In einem der größten Wälder des Harzes wohnte ein Kohlenbrenner mit seiner Frau und seinem Sohne Peter ganz einsam und allein. Nur Jäger oder Holzhauer kamen zuweilen in diese Gegend oder von Zeit zu Zeit der Fuhrmann, der die fertigen Kohlen auflud und in die Stadt brachte, sonst hörte man oft wochenlang weiter nichts als das Sausen des Windes in den Wipfeln, das Pochen der Spechte oder den einsamen Schrei eines Raubvogels. Die große Landstraße führte fern vorüber, und das Rollen der Räder war längst verhallt, ehe es in diese Einsamkeit drang, ja, selbst das Läuten der Glocken aus dem nächsten Dorfe erstarb in den Baumwipfeln, bevor es diesen Ort erreichte.
Deshalb war die Kohlenbrennerfamilie nicht wenig erstaunt, als eines Tages eine vornehme Stadtkutsche aus dem Walde hervorkam und bei ihrem Häuschen vorfuhr. Aus dem Wagen stieg ein zierlich gebautes Männlein, das sehr fein, aber ganz schwarz gekleidet war. Es trug Schuhe mit silbernen Schnallen, Kniestrümpfe, seidene Höschen und eine Schoßweste von demselben Stoff, dazu einen feinen schwarzen Tuchrock und ein dreieckiges Hütlein. Seine Perücke war mit runden glänzenden Seitenlöckchen versehen, und im Nacken hing ein wohlgedrehter Zopf mit einer schwarzen Schleife. Das Männchen bewegte sich mit zierlichen Schritten zu dem Köhler hin, der verwundert in seiner Haustür stand, und sprach, zwar in richtigem Deutsch, aber mit einer seltsam fremdartigen Aussprache: »Ich bin der Doktor Bimboni aus Venedig. Ich wünsche mich in diesem Gebirge eine Zeitlang aufzuhalten, um allerlei heilsame Kräuter zu sammeln, dergleichen hier köstlich gedeihen und anderswo nicht zu finden sind. Wolltet Ihr mir in Eurem Hause ein Obdach gewähren, so will ich Euch gut dafür belohnen.« Dazu klimperte er gar anmutig in seiner Tasche mit Goldstücken.
Nun aber bekam des Kohlenbrenners Frau, die hinter ihrem Manne in der Haustür stand, einen Schreck, indem sie bedachte, daß sie für einen so vornehmen Herrn das Essen schaffen sollte, denn das konnte sie sich wohl denken, daß er mit Pellkartoffeln und Hering und Erbsen mit Speck nicht zufrieden sein würde. Sie stieß deshalb ihren Mann an und flüsterte ihm dieses zu. Der Fremde aber hörte wohl, was sie sagte, und sprach, indem er auf die Kisten und Koffer deutete, die seiner Kutsche aufgeschnallt waren: »Deshalb beunruhigt Euch nicht, gute Frau; ich führe alles Notwendige bei mir und bitte nur um Obdach.«
Nun hatten die Köhlersleute in ihrem Häuschen eine große Giebelkammer auf dem Boden, die leerstand, und als der Fremde einen Golddukaten hervorzog zum Handgeld und versprach, jede Woche ebensoviel zu zahlen, da erschien es ihnen töricht, einen so guten Verdienst von sich zu weisen, zumal da der ausländische Doktor, obwohl er aus seinem gelben Gesichtlein mit ziemlich stechenden, schwarzen Augen blickte, doch ein gar feines und vornehmes Wesen zur Schau trug.
