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In dem freundlichen Dorfe Huldingsheim lagen zwei Bauernhöfe, deren Felder und Wiesen aneinandergrenzten. Die beiden jungen Bauern hatten ihr Erbteil, das ihnen von ihren Vätern in gutem Zustande überliefert worden war, fast zu gleicher Zeit angetreten, doch nun, da erst sieben Jahre verflossen waren, machte sich bereits ein sehr großer Unterschied zwischen den beiden Besitztümern bemerklich. Kam man auf den Hof des einen, der Valentin hieß, so ward man erfreut durch einen Glanz von Reinlichkeit, Ordnung und Wohlstand, der auf allen Dingen lag; alles stand an seinem Ort und war sauber abgegrenzt und richtig. Die Gebäude waren reinlich gestrichen, die Türen hübsch gemalt, und an den Strohdächern war kein Fehler zu sehen. Auf dem Teich schwammen die stattlichsten Enten, und im Hofe wanderten Hühner umher, bei denen es schwer zu unterscheiden war, ob sie auf ihren mächtigen Hahn oder dieser auf seine Hühner hätte stolzer sein dürfen.

Trat man in die große Vordiele des Hauses, an der zu beiden Seiten die Viehställe gelegen sind, so war es wieder eine Lust, die wohlgepflegten Kühe und Pferde zu betrachten, die so blank waren, daß man sich fast darin spiegeln konnte. Aber noch blanker war das Kupfer- und Zinngeschirr, das neben dem Herde am Ende der Diele aufgestellt war nebst hübsch bemalten Tellern und glasierten Töpfen und dergleichen reinlichem Küchengerät. An dem Herde aber wirtschaftete eine saubere Hausfrau, und es war lustig zu sehen, wie flink ihr alles von der Hand ging, und lustig zu hören, wie fröhlich sie dabei sang. Über dem Herde aber im Rauchfange hingen in stattlichen Reihen Würste, Speckseiten und Schinken und boten einen tröstlichen und erfreulichen Anblick dar. Das Wohnzimmer, die Putzstube und die Vorratskammer zu betrachten war nun erst recht ein Vergnügen. Die Fußböden waren blank gescheuert und mit weißem Sand bestreut, die alte Kuckucksuhr tickte behaglich, und der Sonnenschein kam durch die blanken Fensterscheiben und malte die Schatten von Geranium und Goldlack auf den Fußboden, blinkte freundlich in den grünglasierten Kacheln des alten Ofens und setzte die Schnörkel und das Schnitzwerk des riesigen braunen Erbschrankes, der den großen Leinenschatz des Hauses enthielt, ins rechte Licht. Und in der Vorratskammer, welch behaglicher Duft nach Backobst und gedörrten Äpfeln, und welche Schätze von seidenweichem Flachs und selbstgesponnenem Garn – wahrlich, da konnte mancher Hausfrau das Herz groß werden. Ging man sodann mit dem jungen Bauern durch die Hintertür und den mit gesunden, wohlgepflegten Obstbäumen besetzten Grasgarten auf den Acker, da merkte man bald, daß es in Feld und Wiese ebenso aussah wie in Haus und Hof und daß Fleiß, Ordnung und Reinlichkeit die guten Geister dieses Hauses waren.

Der andere junge Bauer, der Balthasar hieß, war recht das Gegenspiel von Valentin. Schon als Knabe hatte er am liebsten den Vögeln die Nester ausgenommen, den Katzen Schweinsblasen mit Erbsen an die Schwänze gebunden, fremde Hunde mit Steinen geworfen und die eigenen auf arme Bettler gehetzt. An der Arbeit hatte er nie Gefallen gefunden und hatte gemeint, ihm, als dem einzigen Sohne eines wohlhabenden Bauern, müsse es von selbst kommen. Später heiratete er ein hübsches Mädchen, das er auf dem Tanzboden kennengelernt hatte und dessen lustiges Wesen ihm gefiel. Das war eine Frau, die recht für ihn paßte, denn arbeiten mochte sie ebensowenig wie er, Kuchenbacken und Kaffeekochen ausgenommen. Da nun schlechte Herrschaften stets schlechte Dienstboten haben, die das Beispiel, das ihnen gegeben wird, getreulich nachahmen, so konnte es nicht verwundern, daß Haus und Feld allmählich in Verfall gerieten und daß sich auf dem Dünger, der über den ganzen Hof unordentlich zerstreut lag, die Hühner ihres erbärmlichen Hahnes und dieser sich seiner kläglichen Hühner schämte. Die Kühe und Pferde sahen mager und rauh aus, als seien sie mit Moos statt mit Haaren bewachsen, und an Stelle fröhlichen Gesanges hörte man Keifen und Schelten und widerwärtiges Fluchen durch das Haus schallen.

