekannt ist, denn er verkauft sie für drei Pfennige das Stück. Es ist die Sorte, von welcher Johannes Trojan singt:


»»Eine Zigarr' entbrannt er,
Die war als wie ein Panther
Gesprenkelt gelb, grün und braun,
Wie ein Sittich war sie zu schaun,
Schön war sie, dazu gross und stark,
Sie war in der Ukermark
Gewachsen in einem bösen Jahr.««



Der Rauch dieser Zigarren, für einen Menschen von starker Gesundheit verhältnissmässig unschädlich, wirkt auf Mücken unbedingt tödtlich. Sobald ihr auch nur ein Spürchen davon in die Nase kommt, so fängt sie an zu husten und hustet sich mit grosser Geschwindigkeit ganz weg, so dass bald nur ein winziges Staub-Wölkchen die Stelle bezeichnet, wo sie schwebte.«

Als der Doktor unsere Unschlüssigkeit bemerkte, uns dieser kraftvollen Zigarre zu bedienen, warf er dem vorgezeigten Probeexemplar noch einen liebevollen Blick zu, steckte es wieder ein und förderte andere Zigarren ans Licht, welche uns mehr Vertrauen einflössten, und trotz ihres ächten Havanna-Duftes sich gegen die Mückenplage nicht unwirksam erwiesen. Als nun die blauen Wölkchen behaglich in die stille sonnige Luft emporstiegen, fuhr Dr. Havelmüller in seinen Erörterungen fort: »Also ich halte den Boden dieser Insel für reich an Alterthümern, ja vielleicht an Schätzen. In der Johannisnacht des vorigen Jahres sah ich hier ein blaues Flämmchen glühen, was sehr verdächtig ist. Nun, wir haben heute wieder Johannis und die Zeit ist also für solche Unternehmungen günstig. Zudem sehe ich dort einen Strauch der sagenreichen Hasel – wie wäre es, wenn ich mit der Wünschelruthe einen kleinen Versuch machte? Mein Freund Dr. Julius, der selbst ein geschickter Ruthengänger ist, hat mich in dieser Wissenschaft genau unterrichtet.«

Der Doktor stand auf, schnitt mit grosser Feierlichkeit einen gabelförmigen Zweig von der Haselstaude, putzte ihn sauber ab und nahm die beiden Enden kunstgerecht zwischen die verwendeten Hände, so dass der Stiel in die Höhe stand. Dann schritt er langsam und würdevoll die Ruthe vor sich haltend über den Sandboden, bis plötzlich in der Nähe eines alten Baumstumpfes der Zweig sich neigte und gleichsam gegen den Boden gezogen wurde. »Die Art und Weise, wie die Ruthe sich bewegt,« flüsterte Dr. Havelmüller geheimnissvoll, »deutet auf Wasser. Am Ende kein Wunder in dieser feuchten Gegend, aber bemerken Sie wohl das eigenthümliche Zittern, das sich meiner Hände bemächtigt hat? Dieser Tadderich ist höchst verdächtig, denn er deutet darauf hin, dass das Wasser gebrannt ist. – Sollte vielleicht ein alter geiziger Säufer hier seine Schätze vergraben haben?«