So wurden denn die mannigfaltigen Sachen des Fremden hinaufgeschafft in die Giebelkammer, wo er sich mit großer Geschicklichkeit und Geschwindigkeit häuslich einrichtete, indem Peter ihm dabei behilflich sein mußte. Es zeigte sich, daß er auch auf ein Nachtlager Bedacht genommen hatte und feine, seidene Steppdecken nebst weichen Kissen bei sich führte; auch mochte der kleine Doktor wohl ein rechtes Leckermaul sein, denn in einem schweren, mit Eisen beschlagenen Koffer befand sich eine Kücheneinrichtung nebst reichhaltiger Speisekammer, aus der im Laufe der Zeit gar seltsame und köstliche Gerichte hervorkamen, dergleichen in dem einsamen Köhlerhause nicht einmal dem Namen nach bekannt waren. Da gab es Büchsen mit kleinen, gebratenen Vögeln, die in Butter eingemacht waren; in anderen wieder befanden sich leckere Fischchen, in goldgelbes Öl eingelegt, oder sie waren in Tönnchen mit Gewürz und Essig aufbewahrt. Kistchen mit Feigen und Datteln und köstlichen Traubenrosinen und eine Anzahl von Dosen, die süßes Eingemachtes enthielten, rötlich schimmernde Würste, glänzende Schinken und dergleichen mehr kam aus diesem Koffer hervor. Auch war darin ein Flaschenfutter angebracht, das eine Anzahl behäbiger Flaschen mit schwerem südlichen Weine enthielt, der sich wie Öl ins Glas hing und von dem Doktor mit großem Behagen aus kleinen Spitzgläsern geschlürft wurde. Auch zeigte sich der Fremde in der Kochkunst nicht unerfahren, denn er bereitete sehr zierlich alle seine Gerichte selbst auf einer künstlichen Spiritusmaschine und verstand sich besonders auf die Herstellung eines köstlichen Eierkuchens, der das ganze Haus mit Begehrlichkeit weckendem Dufte erfüllte. Zu diesem verbrauchte er aber so eine Menge von Eiern und so unbillig viel süße Sahne, daß die Köhlersfrau nur mit Seufzen und Kopf schütteln solcher Verschwendung zuzuschauen vermochte.
Wenn sich der fremde Doktor nun auch mit so vieler Hingabe der Pflege seines zierlichen Körpers widmete, so vergaß er darum doch nicht des Zweckes, der ihn in diese Waldwildnis geführt hatte. Er besaß eine genaue Karte der Umgegend, auf der einige Stellen mit seltsamen und unverständlichen Zeichen von bunter Farbe angemerkt waren. Es waren dies verschiedene steinige Bergschluchten oder solche Orte, wo die reißenden Gebirgsbäche viele Kiesel und Geröll aufgeschichtet hatten. Dort kümmerte er sich aber viel weniger um Pflanzen und Kräuter als um die verschiedenen Steine und Felsarten, die er sehr aufmerksam betrachtete, von denen er auch wohl mit einem Hämmerchen, das er bei sich führte, Stücke abschlug. Aus dem Geschiebe und Geröll der Bäche sammelte er vielerlei Kiesel und unscheinbares Gestein und fand von dem oft an einem Tage so viel, daß Peter, der ihn stets begleitete und alles in einer großen Ledertasche fortschleppen mußte, oft seine saure Arbeit davon hatte. An solchen Tagen war der Doktor aber besonders heiter und aufgeräumt und tänzelte mehr als gewöhnlich, wenn es nach Hause ging, und tirelierte und sang mit einer feinen Falsettstimme allerlei lustige italienische Liedlein. Dann pflegte er Peter mit einem blanken Groschen und einigen Feigen oder Datteln zu beschenken und buk sich einen jener köstlichen Eierkuchen, wozu er etliche von den leckeren Vöglein verzehrte und von seinem schweren, süßen Weine ein Spitzgläschen mehr als gewöhnlich trank. Der Kohlenbrenner und seine Frau aber, als sie sahen, wieviel in ihren Augen nutzloses Gestein und Geröll der fremde Doktor zusammenschleppte, schüttelten die Köpfe und hielten ihn für ein wenig übergeschnappt, ließen ihn aber ruhig gewähren, da seine goldenen Dukaten einen gar lieblichen Klang hatten.