Aber trotzdem er an dem Verfall seines Anwesens selbst die Schuld trug, so wurde Balthasars Herz doch von Neid und Mißgunst erfüllt, wenn er die herrlichen Felder des Nachbars neben seinen kümmerlichen, verwahrlosten Äckern liegen sah, wenn er auf seine Wiese blickte, die höckerig war von bewachsenen Maulwurfshaufen, die er nicht rechtzeitig geebnet hatte, und dann auf die des Nachbars, wo grün und dicht, einer Sammetdecke vergleichbar, das süßeste Futter wuchs. Es fraß an seinem Herzen wie gieriges Ungeziefer, wenn er im Wirtshaus saß und Valentins Lob verkünden hörte, während man auf ihn spöttische Seitenblicke warf; er faßte einen tiefen Groll und Haß gegen jenen, dem nach seiner Ansicht ein blindes Glück alles in Hülle und Fülle in den Schoß warf, während er selbst von unverdientem Mißgeschick verfolgt wurde. Denn also verblendet war sein Sinn, daß er die wahren Ursachen des Rückganges seiner Angelegenheiten nicht mehr erkennen wollte. Eines Tages hatte er sich in hämischer Weise gegen Valentin darüber ausgesprochen, und als dieser ihm einfach erwiderte, der Nachbar könne dasselbe Glück haben, wenn er mehr Fleiß und Mühe auf die Bestellung seines Hauswesens und seiner Äcker verwenden wolle, denn der Boden sei derselbe wie bei ihm, und da Wetter und Wind auch dieselben wären, so müsse es wohl an anderen Dingen liegen, – da hatte er seinen Ärger verbissen und sich still beiseite gedrückt; aber von dieser Zeit an sann er Tag und Nacht, wie er es anstellen möchte, dem Nachbar einmal einen rechten Schaden anzutun.

Nun kam einmal wieder nach einem strengen Winter ein schönes Frühjahr heran. Da der Herbst auch gut gewesen war und der harte Winter den Saaten nichts geschadet hatte, so bewirkte das köstliche Frühlingswetter, daß alle Feldgewächse überaus herrlich gediehen. Und da auch Balthasar diesmal seinen Acker ein wenig besser bestellt hatte, so sah es auch bei ihm günstiger aus als seit langen Jahren. Deshalb wurmte es ihn um so mehr, als trotzdem seine Felder gegen die Valentins nur armselig zu nennen waren. Jedoch in der Hoffnung auf eine bessere Ernte lebte er noch viel lustiger denn zuvor und ließ im Wirtshaus noch mehr als gewöhnlich draufgehen, während seine Frau mehr Kuchen buk als je. Eines Abends spät kam er von dem Wirtshause eines benachbarten Dorfes nach Hause auf einem Wege, der durch seine Felder führte; da sah er plötzlich im Mondlicht eine seltsame Erscheinung. Eine schöne weiße Frau mit Haaren von der goldenen Farbe des gereiften Weizens zog schwebenden Fußes über seinen Roggen dahin, und um sie her liefen viele Kinderchen, angetan mit langen weißen Hemdchen, und ein feines Lachen und liebliches Geschwätz ging von der ganzen Schar aus.

Wäre sein Sinn nun nicht ganz verblendet und vom Trinken benebelt gewesen, so hätte er wohl bemerkt, daß es die Roggenmuhme mit den Kornkindern war, die die Felder beschützen und deren Erscheinen Segen und Überfluß bedeutet; allein er vermochte das nicht zu erkennen, sondern rief: »Was macht ihr Gesindel da in meinem Roggen?!«

Da die Roggenmuhme gar nicht antwortete, sondern ihm nur das schöne, mondbeschienene Antlitz zuwendete und ihn mit großen Augen ansah, so geriet er in mächtigen Zorn, raffte einen Stein auf und wollte damit werfen. Aber in dem Augenblick, da er den Arm erhob, streckte die Roggenmuhme die schimmernd weiße Hand nach ihm aus, und nun stand er plötzlich gebannt da, den Stein in der erhobenen Faust, und vermochte sich nicht zu rühren, bis die schöne Erscheinung mit allen Kindern in dem nebligen Dämmer des Grundes verschwunden war. Dann ließ er den Stein hinter sich fallen und ging fluchend nach Hause. Anders war es Valentin an demselben Abend mit der Roggenmuhme ergangen. Er hatte sich noch bis in die Dunkelheit hinein an dem entferntesten Ende seines Feldes zu tun gemacht, und als er nun im Mondschein in der schweigenden Stille des Frühlingsabends langsam durch die Felder nach Hause wanderte und recht in seinem Herzen vergnügt war über den reichen Segen, der sich überall ausbreitete, da sah er ebenfalls die Roggenmuhme mit ihrer leichtfüßigen Kinderschar schimmernd über sein Weizenfeld dahinziehen. Er blieb ehrerbietig stehen, um sie vorüberzulassen, und da bemerkte er, daß eines der Kinder mühsam hinterherlief und alle Augenblicke stolperte, weil ihm sein Hemdchen zu lang war und es immer mit den Füßen darauf trat.