Ein mitgebrachter Spaten ward aus dem Kahne geholt, und mit scheinbar grosser Aufregung begann der Doktor zu graben. »Ha!« rief er plötzlich, »soeben stiess ich auf etwas Hartes!« Dann warf er sich auf die Kniee und wühlte aus dem feuchten Sande eine Flasche hervor, welche er prüfend gegen das Licht hielt: »Alter Nordhäuser Korn,« rief er gerührt, » wie gerechtfertigt war mein Verdacht auf Alterthümer doch, aber es scheint mehr dort zu sein.« Alsbald warf er noch weiter den Sand bei Seite und zog nach einer Weile aus der Grube ein zweites Fläschchen mit rothem Inhalt. »Rosenlikör,« flüsterte er, »was für die Damen! Es ist unglaublich!« Dann sprang er auf und rief: »Dieser seltsame Erfolg giebt mir Muth. Ihr werdet bemerkt haben, dass wir unser Feuer auf einer alten Brandstelle anzündeten. Solche alte Brandstellen sind stets ungeheuer verdächtig!« Und mit der Lebhaftigkeit eines Jünglings begann er die noch glühenden Kohlen bei Seite zu räumen und auf der Stelle, wo noch soeben das Wasser heiss gemacht war, zu graben. Nach kurzer Weile hielt er inne und sagte sichtlich zitternd vor Aufregung: »Ich stosse schon wieder auf was Hartes!« Hühnchen, nachdem er sich von einer ungeheuren Lustigkeit über diese Komödie erholt hatte, griff mit zu und bald förderten beide einen mächtig grossen braun glasierten Deckeltopf mit zwei Henkeln an die Oberfläche.

»Eine Urne,« sagte Dr. Havelmüller, »eine Urne von höchst seltsamer Form. Ich glaube dieser Typus ist noch in keiner Sammlung vertreten.« Er hob den Deckel vorsichtig ab und nun zeigte sich inwendig ein zweites offenes Gefäss mit Erde und Brandresten gefüllt. Dasselbe war von Glas und hatte ganz genau die Form und den emaillirten Rand jener ungeheuren Bassins, aus welchen man Weissbier trinkt. Bei näherer Besichtigung zeigte sich darauf eine Inschrift in Runenbuchstaben, offenbar durch Flusssäure eingeätzt. Mit merkwürdiger Geläufigkeit las der Doktor uns dieselbe vor: »König Jaczko seinem lieben Dr. Havelmüller z. fr. Erg.«

»Ach, der gute alte Wendenkönig,« rief er dann, »hat damals schon an mich gedacht vor so viel Jahrhunderten.« Dann zog er einen blechernen Küchenlöffel hervor, den er seltsamer Weise in der Tasche hatte, und begann sachgemäss den Inhalt des Weissbierglases auszuräumen. Bald zeigte sich etwas. »Ha,« rief der Doktor, indem er den kleinen Gegenstand emporhielt, »ein Thränenfläschchen von Glas.« Er nahm den Stöpsel ab, roch hinein. »Sonderbar, höchst sonderbar! Schon damals war das Kölnische Wasser bekannt. Frau Hühnchen, darf ich Sie bitten, diese Antike von mir anzunehmen.« Emsig löffelte er dann weiter und förderte nach und nach für jeglichen der Anwesenden etwas zu Tage. Eine kleine Broche von Bronze begrüsste er mit dem Jubelrufe: »Ha, eine Fibula von höchst ungewöhnlichem Typus mit Edelrost, bitte Fräulein Frieda!« Dann flüsterte er mir, der neben ihm kniete, heimlich zu: »Ein Riegel für das holde Thor, hinter welchem die zwei Rehzwillinge unter Rosen weiden.«

Nachdem nun Hühnchen ein silbernes Hühnchen an der Uhrkette zu tragen, sowie Hans und ich ebenfalls eine Kleinigkeit erhalten hatten, fand sich noch ein wunderlicher Kamm, der, wie der Doktor meinte, an ähnliche Funde in der Lausitz erinnerte. Zum Beweis für das ungeheure Alter dieses Kammes, machte er darauf aufmerksam, dass derselbe bereits künstliche Zähne trug. Diese ungeheure Seltenheit behielt er für sich selber. Ausserdem enthielt diese Urne nur noch sechs kleine Opfergefässe, die eine ganz merkwürdige Aehnlichkeit mit modernen Schnapsgläsern besassen.