Nachdem er bereits eine große Kiste voll solcher Steine gesammelt hatte, rückte der Johannistag heran. Nun saß der Doktor immer einsam in seiner Giebelstube, maß und zirkelte auf seiner Karte herum und las und studierte viel in alten, schweinsledernen Folianten, die mit seltsam krausen Schriftzügen und bunten, abenteuerlichen Figuren erfüllt waren. Dann verschwand er eines Morgens ganz früh und kam am Abend sehr ermüdet und niedergeschlagen zurück. So geschah es mehrere Tage, ohne daß jemand ahnte, was er trieb, einmal aber stellte er sich zu Mittag schon wieder ein, und man konnte ihn schon von ferne singen und quinkelieren hören. Das Hütchen saß ihm ganz schief, die Äuglein funkelten ihm, und das spitze Näschen glänzte so lustig, daß man denken mochte, er hätte des Guten zuviel getan. Diese fröhliche Stimmung verließ ihn nun nicht mehr, bis der Johannistag herbeikam. Am Morgen dieses Tages hieß er Peter wieder die Ledertasche umhängen und rüstete sich selbst mit einer gleichen aus. Dann wanderten sie fort ins Gebirge. Diesmal schlug aber der Doktor eine andere Richtung als gewöhnlich ein. Sie durchschritten einen düsteren Tannenwald und dann eine mit Steinen und Geröll bedeckte Halde. Die Felsblöcke wurden immer größer, und es wuchsen dichtes Moos, Heidelbeersträucher und junge Bäumchen darauf. Zuweilen waren zwischen dem Getrümmer mächtige Tannen aufgeschossen, an deren Zweigen graues Bartmoos lang herabhing. Durch diese Wildnis plätscherte, von Farnkraut und üppigem Blätterwerk umsäumt, ein kleiner Bach dahin. Sie folgten diesem aufwärts bis an ein waldiges schmales Tal, woraus er hervorlief. Die Berge stiegen zu beiden Seiten an, also daß die Bäume, die darauf wuchsen, immer einer über den anderen hinwegschauten und ungezählte Wipfel hintereinander emporstanden. Nachdem sie unter düsteren Tannen zur Seite des rieselnden Bächleins eine ganze Weile in der Rinne dieses Tales aufwärtsgestiegen waren, lichtete es sich, und sie gelangten an eine Bergwiese, die, von mächtigen Edeltannen umringt, grün und sonnig dalag. Der Doktor zog seine große, goldene Uhr hervor und sah nach der Stunde. »Nahezu Mittag«, murmelte er, »die Zeit ist da.« Sein Gesicht war sehr ernsthaft und bleicher als gewöhnlich. Er wies Peter einen Platz hinter einem Felsblock an und sagte: »Hier bleib und rühre dich nicht vom Fleck, bis ich zurückkomme. Es handelt sich um große Dinge.«
Damit ließ er seine Tasche bei Peter zurück, bog um den Felsblock und ging fort. Peter saß eine Weile und horchte. Die Schritte des Doktors waren bald verhallt, und dann vernahm der Knabe nichts weiter als das Rieseln der Wässerchen, die aus der Wiese hervorliefen, das leise Wispern der Gräser und das Singen der Tannenwipfel in der Höhe. Da er nun so saß und wartete, überfiel ihn die Neugier, zu erfahren, wohin der Fremde wohl gegangen sei. Ob er wohl auf der Wiese war? Was er dort wohl suchte? Er stand leise auf und kletterte ein wenig an dem Felsblock empor, bis er hinüberschauen konnte. Zuerst sah er nichts als die grüne, sonnige Fläche, daraus mannigfache Blumen hervorleuchteten und zuweilen ein Wasserfaden aufblitzte. Doch siehe, da kam der Doktor hinter den Bäumen hervor und stelzte wie ein Storch in dem hohen Grase herum, zuweilen einen possierlichen Satz machend, wenn er an eine feuchte Stelle gelangte. Fortwährend aber schaute er gespannt und forschend um sich, als ob er etwas suche.