»Komm her, Humpelchen!« rief Valentin. »Ich will dir dein Hemdchen aufbinden!« Das Kind kam erfreut angelaufen, er nahm ein Endchen Bindfaden aus der Tasche und schürzte das Hemdchen behutsam auf. Da dies geschehen war, lief das Kind fröhlich seinen Gespielen wieder nach und rief: »Ich danke dir, du guter Mann nun hab ich einen Namen!«, und die anderen Kinder riefen mit ihren feinen Stimmen durcheinander: »Humpelchen! Humpelchen! Da kommt das kleine Humpelchen!« Die Roggenmuhme aber wendete sich und nickte ihm freundlich zu. Dann zogen sie weiter über den nahen Hügel und verschwanden eins nach dem anderen dahinter. Als die Roggenmuhme im Begriff war, von der Höhe hinabzuschreiten, wendete sie sich noch einmal und nickte ihm wiederum freundlich zu. Dann schwand sie hinweg, und nur der Mond schien noch auf die Stelle, wo sie gestanden hatte. Valentin aber ging in seinem Herzen stillvergnügt nach Hause.

Als Balthasar am anderen Morgen sein Erlebnis erzählte, da schüttelten die Leute mit den Köpfen und sagten, er habe töricht gehandelt, die Roggenmuhme zu erzürnen, denn seine Felder würden es nun wohl entgelten müssen, und wenn bei ihm in diesem Jahre die Mäuse und der Reißwurm ihre Arbeit täten und der Weizen den Rost und der Roggen taube Ähren und Mutterkorn bekämen, da solle er sich nur bei der Roggenmuhme bedanken. Ein alter Schäfer riet ihm aber, er solle heute abend wieder aufs Feld gehen und der Roggenmuhme einen ganz schwarzen Hahn bringen, der keine noch so kleine andersfarbige Feder an sich habe, das würde sie wieder aussöhnen. Balthasar, der sehr in Angst geraten war, verschaffte sich einen solchen Hahn – es traf sich zufällig, daß der alte Schäfer einen gerade passenden teuer zu verkaufen hatte – und ging mit dem Tiere nach eingetretener Dunkelheit hinaus, um die Roggenmuhme zu erwarten. Aber er wartete vergebens; niemand ließ sich sehen. Er war schon eine lange Weile auf dem Feldrain, der seine von Valentins Äckern trennte, immer in den Mondschein hinausspähend, auf und nieder gegangen und wollte schon die Geduld verlieren, als er plötzlich in der Ferne eine dunkle Gestalt bemerkte, die sich von Zeit zu Zeit niederbückte und sich ihm allmählich näherte. Er schritt zu auf die Gestalt, die sich gar nicht um ihn zu kümmern schien, und als er näher kam, bemerkte er zu seinem Unbehagen, daß es die Moorfrau war, die ganz einsam in einem nahe gelegenen Torfmoore wohnte und im Dorf für eine Hexe gehalten wurde. Sie suchte an diesem Feldrain kräftige Kräuter, auf denen der Mondscheintau lag.

»Ei, schönen guten Abend, Balthasar«, sagte die Moorfrau, – »Ihr geht wohl ein wenig im Mondschein spazieren und seht Euch Euer Feldchen an. Ein schönes Frühjahr, und es steht nicht schlecht bei Euch; aber der Valentin versteht's doch noch besser – ist ein Pfiffikus!« Und dann kicherte sie, daß ihr der Kopf wackelte. Der Bauer hatte ein Grauen vor der alten Hexe und wollte sich abwenden und nach Hause gehen, allein diese hatte mit ihren scharfen Augen den schwarzen Hahn bemerkt und hielt Balthasar am Rockschoß fest.