Der Doktor zog die Stirn in Falten und sagte dann mit tiefem Ernst: »Lieben Freunde, ich bemerke, dass etwas wie ein Gesetz durch alle diese seltsamen Funde geht. Zuerst entdecken wir das starke Getränk, dann eine Urne, von der auffallenden Form eines Weissbierglases, sodann wieder diese sechs kleinen Opfergefässe, und auch einem minder scharfen Verstande als dem Euren würde es nicht entgehen, dass das vierte Glied in dieser Kette nach dem Gesetz der Reime bei dem Quartett eines Sonettes mit einer fast unfehlbaren Sicherheit lauten muss: Weissbier. Untersuchen wir desshalb den geheimnissvollen Boden dieser Insel auf's Neue in dieser Richtung mittelst der Wünschelruthe.«

Und wahrhaftig, dieser scharfsinnige Schluss trog nicht, denn kühl eingebettet in den nassen Ufersand fanden sich wirklich nach mehreren Hin- und Widergängen einige Kruken dieses erfrischenden Getränkes, Höchst lustig war es, das Gesicht des jungen Tegeler Eingeborenen bei allen diesen Funden zu beobachten und den unheimlichen Eindruck von seinen Zügen zu lesen, welchen diese räthselhaften Ausgrabungen auf sein ahnungsloses Gemüth machten. Verständnissleer starrte er auf uns hin, wenn unser unbändiges Lachen die Luft erschütterte, denn nach Lachen war ihm bei so wunderlichen unbegreiflichen Dingen wahrhaftig nicht zu Muth.

Indem wir uns nun längere Zeit unter vielen Scherzen auf Dr. Havelmüllers glückliche Finderhand dieses nicht ohne Mühe erworbenen Besitzes erfreuten, sank allmälig die Sonne gegen die Waldwipfel, und wir mussten an den Aufbruch denken. Welch ein sanfter stiller Spätnachmittag auf der klaren unbewegten Fluth. Wir sangen allerlei Lieder wie sie der Deutsche auf dem Wasser anzustimmen pflegt, und zwischendurch musste ich immer heimlich hinblicken auf das reine Profil jenes Mädchens, das so mild und schön war wie dieser sanfte letzte Tag des Frühlings. Sie blickte hinaus über den schimmernden Spiegel auf das dämmernde Blau der Ferne, als sei dort das schöne Land der Träume, wo alle holden, kaum geahnten Wünsche in Erfüllung gehen.

»Du, Emil,« sagte Hühnchen, nachdem wir gerade wieder ein Lied beendigt hatten, zu Dr. Havelmüller, »ich habe eine grosse Bitte an Dich. Vor Jahren hörte ich einmal ein altdeutsches Lied von Dir, das Du selber komponiert hast, das musst Du mir heute singen. All die Zeit ist es mir nicht wieder aus dem Gedächtniss gekommen, das Lied von dem rosenfarbenen Mund. Mich dünkt, es war so einfach und schön wie die Natur.«

»Ach, meine Weise ist vielleicht zu einfach und ich weiss nicht, ob sie des wunderbaren Textes würdig ist,« sagte der Doktor, »aber Du bist mein Gast und der Wunsch meiner Gäste ist mir Befehl! Das Lied findet sich in einer Mönchshandschrift des Klosters Benediktbeuern aus dem dreizehnten Jahrhundert, genannt »Carmina Burana« und ist in seiner einfachen Innigkeit wahrhaft unvergleichlich. Ich will es aber in hochdeutscher Uebersetzung singen des schnelleren Verständnisses halber.« Der Doktor räusperte sich und sang dann mit angenehmer Stimme und innigem Ausdruck:


»Komm o komm, Gesellin mein,
Ach, ich harre sehnend dein,
Ach, ich harre sehnend dein,
Komm o komm, Gesellin mein.

Süsser rosenfarbner Mund,
Komm und mache mich gesund,
Komm und mache mich gesund,
Süsser rosenfarbner Mund.«



Nach einer kleinen Stille sagte Hühnchen, nachdem er die letzten Zeilen summend wiederholt hatte: »Bitte noch einmal, lieber Freund.« Der Doktor fügte sich diesem Wunsche und als nun wieder die zweite Strophe begann, war es seltsam, wie die Macht dieser Worte zwei Häupter, die es eigentlich garnicht wollten, gegen einander wendete, so dass die Augen sich eine kurze Weile begegneten. Dann aber drehten sie schnell sich ab und suchten wieder die blaue dämmernde Ferne.