Mittlerweile erhob sich ein wenig Wind; ein geheimnisvolles Rauschen ging durch die Wipfel der Bäume, und die Gräser und Blumen winkten und wiegten sich und flüsterten. Zugleich strahlte in der Mitte der Wiese etwas auf wie ein blauer Stern. Der Doktor eilte schnell darauf zu, beugte sich darüber, und als er sich aufrichtete, war der blaue Schein verschwunden. Nun kam er eilig zurück. Seine Augen leuchteten, und sein gelbes Gesicht glänzte triumphierend. Er nahm seine Tasche auf und rief: »Jetzt fort! Der große Wurf ist gelungen! Das Ziel meines Strebens ist erreicht!« Und so schnell sprang er von Stufe zu Stufe, von Felsblock zu Felsblock talabwärts, daß Peter kaum zu folgen vermochte. Als sie wieder auf der mit Steinblöcken bedeckten Halde angelangt waren, wandte sich der Fremde seitwärts, wo ein mächtiger, zerklüfteter Felsen emporragte, der Klingenstein genannt. Über diesen gingen mancherlei Sagen in der Umgegend, und es hieß, es sollten gewaltige Schätze in ihm verborgen sein. An seinem Fuße wuchs ein starker und dichter Haselstrauch empor. Der Doktor schritt auf diesen zu, nahm aus seiner Brusttasche etwas hervor, das Peter wie eine blaue, leuchtende Blume erschien, und berührte damit die Äste des Busches. Diese taten sich geräuschlos auseinander und legten den Eingang einer schmalen Höhle frei, die in das Innere des Felsens führte. Dann ergriff der Doktor Peters Hand und zog ihn hinter sich her in die Öffnung hinein. Nachdem sie eine Weile abwärts geschritten waren, erweiterte sich der Raum, der Doktor machte Licht und zündete eine Laterne an, die er bei sich trug. In dieser Höhle fand sich nichts als eine Menge von flimmerndem Sand, der den Fußboden dicht bedeckte. Der Doktor füllte seine Ledertasche emsig damit an und hieß Peter das gleiche tun. Als nichts mehr hineinging und Peter sie umhängen wollte, fand er sie so schwer, daß er sie kaum heben konnte. Er mußte sie um die Hälfte erleichtern und ebenso auch der Doktor einen Teil des gesammelten Sandes zurücklassen. Dann verließen sie die Höhle; der Haselstrauch tat sich wieder zusammen, und sie brachten ihren Fund nach Hause. Im Laufe der nächsten Zeit machten sie diesen Weg täglich, so oft sie konnten, bis eine große Kiste mit diesem Sande gefüllt war. Der Fremde stand schmunzelnd und händereibend davor und sagte vergnügt: »Nun ist es genug!« – Dann packte er seine Habseligkeiten zusammen, ließ einen starken Wagen aus der Stadt kommen, und nachdem seine Kisten mit Sand und Steinen mit großer Mühe aufgeladen waren, nahm er Abschied. Er drückte dem Kohlenbrenner zehn Dukaten in die Hand und sagte: »Kauft Euch dafür noch eine Kuh, wie Ihr es wünscht.« Dann kicherte er fast höhnisch und fügte hinzu: »Ihr seid sonderbare Leute hier – ihr tretet den Reichtum mit Füßen und darbt dabei. Der Stein, den ihr nach der Kuh werft, um sie aus dem Hafer zu jagen, ist oft mehr wert als die Kuh selbst. Das sagt euch der Doktor Bimboni aus Venedig. Wenn ihr klug seid, so nutzet es!«
Damit stieg er auf seinen Wagen und fuhr davon.