»Ei, was habt Ihr da für ein schönes Hähnchen«, sagte sie und streckte gierig ihre dünnen Spinnenfinger aus und befühlte und betastete das Tier; – »ganz schwarz und ohne Fehler, das wäre so ein Hähnchen, wie es sich die alte Moorfrau schon lange gewünscht hat, – ei, du gutes Tierchen – tuck, tuck, tuck! mein Kikelchen, mein Kakelchen!«

Balthasar sagte kurzweg, das ginge sie gar nichts an, und wollte sich entfernen; allein die Alte ließ nicht nach mit dem Drängen und Schmeicheln, bis sie in Erfahrung gebracht hatte, in welcher Absicht sich Balthasar mit dem Hahne dort eingefunden hatte.

»Was kann das weiße Milchgesicht Euch helfen!« sagte sie. »Gebt mir das Hähnchen, ich bin nun einmal vernarrt in das hübsche Tier.« Dann trat sie ganz nahe zu ihm heran und flüsterte, indem sie mit dem Daumen auf Valentins Felder deutete: »Nicht wahr, wenn wir dem mal so ein kleines Schabernäckchen spielen könnten – es wäre nicht so unrecht!«

Balthasar, bei seiner schwachen Seite gefaßt, ward neugierig und fragte hastig: »Wie meint Ihr das, Alte?«

»Wenn er auch mal fühlen müßte, wie es tut, wenn Mühe und Arbeit vergebens gewesen ist und man seine Knochen umsonst gerührt hat. So ein Duckmäuser, dem hängt das Glück an, und ein so frischer, flotter Kerl wie Ihr, der kommt zu nichts – ist das nicht ungerecht? Wenn Ihr mir das Hähnchen gebt, da wollen wir mal sehen, was sich tun läßt. Ich habe hier so ein Schächtelchen, es war eigentlich für einen anderen bestimmt; allein Euch hab ich immer gern gehabt, und wenn Ihr mir das Hähnchen gebt – das Kikelchen, das liebe Kakelchen! – da sollt Ihr's haben.« Damit hatte sie zuunterst aus ihrem Kräuterkorb eine runde Schachtel herausgewühlt und hielt sie Balthasar hin.

»Nun, was soll ich denn damit?« fragte dieser unwirsch. Die Alte wendete sich gegen Valentins Feld, und während sie die Handbewegung des Säens machte, rief sie bei den Scheinwürfen, die sie ausführte, mit singender Stimme: »Raden! – Trespen! – Klatschmohn! – Disteln! – Winden!« – Dann klopfte sie auf die Schachtel und wollte sich vor Lachen ausschütten. »Horcht mal«, rief sie dann, »wie sie brummen!« Sie hielt Balthasar die Schachtel ans Ohr, und dieser vernahm ein Krabbeln und dumpfes Summen, als seien Käfer und Hummeln darin eingesperrt. »Ich verstehe Euer dummes Zeug nicht!« sagte Balthasar. Die Alte drängte sich dicht an ihn, und indem sie die Schachtel mit ihren dürren Fingern umklammerte, sprach sie flüsternd: »Wenn Ihr morgen um die Mittagszeit, da die Sonne am höchsten steht, hinausgeht auf Valentins Feld und diese Schachtel aufmacht, da werdet Ihr's schon merken. Es sind kleine hübsche Säemännerchen drin, die werden säen, säen, säen. Da werden dem Valentin seine Felder später hübsch werden – so bunt! – so bunt!« Darauf kicherte sie eine Weile in sich hinein, klopfte dann auf die Schachtel und rief: »Nicht wahr, ihr versteht's!«, und aus der Schachtel tönte es als Antwort wie ein feines, höhnisches Gelächter.

Trotz seines Grauens griff Balthasar gierig zu und sprach: »Gebt her – den Hahn sollt Ihr haben!« Kaum hatte er dies ausgesprochen, da hatte die Hexe das Tier schon im Arm und streichelte es zärtlich. Dann huckte sie ihren Korb auf und humpelte eilig davon. Kaum hatte der Dämmer der Nacht sie aufgenommen, so hörte Balthasar an der Stelle, wo sie verschwunden war, den Schrei einer Eule: »Kuwit! Kuwit!«, dann ferner in der Richtung auf das Torfmoor zu und immer ferner, bis er endlich nichts mehr vernahm.

Am anderen Tage kurz vor Mittag nahm Balthasar die geheimnisvolle Schachtel und ging hinaus auf das Feld. Es war ein schwüler, heißer Tag, ohne jeden Windhauch; am Horizont waren Wolken aufgetürmt, und es hatte den Anschein, als würde dort hinten in aller Stille ein heimliches Unheil zusammengebraut. Als er auf der Höhe seines Feldes angelangt war, schaute er sich um und horchte. Es war niemand weit und breit zu sehen; aber die hellhörige Luft trug allerlei Töne zu ihm her, das Rollen eines fernen Wagens, das Rasseln der Mittagsklapper aus einem Bauernhofe des Dorfes und aus dem Moorgrund den einsamen Schrei eines Sumpfvogels und zuweilen ein seltsames Lachen; er wußte nicht, war es vom Wiedehopf oder war es etwas anderes.