V. Johanniswürmchen.



Ich kann es nicht ändern, wenn in dieser Geschichte ein wenig viel gegessen und getrunken wird, aber das strenge Gesetz der historischen Wahrheit zwingt mich anzugeben, dass nun im Garten des Dr. Havelmüller wieder ein kleiner Imbiss genommen wurde, und dass es Allen herrlich schmeckte. Weildess aber hatte sich die Sonne hinter die Waldwipfel gesenkt, am Himmel eine mächtige Gluth entzündet und den See in eitel flüssiges Gold verwandelt. Wir brachen nun gleich auf, weil als letzter Theil des festlichen Programms ein Spaziergang in den Schlosspark zum Genuss der dämmernden Sommernacht und des Mondscheins verzeichnet war und Dr. Havelmüller uns die Versicherung gab, dass er ausser dem unvergleichlichen Sonnenuntergang, der sich draussen ja bereits abspiele, auch eine besonders festliche Beleuchtung durch Johanniswürmchen bestellt habe. Wir wanderten langsam den Weg entlang, der später an der Kirche vorbeiführt und als wir an eine Stelle kamen, wo zwischen Baumgruppen und dem Garten einer Villa sich eine Aussicht auf den See öffnete, da bot sich uns ein zauberhafter Anblick dar. Das Gold der gesunkenen Sonne hatte sich nun in ein feuriges Roth verwandelt und den halben Himmel mit einer leuchtenden Rosengluth übergossen. Davon in tiefster Schwärze hob sich der Wald ab und die düstern Schatten, welche er auf den See warf. Im Vordergrunde aber hatte spiegelndes Abendroth das glatte Wasser in eine märchenhafte Purpurfluth verwandelt und da nun gerade im letzten Augenblick das glücklich gehobene Segelboot von den Leuten auf den zwei Kähnen eingebracht wurde, so hatte dies eine Menge von grossen Leuten und Kindern an das Ufer gelockt. Auf dem langen Landungsstege standen sie wie scharfe Silhouetten auf leuchtend rothem Grunde, in der flachen Rosenfluth wateten jubelnd die zierlichen schwarzen Gestalten der Kinder, es war ein Rufen, Jauchzen und freudiges Getön und ein Anblick, wie aus einer seligeren Welt, so dass wir uns kaum davon zu trennen vermochten. Endlich wanderten wir weiter durch das Dorf, wo die Leute behaglich den dämmernden Abend auf den Hausbänken genossen, wo im Schatten der Linden zuweilen vertraute Liebespaare flüsterten und aus manchem Fenster schon eine stille Lampe glimmte, bis wir endlich an die mächtig ragenden Silberpappeln und Platanen am Eingange des schönen Parkes gelangten. Als wir den grossen Lindengang erreicht hatten, trennten wir uns, denn da Frau Lore nicht gut zu Fusse war, wollten die älteren Herren mit ihr auf dem bequemen und ebenen Wege bleiben, während die jüngeren, zu denen ich mich heute mit einem gewissen Behagen rechnete, den Weg über den sogenannten Aussichtsberg einschlugen, um sich später in der Nähe des Humboldtschen Begräbnissplatzes wieder mit den anderen zu vereinigen. Es war eine helle, warme und stille Nacht. In hohen Lüften war es gleichsam wie der Wiederschein einer längst versunkenen Sonne, und dazu kam das Leuchten des Mondes, dessen blasse Sichel an dem hellen Himmel schwamm, während nur einzelne Sterne mit mattem Gefunkel hier und da hervorblinkten. Alle Dinge dieser Erde waren eingehüllt