Es mußte doch wohl mit den Steinen und dem Sande, den der Doktor so eifrig gesammelt hatte, seine eigene Bewandtnis haben, das schien klar. Als sich bei dem Aufräumen der Giebelstube von diesem noch ein kleines, zufällig verschüttetes Häufchen fand, wickelte der Kohlenbrenner dies sorgfältig in Papier, und als er dann die nächste Stadt besuchte, um Einkäufe zu machen, zeigte er diesen Sand einem Goldschmied. Der verwunderte sich sehr und erklärte ihn für reinen Goldstaub. Er wog ihn ab und gab dem Köhler fünf Dukaten dafür. Als dieser wieder nach Hause kam, war sein erstes, daß er mit Peter hinging und sich den Haselstrauch am Klingenstein zeigen ließ. Sie beschauten sich ihn von allen Seiten und legten seine Äste auseinander, allein dahinter war nichts als der feste, glatte Fels und keine Spur eines Einganges zu bemerken. Sie stiegen empor zu der Waldwiese und durchsuchten sie nach allen Seiten. Sie fanden auch eine unbekannte, blaue Blume, allein als sie mit ihr den Haselstrauch berührten, wich dieser nicht von der Stelle und schüttelte nur ein wenig wie verdrießlich mit seinen Zweigen, während es aus fernen Waldesgründen herüberschallte wie ein lustiges Gelächter.
Fast zehn Jahre waren nach dieser Zeit ins Land gegangen. Das Gold des Doktors aus Venedig hatte den Köhlersleuten zu einem kleinen Vermögen verholfen, das sie in kluger Sparsamkeit vermehrt hatten, so daß der Vater bald die Arbeit des Kohlenbrennens im einsamen Walde aufgeben und sich im benachbarten Dorfe ein kleines Gütchen erwerben konnte, das ihn und seine Familie gut ernährte und alljährlich noch einen kleinen Sparpfennig abwarf.
Peter war nun erwachsen und in die Jahre gekommen, da man sich unter den Töchtern des Landes nach einer Lebensgefährtin umzusehen pflegt. Zu seinem Unglück aber hatte es sich ereignet, daß seine Wahl auf das hübscheste Mädchen im Dorfe gefallen war, die Tochter des reichen Bauern Kilian, von dem man behauptete, daß er sein Geld mit Scheffeln messen könne. Da nun das Mädchen, die schöne Annemarie, ebenfalls keinen lieber hatte als den hübschen, schlanken Peter, so wäre eigentlich alles in Ordnung und kein Grund gewesen, diese Sache als ein Unglück zu bezeichnen, wenn sich nicht der Vater in seinem Geldstolz in den Kopf gesetzt hätte, seine Tochter nur einem Freier von gleichem Reichtum zu geben. Als es Peter eines Tages wagte, um die Hand der schönen Annemarie anzuhalten, wurde der Bauer anfangs dunkelrot vor Zorn, und beinahe hätte er den armen Peter zur Tür hinausgeworfen. Allein schließlich erschien ihm diese Angelegenheit mehr komisch als ernsthaft, er grinste pfiffig über sein ganzes breites Gesicht und sagte: »Gut, Ihr sollt die Annemarie haben. Aber ich stelle eine Bedingung. Heute über vierzehn Tage haben wir den ersten Juli. Könnt Ihr mir an diesem Tage zehntausend Taler, die Euch gehören, in guten, vollwichtigen Kremnitzer Dukaten auf den Tisch legen, so wird sie Eure Frau. Könnt Ihr das nicht, so laßt Euch nicht wieder hier sehen, wenn Euch Eure Knochen lieb sind. Gleich und gleich gehört zueinander, Reichtum zu Reichtum und Bettelvolk zu Bettelvolk.