Ihm war beklommen zumute; allein er faßte sich ein Herz, stieg in einen trockenen Graben hinab, der weit in Valentins Feld hineinführte, und schritt vorwärts. In der Mitte des Ackers lag ein kleiner Teich, der durch diesen Graben bei Hochwasser seinen Abfluß fand; hier stieg er an der Uferwand hinauf und schaute wieder über das Feld hinweg. Es war alles still und einsam wie zuvor. Er empfand ein Grauen, die Schachtel zu öffnen, stellte sie vor sich hin auf den Uferrand, legte sein Ohr daran und vernahm ein brummendes, erwartungsvolles Rumoren darin. Endlich faßte er Mut, löste vorsichtig den Deckel, nahm ihn schnell ab und sprang mit einem angstvollen Satz zurück. Allein einstweilen kam gar nichts aus der Schachtel hervor. Vorsichtig schlich er wieder näher, und als er hineinblicken konnte, bemerkte er nur ein schwärzliches Gekribbel und Gewimmel, untermischt mit einigen bunten, leuchtenden Flecken. Endlich arbeitete sich etwas aus der Masse hervor, setzte sich auf den Rand der Schachtel und fing an zu wachsen, bis es etwa die Größe eines Maulwurfs erreicht hatte. Es war ein kleines schwärzliches Kerlchen mit Fledermausflügeln und einem Kopf wie ein Mohnkopf, auf dem es einen breiten, feuerroten Hut trug. Es dehnte und reckte seine Flügel, tastete nach einem Säckchen, das es nach Art der Säemänner um den Leib trug, stieß einen kleinen hellen Schrei aus, schwang sich in die Luft, und indem es kreisend über die Felder dahinschwankte, fing es an emsig zu säen und verlor sich allmählich in der Ferne. Unterdes war schon ein zweiter dieser grauslichen kleinen Gesellen hervorgekommen, der einen Distelkopf mit rotem Busch zwischen den Schultern trug, und folgte seinem Genossen, und so kamen immer mehr und mehr mit Mützen wie Kornblumen, Raden und Winden gestaltet hervor und gingen an ihre Arbeit. Endlich war die Schachtel leer. Balthasar legte einen Stein hinein und warf sie mitten in den Teich, wo sie versank. Dann kehrte er, das Herz voll Schadenfreude und böser Hoffnungen, in sein Haus zurück, und hinter ihm her schallte wieder das seltsame Lachen aus dem fernen Moorgrund.

Der Abend kam; der Mond ging auf und stieg langsam ins Blau empor. Um Mitternacht, als er schon hoch stand, kam ein heller Schimmer, von dem ein liebliches, geschwätziges Tönen ausging, über die Felder gezogen, und als es näher kam, da sah man, daß es die Roggenmuhme mit ihren Kleinen war. Als sie an Valentins Acker kam, stutzte sie plötzlich, beugte sich zu dem Saatfeld hinab und musterte mit ihren klaren Augen den Boden.

»Hier sind böse Dinge geschehen«, sagte sie dann; »hurtig, Kinder, hier gibt es Arbeit.« Kaum hatte sie das gesagt, so verteilten sich die Kleinen eilfertig über das ganze Land und rutschten auf den Knien so flink dahin, daß es lustig zu sehen war, und dabei pickten sie mit ihren feinen Fingerchen wie Vögel die Unkrautsamen auf und sammelten sie in ihren Schoß und arbeiteten so fleißig und sicher, daß in kurzer Zeit die ganzen Felder abgesucht waren und wohl kaum ein Körnchen liegenblieb. Den größten Schoß voll aber hatte Humpelchen gesammelt.

»Ich weiß wohl, von wem diese Bosheit herrührt«, sagte die Roggenmuhme; »sie falle auf sein Haupt zurück!« Damit trat sie mit ihren Kleinen auf Balthasars Feld über, und hier wurde der angesammelte Vorrat sorgfältig wieder ausgesät.