in einen sanften grauen Schleier, und der Dämon Finsterniss hatte sich in die tiefsten Schatten des dichtesten Blätterwerkes zurückgezogen. Die Natur schlief, aber durch ihre Träume ging es zuweilen wie ein Athem der Sehnsucht, dann flüsterten leise die Blätter und ein Hauch von Lindenblüthenduft und Rosen schwebte vorüber; im dunstigen Grunde schlug eine Nachtigall ein paar verlorene Töne an und aus ferneren Kornfeldern kam unablässiger Wachtelruf. Wir gingen den Weg zur Höhe hinan, der schimmernd vor uns lag; da zeigte sich zuerst ein blitzender Funke in der Luft, der launisch umherirrte, bald ganz erlosch, bald eine Strecke weiter hell wieder aufleuchtete. Ein Männchen des Johanniswurmes war es, das sein Laternchen angezündet hatte, um sein Liebchen zu suchen, dessen stilles bläuliches Licht wohl irgendwo im Grase schimmern musste. In Hans erwachte die Jagdlust, er eilte dem funkelnden Thierchen nach, um es zu fangen, verlor sich auf einen Nebenweg und bald waren wir allein. Als wir nun so nebeneinander gingen, zwei bänglich pochende Herzen in der sommerwarmen Einsamkeit, da that sich zur Seite aus dem Grase am Wegesrand ein schimmerndes Licht hervor wie ein ruhiger Stern und siehe da, weiterhin noch ein zweites. Wir traten hinzu und betrachteten das kleine Naturwunder, wie sein helles Laternchen die Halme und Blättchen seiner Umgebung erleuchtete und in grünem Golde glänzen liess. Ich fing die Thierchen dann und liess Frieda in meiner Hand die schimmernden Sterne beschauen, dann setzte ich sie beide in die künstlichen Blumen, welche die Vorderseite ihres Hutes schmückten und dort glänzten sie hervor gleich den Diamanten des Märchens, von welchen es heisst, dass sie im Dunkeln leuchten. Als Frieda mein Entzücken über die Wirkung dieser lebendigen Edelsteine bemerkte, nahm sie eine Weile den Hut ab und betrachtete mit leuchtendem Auge diesen unvergleichlichen Schmuck; ich aber fing noch mehr solcher Thierchen, so dass die Blumen des Hutes bald ganz mit diesen schimmernden Sternen besäet waren. Unterdess waren wir auf der Höhe angelangt und schauten nun weit hinaus in die von Duft und lichtem Dämmer erfüllte Welt, während der Schatten hervorragender Zweige sich über uns hinstreckte. Zwei Johanniswürmchen, angelockt von der schimmernden Gesellschaft auf dem Hute irrten in schwankenden Kreisen und zuweilen stärker aufblitzend um das Haupt des schönen Mädchens, und wieder brachte ein sanfter Athemzug der Nacht einen Blüthenduft von dem Lindengange im Grunde. Ach Alles rings hauchte Liebe und Sehnsucht, und dazu tönte plötzlich aus der Ferne wieder das Lied des Doktors, das er heute auf dem Wasser gesungen hatte: »Komm, o komm, Gesellin mein,« . . . . . . in der Stille der Nacht verstand man deutlich jedes Wort. Und während wir so nebeneinander standen, leise athmend, um keinen Ton zu verlieren, hatte ich meinen Arm sanft um das schöne Kind gelegt und ihr Köpfchen ruhte an meiner Schulter. Als der Gesang nun verstummt war, da vermochte ich es nicht anders, ich musste den Schluss des Liedes wiederholen: »Komm und mache mich gesund, süsser rosenfarbener Mund.«