« Dann lachte er, daß ihm die Backen zitterten und der dicke Bauch wackelte, und ließ den unglücklichen Freier stehen. Dies war nun weiter nichts als eine besonders höhnische Weise der Ablehnung, denn wie sollte Peter, der kaum den hundertsten Teil dieser Summe sein eigen nannte, in so kurzer Zeit ein für ihn ungeheures Vermögen herbeischaffen. Ganz tiefsinnig und traurig lief er im Gebirge umher und wußte sich keinen Rat. Am dritten Tage, nachdem ihm der Bauer diesen niederdrückenden Bescheid gegeben hatte, verstieg er sich, mit seinen trübseligen Gedanken beschäftigt, so tief in die Berge, daß er zuletzt nicht mehr wußte, wo er sich befand. Als er nun so aufs Geratewohl weiterirrte, ward ihm die Gegend wieder bekannt, und plötzlich trat er auf die Waldlichtung hinaus, wo sein Geburtshaus lag. Da es schon spät war und es gefährlich erschien, bei Nachtzeit den langen Weg durch die Felsenberge zurückzulegen, so beschloß er, die Köhlersleute, die jetzt in diesem Hause wohnten, um ein Nachtlager anzusprechen. Dies ward ihm auch freundlich gewährt und ihm in der Giebelstube, in der vormals der Doktor aus Venedig gewohnt hatte, ein Lager bereitet. Als er nach dem Abendessen mit den Köhlersleuten am Herdfeuer saß, während die Frau spann und der Mann Holzlöffel schnitzte, kam das Gespräch auf die Venediger; der Köhler wußte allerlei zu erzählen von solchen Leuten, die sich auch in anderen Teilen des Harzes gezeigt und überall kostbare Steine und große Goldschätze gesucht und gefunden hätten. In seinem Geburtsdorfe habe ein Schmied gelebt, Konrad Steiniger, der sei auf seiner Wanderschaft weit in der Welt herumgekommen, auch nach Venedig. Als er da nun auf dem Markusplatz alle die Paläste angestaunt hätte, sei ein kostbar gekleideter Herr auf ihn zugekommen, habe ihm auf die Schulter geklopft und gefragt, ob er ihn nicht mehr kenne? Und da sei es der Venediger gewesen, der sich einmal vor Jahren längere Zeit im Dorfe aufgehalten und allerlei Gestein gesucht habe. Der habe ihn mit in seine Wohnung genommen, in einen herrlichen Palast, wo alles von Sammet und Seide und Gold und Silber gestrahlt habe, und ihn mit den kostbarsten Speisen und Getränken bewirtet. Zum Abschied habe er ihm fünf Dukaten geschenkt und gesagt: »Aller Reichtum, den du hier siehst, stammt aus euren Bergen, werdet klüger, und ihr könnt es ebenso haben.«
»Der Venediger«, sagte der Köhler nun, »der hier bei euch gelebt hat, der hat die blaue Blume gesucht und gefunden, wie aus allem hervorgeht, was du von ihm erzählt hast. Diese soll nur alle zehn Jahre in der Mittagsstunde des Johannistages aufblühen, und wer sie besitzt, dem schließen sich verborgene Schätze auf.«
Nachdem sie noch mancherlei über solche Dinge geredet hatten, stieg Peter hinauf und suchte sein Lager auf. In der Nacht hatte er dreimal hintereinander einen sonderbaren Traum. Er sah die Giebelstube, in der er schlief, deutlich vor sich, allein in einem seltsamen, bläulichen Schein. Als er dem Ursprünge dieses Lichtes nachspürte, sah er den Doktor aus Venedig in einer finsteren Ecke stehen – in der Hand trug er eine blau leuchtende Blume. Dann schritt das Traumbild langsam mit feierlichen, unhörbaren Schritten auf Peter zu, indem es ihn mit den schwarzen Augen unverwandt anblickte und sich, mit dem Zeigefinger auf die Blume deutend, allmählich in Nebel auflöste und verschwand. Nur ein seltsames, blaues Leuchten blieb noch eine Weile an jener Stelle, bis auch dies verglomm.