Vergeblich wartete Balthasar auf den Erfolg seiner Freveltat, vergeblich spähte er im Laufe des Frühlings nach üppig aufschießendem Unkraut auf dem Felde seines Nachbars. Nur zu bald wurde er mit Entsetzen gewahr, was auf seinen eigenen Äckern vorging. Es gewann dort den Anschein, als sei es auf den Bau von Unkraut besonders abgesehen, und als es gegen die Zeit der Roggenernte kam, da bot Balthasars Feld einen für das Auge eines Landmannes wahrhaft entsetzlichen Anblick dar. Es leuchtete und schimmerte in allen Farben; hier war ein Stück Feld von blühendem Klatschmohn wie mit Blut angestrichen, dort lag ein Acker mit ragenden Distelstangen besät, dazwischen einige kümmerliche Gerstenhalme kaum bemerklich waren, der Hafer war vor Trespen gar nicht zu finden, auf der Kuhweide wuchs nichts als Stiefmütterchen, die einen mit hunderttausend kleinen Gesichtern anblickten, die Wiese war voller Schachtelhalm, und in den Klee hatte die Kleeseide gelbe Flächen, wie ein Bettlaken groß, gesponnen.

Weit und breit aus der Umgegend kamen an Sonntagen die Leute herbei, um sich dies Wunder anzusehen, und eines Tages sogar ein Maler aus der Stadt, der es abmalte und es für über alle Maßen herrlich erklärte. Auf Valentins Feldern war aber nicht mehr blühendes Unkraut zu sehen, als zur Verzierung eines Kornfeldes nötig ist.

Balthasar hatte einen entsetzlichen Zorn auf die alte Hexe gefaßt und sich vorgenommen, sie halbtot zu prügeln, wenn er ihr einmal begegnen würde; denn er hielt die Bosheit dieses Weibes für den Grund seines Unglücks. Als er ihr daher kurz vor der Roggenernte auf einem Feldwege begegnete, sprang er sofort auf sie los, würgte sie an der Gurgel und wollte dann eben mit seinem Stock ausholen, als die Alte so erbärmlich anfing zu winseln und ihre Unschuld zu beteuern, daß er abließ und sie anhörte. Sie könne nichts dafür, sagte sie; eine fremde, stärkere Macht, wahrscheinlich die Roggenmuhme, habe ihre Kunst zuschanden gemacht und das Unheil auf Balthasars Feld gewendet. Sie wolle alles tun, was er wolle, um ihn zufriedenzustellen. Noch sei es nicht zu spät, noch könne ein Hagelschlag Valentins reichen Segen vernichten. Balthasar solle morgen mittag zu ihr ins Moor kommen, da wolle sie ein Wetterchen zusammenbrauen, daß kein Halm auf dem Felde des Nachbars stehenbliebe; dem seinen aber solle nichts geschehen. Dieser verlockenden Aussicht vermochte Balthasar nicht zu widerstehen; er ließ die Alte los und sagte sein Kommen zu.

Die Mittagssonne brannte heiß hernieder, als Balthasar am anderen Tage das Torfmoor erreichte; aber der Himmel war klar und blank und kein einziges Wölkchen zu sehen. Schauernd setzte er seinen Fuß auf den verrufenen und gemiedenen Boden. Es war ein ausgebautes Moor, überall durchschnitten von tiefen Löchern und Gruben, zwischen denen nur schmale Torfrücken stehengeblieben und teilweise nachgestürzt waren. In den Gruben war weicher Moorschlamm, oder es blinkte das schwarzbraune Grundwasser daraus hervor. Hier hatten die Sumpfvögel ihr Reich; Bekassinen flogen meckernd auf, als er stolpernd durch Gestrüpp und Heidekraut seinen Weg suchte, und mit klagendem Ruf flog der Kiebitz um sein Haupt. In der Ferne, wo die Hütte der Moorfrau lag, stieg ein hellblauer Rauch auf.

Nach der Mitte zu wurde das Weidengestrüpp dichter und der Weg schwieriger zu erkennen. Zuweilen stand er entsetzt still, wenn sich plötzlich vor seinen Füßen ein im Busch verborgenes Moorloch öffnete und die Torfbrocken, die sein Tritt gelöst hatte, in das blinkende schwarze Wasser fielen. Endlich gelangte er schweißtriefend auf einen flachen Sandhügel, der wie eine Insel im Moore lag und mit krüppelhaften Kiefern und einzelnen Birken besetzt war. Hier lag die Hütte der Moorfrau, aus Torf erbaut und mit einem ganz von Hauslauch überwucherten, morschen Strohdach überdeckt. Die Alte selbst saß vor ihrer Tür und schürte ein schwelendes Torffeuer. Neben ihr auf einem alten Polsterschemel lag eine große Kreuzotter und sonnte sich. Als Balthasar näher kam, krähte der schwarze Hahn auf dem Dach der Hütte, und die Kreuzotter richtete den Kopf auf und zischte.

