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Er fuhr zusammen,
ein neuer Wolkenschatten
huschte durch die Stille.
Er preßte die Augen zu;
er wollt' es schon gar nicht mehr sehen,
das fordernde, drohende Bild;
er haßte es schon!
Er drückte die Fäuste in die Augen,
daß sie flimmerten.
Er sah es nur mächtiger,
im sprühenden Glanz,
und sah sie, sie,
wie sie jetzt war,
mit dem schiefen, gestaltlosen Mund,
mit dem haarlosen Kopf,
mit den Narben um Nase und Kinn,
mit dem blanken, striemenroten Hals.
Er stöhnte laut auf,
daß ihn graute
vor der hohlen, einsamen Stimme.

Da:
das war doch seine Stimme nicht?
Zagend, suchend
kam es durch den großen Raum:
"Riefest du?"
weich und schwer,
wie der Teppich, den er schwanken hörte.

Er sah nicht auf.
Er fühlte, wie sie fragend stand.
Nur nicht jetzt ihr Gesicht!
Er wollte sprechen.
Da kam sie.

Er wollte den Kopf schütteln;
aber ihre Hand auf seiner Schulter,
ihr Warten!
Es war nicht möglich,
es zwang ihn hoch,
er mußte sie ansehn,
ansehn,
am weißen Morgenkleid hinauf,
ihren Hals,
und -
Rot,
und ein brausendes Schwarz,
Seele,
der Blick,
ihr Gesicht,
es war Uebergewalt,
da stand sie,
hoch,
starr,
erbebend:
"Ich
werde
gehen" -
und wollte sich wenden.
Und Er
sah sie an,
an,
und seine Augen wurden immer weiter,
daß sie nicht loskonnte,
immer durstiger,
und seine Finger tasteten und griffen,
es zu fassen,
zu halten,
das unerkannte
letzte
Eine,
das selige Wunder,
Das, was ihn zu ihr in die Kniee riß,
warum er sie umklammerte,
weinend,
"Offenbarung" stammelnd:
ihre große Sittlichkeit,
die Schönheit ihrer Erschütterung!

Und nun,
weich,
weich, schwer und leise,
sank auch sie herab an ihm,
Knie an Knie,
kindermild,
anders wie damals;
und er küßte die gestaltlosen Lippen
und schlang die Hände um den haarlosen Kopf
und hielt sie von sich,
schauend - schauend - nein:
Das lag nicht in den Augen,
nicht in den Mundwinkeln,
in keiner Einzelheit:
das würde ihn zur Andacht zwingen,
und wenn sie ganz verschleiert vor ihm läge:
diese strömende Hohheit,
diese heilige, siegende Demut.

Und er mußte es sagen,
lachend,
das Ueberflüssige -
"Ich liebe dich".

Und wie sie sich erhoben von den Knieen,
in ihrer Klarheit,
und der breite Sonnenstrahl
auf der Palette blitzte,
nach der Wand hinüber,
nach dem Myrtenbilde,
da stieg es vor ihm auf,
neu und mächtig:
"Weißt du, wie ich dich malen werde?
Blut und Nacht,
Sterne,
nur Auge und Bewegung:
Magdalena,
der Welt den Gekreuzigten zeigend".

"In den liebenden Armen",
sagte sie dunkel.

Ein Wolkenschatten...

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Tag der Veröffentlichung: 16.02.2011

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