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Ging ich um die heiße Mittagsstunde,
Die gewitterschwüle, durch die öde
Sonnige Vorstadtgasse meinen Pflichtweg,
Wie dem weiten, aufgesperrten Rachen
Einer plumpen kalten Brunnenfratze
Breit entstürzt und mit Geräusch der Sprudel,
Blasen werfend, regenbogenfarbig,
Also wälzte aus dem großen, roten
Schulgebäude sich ein Schwarm von Mädchen
Auf die Straße, in die helle Sonne.
Jede Größe, jede Farbe: Blonde,
Braune, Schwarze. Flechten, Zöpfchen, Locken.
Freigelassene! Welch' ein Lärmen, Schreien,
Plappern, Springen, Lachen, Kreischen, Schelten!

Aus den offnen Fenstern doch der Schule
Schallen kräftig frische Knabenstimmen,
Lautes, taktgemäßes Fibellesen,
Jede Silbe scharf hervorgestoßen.

Aber alles übertönen plötzlich
Aus dem dritten Stockwerk eines Hauses,
Einer Mietskaserne gegenüber,
Lange, schreckliche Posaunenklänge.
Immer die vier gleichen Takte quälend,
Qualvoll in die Welt hinausgeblasen.
Ist es eines kleinen Tanzorchesters
Posaunist, der sich da oben abquält?
Ist ein Dilettant es, kunstbegeistert?

Ach, der Weg zur Kunst, zu jeder, jeder
Ist so schwer. So viele Stufen führen
Aufwärts nach den lichten, reinen Höhen,
Auf den untersten, den breitgelagert
Freigeräumigen, dies Stoßen, Drängen,
Dies Gewimmel. Aber mählig aufwärts
Lichtet sich's und spärlich nur bevölkert
Sehn die höchsten über Zeit und Raum weg,
Und die Spitze? Und die höchste Höhe?
Hat sie je ein Sterblicher erklommen?
Oder harrt noch einsam sie des Kommers,
Der von dort mit seinem Finger leise
An die Fackel rührt, die alles Licht giebt.
Hinter mir lag längst die heiße Gasse,
Aber immer klang mir in den Ohren
Noch das qualvoll unverdrossene Blasen,
Wie das Stöhnen einer kranken Seele,
Die mit ihrem Erdenfluch sich abringt,
Leidend, sieglos, aber stolz und störrig:
Es muß sein!

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Tag der Veröffentlichung: 28.03.2011

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