»Ruhig, Kinderchen«, sagte die Alte, »der tut euch nichts!« Dann reichte sie dem Ankömmling eine große Flasche mit Branntwein hin und sagte: »Da, trinkt mal zur Stärkung.« Hierauf nahm sie selbst die Flasche, tat einen großen Schluck, schüttelte sich und sprach schnalzend: »Das tut wohl!«

Sodann holte sie eine Pfanne und eine große, seltsam bemalte Holzbüchse aus der Hütte, und indem sie beides in den Händen hielt, kicherte sie und schüttelte sich und sagte dann: »Nun wollen wir mal ein Wetterchen machen, ein Hagelwetterchen, daß die Vögel in der Luft totgeschlagen werden.« Dann setzte sie die Pfanne auf das Feuer und sammelte aus der Holzbüchse allerlei seltsame, getrocknete Kräuter und anderes wunderliches Zeug in ihre Hand und tat alles auf einmal in das heiße Gerät.

Es prasselte auf und blitzte und funkelte; kleine blaue Flämmchen flackerten umher, und plötzlich entwickelte sich ein dichter, schwarzer Rauch, der in einer dünnen, feinen Säule schnurgerade emporstieg. Die Hexe warf immer mehr von dem Kraut in die Pfanne und murmelte unverständliche Sprüche dazu; dann erhob sie die Hände, daß die weiten Ärmel von den dürren gelben Armen zurückfielen, und beschrieb Kreise in der Luft; dann fächerte sie mit einem Rabenflügel die Flamme und war in graulicher Art beweglich und geschäftig. Zuletzt rief sie kreischend: »Drauf und dran, nirgends an, über Moor und Wiesen hin zu dem Feld des Valentin!« Aus der Luft tönte ein dumpfes Brausen als Antwort. Entsetzt blickte Balthasar empor und sah, daß sich hoch oben der dünne Rauchfaden zu einer breiten, dunklen Wolke ausgebreitet hatte, aus der grauliche Gesichter hervorzulugen schienen. Jetzt waren die Kräuter verbrannt; die Rauchsäule löste sich von der Pfanne ab und wurde sogleich von der Wolke aufgesogen. »Nun ist es Zeit«, rief die Alte; »nun laufe, wenn du noch etwas sehen willst! Du bist mitten durchs Moor zu mir hergestolpert, ich will dir einen guten Fußsteig zeigen, der dich sicher hinausführt!« Sie brachte ihn auf den Weg, und Balthasar rannte wie gehetzt davon. Die Alte lachte gellend hinter ihm her und kehrte zu ihrer Hütte zurück.

»Jetzt will ich mich durch ein Schlücklein stärken auf die Arbeit«, sagte sie schmunzelnd.

Balthasar rannte keuchend dahin. Über sich hörte er ein Klirren und Rasseln, als wenn geharnischte Männer einherzögen; allein die Wolke ging schneller als er und kam ihm voraus. Als er auf seinem Felde anlangte, sah er voll Entsetzen, daß sie gerade darüber stand; die Luft über Valentins Acker war frei und leer. Ein Wunder zeigte sich seinen Blicken. Rings hoch in der Luft über der Grenze des Nachbarfeldes schwebten weiße, engelschöne Gestalten mit silberglänzenden Schilden und hielten die Flur umfriedet. Drohend ihnen gegenüber am Rande der Wolke lauerten grauschwarze, finstere Gesellen, feurige Speere in den Händen und Stahlhelme mit Spitzen auf dem Haupte. Sie schleuderten ihre Speere, die blitzend mit krachendem Donner durch die Luft fuhren, auf die weißen Gestalten, allein diese hielten ruhig lächelnd ihre Schilde vor, an denen die Waffen mit weiß aufleuchtendem Glanz zerschellten. Immer wilder und aufgeregter tobte es in der Wolke, die dunklen Gestalten wogten auf und nieder, und plötzlich stürmten sie zum letzten Angriff vor. Sie zogen den Kopf zwischen die Schultern und brausten, die Spitze des Stahlhelms voran, in mörderischer Wut gegen die weißen Gestalten. Aber kaum hatte einer in mächtigem Anprall den Silberschild nur berührt, so taumelte er wie vom Blitz getroffen zurück, überkugelte sich in der Luft und sank nieder. Im Sinken aber verschwammen die Formen des Leibes und lösten sich auf, und in entsetzlichen Hagel verwandelt, prasselte er auf Balthasars Acker nieder. So unter Geheul des Windes und unendlichem Rasseln des Hagels ging der Kampf zu Ende, die weißen Gestalten verschwammen und verschwebten, und die Sonne schien wieder rein und klar vom wolkenlosen Himmel. Sie leuchtete mit gleichem Glänze auf Balthasars zerschmettertes Feld wie auf Valentins prangende Fluren, in denen kein Hälmchen geknickt war.