Die Erinnerung an diese Traumerscheinung wollte am anderen Morgen nicht von ihm weichen. Mit deutlicher Klarheit sah er sie noch immer vor seinen Augen stehen, und zugleich kam ihm das, was er in seiner Kindheit mit dem fremden Doktor erlebt hatte, immer wieder in den Sinn. Ja, wenn er den Eingang in die Höhle des Klingensteins finden konnte, dann war ihm geholfen. Doch ohne die geheimnisvolle Blume tat sich diese nicht auf. Was hatte dieser merkwürdige Traum zu bedeuten? Er fing an zu rechnen und fand, daß gerade zehn Jahre verflossen waren, seit der Venediger die blaue Blume gesucht und gefunden hatte. Sie mußte am nächsten Johannistage wieder blühen.
Wie ein Blitz schoß ihm dieses durch den Sinn. Er mußte sie finden und den Schatz heben; dann war ihm geholfen und die schöne Annemarie sein.
Er verabschiedete sich von seinen freundlichen Wirtsleuten und eilte nach Hause. Dort bereitete er alles vor und erwartete dann in fieberhafter Ungeduld den Johannistag. Als dieser herangekommen war, machte er sich früh am Morgen auf, um zur rechten Zeit auf der kleinen Bergwiese einzutreffen. Allein allerlei Unfälle hielten ihn auf. In der Nacht war ein starker Regen gefallen und hatte einen sonst zahmen Gebirgsbach so angeschwellt, daß Peter einen Umweg machen mußte, um ihn zu überschreiten. Dabei verirrte er sich und fand erst nach langem Suchen den richtigen Weg wieder. Eine tödliche Angst befiel ihn, er möchte die rechte Zeit verfehlen, denn mit dem Glockenschlage eins verschwand die blaue Blume wieder. So stürmte er denn schweißtriefend und atemlos die schmale Talrinne empor, weil der Stand der Sonne ihm anzeigte, daß die Mittagsstunde bereits vorüber sei. Mit einem hastigen Blick überflog er die Wiese, als er hinter den Felsblöcken am Eingang hervortrat. Zuerst schwamm ihm wegen seines aufgeregten Blutes und seines eiligen Laufes alles vor den Augen, allein mitten aus dem grünen Flimmern leuchtete ihm ein blauer Schein entgegen. Er stürzte darauf hin, und in dem Moment, da sich ein wehklagend schneidender Laut in der Luft erhob, der den Beginn des Verwelkens verkündete, hielt er, im letzten Augenblicke noch, die blaue Blume in seiner Hand. Die überstandene Anstrengung, vereint mit dem überwältigenden Glück des Erfolges, ließen ihn eine Weile ohnmächtig zu Boden sinken. Als er wieder zu sich kam, stieg er eilend hinab zum Klingenstein. Dieser tat sich gehorsam auf, und nun füllte der glückliche Peter in seine Ledertasche so viel von dem köstlichen Sande, als er nur fortbringen konnte. Er wollte sich nun eilends entfernen, da sprach eine wehmütig klagende Stimme aus dem Hintergrunde der Höhle: »Vergiß das Beste nicht!«
Darüber entsetzte er sich sehr, es wandelte ihn ein Grauen an, er lief fort, so rasch er konnte, und kaum war er im Freien, als sich mit gewaltigem Donner der Fels hinter ihm schloß. Nun erst ward er gewahr, daß er die Blume drinnen hatte liegenlassen, wodurch jede Rückkehr zu diesem Schatze abgeschnitten war. Jedoch in dem Bewußtsein, für Lebenszeit genug zu haben, machte er sich nicht viel daraus und kehrte fröhlich nach Hause zurück. Er sah sich nun in den Stand gesetzt, noch vor der gesetzten Zeit die Bedingung des geldstolzen Bauern zu erfüllen, und heiratete bald die schöne Annemarie, mit der er glücklich und zufrieden ein hohes Alter erreichte, bis beide kurz hintereinander eines schmerzlosen Todes starben. Auf ihrem gemeinschaftlichen Grabe wächst eine Linde, und als ich dort eines Abends sinnend saß, kam ein kleiner Vogel und setzte sich in ihre Zweige – von dem weiß ich die ganze Geschichte.
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2012
Alle Rechte vorbehalten