Frieda antwortete nicht, sondern neigte nur hingebend das Köpfchen zurück, bot mir fromm und demüthig den holden Mund als ein Heilmittel, das sie nicht versagen dürfe, und wir küssten uns andächtig und lange. Dann, wie aus einem Traume erwachend, seufzte sie tief und senkte das Köpfchen vor meinem Blick: »Ach, Onkel!« hauchte sie und ein Zittern lag in ihrer Stimme. Ich aber zog sie an mich und rief: »Niemals, niemals will ich diesen Titel wieder hören, ich will es nicht mehr sein und bin es ja auch nie gewesen. Sage, wie Du mich jetzt nennen willst?«

Sie schwieg eine kurze »Weile: »Ach, Liebster, Liebster,« flüsterte sie dann leise an meiner Brust. Wir hörten plötzlich unsere Namen rufen von der Gegend des Humboldtdenkmales her und schnell eilten wir Hand in Hand durch die dämmernde Johannisnacht zu unseren Lieben. Mag es uns der grosse Forscher verzeihen, der dort im Kreise seiner Verwandten in dem ernsten Schatten düsterer Fichten ruht, dass wir beide keine Neigung verspürten, seinem Andenken jetzt eine stille Minute zu weihen, wir eilten schnell vorüber an dem finstern Epheu, der jene Gräber bespinnt, denn die Augen unseres Geistes waren gerichtet auf lauter schöne sonnige Sommertage der Zukunft, nicht auf die düsteren Schatten der Vergangenheit.

Wir trafen die anderen schon auf dem Rückweg begriffen, und ich verzichte gern auf die Schilderung der Wirkung, welche die Mittheilung dessen, welches sich soeben auf dem Aussichtsberge begeben hatte, auf Hühnchen machte und vermag nicht zu entscheiden, ob seine anfängliche Verblüffung grösser war oder sein späteres Entzücken über dieses ihm gänzlich unerwartete Ereigniss. Und während des allgemeinen Fragens, Erzählens, Küssens und Umarmens, stand Dr. Havelmüller stumm bei Seite, den Knebelbart heftig streichend und das verrätherische Mondlicht beleuchtete eine schimmernde Thräne in seinem Auge. Sie galt nicht allein dem Glück der Freunde, sondern auch jener Zeit der unwiederbringlich entschwundenen Jugend, wo er sich mit diesem selben Liede ein glühendes und stolzes Frauenherz erwarb.

Wie wir nun endlich wieder nach Tegel und in unsern Wagen gelangt sind, das weiss ich kaum zu sagen, doch endlich sassen wir darin und fuhren unter vielen Grüssen und Danksagungen gegen Dr. Havelmüller davon. Hühnchen war so ausgelassen, wie ich ihn nie gesehen habe, als wäre er voll süssen Weines.

»Theuerster aller Freunde,« rief er, »hättest Du damals in Hannover, als wir beide auf dem alten gebirgigen Sopha sassen und Thee tranken, hättest Du damals gedacht, dass ich noch einmal Dein Schwiegervater würde? O wie wunderbar ist diese Welt! – Weisst Du noch wie ich Dir damals rieth, Du solltest sehen, dass Du auf dem Sopha in ein Thal zu sitzen kämest? Sieh mal, du sollst bei uns auch in ein Thal zu sitzen kommen und sollst es gut haben und wie ich meine Lore kenne, so wird sie eine Schwiegermutter abgeben, welche diesen so viel geschmähten Stand wieder zu Ehren bringen und die Welt mit Rührung erfüllen soll.«

Und so redete mein zukünftiger Schwiegervater und sang Lieder und gab die lustigsten Thorheiten an, den ganzen Weg hindurch, ja, er konnte nur mit Mühe verhindert werden, an einer besonders einladenden, vom Mond beschienenen Waldblösse auszusteigen und einen Indianertanz loszulassen, so dass der biedere Kutscher, als ich ihm in der Freude meines Herzens in Steglitz einen Thaler Extratrinkgeld in die Hand drückte, schmunzelnd sagte: »Danke scheen! det war 'ne fidele Nachtfuhre!«

Ich aber, dem ein Glück in den Schoss gefallen ist, auf das ich schon längst verzichten zu müssen glaubte, ich will dankbar hinnehmen, was das Schicksal ferner über mich verhängt hat, sei es nun Liebes oder Leides.

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Tag der Veröffentlichung: 27.06.2012

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