Balthasar war rasend vor getäuschter Erwartung und vor Zorn auf die Hexe. Alles war vernichtet – er war ein ruinierter Mann. Wie wahnsinnig rannte er auf seinem zollhoch mit Hagel bedeckten Felde umher. Kein Halm war verschont geblieben. Auf der Höhe eines Hügels blieb er stehen und drohte mit geballter Faust unter fürchterlichen Flüchen nach dem Moorgrund hinüber. Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen; ein teuflisches Grinsen ging über sein Gesicht; er schüttelte noch einmal die Faust und rannte dann eilig auf das Moor zu.

Als er bei dem Kieferndickicht des kleinen Sandhügels angelangt war, hielt er an in seinem Lauf und schlich langsam und vorsichtig an die Torfhütte heran. Es war ganz still dort, der schwarze Hahn saß auf dem Dache, hatte den Kopf unter die Flügel gesteckt und schlief. Leise und vorsichtig wie ein spürendes Raubtier näherte er sich der Tür. Er fand sie geöffnet und sprang schnell näher, als fürchte er noch immer, seine Beute könne ihm entgehen. Mit vorgestrecktem Hals und gekrümmten Fingern stand er nun da und spähte in das Innere. Dort lag die Alte rücklings auf ihrem Strohsacklager und schlief, die geleerte Flasche neben sich. Sie hatte offenbar des Guten zuviel getan. »Desto besser!« sagte Balthasar, zog die Tür an und verschloß sie von außen. Dann warf er schnell Reisig auf das noch glimmende Feuer und fachte es zu neuer Glut, und dann schleppte er in wilder Hast die aufgestapelten Sammelholzvorräte der Hexe herbei und schichtete sie rings um das Haus auf. Der Hahn war unterdessen erwacht und schlug mit den Flügeln und krähte; allein die Hexe schlief fest. Balthasar hatte seine Arbeit beendet; nun riß er die flackernden Brände aus dem Feuer und warf sie ringsum in das von der Sonne ausgedörrte Kiefernholz, das alsbald in lichter Flamme aufloderte. Diese leckte an der Wand in die Höhe und entzündete bald hier, bald dort den ausgetrockneten Torf und loderte höher empor und setzte das Strohdach in Brand, so daß die ganze Hütte in Flammen stand. Der Hahn wollte hinabfliegen, aber er versengte sich die Flügel und fiel ins Feuer. Jetzt erwachte die Hexe; Balthasar hörte sie kreischen und wie sie heulend an der verschlossenen Tür rüttelte. Dann stürzte sie ans Fenster und schlug die kleinen, blinden Scheiben ein, aber Rauch und Flammen drangen ihr entgegen, und in demselben Augenblick schoß das brennende Strohdach herab und hüllte alles in einen lohenden Flammenmantel. Noch ein kurzes, halbersticktes Kreischen, und dann war es still.

Aber aus dem zusammenstürzenden Gebäude schoß eine riesige Flamme empor, und auf ihrer Spitze schwebte eine mächtige Eule, der Rauch und Feuer nichts anhatten. Sie flog mit gellendem Schrei dreimal um die Brandstelle und schoß dann auf Balthasar nieder und hackte nach seinen Augen. Dieser schlug nach ihr, allein er vermochte sie nicht zu treffen und sich ihrer nicht zu erwehren. »Kuwit! Kuwit!« schrie das Tier, und unermüdlich stieß es auf ihn nieder. Schon blutete sein Gesicht aus mehreren Wunden – ein Entsetzen befiel ihn, und er versuchte zu entfliehen. Wie ein gehetztes Wild rannte er in das Moor hinein, stolperte und fiel und raffte sich wieder auf, aber der wütende Vogel ließ nicht ab von ihm. Zuletzt verschwand der Gehetzte zwischen den Weidenbüschen des Moors, das Geschrei der Eule klang ferner und verstummte endlich ganz.

Ein Weiden schneidender Korbmacher fand nach einigen Tagen Balthasars Leichnam in einem der tiefsten Moorlöcher. An der Stelle, wo die Hütte der Wetterhexe gestanden hat, ist es nicht geheuer. Man will dort auf der Brandstelle zuweilen eine schwarze, zusammengekauerte Gestalt gesehen haben, die von Zeit zu Zeit einen klagenden Schrei ausstößt wie eine Eule: »Kuwit! Kuwit!«

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Tag der Veröffentlichung: 25.06.2012

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